Google This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct to make the world's books discoverablc online. It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover. Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the publisher to a library and finally to you. Usage guidelines Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to prcvcnt abuse by commcrcial parties, including placing technical restrictions on automatcd qucrying. We also ask that you: + Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for personal, non-commercial purposes. + Refrain from automated querying Do not send aulomated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the use of public domain materials for these purposes and may be able to help. + Maintain attributionTht GoogX'S "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct andhclping them lind additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. + Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe. Äbout Google Book Search Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs discover the world's books while hclping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll icxi of ihis book on the web at|http : //books . google . com/| Google IJber dieses Buch Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. Nu tzungsrichtlinien Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: + Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. + Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen unter Umständen helfen. + Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. + Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA öffentlich zugänglich ist, auch fiir Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. Über Google Buchsuche Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen. Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books . google .corül durchsuchen. \ i 1 ?rfV fr- v^Ä AUS SIBIRIEN. LOSE BLÄTTER AUS MEINEMTAGEBUCHE VON D«= WILHELM RADLOFF. ZWEITER BAND MIT EINEB KARTE UND 16 ILLU8TBATIONSTAFELN. ZWEITE AUSGABE. l LEIPZIG T. O. WEIGEL NACHFOLGER (CUR HBRM:. TAUCHMITZ) Sla.0- 3(»32'i a) HARVARD UNIVERSITY 1.IIXPAR.Y MAY ij1961 Alle Rechte vorbehalten. VI. Das Schamanenthum und sein Kultus. Verbreitung des Schamanenthums unter den T(irk-Völkem. — Die Welt- anschauung der Schamanen bekenner des eigentlichen Altai. — Der Scha- manenkuItuB. — Die Spuren des ScbamaneutiiiimB bei den Kirgisen und anderen Tiirk-StiitDmen. Alle Völker den nordlichen ÄRJeng, die zu den ÖHtliclieii Zweigen der ural-altaisehen Völker-Familie gelieren, d. Ii. alle tnngusischeii, mongoliniclien Und türkiachen Stämme, waren früliev Anhänger des Schamanenthums. Jetzt ist dieser Sclmmanenkultus i nur noch bei den Tungusen allgemein verbreitet, deren sttmmt- ' liehe Stämme mit Ausnahme der Mandschu, die äich jetzt zur ' chinesischen Staatsreligion und dem Buddhismus bekennen, ohne i Ausnahme Schamanen anhänge r sind. Die Mongolen sind durch tibetanischen Einfluss jetzt fast alle eifrige Buddhisten, nur hei den an dem Baikal>See wohnenden Buräten ist der Schamanis- mus noch altg^emein verbreitet; ob bei den Mongolen, den Gobi, noch Spuren des Schamanismas vorkommen, weiss ich nicht an- zugeben. Die Türken endlich, die am frühesten von allen drei genannten Gruppen Hocliasien verlassen haben, siiid seit vielen Jahrhunderten dem Einfluss des Islams erlegen und mit Ausnahme der Bewohner des Altai und des Sojonischen Gebirges sehr eifrige Mohammedaner. Nur ein ganz kleiner Theil der in Russland und Sibirien wohnenden Türk-Stämme ist zum Chrislenthum über- getreten und ganz allein ein Theil der Sojonen in der west- lichen Mongolei sind Buddhisten geworden. Den alten Scha- manenglauben sehen wir daher nur bei denjenigen Stämmen erhalten, die bei den Zügen der Türken nach Westen und Süden \ — 2 — in den fruchtbaren Thälern des östlichen Theiles der grossen altaischen Bergkette getrennt von ihren weiterziehenden Nach- barn zurückblieben. Auf diese zurückgebliebenen Stämme haben jetzt schon die benachbarten Völker einen grossen Einfluss ge- wonnen, so dass das Schamanenthum von Osten her durch den Buddhismus, von Norden und Westen aus durch das Christenthum eingeengt wird. Da alle Abakan- Tataren officiell als getauft aufgeführt werden und auch viele Sojonen Buddhisten geworden sind, so sind es nur noch die altaischen Bergkalmücken, die Teleuten, die Schwarzwald-Tataren und die Schoren, die zum grössten Theil sich offen zum Schamanismus bekennen. Ein Theil der sibirischen Tataren ist erst im letzten Jahrhundert auf russischem Gebiete dem Einflüsse der Mohammedaner erlegen. Dies sind die Baraba-Tataren, die Tara-Tataren (Kurdak) und die sogenannten Tomsker Teleuten. Bevor ich den Beschwörungskultus der Schamanen schildere, will ich versuchen, die Weltanschauung des Schamanenthums darzulegen. Diese Aufgabe ist eine sehr schwierige, sobald man sich daran macht, ein Gesammtbild zu entwerfen, weil das Ganze aus widersprechenden Einzelnachrichten gewonnen werden muss. Dabei werden wir bei der Erforschung des Schamanismus durch keine Spur von schriftlichen Dokumenten unterstützt. Um wie viel schwieriger muss also hier die Zusammenstellung eines Gesammtbildes sein, wenn es schon schwer ist, schrifthch über- lieferte Mythen, z. B. des griechischen Alterthums, zu einem Ganzen zu vereinigen. Dabei hat das Volk, das hierbei unsere einzige Quelle ist, nur eine sehr dunkle Vorstellung von seinem Glauben. Die Schamanen selbst, die uns die einzige sichere Quelle sein könnten, fürchten sich allgemein, ihre Geheimnisse zu verrathen und hüllen sich stets in den Nimbus des Geheim- nisses, den sie für ihren Erwerb so nöthig haben. Ich war daher nicht wenig erfreut, als ich in der Mission am Kebisen auf zwei getaufte Schamanen traf und hoffte auf reichere Ausbeute. Leider wurde auch in diesem Falle meine Hoffnung getäuscht, denn ich erhielt von ihnen auf alle meine Fragen keine andere Antwort, als: ,, Unser früherer Gott ist schon so ergrimmt genug, dass wir ihn verlassen haben; was wird er thun, wenn er erfährt, dass wir ihn jetzt noch verrathen? Aber noch mehr fürchten wir den russischen Gott, wenn er hört, dass wir von dem alten Glauben sprechen. Was wird uns da für Rettung sein? (auda arga nä — 3 ~ polor?)^' Trotz dieser Schwierigkeiten habe ich doch im Laufe der Zeit in einer ganzen Anzahl von Legenden, Sagen, Märchen, Erzählungen, Liedern viele Anspielungen und Hinweise auf die Glaubensansehauungen des Volkes gefunden; dazu kamen viele abgerissene Aeusserungen der Schamanenanhänger und der Scha- manen selbst, so dass ich wohl im Stande bin, ein Gesammtbild der Weltanschauung des Schamanismus zu entwerfen, wenn dieses Bild auch in vielen Stücken ein lückenhaftes ist. Die Welt besteht nach der Anschauung der Schamanisten aus einer Anzahl von Schichten, über deren wirkliche Anlage die Leute sich nicht den Kopf zerbrechen. Die Anschauung der Schicht ist gewiss von der Bergschicht genommen, w^elche die Bergbewohner gleichsam vor ihren Augen sich aufthürmen sehen, wenn sie sich auf einer bedeutenden Höhe befinden. Die Schichten sind durch ein gewisses Etwas von einander getrennt, da der Schaman bei der Beschwörung einer gewissen Kraftanstrengung bedarf, um aus der einen Schicht in die andere zu gelangen, und diese Kraftanstrengung begleitet stets ein krachendes Ge- räusch. Siebzehn obere Schichten bilden den Himmel, das Reich des Lichtes, und sieben oder neun Schichten bilden die Unter- welt, das Reich der Finsterniss. Zwischen den Schichten des Himmels und den Schichten der Unterwelt ist die Oberfläche der Erde, der Wohnsitz des Menschengeschlechtes, so dass die Ober- fläche der Erde mit allen ihren Bewohnern sich unter dem Ein- flüsse beider genannten Reiche befindet. Alle guten Geister, Genien und Gottheiten, die das schwache Menschenvolk schaffen, schützen und erhalten, leben in den oberen Schichten des Lichtes, denn das Licht ist ja der Freund aller Menschen, der Erhalter aller Lebensäusserungen der Natur. In den unteren Schichten der Finsterniss aber lauem die Un- holde, die bösen Geister und Gottheiten, die dem Menschen zu schaden und ihn zu vernichten suchen und trotz . aller Kämpfe ihn endlich doch herabziehen in die ewige Finsterniss. -^ Die Ursache einer solchen Weltordnung erzählen uns die Legenden von der Erschaffung der Welt. Hier eine derselben. Ehe die Erde und der Himmel geschaffen waren, war Alles Wasser, die Erde war nicht da und der Himmel existirte nicht, Sonne und Mond waren nicht. Da erschuf Tengere Kaira Kan, der höchste der Götter, der Anfang alles BesteTienldeiiJ' 3er Vater und die Mutter des Menschengeschlechtes, zuerst ein Wesen^ das ihm gleich war, und nannte es Mensch (Kishi). Kaira Kan und der Mensch schwebten ruhig über dem Wasser; wie zwei schwarze Gänse schwebten sie. Der Mensch aber war nicht zu- frieden mit dieser seligen Ruhe, er wollte sich höher erheben als Kaira Kan. In Folge dieser Vermessenheit verlor er die Kraft zum Fhegen und stürzte in die Tiefe, in das grundlose Wasser. In seiner Noth, dem Ertrinken nahe, rief er den Ten- gere Kaira Kan (den gütigen Himmel) um Hülfe an. Kaira Kan befahl dem Menschen, sich aus der Tiefe zu erheben, und der Mensch erhob sich, dann liess er aus dem Meere einen Stern sich erheben, damit der Mensch sich auf diesen setzen konnte und er vor der Wassersnoth geschützt war. Da der Mensch nicht mehr fliegen konnte, gedachte Kaira Kan die Erde zu schaffen, deshalb hiess er den Menschen tief hinab in's Wasser tauchen und aus der Tiefe Erde herauf zu holen und streute die Erde auf der Oberfläche des Wassers aus. Als der Mensch die Erde aus dem Wasser hervorholte, steckte er einen Theil der Erde in den Mund, um für sich heimlich ein Land zu schaffen; als er aber empor kam, schwoll die Erde im Munde an, dass er nicht mehr athmen konnte und fast erstickt wäre, wenn ihm nicht Kaira Kan befohlen hätte, die Erde auszuspeien. Das Land, das Kaira Kan geschaffen hatte, war eben und glatt, aber die Erde, die aus dem Munde des Menschen hervorquoll, spritzte nach allen Seiten auseinander und bedeckte ganze Landstrecken mit Sumpfhügelchen. In seinem Zorne nannte nun Kaira Kan den Menschen Erlik und verbannte ihn aus dem Reiche des Lichtes; darauf schuf er andere Menschen, die die Erde bevöl- kern sollten. Er Hess einen Baum mit neun Zweigen aus der Erde wachsen und unter jedem Zweig schuf er einen Menschen; diese neun Menschen waren die Stammväter der neun Völker- stämme, die bis jetzt das Erdenrund bewohnen. Als Erhk die Menschen, die neuen Bewohner der Erde, erbhckte und sah, dass sie alle so schön und gut waren, bat er den Kaira Kan, ihm diese Geschöpfe in die Hand zu geben. Kaira Kan verweigerte ihm diese Gabe; da wusste Erlik sie zum Bösen zu verführen und so mit Gewalt an sich zu reissen. Kaira Kan aber erzürnte über das thörichte Menschenvolk, das sich so leicht vom Erlik hatte verleiten lassen. Er beschloss deshalb, von jetzt ab das Menschengeschlecht sich selbst zu — 5 — überlassen, den Erlik aber verfluchte er von Neuem und ver- bannte ihn in die dritte Schicht des unterirdischen Reiches der Finstemiss; für sich selber aber schuf er die siebzehn Schich- ten des Himmels mit ihren Bewohnern und wählte die höchste Schicht des Himmels als seinen bleibenden Wohnsitz. Zum Be- schützer und Lehrer des nun vereinsamten Menschengeschlechtes liess er den erhabenen Mai-Tärä zurück. Als Erlik den schönen Himmel erblickte, beschloss er, sich auch einen Himmel zu er- bauen, und nachdem er dazu die Erlaubniss des Kaira Kan erhal- ten hatte, liess er daselbst seine eigenen Unterthanen, die bösen Geister, die von ihm verderbten Menschen wohnen. Und die bösen Geister lebten viel besser als die von Gott geschaffenen Menschen der Erde. Dies erregte den Zorn des Kaira Kan und er schickte den Helden Mandyschirä, um den Himmel des Erlik zu zerstören. Da erdröhnte der Himmel unter den mächtigen Hieben der Lanze des Mandyschirä, der Himmel des Erlik aber zersprang in kleine Stücke und fiel auf die Erde herab, und die Erde, die bis dahin glatt und eben gewesen war, wurde ver- dorben, denn es entstanden durch die herabfallenden Trümmer die mächtigen Berge und die tiefen Schluchten und zwischen ihnen wuchsen die undurchdringhchen Waldstrecken hervor. Kaira Kan aber verbannte Erlik zur tiefsten Erdschicht, wo weder Mond noch Sonne scheint, wohin das Licht der Sterne nicht dringt, und befahl ihm, dort zu verweilen bis zum Ende der Welt. Es giebt viele Legenden der WelterschafFung und diese stellen natürlich den Gang der Erschaffung sehr verschiedenartig dar. Das ist auch sehr wohl verständlich, denn alle diese Er- zählungen sind nur der Ausdruck der kindhchen Speculation des Volkes über den den Menschen unverständlichen Process des Werdens und die Ursache alles Bestehenden. Da jede Erklärung dieses Processes selbst für den ungebildetsten Menschen stets voll von Widersprüchen sein muss, so sucht er nach immer neuen Er- klärungen und forscht gern bei Anderen nach ihrer Meinung über das Unverständliche. So kommt es denn, dass schneller als alle übrigen Legenden die Legenden über die Ursache des Seins sich zwischen den verschiedenen Völkern ausgleichen und mit- theilen. Darum finden wir auch viele Varianten dieser Legenden bei den altaischen Schamanisten und in allen diesen Legenden deutliche Spuren der Mosaischen Schöpfungsgeschichte und des Buddhismus, von denen die ersteren zum Theil durch die — 6 — Mohammedaner, zum Tlieil durch die Christen hierher geführt wurden. Dies beweist uns die Variante, dass Kaira Kan zuerst drei mächtige Fische geschaffen, auf deren Rücken er die Erde be« festigt habe. Auch eine Sage vom Sündenfall, die in der von mir hier erzählten Legende auftritt, die ich aber weggelassen, weil sie fast ganz mit der Mosaischen Erzählung übereinstimmt. Die Namen Mandyschirä und Mai-tärä, die in der hier aufgeführten Sage auftreten, deuten auf buddhistischen Einfluss. Tengere Kaira Kan bewohnt noch jetzt die siebzehnte Himmelsschicht und leitet von dort aus die Geschicke des Welt- alls. Aus dem Kaira Kan entstanden durch Emanation die drei höchsten Gottheiten: Bai Ülgön, der auf dem goldenen Berge in der sechzehnten Himmelsschicht wohnt und dort auf goldenem Throne sitzt; Kysagan Tengere, der Mächtige, der seinen Wohn- sitz in der neunten Himmelsschicht hat, und der Allweise, Mergen Tengere, der in der siebenten Himmelsschicht sich aufliält, wo auch die Mutter Sonne (kün änä) sich befindet und den Himmel und die Erde überstrahlt. In der sechsten Himmelsschicht wohnt der ,, Vater Mond*' (ai ada). Die Benennung ,, Mutter Sonne '^ und ,, Vater Mond*', kün änä und ai ada, sind nur durch sprach- liche Anklänge der Vocalähnlichkeit entstanden und haben weiter keine mythische Bedeutung. In der fünften Himmelssclricht wohnt der höchste Schöpfer, auch Gott der Schöpfer (kudai jajutschi) genannt. Der erhabene Bai Ülgän hat zwei Söhne, den Jajyk, der auch Mai-änä genannt wird, und Mai-tärä, den schützenden Gönner der Menschheit. Sie wohnen in der dritten Himmelsschicht; hier ist auch der Süt-ak-köl, der milch weisse See, der Urquell alles Lebens, und in seiner Nähe der Berg Sürö, der Wohnsitz der sieben Kudai (jätti kudai = sieben Götter), die hier unter ihren Untergebenen, den Jajutschi (d. h. den Schöpfern), den Schutzengeln und Begleitern der Menschen leben. Hier ist auch das Paradies (ak, d. h. das Weisse), wo die Seligen und Gerechten (aktu: die mit Weisse, d. h. Gerechtigkeit Ver- sehenen) ein glückliches Dasein führen. Diese letzteren sind die Gemeinschaft der Ahnen der jetzt lebenden Menschheit, die hier geschlechterweise leben und durch die Kraft des Familienbandes die Vermittlung zwischen den Gottheiten des Himmels und ihren auf der Erde lebenden Nachkommen übernehmen und diesen in Nöthen beistehen können. — 7 — Die Erde selbst, auf der die Menschen lebten, ersdieint per- soniiieirt als eine für die Menschheit wohlthätige Geistergemein- schaft und wird als solche von den Menschen unter dem Namen Jär-su (Erde — Wasser) verehrt. Ich sage Greistergemeinschaft, da unter Jer-su die Gesammtheit der siebzehn hohen Chane (Fürsten) verstanden wird; alle diese Fürsten der QuellgebietF haben auf den Schneegipfeln der mächtigen Bergriesen, bei den Quellen der das Land befeuchtenden und befruchtenden Ströme ihre Wohnsitze. Der mächtigste dieser siebzehn Chane ist der Jö Kan. Er wohnt im Nabel der Erde, dem Mittelpunkte, wo der höchste aller Erdenbäume wächst, eine riesenhohe Tanne, deren Gipfel bis zum Hause des Bai Ülgön reicht. Dieser Baum ist ein Zeichen, dass die Macht des Jo Kan fast der der höchsten Himmelsgottheit gleichkommt. Jo Kan hat' zwei Söhne, den So Kan und den Temir Kan, die auch zu den Erdenfürsten ge- hören; diese nehmen gern die Libationen der Menschen in Em- pfang. Der vierte der gewaltigen Fürsten der Erde ist Talai Kan, der Fürst des Meeres, der Schützer der Verstorbenen, er wird auch Jajyk Kan (der Fürst der überschwemmten Wasser- fläche) genannt. Seine Wohnung hat Talai Kan bei der Mün- dung der siebzehn Meere, er ist der Oberherrscher über alle Gewässer der Erde. Der fünfte Chan ist Adam Kan (eine durch Vermittlung der Kirgisen von den Mohammedanern hier einge- drungene Persönlichkeit). Der sechste ist Mordo Kan oder Aba- kan Kan, der Herrscher des Abakan-Stromes, der auf den Quellen dieses Flusses östlich vom Teletzkischen See seinen Wohnsitz hat, wo er als Regenspender verehrt wird. Der siebente Fürst ist Altai Kan, der Wohlthäter des Altai Volkes, welcher bei den Quellen der Katunja, der himmelhohen Belucha, seinen Sitz hat. Der achte Chan ist Kyrgys Kan, der reiche Wirth des Kemtschik, des Quellgebietes des Jenissei. Der neunte Chan ist Jabasch Kan; der zehnte Edär Kan. Die übrigen sieben Fürsten wer- den bei den verschiedenen Stämmen sehr verschieden genannt. Im nördlichen Altai wurden sie genannt : Jäbyr Kan, Kaira Kan, Puisan Kan, Pärbi Kan, Mansar Kan, Pyi-tschu Kan und Oktü Kan, über deren Wohnsitze und Bedeutung ich nichts Näheres anzugeben vermag. Alle diese Gottheiten der Oberwelt, die in den Schichten des Himmels und auf der Erde leben, werden als die Schöpfer, Erhalter und^eschützer der Menschheit angesehen. Am nächsten — 8 — stehen die Menschen den Gottheiten des Jersu, deren Wohlthaten er direct empfingt und mit welchen er daher auch in unmittel- bare Verbindung zu treten und Opfer zu spenden wagt. An die Gottheiten des höchsten Himmels, ebenso wie an die Geister der Finsterniss wagt der schwache Mensch sich nicht zu wenden, dazu bedarf er eines Vermittlers und zwar der im Paradiese wohnenden Vorfahren, Mit Hülfe dieser seiner Vorfahren theilt er den hohen Göttern des Himmels seine Noth mit und bittet l\ sie um Hülfe. Darum hängt auch an jeder Götzenstelle der Jurte ein Götterbild der höheren Gatter in einem Reifen, der den Wohnsitz der Himmelsschicht bedeutet, und daneben der Somo, die neun den Menschen behütenden Vorfahren. Aber nicht alle Menschen vermögen sich wirksam an die Vorfahren zu wenden, oder vielmehr nicht allen Vorfahren ist die Macht einer starken Hülfe gegeben. Diese Kraft wohnt nur wenigen Geschlechtern, den Geschlechtern der Schamanen, inne, die ihre Gewalt von Vater auf Sohn mit dem sichtbaren Zeichen der Schamanentrommel übergeben, mittelst der er durch die Kraft seiner Vorfahren die Geister des Jersu rufen und zu thätiger Hülfe zwingen kann. Wie dieses Anrufen der Vorfahren geschieht, können wir aus zwei kurzen Gebeten ersehen, die ich bei Ge- legenheit ihrer Anwendung selbst aufschrieb (was bei Beschwö- rungen nicht mögHch ist). Das erste dieser Gebete ist ein Bitt- gebet um schönes Wetter. Dies verrichtete einer meiner Führer vom Stamme der Tölös (am Tscholyschman), als uns im Jahre 1861 nicht weit vonSen Quellen des Abakan, wochenlang das schrecklichste Ungewitter verfolgt hatte. Der Beter war ein soge- nannter Jadatschy (ein Wettermacher), der, da er keinen Jada- tasch zur Hand hatte, mittelst einer aus meiner Reiseapotheke entnommenen Medizin das Gebet wirksam machte. Nachdem er die Medizin in einem Löffel über dem Feuer erwärmt hatte, erhob er beide Hände und den Löffel zum Himmel und sprach: Kaira Kan, Kaira Kan! Alas! AI äs! Aläs! Handbreit öflFne du den Himmel! Oeffne einer Nadel Breite! Vom Geschlecht der Kegenm acher Bin ich, ich der Ceder Wurzel. Abu Tobu heisse ich, Heisse Ongustai Kuldurak. Auf der Erd' sei Himmelsnabel! — 9 — Erdennabel sei im Himmel! Paschtygan, den Vorfahr, ruf ich, OeflFne du des Himmels Weg! Handbreit öflFne du den Himmel! Oeffne einer Nadel Breite! Du durchdring' die hohen Berge; Von des Abakanes Quellen, Kaira Kan, o Kaira Kan! Aläs, Alas, Aläs! Das zweite ist ein Dankgebet, das in meiner Gegenwart mein Wirth am Batschat, ein Teleuten-Schaman, hielt und mir später dictirte. Der du in der Höhe wohnest, Himmelsherr Kan Abyjasch, Der auf Erden Gras hervorrief Und die Blätter auf den Bäumen, Der am Schenkel Fleisch geschaffen Und die Haare auf dem Haupte. Du, der Schöpfer des Geschaffnen! Himmel du, för die Geschöpfe! 0, ihr sechzig mächt'gen Fürsten, Die erhoben mir den Vater, Du, der hohe Ülgön-Bai, Der erhoben mir die Mutter, , Herr-Gott, du verleihe Vieh ! Herr-Gott, du verleihe Brot! Gieb dem Hause du ein Haupt! Du, der Schöpfer des Geschaffnen! Himmel du, ftir die Geschöpfe! Durch den Vater flehe an dich; Gieb den Segen mir, o Vater! Vater stehe du doch bei (Hier ist der Name des Vaters und des Geschlechtes ge- wiss aus Pietät weggeblieben.) Meinem Haupte hier im Hause, Auf dem Felde meinem Vieh! Ich verneige mich vor dir, 0, du Schöpfer des Geschaffnen! Der Geschöpfe Himmelsfürst! Das unterirdische Reich der Finstemiss besteht, wie ich schon vorher erwähnt habe, aus neun Schichten. In allen diesen Schichten herrscht eine ihnen eigenthümliche grausige Beleuchtung von einer der Unterwelt eigenthümlichen Sonne. Hier wohnen alle bösen Geister, d. h. alle diejenigen Wesen, die dem Menschen nachstellen, deren Streben nur darauf gerichtet ist, ihm Schaden I — 10 — und Leid zuzufügen. Diese feindlichen Kräfte bezeichnen die Ahajer mit dem allgemeinen Namen Tüm/ingi liis (die Unterwelt). I Sie besteht aus ungestalteten Kobolden, Schwanenjungfrauen, Ainas und Körmössen, Etkären und Jaman Üsüt. Der Herrscher über alle diese Wesen der Unterwelt ist Erlik Kan, den Bai Ülgän selbst geschaffen. Erlik Kan, der grimme Fürst, sitzt auf schwarzem Throne in der fünften oder neunten Schicht der Unterwelt ; hier ist er von seinem Hofstaate umgeben, all den obenerwähnten bösen Genien. Noch tiefer als Erlik ist der Aufenthalt der Verfluchten, die grause Hölle (Kasyrgan), wo die Sünder und Verbrecher dieser Welt im Jenseits die gerechte Strafe für ihre Vergehen erdulden. Erlik Kan ist der furchtbare Feind der Menschheit, der trotzdem der Vater Erlik genannt wird, ,,da wir alle zu ihm gehören und er unser Leben zuletzt vernichtet". Schon das Aeussere des Erlik ist grausenerregend, die Beschwörungsformeln der Schamanen schildern sein Aussehen in folgender Weise: Du, Erlik auf schwarzem KoSvS(\ Hast ein Bett aus schwarzem Biber, Deine Hüften sinen; Spannenbreit sind deine Brauen, Schwarz ist deines Bartes Fülle, Blutbefleckt dein grauses Antlitz. 0, du reicher Kan Erlik, Dessen Haare strahlend funkeln, Immer dienet dir als Eimer Eines todten Menschen Brust; Menschensehädel sind dir Becher, Grünes Eisen ist dein Schwert, Eisen — deine Schulterblätter, Fimkelnd ist dein schwarzes Antlitz, Wellend flattern deine Haare. Bei der Thüre deiner Jurte Stehen viele mächt'ge Throne. Einen ird'nen Dreifuss hast du, Eisern ist dein Jurtendach. Keitest den gewalt'gon Ochsen. Zum Bezug för deinen Sattel Eeicht nicht eines Pferdes Haut; Helden stürzen, reckst die Hand du. — 11 — Pferde stürzen, wenn den Bauclu'iem', Fürchterlicher, du nur festziehst. 0, Erlik, Erlik, mein Vater, Was verfolgest du das Volk so? Sag', was richtest du zu Grund' es? Schwarz wie Russ ist stets dein Antlitz, Finster glänzend wie die Kohle, 0, Erlik, Erlik, mein Vater, Von Geschlechtern zu Geschlechtern, In dem langen Lauf der Zeiten Ehren wir dich Tag und Nächte, Von Geschlechtern zu Geschlechtern Bist ein hochgeehrter Führer! Wie soll das arme, verfolgte Mensehenherz diesen Erlik nicht fürchten? Von ihm kommt ja alles Uehel, er verführt zur Sünde, wirft mit Krankheit den Menschen nieder, schickt den Tod, der ihn von den Seinen trennt. Misswachs, Viehseuchen und Armuth, Alles, Alles schickt Erlik. Da gieht es denn für den Menschen keine wichtigere Pflicht, als diesen Erlik stets in Ehren zu halten, ihn Vater und Führer zu nennen und durch reichliche Opferspenden sich geneigt zu machen. V\^enn der Mensch geboren werden soll, so gieht zuerst Bai Ülgon seinem Sohne Jajyk den Befehl, dieser erfüllt den Auftrag des Vaters und überträgt auf Bitten der Vorfahren die Geburt einem Jajutschi, welcher die Lebenskraft aus dem Süt- ak-köl, dem milchweissen See, nimmt, den Neugeborenen zur Welt bringen lässt und ihm während seines ganzen Erdenlebens helfend zur Seite steht. Erlik, der die Geburt des Menschen weis3, schickt aber zugleich einen Köraiös aus, der sich bemüht, die Geburt zu verhindern, oder geht das nicht an, schwieriger zu machen, so dass die arme Mutter durch die Schuld des Kör- mös in unerträglichen Geburtswehen sich windet. Geht trotzdem die Geburt glücklich von statten, so verlässt der Körmös den Neugeborenen nicht, sondern verfolgt ihn auf Erliks Befehl bis an's Ende seines irdischen Lebens. So hat denn jeder Mensch zwei stete Begleiter: bei seiner rechten Schulter steht der Ja- jutschi, bei seiner linken Schulter der Körmös. Beide Begleiter beobachten den Menschen ununterbrochen während seines ganzen Lebens. Der Jajutschi schreibt alle guten Thaten des Menschen auf, während der Körmös alle seine bösen Handlungen ver- zeichnet. Wenn es zuletzt dem Erlik gelingt, die Lebenskräfte des Menschen zu untergraben, d. h. w^enn der Tod den Menschen — 12 — erreicht, so erfasst der Körniös die nocli lebende Seele des Menschen und zieht sie mit sich fort bis zur siebenten Schicht der Unterwelt vor den Richterstuhl des Erlik. Hier geben beide Begleiter, der Jajutschi und der Körmös, Zeugniss von den Thaten des Gestorbenen. Hat der Mensch mehr Gutes als Böses gethan, so hat Erlik Kan über ihn keine Macht. Der Körmös verlässt ihn, und der Jajutschi bringt ihn empor aus dem Reiche der Finstemiss. Die Seele des bösen Menschen hingegen ver- lässt ihr Schutzgeist, der Jajutschi, und Körmös schleppt sie hinab bis zur tiefsten Schicht der Unterwelt, wo sich die grausige Hölle befindet. Hier ist ein riesiger Kessel, der mit kochendem Theer angefüllt ist, in diesen Kessel schleudert der Körmös die Seele des sündigen Menschen. Nach einiger Zeit erhebt sich dieselbe über die Oberfläche des brodelnden Theeres zu ver- schiedener Höhe. Die ärgsten Sünder, die während ihres Erden- lebens keine guten Thaten vollführt, bleiben ewig unter der Ober- fläche; die Seele des Menschen aber, den die Sünde weniger tief in die Verdammniss hinabzieht, steigt empor, so dass der Scheitel mit dem Zopfe aus der schwarzen Flüssigkeit des Kes- sels hervorsieht. Bessere Menschen sinken weniger tief, so dass der ganze mit Haaren bedeckte Theil des Kopfes sich ausser- halb des Kessels befindet. Je mehr gute Thaten der Mensch zu verzeichnen hat, um so höher entsteigt er dem Kessel, so dass bei Einigen die Stirn, bei Anderen die Augenbrauen und so allmählich Augen, Nase, Mund, zuletzt der ganze Kopf bis zum Kinn, dann mit dem Halse zu sehen ist. So ergiebt sich, \ dass die guten Thaten, welche der Mensch während seines Le- ] bens verrichtet hat, auch nach dem Tode nicht verloren gehen, und dass die schreckliche Strafe des Erlik, die Verdammniss, nicht für die Ewigkeit ist. Die Seligen im Himmel vergessen ' nicht die Wohlthaten, die sie von Sündern empfangen haben; sie und die Vorfahreifi des Sünders schicken ihre Jajutschi zur Hölle hinab, um ihren dort schmachtenden Wohlthätern Hülfe zu leisten. Der Jajutschi sucht den Wohlthäter und Nach- kommen seines früheren Schützlings auf, fasst ihn beim Zopfe (weshalb auch jeder Kalmück einen solchen trägt) und bemüht sich, ihn aus dem kochenden Theer herauszuziehen. Die Kraft des Jajutschi steigt im Verhältniss der Bedeutung der von dem Sünder erwiesenen Wohlthat, so dass er allmählich den Sünder immer höher hebt. Ist es ihm zuletzt gelungen, den Sünder — 13 — ganz aus der kochenden Flüssigkeit herauszuziehen , so nimmt er ihn auf seine Arme und trägt ihn zur Oberwelt empor. Es gieht aber in der Welt des Sehamanenthums dennoch keine ewige Gerechtigkeit. Die Götter des Lichtes sowohl wie die Geister der Finsterniss handeln nicht lediglich nach ethi- schen Grundsätzen, sondern lassen sich durch süsse Opferspeise gewinnen und drücken, wenn sie reich beschenkt werden, gern ein Auge zu; sie sind neidisch auf den Reichthum der Menschen und verlangen von allen ihre Gaben. Darum ist es eine Pflicht, stets mit den Geistern des Lichtes und der Finsterniss durch eigenthümlich dazu begabte Menschen in Verbindung zu treten. Diese Aufgabe der Vermittelung übernehmen die Schamanen- geschlechter. So lange der mächtige Erlik in die Finsterniss gebannt ist und mit seinen Geistern nicht offen im Lichte des Tages sich zeigt, besteht eine immer gleichmässige Naturordnung des Weltalls, wie sie der Wille der Gottheit geschaffen hat, bis zum Ende dieser Welt, die wie alles Geschaffene auch ein Ende haben wird. Wenn sich endHch das Ende der Welt nähern wird: Dann entflammt die schwarze Erde, Kommen um des Volkes Schaaren, Treiben Flüsse blut ge Wellen, Dreh'n im Wirbel sich die Berge. Felsen stürzen krachend nieder, Zitternd schwankt der Himmelsbogen, Thürmen auf sich Meereswogen, Dass der Meeresgrund erscheinet. Auf dem Grund des Meers zerbrechen Jetzt neun grosse, schwarze Steine, und aus jedem dieser Steine Steigt empor ein Eisenheld; Die gewalt'gen Eisenhelden Eeiten auf neun Eisenrossen. An der Kosse Vorderfüssen Bitzen hell neun Eisenschwerter, Und an ihren Hinterfüssen Blinken je neun Eisenlanzen. Treffen sie im Lauf auf Bäume, Sinken nieder alle Bäume; Treffen sie lebendige Wesen, Sinken sie vernichtet nieder. Kaira Kan, der Gott, der Vater, Er, der Schöpfer dieser Welt, Hält sich dann die Ohren zu, — 14 — Hi)rt nicht auf des Volkes Schreien, Schaljimä ruft dann vergebens Den Mandyschirä zu Hülfe, Dieser giebt ilim keine Antwort. Mai-Tärä ruft er vergebens, Mai-Tärä verharrt in Schweigen. Dann zwei Helden des Erlik, Held Karan und Held Kere, Kommen aus der Erd' empor. Kämpfend stürmt auf diese Helden Mai-Tärä und Mandishare. Von dem Blute Mai-Tärä's Zündet an sich jetzt die Erde. So wird einst das End' der Welt sein. Dies ist in den Haiiptzügen die Weltanschauung, wie sie bei den dem Schamanenthum anhängenden Türkstämmen des Altai allgemein verbreitet ist. Es ist unmöglich, dieses Bild ge- nauer zu entwerfen, da wir bei allen Einzelheiten auf sich stets wddersprechende Nachrichten stosseh, die die Einheit des Bildes nur verwirren, wenn nicht vernichten würden. Schon dieses in kurzen Zügen entworfene Bild beweist uns, dass wir es hier mit einer Personificirung der Naturkräfte zu thun haben, die in ihrer phantastischen und oft barocken Darstellung durch die verschiedenartigen mythologischen Vorstellungen der umwohnen- den Völker beeinflusst ist. Die leitende Idee des ganzen künst- lichen Aufbaues ist folgende: Das Menschengeschlecht steht unter dem steten Einflüsse zweier entgegengesetzten Kräfte, der Kraft des Lichtes und der Kraft der Finsterniss. Die erste von beiden wohnt natürlich oben im Himmel, von wo aus ja die wohlthätige Sonne ihre wärmenden Strahlen auf die kalte Erde herabsendet und durch ihre Kraft alle Lebenserscheinungen auf der Erde hervorruft, von wo selbst in der Nacht das milde Licht des Mondes und der Sterne den Schrecken der die Erde deckenden Finsterniss zu mildern sucht. Die zweite Kraft wohnt in dem Urquell der Finsterniss, in dem Schoosse der kalten, starren Erde. Ihr Werk ist die Finsterniss der Nächte, die alles Leben vernichtende Kälte und der Tod, nach dessen Eintreten der starre Körper des Menschen in die dunkle Erde hinabsinkt. Zwischen diesen beiden mächtigen Gewalten liegt nun die dem Menschen verwandte, von Leben erfüllte Erdoberfläche, die er mit seinen Sinnen fassen kann, von der er selbst einen Theil ausmacht, das Jersu mit seinen siebzehn Gebirgen und — 15 — Meeren, die dem Menschen alles Nothwendige zum Unterhalte seines physischen Lebens bieten, indem sie ihn in reichem Maasse mit Speise, Kleidung und Wohnung versehen. Diese Erde steht dem Menschen so nahe, ja ist mit ihm ihrer Natur nach so verwandt, dass er sich ohne Furcht an sie wenden kann. Jeder Mensch bringt daher dem Jersu seine Libationen und Spenden dar, um ihm seinen Dank und seine Verehrung zu bezeugen. Jeder vermag ihn ohne Schaden in Liedern und frommen Sprüchen zu preisen und zu ehren. Bei jedem geföhr- hchen Bergpasse, bei jeder Fürth über reissende Ströme bringt der Wanderer seinen Dank der Gottheit des Ortes dar, indem er einen Stein auf den aus diesen Spenden gebildeten Haufen (Obö) legt oder einen Lappen an einen geheiligten Baum heftet. Aber die Natur der Erde ist wechselnd, wie sein Leben selbst, in ihr ist nichts Festes, Bleibendes, darum bietet sie mit all ihrem Guten keinen Halt für sein Leben, für sein Schicksal; so wendet der Mensch seine höchste Verehrung den ihm unbe- greiflichen Mächten des Lichtes und der Finsterniss zu, die sein Schicksal wie die Erde und ihre Erscheinungen regieren. Diese Mächte sind aber so gewaltig und ihre Wirkungen so unver- ständhch für ihn, dass er mit ihnen nicht in unmittelbaren Ver- kehr zu treten wagt. Dazu bedarf er derjenigen Wesen, die schon ein Verständniss der Götterkraft haben, d. h. seiner ver- storbenen Vorfahren, die im Reiche des Lichtes selbst wie Gott- heiten leben. Sie allein vermögen ihm in seiner Noth zu helfen. Er begreift sehr wohl, dass die Mächte des Lichtes stärker sind als die der Finsterniss; da er aber das Gute, was er tag- täglich in reichem Maasse empfängt, ohne weiteres Nachdenken aufnimmt, während das Böse, das er erleidet, die Noth, die an ihn herantritt, ihm klar zum Bewusstsein kommt, so ist es selbstverständlich, dass er auch öfter an die feindlichen Mächte erinnert wird, als an die befreundeten. Seine Furcht vor den • Mächten der Finsterniss, vor deren Verfolgung er keine Stunde sicher ist, drängt ihn dazu, nach Mitteln zu suchen, über die Absichten der bösen Geister im voraus Erkundigungen einzu- ziehen, ihren Angriffen vorzubeugen, sie für sich zu gewinnen. Dieses Mittel findet er nun in dem Beistande gewaltiger Scha- manen, die durch die Vermittlung ihrer Vorfahren im Stande sind, mit den Mächten der Unterwelt in Verbindung zu treten, sie durch Geschenke zu besänftigen und durch Erfüllung der — 16 — Wünsche derselben drohendem Unglücke vorzubeugen. Das Be- streben der Schamanisten, mit Hülfe der Schamanen ein gutes Verhältniss mit den Mächten der Finstemiss zu unterhalten, hat bei den russischen Nachbarn den Glauben hervorgerufen, als ob* die Religion der Schamanisten eine Rehgion des Teufels sei. Das Charakteristische für das Bchamanenthum, das diese Religionsrichtung von anderen unterscheidet, ist der Glaube an die enge Verbindung, die zwischen den jetzt lebenden Menschen 1 und ihren längst verstorbenen Ahnen besteht. Der Glaube an die Klraft dieser Verbindung veranlasst eine ununterbrochene Verelirung der Vorfahren. Unter solchen Umständen konnte nur \ derjenige als Priester, als Schaman, auftreten und wirken, der j in eine engere Verbindung mit seinen Vorfahren zu treten ver- ' mochte, oder mit anderen Worten, es war hier nur ein erb- liches, den Familien angehöriges Schamanenthum möghch. Die Macht und das Wissen des Schamanisirens erhält so- mit, der Schaman von seinen Vorfahren; durch Emanation ihrer Kraft lernt er die Schamanentrommel führen, durch Gesänge die Vorfahren und Geister zu sich zu rufen und mit ihrer Hülfe die eigene Seele vom Körper trennen und in das helle Reich des Lichts oder in die grosse Finstemiss hinabsenden. Der Priester des Schamanenthums, der Vermittler zwischen Menschen und Geistern ist, wie gesagt, der Schaman, bei den türkischen Völkern Kajn genannt, er richtet die Opferspende, be- schwört die Geister, reinigt das Haus von den Seelen der Ver- storbenen, leitet Bitt- und Dankgebete, ist endlich Arzt, Wahr- 1 sager und Wetterprophet. Mächtige Schamanen geniessen daher / beim Volke ein ganz besonderes Ansehen, werden aber viel mehr gefürchtet als geliebt. Die Fähigkeit und Wissenschaft des Schamanisirens ist, wie schon erwähnt, erblich und geht vom Vater aiif den Sohn über, in besonderen, wenn auch seltenen Fällen aber aiich vom Vater auf die Tochter. Dabei erhält der zukünftige Schaman vom Vater nicht etwa Unterricht oder Unterweisung, auch be- reitet er sich auf diesen Beruf nicht vor, nein, plötzlich kommt über ihn die Schamanenkraft, wie eine Krankheit, die den ganzen Menschen ergreift. Das durch die Kraft der Vorfahron zum Schamanen bestimmte Individuum fühlt plötzhch eine Mattigkeit und Abgespanntheit in den Ghedem, die sich durch ein heftiges Zittern kund thüt. Es überfallt ihn ein heftisres, unnatürliches — 17 — Gähnen, ein gewaltiger Druck liegt ihm auf der Brust, es drängt ihn plötzUch heftige, unarticuUrte Schreie auszustossen, Fieber- frost schüttelt ihn, er rollt heftig mit den Augen, springt plötz- lich auf und dreht sich wie besessen im Kreise herum, bis er schi^eissbedeckt niederstürzt und in epileptischen Zuckungen und Krämpfen sich am Boden wälzt. Seine Gliedmassen sind ganz gefühllos, er ergreift, was ihm unter die Hände kommt und ver- schluckt absichtslos alles, was er mit den Händen gefasst hat, glühendes Eisen, Messer, Nadelli, Beile, ohne dass ihm durch dieses Verschlucken irgend welcher Schaden geschieht. Nach einiger Zeit giebt er das Verschluckte trocken und unversehrt von sich. (Ich habe dies Alles natürlich nur vom Hörensagen und zwar von sehr glaubwürdigen Personen, was allerdings in Sachen des Aberglaubens vollkommen gleichgültig ist. Wer hier der Getäuschte ist, ist schwer zu entscheiden, wahrscheinlich geht hier Selbsttäuschung und absichtliche Täuschung Hand in Hand.) Alle diese Leiden werden immer stärker, bis das so geplagte Individuum zuletzt die Schamanentrommel ergreift und zu schamanisiren beginnt. Dann erst beruhigt sich die Natur, die Kraft der Vorfahren ist in ihn übergegangen und er kann jetzt nicht anders, er muss schamanisiren. Widersetzt sich der zum Schamanen Bestimmte dem Willen der Vorfahren, weigert er sich, zu schamanisiren, so setzt er sich schrecklichen Qualen aus, die entweder damit enden, dass der Betreffende alle Geistes- kraft überhaupt verliert, also blödsinnig und stumpf wird, oder dass er in wilden Wahnsinn verMlt und gewöhnlich sich nach kurzer Zeit ein Leides anthut oder im Paroxismus stirbt. Die Kunst und Kraft des Schamanen manifestirt sich also im Schamanisiren, das der Schaman entweder mit oder ohne Opferspenden ausführt. Beim Schamanisiren tragen die Schamanen der Altajer eine von der gewöhnlichen nicht sehr abweichende Tracht: einen offenen Rock mit einem Brustlatze aus Thierfell und eine rothe Mütze mit einer Birkhuhnfeder. Die Schamanen der im nörd- lichen Altai wohnenden Schwarzwald -Tataren, Schor und Te- leuten besitzen überhaupt keine bestimmte Tracht, sondern scha- manisiren in ihrer gewöhnKchen Kleidung. Bei den Waldtungusen hingegen und anderen ostsibirischen Völkerschaften ist das Scha- manenkleid auf Rücken, Brust und an den Armen mit vielen eisernen Behängen in Form von allerlei Thiergestalten besetzt, Radi off. Aus Sibirien. II. 2 18 — die bei jeder Bewegung des Körpers durch Aneinander schlagen ein starkes Geklapper hervorbringen. Die Kleidung ist ohne Einfluss auf die Handlung der Be- schwörung, wichtig aber ist für diese die sogenannte Scha- manentrommel, ohne welche die Beschwörung keine Kj-aft hat. Dank- oder Bittgebete sprachen und wahrsagen kann der Scha- man auch ohne Trommel. Die Schamanentrommel {tüngür' oder tür) besteht aus einem etwa 3 — 4 Zoll breiten, mehr oder weniger oval gebogenen Holz- reifen in der Form eines Siebrandes, dessen längster Durch- messer etwa 1 Arschin beträgt. Dieser Holzreifen ist mit einem gegerbten Maralfelle bespannt und zwar in der Art einer Trommel, nur bedeckt das Fell auch die äussere Seite des Holzreifens. Im Inneren der Trommel befindet sich ein Griff in Form eines Stabes gerade an der Längsaxe des Holzreifens. Der Griff stellt gewöhnlich das Bild eines mit ausgestreckten Armen stehenden Menschen dar, der der Wirth der Trommel (tüngür äsi) genannt wird. Manchmal ist der Griff sauber geschnitzt. Meist ist es aber ein glatter Stock, an dessen oberem Ende ein grosser runder Kopf mit Augen aus Knöpfen befestigt ist, am unteren Ende sind zwei schräg gegen den Griff befestigte runde Hölzer, die die Beine vorstellen. Die Arme des Tüngür äsi stellt ein etwas unterhalb des Kopfes befestigter Draht dar, der eine senk- rechte Chorde gegen die Griffstange bildet und mit allerlei Eisen- stäbchen und mehreren eisernen Schellen behängt ist, die beim. Schwingen der Trommel heftig rasseln. Ausserdem sind am Griffe mehrere Lappen oder Bänder von rother und blauer Farbe befestigt, die den Vorfahren des Schamanen geheiHgt sind. Das auf die Schamanentrommel gespannte Fell ist an seiner äusseren Seite mit rothen Figuren bemalt. Trotz der Roheit der Zeich- nung lässt sich deutlich erkennen, dass der obere Theil den Himmel darstellt, in der Mitte sind Sonne und Mond und darüber zahlreiche Sterne deutlich zu erkennen. Unten ist die Erde ab- gebildet, da sieht man zu beiden Seiten Bäume, einen fallenden Menschen mit ausgebreiteten Armen, einen Reiter zu Pferde, daneben Thiere und Vögel. Die Pferde wurden mir als Opfer- pferde, die Vögel als Gänse und Adler, der Reiter als der Scha- man bezeichnet. Die Bäume sollen die den Göttern geheiligten Birken (Somo) darstellen. Die Schamanentrommel wird vom Scha- manen mit der linken Hand in der Mitte des Griffes gehalten, All^jer beim Beschwüreo d«r Geiatar durch den ScbamaueU' it« der SchamaaeTitroDiDiel, Griff der SthamaseBtraniiiiet. OpTeretella dec Altajer. — 19 in die rechte H^^nd nimmt der Schaman den Schlägel, der Orbu genannt wird. Der Schlägel ist von Holz und hat einen etwa 4 — 5 Zoll langen Griff, der manchmal recht künstlich geschnitzt ist. Der Schlägel selbst ist flach, etwa zwei Zoll breit, erst mit Woilok und dann mit einem behaarten Thierfelle (Zobel-, Her- melin- oder Hasenfell) überzogen, damit der Schlag auf die Trommel recht dumpf klinge. Schamanenbeschwörungen mit der Trommel finden bei allen oben aufgeführten priesterlichen Handlungen statt. Der Schaman erscheint zu diesen nur auf Einladung des Hauswirthes, der ihm dafür meist kleine Geschenke macht. Da gewöhnhch mit der Be- schwörung ein Opfer verbunden ist, so wird der Schaman eben nur in Nothfällen, bei geschehenem oder drohendem Unglück, wie ELrankheit oder Tod eines Familiengliedes oder Viehseuche, gerufen. Nachdem der Schaman erschienen, hält er eine kurze Beschwörung, in der er sich bei seinen Vorfahren über die Ur- sache des Leidens Nachricht holt. Nach Beendigung derselben theilt er die Ursache mit und bestimmt genau, was geschehen muss, ob ein Opfer überhaupt nöthig ist, welcher Gottheit dieses Opfer zu bringen sei, und zuletzt, worin dieses Opfer bestehen soll. Dabei bezeichnet er die Farbe und gewisse Merkmale, die das Opferthier haben muss, wenn es günstig aufgenommen und einen guten Erfolg erzielen soll. Ein Opfer, das man dem Erlik darbringt, wird an der Stelle getödtet, wo sich das Unglück ereignet hat, also in der Jurte selbst oder am Grabe des Ver- storbenen, während man dem Bai-Ülgön das Opfer an einer ein- samen Stelle, womöglich in einem Birkenwäldchen bei einer neu aufgestellten Jurte, darbringt. Der letzteren Opferhandlung dürfen übrigens nur Männer beiwohnen und muss der opfernde Scha- man stets ein Mann sein. Am Opfermahle können beide Ge- schlechter theilnehmen und zwar Mädchen an der Stelle des Opfers selbst, Frauen aber nur in einiger Entfernung von der- selben. Genaueres über die Gesänge der Beschwörung zu er- fahren ist mit grosser Schwierigkeit verknüpft, da der Berich- tende für sein eigenes Heil fürchtet. Die einzige grössere Auf- zeichnung dieser Art findet sich seit dem Anfang der vierziger Jahre in der altajischen Mission, wo mir aber die Einsicht in diese Aufzeichnungen im Jahre 1861 verweigert wurde. Im Jahre 1870 hat dieselben der Missionär Werbitzki in der Tomsker Zeitung veröffentlicht. Er führt zwar alle Schamanengebete im 2* i — 20 — Urtext an, aber in so corrumpirter Form, dass das Verständniss an vielen Stellen vollkommen unmöglich ist, ausserdem ohne Ueber- setzung. Da dies, wie gesagt, der einzige grössere derartige Text ist, so werde ich an der Hand dieser Aufzeichnung versuchen, die Ceremonien der Opferhandlung bei einem dem Ülgön gebrachten Opfer ausführlich zu beschreiben und die Texte der Beschwörungs- formeln, so weit dies bei obigen Texten möglich ist, in ziemlich wörtlicher X^bersetzung an den betreffenden Stellen einfügen. Die Ceremonien dieses grössten aller Opfer werden gewöhn- lich auf drei Feierlichkeiten vertheilt, von denen jede einen besonderen Abend in Anspruch nimmt. Am ersten Abend, sobald die Sonne hinter den Bergen verschwunden ist, beginnt die Vorbereitung zum Opfer (Tailga), die Wahl der Opferstelle, das Aussuchen des Opferthieres aus der Heerde des Besitzers und die qualvolle Tödtung desselben. Der Schaman selbst bestimmt die zum Opfern passendste Stelle in einem einsamen Birkenwäldchen. An der von ihm be- zeichneten Stelle, die sich gewöhnlich in einer kleinen Lichtung befindet, wird nun unter Beihülfe aller Anwesenden eine ganz neue Jurte aufgestellt, die mit Filzdecken und Teppichen be- deckt wird. In der Mitte der Jurte stellt man eine junge, mit dichtem Grün belaubte Birke auf, deren Wipfel durch das Rauch- loch hervorschaut. Die unteren Zweige dieser Birke werden dicht am Stamme abgeschnitten und an einem der oberen ein Stück Zeug befestigt, das gleich einer Fahne herabhängt; in den Birkenstamm werden unten neun tiefe Kerbe mit dem Beile eingeschlagen, die so tief sind, dass man den Fuss hineinstellen kann und Stufen (tapty) heissen. Die Thür der zum Opfer auf- gestellten Jurte ist stets nach Osten gekehrt. Vor der Thür der Jurte wird aus Birkenrinde und in die Erde gesteckte Stöcke eine kleine Umzäunung hergerichtet, die eine Hürde für das Vieh vorstellen soll. Der der Jurtenthür zugekehrte Theil dieser Umzäunung wird offen gelassen und an der offenen Stelle ein Stab aus Birkenholz in die Erde gesteckt, an dessen oberem Ende sich eine Schlinge aus Pferdehaaren befindet. 1 Das dem Ülgön geweihte Opferthier muss ^n Pferd von ; heller Haarfarbe sein. Hat der Schaman ein für das Opfer j passendes Pferä gefunden, so wird demselben eine Holzschale ■ auf den Eücken gestellt, dann versetzt man dem Thiere einen Schlag, dass es zur Seite springt und die Schale zu Boden fällt. — 21 — Kommt dabei die Schale so auf die Erde zu liegen, dass der Boden nach oben gerichtet ist, so ist das Thier nicht für das heutige Opfer geeignet; liegt aber die Schale mit der Oeffnung nach oljen, so wird das Thier als zu einem günstigen Opfer passend erklärt. Ist das Opferthier eine Stute, so wird die Schale mit der eigenen Milch derselben ausgewaschen und bei der oben geschilderten Procedur folgender Spruch gesprochen: Ist das Opfer wohlgefällig, Mög' Er mit dem rechten Auge Auf das dargebot'ne schauen! Von mir ist der Napf geboten, Doch der Segen kommt von Euch; Uns ein gutes Zeichen gebend. Möge Er herniederschauen. Ein vom Käme selbst bestimmter Mensch hält das so aus- gewählte Opferthier an einem langen, aus Pferdehaaren gedrehten Halfterstricke. Dieser Mensch heisst Bosch -tutkan MsM (der Kopfhalter) und nimmt in diesem Amte an der ganzen Opfer- ,^ handlung theil. Der Schaman tritt nun mit einem dicht belaubten Birkenzweige neben das Opferthier und schwingt den Zweig über dem Rücken des Pferdes. Durch diese Ceremonie treibt der Bchaman die Seele aus dem Opferthier und zwar dem Ülgön zu. Mit der Seele des Opferthieres zugleich wird nach dem GJanben der Altajer auch die Seele des Basch-tutkan ausge- trieben und begleitet jene bis zum Ülgön. Jetzt tritt der Schaman an die Jurte, in der neben der Birke ein Feuer hergerichtet ist, lässt den Rauch von Wach- holderz weigen , die man in das Feuer wirft, um die Trommel schlagen, setzt sich dann neben dem Feuer nieder und beginnt die Beschwörung, indem er sich für die erste Opferhandlung Gehülfen unter den Geistern in seine Trommel ruft. Komme her, o junge Wolke, Drückend dies mein Schulterblatt! Volk und Leute, meine Schulter Drückend, kommet her zu mir! Täng-Sary, du Sohn des Himmels, Ülgön's Sohn, o Kergidäi! Du, mein Auge mir zum Schauen, Meine Hand zum Greifen mir. Du, mein Fuss, mir zum Enteilen, Du, mein Huf, sobald ich stolp re, Meine Kechte führt den Orbu Tönend, komm zu meiner Rechten! — 22 — Nach dem Anrufen stönt der Kam mit veränderter hohler Stimme auch die Antwort des Gerufenen: ,,ä kam ai" (He Kam, da hin ich!) hervor, darauf neigt er die Trommel etwas nach aussen und macht eine schwankende Bewegung mit dem Arme, dass man deutlich sieht, der Geist sei jetzt in die Trommel aufgenommen. Dann fährt er fort: Mit dem Stock aus gelbem Rohre, Mit dem gelben Falben, du. Mit dem gelben, seid'nen Zügel, Mit dem Pelz aus gelber Seide; Kan Kartysch, des Ülgön Sohn, Spielend komm zu meiner Rechten, Die den Orbu schlagend schwingt. Der Geist antwortet: ,,ä kam ai!" und wird in die Trommel aufgenommen. Du, auf rothem Kameelhengste, Mit dem rothen seid'nen Zügel, Mit dem Regenbogenstabe, Vater Kysügan Tengrä, Komm als Jalama du tönend Jetzt zu meiner Rechten her! Der Geist antwortet: ,,ä kam ai!'* und wird in die Trommel aufgenommen. Der du unter Donner reitest, Der bei Blitzen spielend kommt, Donnerschwang' re Herbsteswolke, Blitzereiche Frühlingswolke, Dessen Tritte krachend schallen; 0, mein Vater Mergän Kan, Komm du als Jalama tönend Jetzt zu meiner Rechten her! Der Geist antwortet: ,,ä kam ai!" und wird wie die anderen in die Trommel aufgenommen. Jetzt erhebt sich der Schaman und tritt langsam aus der Jurte, nicht weit von der Jurte hat er einen mit Heu aus- gestopften und mit Lappen überzogenen Gegenstand aufgestellt, der eine Gans vorstellen soll. Auf diese Gans setzt sich der Schaman und macht mit beiden Armen heftige Bewegungen, als oh er in die Höhe fliege, dabei sitigt er langsam und mit lauter Stimme : Unterhalb des weissen Himmels, Oberhalb der weissen Wolke; Unterhalb des blauen Himmels, — 23 — Oberhalb der blauen Wolke, Steig' empor zum Himmel, Vogel! Darauf antwortet der Sehaman, die Gänsestimme nach- ahmend : üngai gak gak, ungai gak, Kaigai gak gak, kaigai gak. Der Sehaman: Einen gold'nen Zaum befestigt! Die Gans: üngai gak gak! u. s.w. Der Sehaman: Fasst die gold'ne Fangesehlinge! Die Gans: üngai gak gak! u. s.w. Der Sehaman: Sehauet hin 'ne Monatsstrecke! Die Gans: üngai gak gak! u. s.w. Der Sehaman: Sehauet hin zum weissen Milch-See! Die Gans: üngai gak gak! u. s.w. Der Sehaman: SchiEiuet hin 'ne Tagesstreeke! Die Gans: üngai gak gak! u. s.w. Der Sehaman: Sehauet hin zum Sürö-Berge! Die Gans: üngai gak gak! u. s.w. Der Sehaman: Mög' er nieht vom Sürö-Berge Speise sich zum Essen holen! Mög' er nieht vom weissen Milch-See Trank sieh jetzt zum Trinken holen! Die Gans: üngai gak gak, ungai gak! Kaigai gak gak, kaigai gak! Die Seele des Opferthieres, .JPflra" genannt, beginnt bei diesem Rufe des Schamanen zu wiehern, der Sehaman stösst dieses Wiehern selbst durch den machahmenden Ruf: ,,Myjak, myjak, myjak!" aus. Da die Seele des Opferthieres jetzt ent- flieht, so jagt ihr der Sehaman auf seiner Gans nach. Wenn die Püra sich jetzt von der Höhe herablässt, so thut dies auch | der Sehaman. Herabgekommen, lässt er die Gans los und läuft j schnell hinter der Püra her. Alle Anwesenden nehmen an der Jagd Theil und laufen mit dem Schamanen aus der Jurte, ,,ai hau ai hau" schreiend hinter der vermeinten fliehenden Seele des Opferthieres her, bis es endhch gelingt, die Püra in die Hürde zu treiben, wo sich der Birkenstab mit der Sclilinge befindet, der den Hüter der Seele des Opferthieres (püra-saktschy) dar- stellt. Der Sehaman ruft diesem mit lauter Stimme zu: Nehmt die gold'ne Fangesehlinge! Hai, hai, hau Schwinget schnell die Pferdeleine! Hai, hai, hai! Leget an den gold'nen Kopfzaum! Hai. hai, hai! 24 t Unter diesem Eufen stürmt der Schaman zur Jurte, wirft mit , einem Schwünge die Trommel über die linke Schulter und indem er mit der rechten Hand den Orbu hält, fasst er mit der Hnken Hand die Pferdehaarschlinge, so dass er so symbo- lisch die Seele des Opferthieres eingefangen hat. Dabei ahmt er wieder die Stimme eines Pferdes nach, dqm der Hals mit einem Stricke zusammengeschnürt ist, er springt, schlägt mit den Füssen nach vorn und hinten aus und veranschaulicht in allen seinen Bewegungen die Geberden eines eingefangenen wilden Pferdes. Die während dieses Einfangens über die linke Schulter fortgeworfene Trommel wird von einem Nebenstehen- den in der Luft aufgefangen. Ist die Trommel zur Erde ge- fallen, so ist dies ein Zeichen, dass die Seele des Opferthieres sich im letzten Augenblicke losgerissen hat und entflohen ist, dann muss die Ceremonie des Einfangens noch einmal von vom begonnen werden. Ist aber die Püra eingefangen, so ertheilt der Schaman den vermeintlich um ihn stehenden Dienern, be- sonders dem Püra-saktschy (dem Seelenhüter) seine Befehle. Letzterem übergiebt er jetzt die Pura, indem er spricht: Sattelt ihn mit gold'nem Sattel, Legt ihm an den gold'nen Schwanzriem, Ziehet fest den gold'nen Bauchriem. Jetzt reicht man dem Schaman einen grünen Wachholder- zweig, mit welchem er die Püra von allen Seiten beräuchert, indem er langsam und gemessen singt: Alas, aläs, aläs, o Falben! Opfer du des Ülgön Kan! Du, des weisen Ülgön Opfer! Aläs, alas, aläs. Jetzt erst entlässt der Schaman die Gans, die ihm als Reitthier gedient, und zwar mit folgenden Segensworten: Futter nimm vom Sürö-Berge! Trank nimm aus dem weissen Milch-See ! Gänsemutter, du, mein Gackrer, Vogelmutter, Kurgai Kan, Volkesmutter, Engkai Kan ! Bleibe dicht beim Volke du! Kufet an sie: au! au! sagend! Ruft herbei sie: ja! ja! sagend! Darauf hebt er plötzlich die Trommel hoch in die Höhe, schlägt zugleich heftig mit dem Orbu gegen dieselbe und OK ({ stösst einen Schrei aus, um so das plötzliche Auffliegen der Gans zu veranschauHchen. ' • Jetzt erst, nachdem die Seele des Opferthieres zur Jurte zurückgekehrt ist, führt der Schaman mit Hülfe des anwesen- den Volkes das sichtbare Opferthier an die einsame Stelle, wo das Opfer stattfinden soll. Dann spricht er mit feierlicher Stimme : Mit dem Scheitel heb' ich dich, Schütze dich mit meiner Schulter, Bringe dich als Opfer dar; Du, mein hochgesegnet' Füllen, Hebe auf dich zu der Jurte, Steig' empor zur neunten Schicht, Spielend fall' beim weissen Zelte, Bei dem Zelte Ülgöns nieder; Bäumend komm' zum Bai Ülgön, Tritt zu seiner rechten Hand, Zeig' dich seinem rechten Auge, Bring' uns einen guten Rechtsspruch. Nach diesem Segensspruche macht sich der Schaman mit «inigen der Anwesenden daran, das Opferthier zu Tode zu quälen, während die Uebrigen die Opferstelle (Taskak) errichten. Zu diesem Zwecke werden vier etwa 4 Werschok im Diameter habende Birkenstiuigen von 4 — 5 Arschin Länge so in die Erde senkrecht eingeranunt, dass sie in den vier Ecken eines Qua- drates etwa 2 ^/a Arschin von einander entfernt zu stehen konunen. Am oberen Ende werden diese Stangen mit Querhölzern verbunden und mit Reisig bedeckt, so dass sie gleichsam ein vierkantiges Prisma als Postament bilden. Das Tödten des Opferthieres ist eine scheussliche Quälerei. Es wird auf folgende Weise ausgeführt. Das Pferd wird so hingestellt, dass sein Kopf nach Osten gerichtet ist und dann ihm das Maul ganz fest mit einem Stricke zugebunden. An jedem der vier Füsse wird ebenfalls ein sehr fester Strick an- gebunden. Dann legt man dem Thiere einen starken Pfahl der Länge nach über den Rücken, schlingt die an den Füssen festgebundenen Stricke einmal so an diesen Pfahl, dass wenn einige Leute den Pfahl niederdrücken, andere die Enden der Stricke anziehen, die Vorderfüsse nach vorn, die Hinterfüsse nach hinten gezerrt und möglichst gleichmässig dem Pfahle ge- nähert werden. Bei dieser Operation, die mit grosser Sicherheit ganz allmählich ausgeführt wird, wird natürlich dem Pferde — 26 — \ das Rückgrat an mehreren Stellen zerbrochen und die Beine aus den Gelenken gerissen. Dabei werden dem Opfer alle Oeffnungen des Körpers, Ohren-, Nasenlöcher und After mit Gras fest zugestopft, damit kein Blut herausfliesse. Wenn nun das Pferd bis zu Tode gequält ist, wird ihm das Fell abgezogen, und zwar so, dass der ganze Schädel und die Füsse bis zu den Knieen in der Haut bleiben. Nur die Zunge wird aus dem Maule herausgerissen. Das Fell wird am Halse und Bauche aufgeschnitten, so dass man den ganzen Körper, ohne die Haut weiter zu beschädigen, herausnehmen kann. Das FeU mit Schädel und Füssen, Baidara genannt, wird nun so auf einer 12 — 16 Arschine langen Stange (TükölÖ) be- festigt, dass die Spitze der Stange in die hintere Schädelöff- nung gestossen werden kann, die Mitte des Rückens auf der Stange ruht und die vier Beine herabhängen. Dicht vor der Opferstelle wird nun ein kleinerer Pfahl mit einer gabelförmigen Spitze in die Erde gesteckt und über diese die Tükälä so ge- legt, dass die Baidara, mit dem Kopfe nach Osten gerichtet, oberhalb des Taskak in der Luft hängt. So ist die Aufstellung der Opfer nur bei den Altajern. Bei den Teleuten sind, wie ich mich am Ur überzeugen konnte, die Baidara in sitzender Stellung auf dem Taskak aufgestellt. Ist der Körper des Opferthieres aus der Baidara ausge- schält, so werden die Eingeweide herausgenommen und dann das Thier in Stücke geschnitten, und zwar in der Weise, dass man das Fleisch bei den Gelenken durchschneidet, ohne die Knochen zu zerbrechen. Nun werden die Knochen aus dem weichen Fleisch herausgeschnitten, d. h. am Hintertheile und bei dem Vordertheile, dann der Rücken, die Rippen und die Brust- stücke besonders gelegt. Das von den Knochen geschälte weiche Fleisch wird roh vertheilt. Rücken, Hintertheil, Rippenstücke und die kleineren Knochen, ebenso das Bruststück, werden in grossen Kesseln mit Wasser ohne jede Beimischung gekocht. Das Zerlegen iriuss mit grosser Kunst ausgeführt werden, da wie gesagt kein Knochen auch nur die geringste Spur von Beschädigung zeigen darf, es wird daher ein Kenner mit diesem Geschäfte betraut. Zwei ausgewählten Köchen wird das Ehren- amt übertragen, das Fleisch in den Kesseln umzurühren. Wenn das Fleisch gar gekocht ist, so wird es auf drei Arschin langen Unterlagen von Birkenruthen ausgebreitet und dabei in kleine — 27 — Stücke geschnitten. Jetzt nimmt der Scliaman eine Holzschale, legt in diese Fleisch und giesst Brühe darauf, begiebt sich damit zum Opferplatze und mit dem Gesichte nach Osten ge- wendet, macht er den Vorfahren und Schutzgeistern der Jurte eine Libation. Zuerst wendet er sich an Basch-tutkan (den Kopf-Halter) und spricht von sich aus folgenden Segen: Bei des Mondes reinem Scheine, Bei der Sonne hellem Glänze, Wenn sein altes Jahr vergangen, Wemi das neue Jahr begonnen; Bei dem Wechsel seines Jahres, Wenn im Herbste Alles bmit ist. Wenn des Rohres Kopf zerweht ist, Geb' ich für des Napfes Fülle, Für der Speise Wolügeruch Kaira Kan hier diese Gabe. Dann spricht er den Segen im Namen des Hausherrn, der dabei zu ihm tritt: Da sein altes Jahr vergangen, Da sein neues Jahr begomien, Stütz' er es mit beiden Schultern, Heb' es auf mit seinem Scheitel! Stützt er's nicht mit seinen Schultern. Hebt er's nicht mit seinem Scheitel, Sei ihm eine grosse Strafe, Eine Strafe, die nicht endigt. Nimm es hin, o Kaira Kan ! Das im Napfe noch Gebliebene bietet der Schaman dem Wirthe der Jurte an, dieser isst selbst nur ein wenig, dann vertheilt der Schaman das Uebrige unter die Verwandten des Wirthes. Wenn der Napf leer geworden, so schwingt ihn der Schaman im Kreise herum und wirft ihn über die Tele hinweg. Fällt der Napf mit dem Boden nach unten, so ist dies ein Zeichen, dass das Opfer gnädig aufgenommen ist, fällt der Napf aber mit dem Boden nach oben, so ist dies ein schlechtes Zeichen, Ülgön freut sich des Opfers nicht. Trotz alledem aber hat die Feierlichkeit doch ihren Fortgang. Während der Libation des Schamanen halten mehrere Menschen die Birkenzweige mit dem Fleische in die Höhe. Der Wirth nimmt nun den besten Theil, das Hintertheil, und bringt es dem Schaman zum Geschenke dar; dieser schneidet sich die — 28 — meisten weichen Stücke ab und bietet das Uebrige einem aus- erwählten Gaste dar, dieser isst davon und giebt es einem an- deren, bis alles Fleisch abgegessen ist, man hütet sich aber den Knochen irgendwie zu beschädigen. Das Bruststück bietet dar- auf der Wirth einem Ehrengaste, der wiederum etwas Fleisch abschneidet und es abermals einem anderen übergiebt, dieser einem dritten u. s. w., bis alles weiche Fleisch und die Knorpel abgegessen sind. Das übrige Fleisch wird darauf von den Knochen geschabt und in die Jurte gebracht, wo dann nach zwei Abenden die Beschwörimgsfeierlichkeiten fortgesetzt werden. Einen Theil des Fleisches schneidet der Wirth noch in ganz kleine Stücke und nimmt von diesen nur wenige Stücke zwischen Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand und steckt jedem der anwesenden Gäste eine kleine Portion des Fleisches direct in den Mund. Ein Theil des kleingeschnittenen Fleisches wird in mehrere Näpfe gethan und dann durch besondere Boten den der Feier nicht beiwohnenden Verwandten oder Gästen geschickt. Dabei hat der Bote, der das Gastgeschenk bringt, die Pflicht, das Fleisch an Stelle seines Herrn mit der Hand jeder einzel- nen Person in den Mund zu stecken. Denjenigen Leuten, die bei der Tödtung des Opfers, dem Aufstellen des Taskak, wie auch bei dem Mahle Hülfe geleistet haben, wird ein Theil des Fleisches als Geschenk übergeben, und sie nehmen es mit sich nach Hause. Am meisten erhält natürlich der Schaman selbst. Die Knochen werden nun sorgfältig gesammelt und auf Birkenreiser gelegt und dann auf das Opfergerüst (Taskak) ge- hoben, dort bedeckt man sie noch mit einer Schicht von Birken- zweigen und Blättern. Sie bleiben dort als der Gottheit geweiht liegen. Es würde grosses Unglück bringen, wenn nicht alle, auch die allerkleinsten Knochen, auf dem Opfergerüste sich be- fänden. Am folgendem Abende beginnt abermals mit Sonnenunter- gang die Opferfeierlichkeit, und zwar findet an diesem Tage die den Kern der Feierlichkeit bildende grosse Beschwörung statt. Der Schaman tritt bei eintretender Dämmerung in die Jurte, in der schon das Feuer brennt. Er nimmt zuerst ein wenig von dem gestern gekochten Opferfleische und bewirthet damit die Herren der Trommel, d. h. die personificirt gedachte Scha- manenkraft seines Geschlechtes. — 29 — Nimm du es, o, Kaira Kan! Wirth der Trommel mit sechs Buckeln, Komm' du klingelnd her zu mir! Kuf ich „Tschock!'* verneige dich! Ruf ich ,,Mä!" so nimm es an! Dann wendet er sich an den Wirth des Feuers, das hier in der Jurte brennt, d. li. an die personiiicirte Kraft des Ge- schlechtes des Hausherrn, der das Opfer bringt. Nimm du es, o, Kaira Kan! Dreissigköpfge Feuermütter! Vierzigköpf ge Mädchenmutter ! Ruf ich „Tschock!" verneige dich! Ruf ich „Mä!" so nimm es an! Indem der Schaman diese Worte spricht, hebt er die Schale mit beiden Händen in die Höhe, als ob er sie unsichtbaren Gästen darreiche, dann bringt er mit dem Munde ein Geräusch Lervor, als ob viele unsichtbare Gäste sich versammelten; hierauf schneidet er das Fleisch in der Schale in kleine Stücke und ver- theilt es gewandt unter die in der Jurte anwesenden Menschen, die die Stücke gierig hinunterschlucken; dies gehört mit zur Ceremonie, denn die geniessenden Menschen stellen hier gleich- sam die essenden unsichtbaren Geister vor. Darauf hängt der Schaman auf den vor der Jurte ausge- spannten, mit Bändern behängten Strick, den sogenannten Söltü, neun Kleider aus Baumwolle, Tuch oder Seide aus; dies sind Geschenke, die der Wirth der Jurte dem Ülgön darbringt. Diese Kleider werden nun mit Wachholder geräuchert, während der Schaman singt: Gaben, die kein Pferd kann tragen, Alas, alas, alas! Die kein Mann vermag zu heben, Alas, alas, alas! Kleider mit dreifachem Kragen, Dreimal wendend schauet an sie! Decke sei'n sie für den Renner, Alas, alas, alas! Fürst Ülgön, du Freudenvoller! Alas, alas, alas! Jetzt ergreift der Schaman seine Trommel mit der linken Hand und räuchert sie, dann zieht er seine Schamanenkleidung an, nimmt abermals die Trommel und hält sie schweigend über ^ — 30 — das Feuer, dass der Eauch sie von allen Seiten treffen kann. Darnach setzt er sieh auf einen Schemel und beginnt die Trommel langsam und gemessen mit dem Orbu zu schlagen und mit feier- licher Stimme die Geister zu sich zu rufen. Jeder Herbeige- rufene antwortet dem Schaman: ,,ä kam ai!" worauf er in die Trommel des Schamanen aufgenommen wird, was der letztere jedes- mal deutlich durch eine entsprechende Bewegung der Trommel anzeigt. Zuerst wird Jajyk Kan, der Fürst der Meere, herbei- gerufen, dann Kaira Kan, darauf Paisyn Kan, darnach in einer sehr langen Anrufung Jäbyr Kan; die Anrufung des letzteren endet mit den Worten: Du, erhöre dies mein Flehen Und erfülle dies mein Bitten! Ruhe gieb an langen Tagen! Schlaf gieb in den langen Nächten! Gieb Versammlung, Mähnendichte, Nachtruh' gieb von Armeslänge, Ruhe gieb von tausend Häusern. Schlaf von tausend Feuerstellen; Spielend komm zu meiner Rechten, Die den Orbu schlagend schwingt. Nach diesen Worten tritt der Wirth des Hauses zum Scha- manen, dieser steht von seinem Sitze auf, umfasst denselben so, dass er zwischen ihn und die Trommel zu stehen kommt, und schlägt leise mit dem Orbu die Trommel, indem er singt; Steig' zu Pferde! führe an uns! Halt' nicht auf dich bei dem Engpass! Oefifne du des Hauses Thür! Stütze du das rechte Knie! Lehne dich an meine Knute! liös' dich los mit meinem Zahne! Töne du mit meiner Zunge! Hierauf ruft der Schaman die Familie Bai Ülgöns an, nadli- dem er den Wirth^ aus seiner Umarmung entlassen. Aller Vater, Bai Ülgön ! Tasygan, du hohe Mutter! Pura Kan mit Wolkenmähne ! Ihr neun Töchter ihm zur Rechten! Und zur Linken sieben Töchter, Reizereiclie Kulai Kan, Du erhab'ne Kostu Ka^. YoIImondgleiche Tüstü Kan, Ihr, des Ulgön schöne Töchter! f — 31 — Nun nimmt der Schaman wieder auf dem Schemel Platz und. beginnt, viele der mehr untergeordneten .Gottheiten und Geister in seine Trommel zu rufen, da er die Fahrt in die Hinunelsschichten , die er während der Beschwörung zu unter- nelinien hat, nicht ohne ihre Hülfe ausführen kann. Jeder einzelne Geist, den er in längeren und kürzeren Beschwörungs- formeln anruft, antwbrtet ihm ,jä kam ai!" und tritt in die Trom- mel ein. Manche dieser Beschwörungen sind sehr lang und äusserst eintönig. Ich will mich daher hier darauf beschränken, nur die Reihenfolge der Anrufungen aufzuführen, die Beschwö- rungsformeln aber ühergehen. Zuerst ruft er den hengst-bemähnten Tö Kan, den mäch- tigen Mansar Kan, den So Kan, den Sohn des Erkin, den Pyrtschu Kan auf weissem Pferde, der es wagt sogar mit dem Ak Ülgän um die Wette zu reiten; darauf den furchtlosen Te- legeij der Niemand anredet, dessen abgeschossener Pfeil durch den Felsen dringt, dessen gesprochene Worte überall hin klingen. Dann wendet er sich an die mächtigen Fürsten, die Herren des Abakan und Altai: 0, des Abakanes Helden, Ihr in weissen, seid nen Pelzen, Ihr auf rothen mächt'gen Pferden, Kommet her zu meiner Seite! Morde Kan, du mächt'ger Herr! Bei des Abakanes QueUe, Auf dem Berg mit tausend Gipfeln Wohnest du, o Morde Kan. Konmie jetzt an meine Seite! Höre du o Fürst mein Wort! Der behängt mit güld'nen Glöcklein, Der beraubt die sechzig Helden, Der zum Schiesskampf ausgezogen, Altai Kan, du mächt'ger Fürst! Der behängt mit Silberglöcklein, Der die vierzig hat beraubt, Der zum Ringkampf ausgezogen, 0, Altai Kan, mächt'ger Fürst! Der durchschoss die Eisenbügel, Väterchen, o Altai Kan! Den kein Pferd vermag zu tragen, Singend komm an meine Seite! \ Nachdem der Schaman in derselben Weise noch viele andere } Geister, wie den Oktu Kan, den Purchan Kan, den Jashyn Kan, \ — 32 — den Sohn des Ülgön, den erhabenen Kergädäi und den Geist des Opfers Perbi Kan herbeigerufen und alle in seine Trommel aufgenommen hat, schliesst er die Beschwörung mit dem Aufruf an die Himmelsvögel Märküt: Himmelsvögel, fünf Märküt, Dir mit mächt'gen Kupferkrallen, Kupfern ist die MondeskraUe, Und von Eis der Mondesschnabel; Mächt'gen Schwungs die breiten Flügel, Fächergleich der lange Schwanz, Deckt den Mond der linke Flügel, Und die Sonn' der rechte Flügel; Du, die Mutter der neun Adler, Der nicht irrt, den Jaik durchfliegend. Der ermattet nicht am Edil, Singend konmie du zu mir! Spielend komm zum rechten Auge! Setz' dich auf die rechte Schulter! A Nach dieser Herbeirufung des Vogels Märküt ahmt der sl Schaman in der Antwort die Vogelstimme nach, indem er aus- \ ruft: ,,kagak, kak, kakf kam-ai!" Dabei drückt der Schaman i die Schulter etwas nach unten, um zu zeigen, wie schwer er ! an dem mächtigen Vogel zu tragen hat. Darauf beginnt die ■ Beschwörung der Schutzgottheit desjenigen Geschlechtes (sök = ; Knochen), zu dem der Wirth der Jurte gehört. So rufen die zu dem Geschlechte Tölös und Mundus gehörigen Leute den : Totoi Pajan, den Herrscher des Hagels, Donners und Regens an, und zwar durch folgende Beschwörungsformel: Der du wirbelst* schlossengleich. Prasselnd wie der Hagel fällst. Du, des Musygan Kan's Sprössling, Du, mein Vater, Kern Totoi. Von der Seite, wo der Mond kommt. Kommet eine gold'ne Schrift, Aber von der Sonnenseite Kommet eine Silberschrift. Der den Mond du ganz umhüllet. Der die Sonne du verdunkelt. Der da hat zwölf hohe Stufen, Der da hat zwölf Schichten Spiele, Dreizehn Stangen voller Freuden. j Jemehr Geister von dem Schaman aufgenommen werden, desto stärker sclijägt er die Trommel. Dieselbe erscheint jetzt 33 — am Arme so schwer, dass sie von der Last gedrückt hin und t; her zu schwanken beginnt. Jetzt endlich erhebt sich der Scha- man von seinem Platze, schreitet mehrmals im Kreise um die in der Jurte aufgestellte Birke, tritt dann auf die Thüre zu und wenn er sie erreicht hat, stehen bleibend, wendet er sich demüthig an den Thürhüter (einen als gegenwärtig gedachten Geist), lässt sich dann auf's Knie nieder und verbeugt sich tief, wie vor seinem Herrn. Dann stützt er die Trommel mit der Seitenwand gegen das Knie und beginnt sie leise zu rühren, da- bei schiebt er den Arm etwas nach vorn und hinten, so dass das Instrument in eine schwankende Bewegung geräth, und singt mit leisem und flehendem Tone: Du, du bist der weise HeiT, Ich, ich bin der dumme Knecht; Du, du bist der hohe Herr, Ich der Sclav', der bittend hertritt. Welchen Fürsten soll ich anfleh'n? Welchen von den Herren bitten? Du, der Diener aller Fürsten, Du, der Führer aller Herren, Schicke du mir 'nen Gesandten, Dass er mir den Weg jetzt zeige! Hierauf singt er mit veränderter Stimme als der Thür^ hüter folgende Antwort: Flehe du zu Pyrkan Tengre, Bitte du den Vater Pyrkan, Die Befehle dieses Fürsten Nimm du in Empfang in Demuth, Halte dich an Pyrkan Tengre. Nachdem der Schaman diese günstige Antwort des Thür- hüters erhalten, erhebt er sich von seinem Sitze, stützt die Seitenwand der Trommel gegen die Brust und beugt den ganzen Oberkörper dreimal mit sammt der Trommel tief herab, indem er singt : Dreimal fleh' ich zu dir betend, Du, erhab'ner Pyrkan Tengre. Gieb du mir jetzt gute Kedo! Stütze mich mit deinen Knien*! Er verneigt sich abermals dreimal, dann spricht er mit demüthiger Stimme, indem er sich wiederum bittend an den Thürhüter wendet: Radi off, Aus Sibirien. II. 3 — 34 — Stehe wachend an der Thür! Stütz' dich auf das Kupferschwert! Halte du die Kupferflinte! Kommt ein Aina, jage fort um! Kommt der Böse, so vertreib' ihn! Lass' den Bösen Nichts erschauen! Nichts verstehen den Verruchten! Komme nicht, der innen unrein! Trete nicht in's reine Inn're! Lass' üni nicht hier ein sich drängen! Darauf verneigt der Schaman sich langsam mit der Trommel, hebt dieselbe plötzlich von der Brust, so dass ein lautes Ge- klapper und Geklirr der Eisenstücke zu hören ist, tritt darauf schnell in die Mitte der Jurte und beginnt jetzt, von Begeisterung erfüllt, mit rauhen und kräftigen Bewegungen des rechten Armes die Trommel zu schlagen und durch ruckweises Stossen des linken Armes gleichzeitig ein heftiges Rasseln hervorzubringen. Dabei macht er mit dem Oberkörper allerlei zuckende Bewe- gungen und stösst ein unverständliches Murmeln hervor. Jetzt tritt der Wirth der Jurte an den Tapty heran, der Schaman schlägt ihn leicht mit dem Orbu und fährt ihm dann mit der Breitseite desselben der Quere nach auf dena Rücken hin und ' her. Seine Bewegung des Abreibens soll bildlich die Reinigung* der Seele, die nach Ansicht der Altajer sich im Rücken befindet, darstellen und allen Einfluss des Erlik entfernen. Dabei singt er: Zieh' den Pfeü, den abgeschoss nen ! Nimm um, mein geschickter Bote! Kehr' zurück nicht sechzig Jahre! Bleibe ferne siebzig Jahre! Nimm den abgeschoss'nen Pfeil! * Nimm ihn schneller von hier fort, Als des Stromes Wasser fliessen! \ Darauf umarmt er den Wirth und die Wirthin, ebenso wie I die Kinder und nahen Anverwandten so, dass beim Umarmen j sich die Trommel vor der Brust des Umfassten befindet, während , der Orbu hinter seinem Rücken ist. Durch diese Umarmung f im Namen des Pyrkan Tengre reinigt er sie mit Hülfe aller in der Trommel versammelten Geister von allem Uebel und Un- glück, das ihnen von Seiten der Bösen zugefügt werden könnte. Alsdann begeben sich die Gereinigten wieder zu ihrem Platze, der Schaman tritt aber schnell auf die Thüre zu, hält gegen 3 K diese die Trommel und schlägt heftig* mit dem Orbu dagegen, um auf diese Weise das bei der Umarmung mit der Trommel und dem Orbu den Wirthsleuten abgenommene Uebel durch die Thür in die Ferne zu jagen, dabei befiehlt er dem Uebel, in gerader Richtung den von ihm bezeichneten Weg fortzuziehen und nicht wieder zu kommen, indem er mit langsamer Stimme singt : Tschok! Tschok! Weich' nicht vom gekomm'nen Wege ! Weich' nicht vom durchschritt'nen Wasser ! PUege über's Steingebirge! Darnach s}3richt er, zum Wirthe gewendet, indem er leise die Trommel rührt: Gold'ne Kraft, gleich einem Rosshaupt, Dringe jetzo in dein Rückgrat! Braune Kraft, gleich einem Schafhaupt, Dring' in deine Rückenwirbel! Nun tritt er wieder an den Wirth heran, hebt die Trommel auf und hält sie dicht an das Ohr des Wirthes, sclilägt dann mehrmals heftig mit dem Orbu gegen die Trommel und lässt auf diese Weise die Seele und Gewalt der Vorfahren des Wirthes ihm in's Ohr dringen, damit er so im Stande sei, die später ausgesprochene Voraussagung des Schamanen zu vernehmen und richtig zu verstehen. Dann tritt er vor den Wirth, die Wirthin und die übrigen Glieder der Familie und thut, als ob er jeden in einen Panzer hülle und jedem eine Mütze aufsetze, geht darauf schnell zum Feuer zurück, tritt an den Tolu heran, bückt sich schnell mit der Trommel nieder und thut, als ob er etwas schnell von der Erde unterhalb des Tolu mit Orbu und Trommel erfasse und aufliebe. Alles dies vollführt der Schaman mit grosser Schnelligkeit und Präcision bei starkem Trommel- schlage und lautem Rufen. Jetzt verlassen die Kinder und < Furchtsamen die Jurte. Der Schaman aber geräth in der Folge immer mehr in Extase, er springt wild umher und stösst und ! tritt mit den Füssen diejenigen der Zuschauer, die sich unvor- sichtig vorbeugen oder vordrängen. Die Tolu umfassend, tritt er plötzlich mit dem einen Fuss auf die erste Stufe des Tapty, hebt die Trommel in die Höhe, schlägt mit aller Macht gegen sie mit dem Orbu und ruft unter heftigem Gerassel mit lauter 3* — 86 — Stimme: „tschok! tschok!*' Durch alle diese Bewegungen will er andeuten, dass er sich jetzt zum Himmel erhebe. Hoch, hoch, auf! Tolu, die den Mann nicht trägt, Hoch, hoch auf! Tolu und der Toluträger, Pferdchen und der Pferdehalter, Hoch, hoch, auf! Gold'ner Strick und gold'ner Taskak, Gold'nes Lager, gold'ne Stange, Hoch, hoch, auf! Darauf tritt der Schaman von der ersten Stufe herab, setzt sich schnell auf die Erde und stösst mit der Trommel heftig gegen dieselbe, dass es laut rasselt, dann* drückt er sie mit dem Orbu und schlägt dreimal heftig gegen sie; wieder springt er schnell auf die Füsse und ruft mit lauter Stimme: ,,Sieh', ich habe sie durchstossen ! " Darnach läuft er, in noch heftigere Extase versetzt, mit starkem Trommelschlage und Grerassel um den Tapty und um das Feuer herum, um seine Freude darüber auszudrücken, dass er in den Himmel gelangt ist. Indem er den hier weilenden Donner und Blitz nachahmt, ruft er mit lauter Stimme und unter Gerassel der Trommel: Schagarbata! Schagarbata! Schagarbata! ;j Dann läuft er schnell zu dem Schemel, auf den eine Sattel- ■ \ decke gelegt ist und der die Seele des Opferthieres Pura vor- . stellen soll, setzt sich schnell auf diese und ruft: Bin erstiegen eine Stufe, Aihai, aihai! Eine Schicht hab' ich erreicht, Schagarbata! Hab' des Tapty Kopf erklettert, Schagarbata ! Bis zum Vollmond mich erhoben, Schagarbata ! Der Schaman geräth immer mehr in Verzückung, springt immer wilder umher und rührt die Trommel immer stärker, denn er eilt jetzt zum zweiten Himmel; dabei spricht er zum Opfer- thiere : Wende dich zum klaren Himmel! Lasse deine Füsse spielen! - 37 — Unter Blitzen, unter Donner Zum Ülgön, zum Vater Pyrkan, Zu dem Himmelsfürsten rausche! Die Seele des Baschtutkan (des Kopfhalters) befindet sich bei der Pura; auf diesen Zuruf antwortet der Schaman mit ver- änderter Stimme als Baschtutkan: Ülgön's Weg ist ja beschwerlich! A, ho, ho! Der Schaman: Lasse schiessen Pura's Zügel! Der Baschtutkan: Ülgön's Weg ist mühevoll! Der Schaman: Halte nicht der Pura Maul fest! Nachdem der Schaman so die Pura und den, Baschtutkan zur Eile angetrieben, läuft er noch einmal schnell um den Tapty herum, bleibt plötzlich wieder vor ihm stehen und stellt den einen Fuss auf den zweiten Einschnitt des Tapty. Dann setzt er sich wieder auf den Boden, stösst abermals mit der Trommel gegen die Erde, zum Zeichen, dass er jetzt den Boden der zweiten Himnielsschicht durchbrochen, und ruft: Hab' den zweiten Grund durchbrochen, Hab' die zweite Schicht erstiegen, Seht, in Trümmern liegt der Grund. Darauf singt er wiederum, Blitz und Donner nachahmend: Schagarbata! Schagarbata! Hab' zwei Stufen jetzt erstiegen, Schagarbata! Mich zwei Schichten hoch erhoben, Schagarbata! Hab' des Tapty Kopf erklettert, Schagarbata ! Hab' zum Vollmond mich erhoben, Schargarbata ! Nachdem er ganz wie vorher jetzt die Pura und den Baschtut- kan angefeuert und ein völlig ähnliches Zwiegespräch gehalten hat, steigt er in derselben Weise zur dritten Himmelsschicht em- por, deren Grund er symbolisch durchbrochen hat. Im dritten Himmel nun beginnt das Opferthier zu ermatten, daher über- lässt der Reiter dasselbe allein der Fürsorge des Baschtutkan und schickt diesen langsam voraus. Nun ruft der Schaman die Gans herbei, um, nachdem er sie bestiegen, auf ihr reitend die — 38 — vorausgeschickte Pura und den Basclitutkan wieder «inholen zu können. Er ruft die Gans mit folgenden Worten herhei: Die am Jajyk sich nicht irrt, Gans, du mit dem harten Schnabel! Ungai gak gak, ungai gak! Die am Edil nicht ermüdet, Gans, du mit dem harten Schnabel, Ungai gak gak, ungai gak! Komme singend jetzt zu mir! Spielend komm zum rechten Auge! Setz' dich auf die rechte Schulter. Mit veränderter Stimme ruft der Schaman, die Gans nach- ahmend : Kagak, Kagak! Kam, da bin ich! Darauf erhebt sich der Kam, thut als ob er die Gans besteige, schreitet alsdann langsam vorwärts, indem er dazu leise singt und beide Arme gleichsam wie Flügel bewegt, um da- durch den Flug der Gans nachzuahmen. Hierbei rührt er ganz sacht die Trommel. Während er thut, als ob er auf der Gans davonflöge, deutet er mit Zeichen an, dass die Reise sehr schwierig ist, und schneidet allerlei Grimassen, die seine Er- mattung andeuten sollen. Breite aus den rechten Flügel! Yn, yu, yn! Biege ein den linken Flügel! Yn, yn, yn! Ziehe ein die Flügelknochen! Yn, yn, yn! Schlage du mit deinen Flügeln! Yn, yn, yn! Flattre du mit deinen Flügeln, Ziehe hin zum hohen Himmel! Yn, yn, yn! Oberhalb der weissen Wolken, Dorthin, wo der Himmel weiss ist, Yn, yn, yn! In den Schooss des weiten Aethers, Wo man eines Monats Weg sieht, Yn, vn, yn! In den Schooss des blauen Aethers, Oberhalb der blauen Wolken, Yn, yn, ynl Du, mein weisses, liebes Pferdchen, Sag', wann werd' ich dich erreichen? Yn, }Ti, yn! — 39 — Der Schaman ruft nun die die Pura begleitenden Leute mit dem Rufe ,,He! he!" an und antwortet mit verstellter Stimme „0/ o! kam-ai!'' Endlich erreicht der Reiter die Pura. Dann wendet er sich mit seinem Gesänge an den Baschtutkan, drückt die Trommel an seine Brust, schlägt sie ganz leise mit dem Orbu und spricht mit heller, die Gans nachahmender Stimme: Der das Rösslein du bestiegen, Bist du ^ut hierher gelangt? Ungai gak gak, ungai gak! Hir beim Tolu schauet alle! Ihr vom Taskak schauet alle! Ihr beim Rosse schauet alle! Ihr beim Füllenstrick schaut alle! Ungai gak gak, ungai gak! Der das Rösslein du bestiegen, Bist du gut hierher gelangt? Ungai gak gak, ungai gak! Knecht, der du des Rosses Kopf lenkst. Bist in Frieden her gelangt du? Ungai gak gak, ungai gak! Da die Gans jetzt ihren Dienst gut ausgeführt und die Pura und den Baschtutkan eingeholt hat, so entlässt sie der Schaman nun wieder, indem er singt: Gans! trink' aus dem Milchsee jetzt! Suche Speis' am Sürö-Berg! Gans! komm' stets, wenn ich dich rufe, Sag' ich: „he!" so sprich' du auch: „he!" Ruf ich: „au!" so ruf du auch: „au!" Höre stets auf meine Worte! Um die Gans anzutreiben, hebt der Schaman seine Trom- mel in die Höhe, schlägt mit Kraft gegen dieselbe und stösst mit dem Munde einen unartikuhrten Ton hervor, der das Auf- fliegen der Gans bezeichnen soll. Alsdann wendet er sich an den Baschtutkan, indem er stehen bleibt und den Körper nach beiden Seiten biegt. Dabei hält er die Trommel gegen die Brust und singt mit starker und fröhlicher Stimme: Knecht, der du des Rosses Kopf lenkst. Sprich du jetzt, die Stimm' erhebend! Darauf die Stimme verändernd, singt er mit weinerlichem Tone, indem er die Stimme des Baschtutkan nachahmt: — 40 — Will von liier zurück mich wenden, Väterchen Schaman! Mir thun weh die Kücken^virbel, Väterchen Schaman! Und es schmerzen mir die Kippen, Väterchen Schaman! Losgelöst sind meine Knochen, Väterchen Schaman! Sind getrennt die Seitenknochen, Väterchen Schaman! Ausgetreten ist mein Auge, Väterchen Schaman! Sieh', mein Weib, es blieb zurück, Väterchen Schaman! Auch mein Vater, der ernährt mich, Väterchen Schaman! Hätt" ich doch dies Land geseh'n nicht! Väterchen Schaman! Nicht betreten diesen Weg, Väterchen Schaman! Will von hier zurück mich wenden, Väterchen Schaman! Will zu meiner Jurte gehen, Väterchen Schaman! Hierauf antwortet der Schaman mit seiner eigenen, dieses Mal sehr streng klingenden Stimme, indem er die Trommel an die Brust drückt und kräftige Schläge darauf fallen lässt: Lass' des Ülgön Busen schauen! Lass' den Weg uns zu ihm nehmen ! A, ho, ho! hoho! Und mit des Baschtutkans Stimme fährt er weinend fort: Will nicht kommen, sagte ich, Väterchen Schaman! Habe eine Mutter, sprach ich. Väterchen Schaman! Sieh', es schickte mich die Mutter, Väterchen Schaman! Fleisch wird man dir geben, sprach sie, Väterchen Schaman! Fleisch zu nehmen kam ich her, Väterchen Schaman! Sieh, der volle Huf ist wund Und gespalten ist die Krone! I, i, i, i! (weint) Mi, mi, mi, mi! Abgerieben sind die Hufe! I, i, i, i! 41 Wundgerieben ist der Hals, Väterchen Schaman! Nachdem der Baschtutkan sich so zu rechtfertigen gesucht hat, hält der Schaman an und unterbricht die Weiterreise. Er schaut sich um und berichtet den Zuhörern, was er hier in der dritten Himmelsschicht erblickt oder zu hören bekommt, alles was auf das Leben der Menschen Beziehung hat und ihnen daher erwünscht zu hören ist, z. B. über das Wetter, welches bevorsteht, über Krankheiten und Seuchen, die drohen, oder ob ihm hier ein anderer Kam begegnet, was er von diesem er- fährt oder mit ihm spricht, oder er spricht von Unglücksfällen, welche die Nachbarn bedrohen, von Opfern, die von Leuten der Umgegend darzubringen sind, u. s. w. Wird z. B. ein Schneefall bald beginnen," so sagt er: Sieh', der Birkenwipfel senkt sich, Jeder Zweig biegt sich hernieder, Weisser Nebel sinkt nach unten, Blitze zucken blendend, leuchtend, Winten*eif senkt sich herab. Wenn der Schnee thauen wird, so kündigt er dies in fol- gender Weise an: Sieh', der Birkenwipfel senkt sich, Gelbes zieht sich drüber hin. Wenn ein heftiges Regenwetter eintreten wird, so ruft er: Kara Schurlu mit sechs Stäben Tröpfelt auf die Niederung, Nichts mit Hufen kann sich schützen. Nichts mit Krallen kann sich halten. Dergleichen Wahrsagungen werden nicht nur an dieser Stelle gethan, sondern können in jeder beliebigen Himmelsschicht und bei den verschiedensten Gelegenheiten geäussert werden, wie es eben der Schaman für passend findet. Nachdem der Baschtutkan sich nun ausgeweint und aus- geruht hat, wendet er sich mit folgenden Worten an den Scha- manen : Ja, ich will nun weiter reiten! Will Ak-Clgöns Tochter nehmen! Diese Rede Baschtutkan' s wird jetzt vom Schamanen mit nochmals veränderter Stimme durch einen Diener des Schamanen \ — 42 — Karakusch (schwarzer Vogel) unterbrochen, indem dieser beim Baschtutkan die Pfeife zum Rauchen erbittet: Weisser Rauch ist mir jetzt sichtbar Wohl von eines Tagwegs Strecke, Wohl von einem Monat Weges Fällt der Rauch mir in die Augen. Deine Pfeife aus drei Gliedern Reiche sie mir, Baschtutkan. Baschtutkan reicht die Pfeife dem Karakusch. Der Sclia- man aber, welcher die Pfeife in der Hand hält, sieht sie von allen Seiten ängstlich an, indem er sie langsam mit zwei Fingern herumdreht, als ob er fürchte, dass sie ihn beisse. Plötzlich hebt er sie in die Höhe und betrachtet sie wieder, schnaubt aber dann erschreckt auf wie ein Pferd und schreit: ,,ki-gilik!'' Mit der einen Hand hält er die Pfeife als Baschtutkan und singt darauf mit der Stimme Kara-kusch's: Ist gestälüt der schwarze Panzer, Umgehängt das Panzerhemd, Dunkler Hund mit gold'nen Ohren, Wehe, er ist lang gestreckt. Mund und Nase lecket er. Hörest du, o Kara-kusch, Ziehe ich nicht, ziehet er, Ki-güik! Ki-gilik! Nunmehr nimmt der Schaman die gleichsam vom Baschtutkan gereichte Pfeife und raucht als Kara-kusch, indem er die Pfeife nicht mit den Händen berührt. Dann ruft er: ,,Au! au! au!" und wirft die Pfeife fort. Jetzt steigt er mit dem einen Fusse auf die vierte Stufe des Tapty und singt: Auf stieg ich zum Tapty-Gipfel, Hab' erreichet nun den Volhnond, Hab' vier Stufen jetzt erstiegen. Segnen mög' der Himmelsfürst mich. Wieder herabspringend, setzt er sich auf den Boden und durchstösst, wie er früher gethan, auch dieses Mal die die dritte und vierte Himmelsschicht trennende Feste, läuft vier Mal um das Feuer und stellt wiederum Donner und Blitz vor. Ai, hai, hau Schagarbata , Schagarbata ! Hab' durchstossen \ier der Schichten, Sie erschütternd stieg empor ich, - 43. - Schagarbata, Schagarbata! Segne du im Tagesumkreis, Alles Volk im Monatsumkreis, Schagarbata ! Du, mein Ross, das dieser reitet, Schagarbata ! Reitet Wett' mit Himmelsfürsten, Schagarbata ! Wiederum zürnt der Schaman dem Baschtutkan, dieser aber antwortet ihm mit weinerlicher Stimme: Welches sonnenreiche Land! Dieses ist ein schönes LandJ Hier möcht' gerne wohnen ich! Hier möcht' gerne leben ich! Dichter Bergwald ist gewachsen, "Voll vom Wilde ist der Wald, Fröhlich möchte hier ich leben! Heim will ich von hier nicht kehren, Väterchen Schaman! Im vierten Himmel stellt der Schaman dar, wie der Kara- kusch einen Kukuk jagt. Der Schaman lässt zuerst die Stimme des Kukuks ertönen, als ob sie aus weiter Ferne klinge, dann laut und lauter: Kukuk! Kukuk! Den Kara-kusch vorstellend, hebt er die rechte Hand zu den Augen, sieht sich nach allen Seiten um, schaut nach oben und unten, nach rechts und links; da er aber trotz aller Bemühungen den Vogel nicht entdecken kann, reibt er sich die Augen und singt: Wehe dir, o Kara-kusch! Ist zum Hinmiel er geflogen? Oder in die Erd' gesunken? Meine Flint', die siebenzüg'ge, Möchte auf ihn ab ich feuern, Treffen mitten in den Leib ihn ; Ist er auf der Birke Zweige Oder auf des Tapty Wipfel ? Um das Schiessen des Kara-kusch darzustellen, hält er die Tronmiel in horizontaler Lage so vor seine Augen, dass er grade die Oberfläche des Trommelfelles sehen kann, dann schiebt er denOrbu mit einem Ruck über die Trommel fort und schreit ,,au"! indem er den Schall des Abschiessens nachahmt. Hiemach steigt er mit dem einen Fuss auf die fünfte Stufe und singt: — 44 — Fünf der Tapty nun erstieg ich, Bin fünf Gipfel hoch geklettert, Habe nun erreicht den Vollmond, Segne uns, o Himraelsfürst. Nachdem er von der Stufe herabgesprungen, läuft er in voller Extase fünf Mal trommelnd um das Feuer und durchbricht in vorher erwähnter Art unter Schagarbata- Rufen, Blitz und Donner darstellend, den Boden der fünften Himmelsschicht. Hier im fünften Himmel wohnt nun der mächtige Jajutschi (der höchste Schöpfer), zu ihm begiebt sich jetzt der Schaman und singt, indem er langsam und feierlich die Trommel schlägt, mit me- lodischer Stimme: Ai-a, hai, hai, hau tlgön's Sohn, du Kergedäi, Adam's Sohn, du Kan Pyrkan, Ashyn Kan, des Himmels Sohn, Kommet singend mir zur Seite! Kommet helfend her zu mir! Wartet bei des Fürsten Thür! Ai-a, hai, hai. hai! Jetzt hat der Schaman die Jurte des Jajutschi erreicht, er tritt sogleich durch die Thür ein und indem seine Stimme einen feierlichen und ehrerbietigen Ton annimmt, singt er leise, nur sanft an die Trommel schlagend: Jajutschi im fünften Himmel, Milchsee, der vom Schmutze reinigt, Tapkai, der den Nabel schneidet. Innigst bet' ich Jajutschi-Fürst. Mit lauter, drohender Stimme antwortet der Schaman auf seine Bitte nun selbst als Jajutschi: Sag', von wem bist du gekonmaen? Wessen Nachkomm' bist du, sprich! Jeder Mensch hat einen Namen, Jedes Wild hat seine Haarfarb', Nenn' den Namen und den Weg mir! Was da Flügel hat, das fliegt, Was da Krallen hat, das läuft. Dem Gerüche folgt der Käfer, Von wo kommest du hierher? A, a, i! a-i! Wie durch die zornige Stimme des Jajutschi erschreckt springt schnell der Schaman, gleichsam um sich zu retten, nach rück- 4 K, wärts, dann geht er demüthig mit ganz kleinen Schritten wieder vorwärts und spricht unter vielen und tiefen Verbeugungen, mit einschmeichelndem Tone: „Hör', ich flehe, Jajutschi." Der Jajutschi unterbricht das Gebet, indem er heftig ,,A! a! i!*' schreit. Da bleibt der Schaman stehen, der Jajutschi aber fährt zornig fort: Du bewegest meine Thür, Machst erklingen meine Ohren, Kitzelst meine rechte Sohle, A, a, i! a-i! Wieder nähert sich ihm der Schaman in Demuth und bittet, sein Gebet zu erhören. Der Jajutschi unterbricht aber seine B,ede noch einmal mit der Frage: Sag', von wem bist du geblieben? Wessen Nachkomm' bist du, sprich? Ihm antwortet der Schaman, indem er sich wiederum ehr- furchtsvoll verneigt und dabei die Trommel an die Brust drückt : Von wem soll ich sein geblieben? Wessen Nachkomm' soll ich sein? Vater-rürst, o Jajutschi, Mutter-Fürst, o Jajutschi, Bin vom Kara Kam geblieben, Bin des grossen Kames Nachkomm', Nachkommen des Testü Kam, Nachkommen, des ütschuktschi, Nachkomm' eines Zeicliendeuters, Darum höre Jajutschi, Du Erhab'ner, jetzt mein Flohen, Komm' hierher zu deinem Hause, Dir die Bitte vorzutragen. Eine Frage dir zu thun. Dir Verehrung darzubringen; Bin vom Tschomtscho Kam geblieben. Komme her vom Kam Sarga, Singend geh' ich zu Ülgön, Du, erkenne meine Trommel, Hör' mein Flehen, Jajutschi. Nachdem der Schaman sich abermals tief verneigt hat, wird «r endlich vom Jajutschi freundlich aufgenommen. Er tritt nun in's Haus mit Jajutschi und im Gespräche mit diesem erhält er vom Gegenwärtigen und Zukünftigen mancherlei Kenntniss. Alles was er erfahrt, darf er nicht mittheilen, er murmelt es nur — 46 — undeutlich vor sich hin. Deutlich nur theilt er einige Weis- sagungen mit. Zuerst überbringt er dem jüngsten Sohne fol- gende Rede des Jajutschi: Dieses Kind hab" ich geschaffen, Keich wird es an Kleidung sein, Ackern wird es auf dem Hügel, Länger wird sein Füllenstrick, Breit vnid ihm der schmale Körper, Voll von Pferden wird ihm einstens Die gewalt'ge Heerde werden, Voll von Seelen seine Jurte. Dann übergiebt er dem mittleren Sohne folgende Rede des Jajutschi : Der beschenkt sich hat mit Fürsten, Unterlieg' nicht den Bewangten, Kicht dem Mann mit breiten Schultern! Lange mög' dein Leben dauern! Deine Tage kurz nicht werden! Stark an Kräften mög' er sein! Wie ein Panzer sei sein Kock, Durch die Sterne schiess' den Pfeil er, Seine Eache mög' er nehmen. Seiner Peinde böse Schaar Sterbe wimmernd wie die Hunde, Sterbe blökend wie die Schafe. Zuletzt übergiebt er das vom Jajutschi über den ältesten Sohn Ausgesagte: Dieses Kind hab', ich geschaffen, Sind nun fünfundzwanzig Jahre, Dass ich segnend es vollendet, Möge er die reiche Habe Sich von allen Seiten raffen, Spenden auch nach allen Seiten; Keine Rede zu ihm dringend Mög' von vonie ihn besiegen, Keine Ruth' ihn hinten treffen. Vierzig Jahr' soll er noch leben, In die Brust treff' dich kein Pfeil, Niemand packe dich beim Kragen; Hänge dich an keinen Bösen! Sei des Volkes Friedensstifter! Sei am Pelze du der Knopf! Leb' noch über fünfzig Jahre! Bei dem Beginne der Wahrsagung werfen die Familien- glieder ihre Mützen unter die Trommel. Nach jeder Walir- — 47 — sagung hebt der Kam die Trommel etwas in die Höhe und schlägt sie mit dem Orbu. Ist die Voraussagung unheilvoll, so fallen die Mützen aus der Trommel heraus, ist sie heil- verkündend, so zieht jeder seine Mütze so schnell als möglich aus der Trommel hervor und drückt sie zusammen, damit das Glück darin verharre. Nachdem alle Weissagungen geschehen, verneigt sich der Schaman wiederum vor dem Jajutschi, während- dem er singt: Hör' mein Flehen, Jajutschi, Sieh' mich an mit rechtem Auge, Gieb mir deinen rechten Segen. Während der Schaman den vierten und fünften Himmel erreicht, hat die Pura sich ausgeruht und bittet nun den Scha- man, ihn zu tränken: In dem schönen Sonnenlande Ist 'ne gute Tränkestelle, Diese zeigt sich meinem Auge! 0, Schaman! Ma-ak, Ma-äk, Ma-ak! Als Baschtutkan nimmt nun der Schaman eine Schale mit Wasser und pfeift, damit die Pura trinken möchte. Der Kam stellt in seinen Bewegungen dabei die Pura vor, er schnauft laut und schlägt aus, trinkt aber doch zuletzt. Nachdem er getrunken, fasst er die Schale mit den Zähnen und wirft sie mit der Trommel in die Höhe, dann fangt er sie als Baschtut- kan auf und räuchert sie mit Wachholder. Darauf erhebt sich der Schaman zum sechsten Himmel; nachdem er auf die sechste Stufe getreten und den Boden durch- brochen, läuft er sechs Mal um das Feuer, ganz unter denselben Gesängen wie früher. Da hier im sechsten Himmel der Mond wohnt, so verneigt er sich vor diesem ehrfurchtsvoll, indem er singt: Hör' mein Flehen! Hör' mein Flehen! Vater Mond, im sechsten Hinmiel! Hör' mein Flehen! Hör' mein Flehen! Nach diesen Worten läuft der Schaman in Extase drei Mal um den Tapty herum und verneigt sich darauf drei Mal nach Osten. Da erblickt er plötzlich einen entfliehenden Hasen und schickt sogleich nach ihm seinen Diener Kuruldak aus: — 48 — » f i Kuruldak, beeile dich. Li dorn grauen Weidenbuscho Hat der Graue sich verborgen, Tschu-u-uk! Kuruldak, der vergebens nach dem Hasen gesucht hat, was auch der Schaman durch Pantomimen angedeutet, antwortet mit veränderter Stimme: Wehe! Wehe! In zwei Wäldern sich verbarg er, Li drei Wäldern sich verbarg er, U, u! wehe, wehe! Darauf führt der Schaman eine neue Figur als handelnd ein, indem er abermals die Sthnme wechselt, nämlich einen ge- wissen Kereldäi, der jetzt den Kuruldak neckt und seine Stimme nachäffend dem Kuruldak zuruft: Tete, tete, tete-te! Ei, ei, ei! mein Alter! Wa-as ist geschehen nur, E-es wackeln seine Ohren, Es erhitzet sich sein Bauchfell. Indem er auf die Pura deutet, fahrt er fort: Sieh', sein Schwanz schwingt hin und her, Ist lebendig nicht dein Pferd? Wa-a-as ist dir nur, Alter? Ei, ei, ei! mein Alter! Sieh', der Has'! ist in der Nied'rung, Hat sich im Gebüsch verborgen, Tschu-u-uk! Bei dem letzten Ausrufe schwenkt der den Kereldäi vor- stellende Schaman den Orhu von unten nach oben. Dann ändert er die Stellung und Stimme und stellt den den Hasen verfol- genden Kuraldak vor und ruft: ü, u, u! Hat zwei Wäldchen jetzt durchlaufen, U, u, u! Hat drei Wäldchen jetzt durchlaufen. Wehe, wehe, weh! Häschen, bleibe du nicht drinnön! Trotz alles Schimpfens des Kereldäi gelingt es dennoch nicht, den Hasen zu fangen. Da erhebt sich der Schaman in — 49 — firüiierer Weise zum siebenten Himmel, nnd nachdem er unter Blitz und Donner den Boden durchbrochen und sieben Mail mn den Tapty herumgelaufen ist, verneigt er sieh t^or der im siebenten Himmel wohnenden Sonne, ehrfurchtsvoll die Trommel an die Brust drückend: Hör' mein Flehen, meine Bitte, Mtrtter Sonne, die hier wohnt! Hör' mein Flehen, mein Gebet! In ähnlicher Weise, unter allerlei ZuföUen, vorgestellten Scenen, Gebeten, Weissagungen, E/rzählungen, Segensworten u. s. w. ersteigt und durchbricht der Kam den achten und neunten Himmel; je mehr Macht der Kam besitzt, desto höher kann er steigen; so giebt es Kame^ die bis zum zehnten, elften, zwölften Himmel und noch höher sich zu heben vermögen, diese Kraft aber besitzen nur sehr wenige. Nachdem nun der Kam die höchste Stelle erstiegen, zu der ihn seine Kraft zu heben vermag^ so ruft er den ÜlgÖn selbst an, indem er sich mit folgendem Gebete an ihn wendet; dabei senkt er die Trommel, schlägt sie leise mit dem Orbu und verneigt sich in Demuth: Fürst, zu dem drei Leitern führen, Bai Ülgön, mit den drei Heerden, Blauer Abhang, der erschienen, Blauer Himmel, der sich zeiget, Blaue Wolke, die dahinschwebt, Blauer Himmel unerreichbar, Weisser Himmel unerreichbar, Jahreweite Wasserstelle, Vater Ülgön, Dreierhab'ner, Den des Mondbeils Schneide meidet, Der den Pferdehuf benutzet. Alles Volk erschufst du, Ülgön, Was da lärmend uns umg^ebt. Alles Vieh verliehst du, Ülgön, Uebergieb uns nicht dem Unheil! Lass' uns widerstehn dem Bösen! Zeige uns nicht dem Xörmös! Gieb uns nicht in seine Hand! Der den stemenreichen Himmel Tausend, tausend Mal gewendet. Eichte du nicht meine Sünden. Vom Ülgön aber erfahrt der Schaman, ob das Opfer günstig aufgenommen ist oder nicht, auch erhält er von ihm die besten Radioff, Aus Sibirien. IL 4 — 50 — Weissagungen über Beständigkeit und Wechsel des Wetters, Missemte, Misswachs und ob Ülgön noch weitere Opfer, und was für welche er erwartet oder fordert. In Bezug der letzteren Forderung giebt der Schaman stets gute Auskunft und bezeich- net oft diesen oder jenen Nachbar, von dem ein Opfer ver- langt wird. Nicht selten nennt er auch Farbe und Form des Opfer- thieres. Es scheint, als ob der Schaman hierbei stets in seinem Interesse wirke, da der Eigenthümer des geforderten Thieres meist sich scheut, die Forderung des ÜlgÖn unerfüllt zu lassen. Nach der Unterredung mit Ülgön geräth der Schaman in die höchste Extase , bis er zuletzt ganz ermattet zusammenstürzt. Dann tritt der Baschtutkan an ihn heran und nimmt die Trom- mel und den Orbu aus den Händen des Schamanen, der noch zuletzt drei Mal mit den Fingern an die Trommel knipst und mit dem Kopfe zuckend und die Hände wie zum Trommelschlag bewegend vor sich her brummt ,,a-a-a-a-a! i-i-i-i!^* bis er zuletzt ganz still sitzt, ohne auch nur ein Glied zu rühren. Nach einer Weile, während noch in der Jurte allgemeines Schweigen herrscht, reibt er sich die Augen, streicht sich die Haare glatt, streckt imd reckt die Hände und ringt sein von Schweiss triefendes Hemd aus. Dann sieht er sich langsam im Kreise um und be- grüsst sich mit den Umstehenden mit den Worten: „Esän-salam! Esän-salam!" Die Opferfeierlichkeit endigt oft mit dieser zweiten Be- schwör^ngsscene, meistens wird aber noch eine dritte Nacht der Feierlichkeit gewidmet, besonders bei reicheren Leuten. Der dritte Act der Opferfeierlichkeit besteht in den Libationen von Ge- tränken und in einem grossen Zechmahle, wobei riesige Schläuche Kumys, Milchbranntwein und bei den nördlichen Schamanisten (Teleuten und Schoren) viel Gerstenbier vertilgt werden. Die zu solcher Zechfeierlichkeit nöthigen Getränke werden schon vor dem Aufstellen der Opferjurte bereitet und Niemand darf es wagen, dieselbe vor der Beendigung der zweiten Opfer- feierlichkeit zu berühren. Jetzt erst bringt man das nöthige Getränk in die Opferjurte. Die Frauen richten alles zu dieser Feierlichkeit Nöthige her, sie bedecken den Boden der Jurte rings mit Teppichen und zünden am. Abend (nach Sonnenunter- gang) des dritten Tages ein Feuer neben dem Tapty an. Dann holt man von der Opferstelle 9 — 12 Schöpfkellen aus Birkenrinde und füllt ebenso viel chinesische Holzschalen — 51 — mit Airan. Diese Holzschalen werden nun um das Feuer ge- stellt und hinter jede Schale stellt sich eine Person. An der äussersten rechten Flanke links von der Thür der Schaman, dann dhr Baschtutkan, dann der Hauswirth und dann alte Leute aus der Nachbarschaft, in deren Familien während der letzten Jahre Niemand gestorben ist. Jeder der so Aufgestellten schöpft mit dem Schöpflöffel etwas Airan aus der Schale und dann spritzen Alle auf einmal unter dem Ausrufe ,,Tschek" den Airan gegen den Tapty. Drei Mal wird dieser Ruf und die Libation wiederholt. Darauf werfen alle zwölf die Schöpf- löffel in die Höhe. Wenn die Löffel zur Erde gefallen sind, betrachtet man genau ihre Lage. Liegt der Löffel mit dem Boden nach oben, so bedeutet das kein Glück während des nächsten Jahres für den Werfenden, während die umgekehrte Lage Glück und Segen verheisst. Jetzt wird die Schale wieder gefüllt und alle bemühen sich, diese Schale so schnell wie nur irgend möglich auszutrinken. Der Schaman aber wirft, nachdem er seine Schale geleert hat, dieselbe durch die Thüre in's Freie. Die Lage dieser Schale lässt Schlüsse über das zukünftige Glück oder Unglück des Opfergebers machen und zwar in der gleichen Weise, wie die Lage der hingeworfenen Schöpfkellen. Nachdem diese Ceremonie vollendet ist, beginnt die all- gemeine Zecherei. Die anwesenden Gäste setzen sich in Gruppen um einen Schlauch und werden von einem Anverwandten des Wirthes bewirthet. Man zecht, singt, schreit, lacht, bis die meisten der Anwesenden sich bis zur vollen Bewusstlosigkeit betrunken haben, und gleich hier an dem Platze, wo sie betrunken zusam- mengesunken sind, bis zum Morgen liegen bleiben und ihren Rausch ausschlafen. Das Sichbetrinken wird nicht als Schande angerechnet, sondern als etwas ganz Natürliches angesehen. Üebrigen muss erwähnt werden, dass die Frauen Maass halten und die betrunkenen Männer, wenn sie bewusstlos umgesunken sind, in eine bequeme Lage rücken und warm zudecken. Es ist das Pflichtgefühl gegen die Kinder, das den Frauen nicht er- laubt, sich so sinnlos zu betrinken. Es muss hier erwähnt werden, dass nicht alle Schamanen in gleicher Weise die Beschwörungen ausführen. Bei den ver- schiedenen Geschlechtem (sök) finden sehr verschiedene Cere- monien statt, noch mehr liegt in der grösseren und geringeren Kenntniss und Geschicklichkeit der Schamanen. Im Allgemeinen 4* — 52 kann man aber sagen, dass alle Opferfeierlichkeiten in ähnlicher Weise vor sich gehen, wie die hier eben beschriebene. Einige Schamanen schliessen während des Schamanisirens die Augen^ andere schamanisiren mit offenen Augen. Einige tanzen so wild^ dass sie zuletzt wie todt zusammensinken, andere gerath^i in eine so heftige Extase, dass man sie zuletzt festhalten und fest- binden muss, was nur mit äusserster Kraftanstrengung mehreren Männern gelingt. Dann zittert und zuckt der gefesselte Scha- man oft noch eine lange Zeit lang und sucht sich loszuwinden, bis ihm die Trommel entftlllt und er dann wohl stundenlang wie todt daliegt. Andere Schamanen sind viel ruhiger und hören von selbst mit dem Schamanisiren auf. Ebenso ist die Beschwörung je nach dem Geiste, dem das Opfer dargebracht wird, eine etwas abweichende. Am meisten weicht das dem Erlik dargebrachte Opfer ab, doch habe ich über diese Opferbringung keinerlei genauere Nachrichten ein- ziehen können. Dies ist auch selbstverständlich, hier ist die Furcht vor Strafe zu gross. Die höchste Kunst der Schamanen ist die sogenannte Reini- gung der Jurte. Diese geschieht am vierzigsten Tage nach dem Tode eines Familiengliedes. Nur wenige Schamanen vermögen diese Beschwörung immer glücklich auszuführen, und deshalb werden von reichen Leuten zu dieser Beschwörung oft von fem her weitberühmte Schamanen herbeigerufen und für ihre Mühe reichlich vergütigt. Die Reinigung der Jurte wird gewöhnlich unter besonderer Hülfeleistung des Jajyk Kan ausgeführt und ihm für diese Hülfe auch Opfer dargebracht. Die Reinigung der Jurte ist besonders dann wichtig, wenn mehrere Todesfalle hintereinander in einer Familie eingetreten sind. Nach dem Glauben der Altajer nämlich verweilt die Seele des Todten gern noch einige Zeit im Hause und verlässt dasselbe unwillig allein, sondern entführt oft mit sich noch andere Glieder der Familie oder Hausgenossen oder wenigstens Vieh in's Todten- reich; Jajyk Kan vermag nun am besten durch Herbeitreiben von Wasserfluthen die Rückgabe der schon zum Theil entführten Seelen zu erzwingen und die Seele des Todten selbst in die Unterwelt zu treiben. Dieser Glaube von dem schädlichen Einfluss der Seele des Gestorbenen liegt zum Theil in dem festen Familienverhältnisse zwischen Todten und lebenden Verwandten, welches man als — 53 — Grundlage des. Schamanenglaubens erkennen kann, andererseits ist er durch die häufigen Seuchen entstanden, welche unter den jeder ärztlichen Hülfe entbehrenden Altajem oft furchtbar ver- heerend wirken. Im Juli 1860 hatte ich Gelegenheit, selbst einer solchen Reinigung des Hauses beizuwohnen, welche am Kengi-See, wo auch ich mich damals aufhielt, stattfand. Als 4ch mich etwas nach Sonnenuntergang in der Jurte, wo die Feierlichkeit statt- finden sollte, einfand, waren etwa 20 Personen versammelt, Verwandte und Nachbarn, wie man mir sagte, die der Feier- lichkeit beiwohnen sollten. Der Wirth, Namens Popoi, begrüsste mich sehr freundlich und wies mir einen Platz an der Ehren- steile dicht bei der Jurtenwand an. Er erklärte mir, seine Frau sei vor einigen Wochen gestorben und nun habe er einen be- währten Schamanen von der Katunja hergerufen, der solle ihm sein Haus reinigen. Die anwesenden Altajer zeigten, so viel ich beobachten konnte, wenig Andacht, plauderten vielmehr und rauchten harmlos, als ob gar keine besondere Feierlichkeit be- vorstände. Als es dunkel zu werden anfing, tönten in einiger Ent- femiing von der Jurte die dumpfen Schläge der Schamanen- trommel. Ich trat an die Thür der Jurte und sah, wie der Schaman in gemessenem Schritte etwa hundert Schritte von der Jurte seine gleichmässige eintönige Singweise hervorstossend, die Jurte umkreiste und von Zeit zu Zeit stark gegen die Trom- mel schlug. Allmählich wurde der Kreis des Schamanen immer enger und enger, bis er endlich dicht an der äusseren Seite der Jurtenwand entlang schritt und zuletzt durch die Thür in die von dem hellbrennenden Feuer erleuchtete Jurte trat. Jetzt näherte er sich dem Feuer, hielt die Trommel nach allen Kichtungen über dasselbe, so dass der Rauch die Innen- und Aussenseite des Felles der Schamanentrommel bestrich. Dann setzte er sich feierlich zwischen Thür und Feuer nieder und begann einen eintönigen schnarrenden Gesang, der in kurzen abgebrochenen Tönen hervorgestossen wurde. Der Gesang wurde immer leiser und leiser und die von Zeit zu Zeit gegen die Trommel geführten Schläge wurden immer sanfter, bis zuletzt der Gesang in ein leises winmiemdes Klagen und Flüstern über- ging. Darauf erhob sich der Schaman vorsichtig und schritt mit schleichendem Gange in der Jurte nmd um das Feuer, rief den — 54 — t / h i I t I I Namen der Verstorbenen und wandte den Kopf nach allen Seiten, gleichsam als ob er die Gerufene im Hause suche. Zuweilen sprach er mit Fistelstimme, indem er die Stimme der Verstorbenen nachahmte, die ihn wimmernd anflehte, sie bei den Ihrigen zu lassen. Sie fürchte sich vor dem Wege, der sei so endlos weit, dass sie ihn nicht allein zurücklegen könne. Sie möchte so gern hier bei den Kindern verbleiben. Unbarmherzig drängt sie der Schaman durch die Macht seiner Trommel, die er ja vor dem Eintritte in die Jurte mit vielen und mächtigen Geistern gefüllt hat, von einer Ecke der Jurte in die andere. Erst nach langem Suchen und Drängen gelingt es ihm, die Seele der Verstorbenen zwischen Trommel und Orbu zu fassen und sie dann mit der Trommel gegen die Erde zu drücken. Sein Gesang tönt jetzt immer lauter und heftiger, wird aber noch immer von dem leisen Wimmern der Festgehaltenen unter- brochen. Jetzt kehrt der Schaman die Zaubertrommel mit der Vor- derseite zur Erde und schlägt so, dass die Schläge dumpf und hohl tönen, als ob sie tief aus der Erde hervordrängen. Auch der Gesang wird immer dumpfer und nimmt zuletzt einen gur- gelnden Ton an, denn der Schaman entfernt sich von der Jurte und hat den Weg zur Unterwelt, zum Reiche der Todten (üsüt- tär järinä) angetreten. Zugleich wird der Gesang immer leiser und geht zuletzt in ein leises Geflüster über. Mit einem hef- tigen Schlage zeigt er endlich seine Ankunft beim Todtenreiche an. Nunmehr beginnt eine Unterredung mit den im Todtenreiche sich befindenden früher verstorbenen Verwandten, zu denen der Schaman die Todte bringt. Sie verweigern die Aufnahme der neuen Seele. Der Schaman sucht sie zu überreden, bittet und fleht. Alles vergebens. Da ergreift er die Branntweinflasche und credenzt den Todten das Lebenswasser. Sie nehmen es freudig an, es entsteht ein buntes Gewirr von allerlei Stimmen, die allmähhch einen mehr und mehr lallenden Ton annehmen, da der Brannt- wein wirkt. Die Todten singen und jauchzen und daher ge- hngt es ihm endlich, die neue Seele bei ihnen einzuschmuggeln. Jetzt wird der Gesang des Schamanen immer stärker, da er das Todtenreich verlassen hat und sich nun der Oberwelt wiedier nähert. Oben angelangt, springt er plötzlich auf und geräth in heftige Verzückungen. Der Gesang geht zuletzt in ein wildes Schreien über, dabei tanzt der Schaman in wilden Sprüngen in — 55 — der Jurte umher, bis er zuletzt in Schweiss gebadet bewusstlos zur Erde sinkt. Die wilde Scene hatte bei der magischen Beleuchtung des Feuers auf mich einen so mächtigen Eindruck gemacht, dass ich eine Zeitlang den Schamanen mit den Augen verfolgte und ganz und gar die Umgebung vergass. Auch die Altajer waren von der wilden Scene erschüttert, ihre Pfeifen waren zur Erde gesunken und es herrsehte wohl eine Viertelstunde eine lautlose Stille. Auch die Scene im Todtenlande wird von verschiedenen Schamanen und bei verschiedenen Umständen ungleichartig vor- gestellt. Manchmal gelingt es nicht, den Todten einzuschmuggeln, manchmal aber entflieht die Seele dem Schamanen und kehrt zur Jurte zurück, dann folgt er ihr und die Scene beginnt von Neuem. Wenn der Schaman den «JTajyk Kan zu Hülfe ruft, so wird die lustige Zechscene im Todtenreiche plötzlich durch das Andringen von Wogen unterbrochen. Da beginnt ein allge- meiner Wirrwarr, ein wildes Durcheinanderlaufen. Der Schaman ahmt das Brausen des andringenden Wassers nach. Die Todten j schreien um Hülfe, jammern und weinen. Nun wird das schon \ von den Todten fortgetriebene Vieh oder die Seele von Ver- | wandten zur Heimath zurückgetrieben. Manche Schamanen sollen j bei der Ausführung dieser Beschwörung ihr Gesicht mit Buss beschmieren, damit sie in der Unterwelt von den Todten nicht erkannt werden. Das Darbringen des Opfers und das Reinigen des Hauses sind die eigentlichen priesterlichen Handlungen (wenn ich mich so ausdrücken darf) des Schamanen. Bei ihnen hat er seine ganze Kunst zu entwickeln, und der ist der rechte Schaman, der es versteht die Furcht und das Vertrauen seiner Zuhörer zu wecken, so dass sie glauben, dass die Voraussagungen des Schamanen wahre Orakelsprüche seien, durch die sie die Götter zu trösten und zu erheben suchen. Andere Thätigkeiten des Schamanen sind ohne Bedeutung. Segens- und Danksprüche kann 1 auch jeder andere Sterbliche darbringen, ebenso die Libationen dem Jer-su reichen. Wettermachen, Wahrsagen u. s. w. thut ebenfalls der Schaman nicht allein. An den stattfindenden Geburts-, Verheirathungs- und Todes -Feierlichkeiten hat der Schaman keinerlei Antheil, nur wenn ungünstige Constellationen diese Begebenheiten begleiten und man diese durch eine Beschwö- rung auszugleichen versuchen möchte, wird er berufen und thut — 56 — dann einen Tbeil dessen, was wir vorher als Sehamanisiren ge- schildert haben. Es drängt sich uns nun die Frage auf: Ist das Verfahren der Schamanen ein aufrichtiges, sind sie von ihrer Beschwörungs- kraft überzeugt, oder ist es nur eine vom Schamanen seines eigenen Vortheils wegen vor dem abergläubischen Volke gespielte Komödie? Die längst getauften und erst kürzlich zum Christenthum übergegangenen Altajer, Teleuten u. s. w. wie auch die Russen halten den Schamanen für einen wahren Teufelsdiener, der in der That durch seine Beschwörungen Uebernatürliches zu leisten vermag. Dies zeigen uns eine ganze Reihe von Geschichten, die russische Bauern und getaufte Altajer von berühmten Scha- manen erzählen. Wie der Schaman gegen körperlichen Schmerz unempfindlich sei, und was er Schreckliches mit seinem Körper anfange (z. B. glühendes Eisen in den Mund stecke, dass es zischt) ohne den geringsten Schaden davon zu haben. Wir sehen also hier, wie gerade der offenbare Schwindel den grössten Eindruck macht. Dasselbe können wir daraus schliessen, dass nicht lange getaufte, wie ich mich überzeugt, wirklich aus Ueber- zeugung zum Christenthum übergegangene Altajer im Falle von Kre^nkheiten immer noch Nachts heimlich den Schamanen rufen, damit er durch seine Teufelskraft das Unglück abwende, und dass der Glaube an die Teufelskraft des Beschwörers neben dem Glau- ben an die Gotteskraft des Christenthums unbeschadet fortbesteht. So schreibt mir auch Tschivalkoff in seiner Lebensbeschrei- bung (siehe meine Proben der Volkslitteratur, Band I) : Ich sagte zu den Schor: ,, Glaubet nicht an die Worte des Schamanen, das sind alles Lügenworte, Die Schamanen selbst kennen den Glauben des wahren Gottes nicht, sondern glauben an den Teufel und sehamanisiren mit seiner Hülfe '^ Auch der Missionar Werbitzki drückt sich in seiner vorhererwähnten Abhandlung in den ,,Ti)msker Nachrichten^^ folgendermassen aus: y,Ist das Wesen des Schamanen eine ELrankheit, eine Verrücktheit oder eine Spie- gelfechterei? Keines von allen. Die guten Engel werden den Menschen zum Schutze und Segen vom höchsten Herrscher des Himmels geschickt; was thun aber die bösen Geister? Da sie körperlose und vernünftige Wesen sind, können sie natür- lich nicht in voller Unthätigkeit verbleiben. Weil man an ihnen unbedingt ein Streben nach Thätigkeit voraussetzen muss, so — 57 — ist selbstverständlich dieses Streben auf das Böse ge- richtet. Auf wen nun suchen sie in ihrer Bosheit zu wirken? Die materielle Natur verhält sich ihrem Streben gegenüber ge- fühllos, daher ist die einzige Arena für ihre feindliche Hand- lungsweise das Menschengeschlecht. Sie leben in der Welt zwischen den Lieuten wie der Löwe in der Wüste, und wie Eäuber versuchen sie den Menschen überall zu schaden und nach- zustellen. Der unmittelbare Angriff tritt in unseren Gedanken, y Wünschen und Handlungen zu Tage. Wenn wir wachsam sind, 80 kämpfen wir mit ihnen und verdrängen, sie durch die Hülfe Gottes und die Gewalt des Kreuzes. Wodurch kann sie aber der ungetaufte Mensch, der sich als solcher ganz unter ihrer Gewalt befindet, von sich entfernen?" An einer anderen Stelle sagt derselbe Missionar: „Es giebt Beispiele, dass die Kosaken einen verzückten Schamanen nicht durch Knutenhiebe aujs seiner Extase zu bringen vermochten, andererseits giebt es Beispiele (ich spreche aus eigener Erfahrung), dass der priesterliche Segen ganz allein hinreichte, dass dem in Extase gerathenen Schama- nen augenblicklich die Trommel aus der Hand fiel." Ich konnte mir nicht versagen die Ansicht des geehrten Missionars hier wörtlich in ihrem ganzen Umfange anzuführen, nicht imi sie zu widerlegen, sondern da sie uns am deutlichsten zeigt, wie sich hier Christenthum xmd Heidenthum gegenüberstehen und unter welchen Auspicien hier das Christenthum wirkt. Der Missionar philosophirt ganz richtig, wenn er als solcher die frühere Re- ligion der Neugetauften als ein Teufelswerk, als einen Ausfluss böser Geister darstellt, denn dadurch stellt er das von ihm selbst gepredigte Kreuz in ein schärferes Licht und zeigt am klarsten die Vortheile des Religionswechsels. Es macht aber einen wahr- haft komischen Eindruck, wenn der Herr Missionar diese Tirade am Schlüsse seiner Darlegung der Opferbeschwörung des Scha- manen, die an Ülgön, den höchsten Gott des BQmmels, gerichtet ist, vorbringt, wo der Schaman sich demuthsvoll vor der Gott- heit verneigt und ihre Gnade und milde Huld erfleht, um Schutz bittet gegen die bÖsen Geister, nachdem er vor Beginn der Cere- monie den „Thürhüter-Geist" angefleht hat, er möchte die bösen Geister ferne von der Jurte halten, damit sie ihn nicht in seinen Ceremonien stören und einen unglücklichen Ausgang des Opfers veranlassen. Da kann man nur mit Schiller' s Jungfrau von Orleans sagen: „Du nennst mich Zauberin, giebst mir Künste — 58 — der Hölle Schuld; ist Friedenstiften Hass, Versöhnen ein Gre- schäft der Hölle? ^' Ich glaube, jeder Leser wird sich nach Durchlesung der Beschwörungsformeln beim Opfergebete überzeugt haben, dass die armen Schamanen lange nicht so schlimm sind wie ihr Ruf. Sie sind die Träger der ethischen Idee ihres Volkes, in ihren Gebeten spiegelt sich dieselbe Furcht vor den bösen Mächten ab, dieselbe Hoffnung auf Hülfe der Gottheit des Lichtes, die das Volk bewegt, und zwar in derselben materiellen, wenn ich so sagen ^ darf, ungeistigen Weise. In den Handlungen der Schamanen sind Wahrheit und Dichtung eng gepaart und untrennbar zu einem Ganzen verschmolzen, ebenso wie bei vielen Priestern anderer Religionen. Innerlich ist der Schaman gewiss von der Wahrheit seiner Darstellung überzeugt, er geräth gewiss in wahre Ver- zückung und dem Wahnsinn nahe Hallucinationen mögen ihn häufig in einen Zustand vollkommener Bewusstlosigkeit versetzen. Damit will ich nicht gesagt haben, dass er nur in diesem Zu- stande schamanisire, häufig genug sagt er gewiss seine ihm be- kannten Formeln her, eben nur, um sein Gewerbe auszuüben, und nicht selten mag er auch durch seine Wahrsagungen sich ein bal- diges fettes Opfermahl im Zustande vollkommener Ueberlegung und mit voller, vorbedachter Absicht zu verschaffen suchen. Das hindert ihn aber keineswegs, an die Wahrheit seiner Ceremonien zu glauben, er ist eben ein Kind der rohen Natur, das haupt- sächlich nur von äusseren Eindrücken geleitet wird. Uebrigens glaube ich nicht, dass die Schamanen viel schlechter sind als die Priester anderer Religionen. Gewiss giebt es auch nicht we- nige christliche Priester, die die hoch erhabenen Worte des Evangeliuibs wie leere Formeln, ohne irgend welchen Inhalt herplappern, fromme Worte im Munde führen und die vorge- schriebenen Ceremonien ihrer Kirche verrichten um des eigenen Vortheils willen und nicht aus innerer Glaubensüberzeugung. Dass das Schamanenthum niedriger steht als die es umgebenden und gleichsam einengenden grossen drei Religionsgemeinschaften, das Christenthum, der Mohammedanismus und der Buddhismus, dagegen wird Niemand streiten, dass es aber auch gewisse ethische Bestrebungen fördert und enthält, ist nicht weniger wahr. Der Einfluss des Buddhismuss hat zum grössten Theil den alten Schamanenglauben bei den Sojonen verdrängt; den Grad — 59 — der Einwirkung und der Verminderung, welche dieses Ein- dringen des Buddhismus bewirkt hat, festzustellen, bin ich nicht im Stande, da es mir an Material fehlt, um genauere Schlüsse zu ziehen. Weit grösseren Ein£uss hat auf die Türk- Völker der Mohammedanismus gehabt und ihm ist es, wie ich schon oben erwähnt, zum grössten Theil gelungen, den Scha- manismus vollständig auszurotten, trotzdem finden wir bei ein- zelnen Stämmen der türkischen Nomaden noch deutliche Spuren der früheren Religion. Nähere Angaben vermag ich in dieser Beziehung nur über die Kasak-Kirgisen zu machen. Bei den Kirgisen giebt es noch viele Gebräuche, die sehr deut- Hch als Spuren des früheren Schamanenglaubens angesehen wer- den können. Alle diese heidnischen Gebräuche hier zu erörtern, würde mich zu weit führen; es möge genügen, hier der Baksa oder Wunderdoctoren zu erwähnen, die offenbar die Schamanen selbst sind, welche durch die Mulla' s von ihrem Standpunkt der religiösen Führung des Volkes herabgestossen sind und nur noch als Charlatane, Wunderdoctoren, Wahrsager beim Volke ein ge- wisses Ansehen gemessen. Nicht uninteressant wird es sein, zu beobachten, welche Veränderung mit den Schamanengebeten unter dem Drucke der mohammedanischen Glaubenslehre vor sich gegangen ist. Der Baksa unterscheidet sich schon in seinem Aeusseren von einem rechtgläubigen Mohammedaner, d. h. von dem jetzt allgemein üblichen Aeusseren der Kirgisen. Während die letzte- ren ihr Haupthaar gewöhnlich sehr glatt abscheeren, tragen die Baksa nur die Mitte des Kopfes abrasirt, lassen aber die Haare auf der Seite des Kopfes etwa fünf Finger breit über den Schläfen und den Ohren stehen und etwa 3 — 4 Zoll herab- hängen. Eine solche heidnische Haartracht ist fanatischen Mo- hammedanern ein wahrer Gräuel; ich habe selbst gesehen, wie sich tatarische Kaufleute von einem Baksa mit Abscheu abwen- deten und entsetzt ausspieen. In der Kleidung unterscheidet sich der Baksa nur dadurch, dass er ein etwas höheres Kapsel als die übrigen trägt und ausserdem noch einen Federbüschel an demselben befestigt. An- statt der Schamanentrommel wendet der Baksa eine Art Geige oder vielmehr Violoncell an, das etw^ 3 — 4^/^ Puss hoch ist und Kobus genannt wird. Diesen Kobus stellt der Baksa vor sich, wie unsere Musikanten das Violoncell, und streicht auf ihm mit — 60 — einem dem Bassgeigen-Bogen ähnlichen Bogen. Auf demKobus sind zwei Saiten aus gedrehten Pferdehaaren ausgespannt und an dem Griffe eine Menge Eisenklappem befestigt, die, wenn der Spieler die Geige bewegt, ein rasselndes Geräusch verursachen. . Ausser- dem hat der Baksa einen Stab (assa), an dessen oberem Ende ein viereckiges Brettchen angebracht ist, an dem mehrere Glöck- chen und Eisenstücke hängen. Der Mann beginnt seinen Hokus- pokus (bei den Kirgisen hat die Beschwörung des Baksa keine andere Bedeutung) mit einem Spiel auf dem Kobus, das er mit einem eintönigen Gesänge begleitet. Dann ergreift er den Stab und schwingt ihn unter einem wilden Tanze, wodurch er ein schreckliches Geräusch verursacht. Oft fuhren zwei Baksa die Beschwörung aus, dann spielt einer den Kobus und der andere springt und tanzt mit dem Stabe. Noch andere Baksa giebt es, die ohne alle Instnunente ihre Beschwörungen ausführen. Während der Beschwörung geräth der Gaukler gerade ebenso in Verzückung wie der Schaman, so dass auch er von mehreren Menschen festgehalten werden muss, damit er kein Unheil an- richte. Ja, da der Baksa-Glaube in der Volksethik keine Stütze mehr findet, so scheint es, dass der Baksa noch mehr durch das Furchterregende seiner Erscheinung wirken muss, als der Scha- man. Er macht daher die grässlichsten Sprünge, rollt schreck- lich mit den Augen, fletscht die Zähne, zuckt und schlägt um sich wie ein Wahnsinniger. In Extase vollbringt er schauer- liche Kunststücke, von denen die Kirgisen nur mit Entsetzen zu reden vermögen. Man erzählte mir überall, dass die Baksa glühendes Eisen anfassen, grosse Nadeln sich zolltief in's Fleisch stossen, an glühendem Eisen lecken, auf glühendes Eisen mit blossen Füssen treten, so dass es zischt, wie wenn man Wasser auf das Eisen giesst. Die schrecklichen Sprünge und die Grimassen des Baksa habe ich selbst mit angesehen, die anderen Kunst- stücke weigerte sich derselbe auf mein Verlangen zu machen; dies könne er nur dann, wenn er wahrhaft vom Geiste berückt sei. Gewiss sind die obenerwähnten Handlungen des Baksa Taschenspielerkunststücke, mit denen er die Zuschauer täuscht» Dabei soll ein Baksa jedesmal, wenn er etwas Entsetzliches ausführt, mit lauter Stimme ausrufen: „Schaut nicht her! schaut nicht her! Der Geist berückt euch die Augen!" Selbstverständ- lich blicken die Zuschauer nur pait halbem Auge hin und sehen von Furcht erfüllt vielleicht mehr als wirklich vor sich gegangen. — 61 — So kann ich mir nur die Erzählungen sonst glauhwürdiger Leute erklären. Aus allen Mittheilungen derselben wurde mir aber das Eine klar, dass die Eargisen den Baksa desto mehr achten und desto reicher belohnen, je öfter er ihnen grausige Kunst- stücke vormacht. Ist ein Kirgise erkrankt, so dass man für sein Leben fürchtet, und hat die Heilkunst der alten Weiber nicht geholfen, so lässt man einen Baksa rufen (d. h. solche Leute rufen den Baksa, die keine mohammedanische Bildung erhalten haben, diese letzte- ren lassen den Mulla rufen und Gebete lesen). Der Baksa befühlt zuerst den Puls des Kranken, wobei er allerlei unverständliche Worte herrorstösst. Dann setzt er sich mit dem Kobus hin und spielt dem Kranken mehrere Melodien vor, die er mit dem Hasseln des Kobus begleitet und zu dem er mit halber Stimme seine Lieder singt. Darauf nimmt er die Kumalak (Schafmist- kömer) und weissagt mit diesen die Ursache der Krankheit und was für ein Opfer nöthig ist, um die Krankheit zu heben. Das Opferthier wird von ihm genau bezeichnet, d. h. die Farbe und eine Reihe von Merkmalen angegeben, an denen man das Schaf erkennen kann. Als Beweis der Wahrheit der Weissagungen des Baksa wurde mir erzählt, dass sich meist ein so genau bezeichnetes Schaf in der Heerde des Wirthes oder doch wenigstens bei einem Nachbarn finde. Ich ersehe daraus weiter nichts, als dass dei* Baksa gewiss vor dem Weissagen, die Heerde des Kranken besucht hat oder durch einen anderen Helfershelfer hat besichtigen lassen. Eines der gewöhnlichsten Merkmale ist nämlich, dass das Schaf gross und fett sei. Dasselbe wird nun gemäss mohammedanischer Vorschrift ohne weitere Ceremonien des Baksa geschlachtet, das Fleisch zerschnitten und in den Kessel gethan und die Nachbarn zum Mahle eingeladen. Sobald das Schaf geschlachtet ist, reisst der Baksa selbst unter Murmeln von Beschwörungsformeln die Lunge aus dem Thiere, begiebt sich eilig zum Kranken und schlägt ihn dreimal mit der noch warmen Lunge. Dann nimmt er die letztere, in die die Krankheit übergegangen sein soll, und wirft sie den Hunden vor und sieht zu, dass sie bis auf das letzte Stück verzehrt wird. Alsdann ergreift er seinen Assa und führt mit ihm einen wilden Tanz aus, bei dem er in die höchste Extase geräth. Nach- dem die Baksa-Beschwörung beendigt, setzt man sich zum Mahle, — 62 — an dem alle, ausser dem Kranken, theilnehmen. Als Lohn für seinen Dienst erhält der Baksa die besten Stücke beim Mahle und ausserdem noch das Fell des Opferthieres. Reiche Leute geben dem Baksa noch andere Geschenke, ein Schaf oder einen Rock aus Durja. Nach dem Mahle macht der Baksa gewöhn- lich Mittheilungen darüber, was er -vom Geiste (dem Dshin) erfahren habe, jedoch sind diese Aussagen nie klar und be- stimmt, wie z.B.: wenn das Wetter sich in acht Tagen ändert, wird der Kranke gesund, sonst muss er sterben; oder: wenn der Kranke in so und so viel Tagen nicht stirbt, so wird er gesund. Bis zu der bestimmten Zeit bleibt der Baksa an der Seite des Kranken und hält täglich Gesänge und Tänze mit Beschwörungen ab. Die Kunststücke mit Messern oder glühendem Eisen wieder- holt der Baksa fast bei jeder Beschwörung und sollen die körperlichen Qualen des Beschwörers jedesmal einen kleinen Theil der Krankheit heben, indem er in seiner Verzückung den Schmelz des Kranken auf sich nimmt. Die Kjiochen des ge- opferten Schafes werden sauber gereinigt, auf den Schädel malt dann der Baksa allerlei Figuren, darauf formt derselbe aus Teig allerlei Thiere: Kameele, Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen, und thut die Knochen und alle diese Nachbildungen in einen Sack, nachdem er sie mit bunten Fäden umwickelt hat. Den Sack aber trägt er selbst an einen öden Ort und vergräbt ihn unter allerlei Ceremonien. Niemand darf diesen Ort kennen, denn wenn die Knochen wieder zu Tage kommen sollten, so wäre dies ein furchtbares Unglück für den Opferer. Zu bemerken ist noch, dass man mir erzählt hat, der Baksa liebe nicht bei schweren Kranken zu erscheinen, aber er führe gern seine Beschwörungen und Heilkuren bei leichten Kranken aus. Manchmal soll er sogar dem Kranken erklären, hier könne seine Beschwörung nicht helfen. Wird der Kranke zur fest- gesetzten Zeit gesund, so erhält der Baksa ein ansehnliches Geschenk. Die Baksaßlhigkeit ist, wie die Schamanenkraft, auch in der Familie erblich; es muss aber jeder angehende Baksa von einem erfahrenen Mitgliede der Zunft unterrichtet werden und erst nach längerem Zusammenleben ertheilt der Lehrmeister dem Schüler seinen Segen; darauf beginnt dieser seine selbständige Thätigkeit als Baksa. Während der Lehrzeit begleitet der Schü- ler den Lehrer zu den Beschwörungen, ist ihm behülflich und — 63 — übernimmt selbst einen Theil des Gesanges oder Easselns mit dem Assa. Wenn zwei Baksa zusammenwirken, so ist immer der eine der Lehrer und der andere der Schüler. Ein grosser Theil der Kirgisen hält die Baksa für Schwind- ler und Charlatane; die meisten Kirgisen glauben aber, dass sie von bösen Geistern besessen seien und dass sie durch die Kraft der in ihnen wohnenden Geister alle die gesagten Wunder thun. Auf mich machten die Baksa, die ich gesehen, den Eindruck von Charlatanen und Taschenspielern, die durch Kunststücke dem Volke die Augen blenden. Ihr Gang und ihre Spielweise hatten etwas Affectirtes, Unnatürliches; jedenfalls wollen sie mehr scheinen als sie sind und spielen auch den Baksa bei allen ihren gewöhnlichen Verrichtungen. Einer der Baksa, die ich gesehen, führte stets fromme Redensarten; bei jeder Hand- lung, die er unternahm, wie Trinken, Niedersetzen u. s.w., seufzte er ein lautes ,,Bismillah!** (nlm Namen Gottes!**) vor sich hin, und jeder Rede, die er that, fügte er ein ,,Wallahi, Billahi!** („Bei Gott!**) hinzu, was bei den Kirgisen nur einige ganz alte Leute zu thun pflegen. Vielleicht wollte er durch diese Redensarten sich als echter Muselman beglaubigen. Mancher Baksa soll immer einen geistig Gestörten nachahmen und stets Grimassen schnei- den, als ob er, wenn er auch nicht die Beschwörung ausführt, von bösen Geistern besessen sei. In der Kulunda gelang es mir, einen Baksagesang aufzu- schreiben. Da er aber zum grössten Theil ein buntes Gemisch von unverständlichen Andeutungen ist, so will ich ihn hier nur theilweise und im Auszuge mittheilen. Der Gesang beginnt mit der mohammedanischen Anrufung Gottes, Mohammeds und der Propheten. Durch die Anrufung documentirt sich also der Baksa als ein echter Muselman, was für ihn sehr wichtig ist. Er mag als Besessener gelten, das schadet ihm nichts, nur darf er sich nicht als Ungläubiger (kapyr) erweisen. • Dich, Gott, fleh' zuerst ich an, Hilf uns, die wir zu dir beten. Gieb du die gebet'ne Bitte! Gebe du dem Weibe Kinder! Guter Gott, du gabenreicher! Der zuerst erschuf den Himmel, Dann die Erde hat erschaffen. Dich, Gott, bet vor Allen an ich. Dann bet' ich zu Mohammed; — 64 — Jeiaem sind wir Diener, SclavMi, Diesem gläubige Genossen, Dann das Drift' ist Gott der Himmel Und das Vierte die Chalifen, Dann die achtundachtzig Scheiche, Dann die hundertzwanzig Tausend, Der Propheten grosse Menge, All' die Heiligen von Mekka Und die Heil'gen von Medina. An dieses Gebet schliesst sich die Anrufung einer Anzahl von Heiligen, die an den Jersu der Altajer, die siebzehn Käme der Berge und Flüsse erinnern, die der Schaman in seine Trom- mel ruft, ehe er die Beschwörung beginnt. Tschyngys Kan, du Heiliger! Auf dem rothen Bergesgipfel, Ihr, die Mädchen-Heiligen! Auf des Ochsenberges Gipfel, Ihr, die Ochsen-Heihgen! Auf des Widderberges Gipfel, Ihr, die kahlköpfigen Heiligen! Auf dem Berg des Elennthieres, Auch der Drache, der hervorkam Aus des Berges düsterm Innern, Bek Asyt, des Bekpän Vater, Der nicht todt, nenn' ich ihn todt auch, Lebend nicht, nenn*^ ich um lebend. Darauf rief der Baksa die Vorfahren der Kirgisen-Geschlech- ter der mittleren Horde an und zwar den Stamm Argyn, zu dem er selber gehörte. (Wir sehen also hier auch Spuren der alten Vorfahren- Verehrung, die das wahre Sehamanenthum cha- rakterisirt.) Er, Köktschö, der Üwak Vorfahr! Dessen Heldenkraft bekannt uns. Viele schoss er mit dem Bogen, Tausende mit seiner Flinte, Kara-Koscha, Argyn's Vater! Abylai, der Horde Fürst, Tödtete einst Kasy-Bek; Er, der barfussige Asis, Er hat sich dem Herrn ergeben, Tor-Aigyr, mit den vier Söhnen, Turdu Bek, es war sein Onkel, Meiner Mutter Vater ist er, Tungkat von dem Dschagalbai-Stamm. — 65 — Ebenso ruft er den Kuban-Bai an , den Vorfahren der Kara Kesäk; den Kendy-Bai, den Vorfahren der Kara Keräi; den Schöin Katsl, den Vorfahren des Stammes Tas; KentBuga, vom Stamme Tersten Bala: Burlubai, den Vorfahren des Stammes Bassentin. Jetzt wendet sich der Baksa an die Geister, die ihm bei seiner Heilmethode helfen sollen. Ganz zuerst schuf Gott die Geister, Schuf sie besser als die Andern, • Kent Buga, den Geister -Vorfahr, Sar' Asban, den Geister -Vater, (Quäle mich nicht, Sar' Asban!) Berdi-Bai, den Geister -Vater; Ärkäü ist der Geister Schlachtruf, Hab' in' Himmel fünf der Geister, Schneiden mich mit' vierzig Messern, Stechen mich mit vierzig Nadeln, Und sie Hessen mir am Scheitel Einen langen Haarzopf wachsen! Unterwarfen mich dem Dämon, Lehrten mich das Ungewohnte, Banden fest mich an den Kobus, Hiessen mich den Segen sprechen, Opferschaf mit gelben Köpfen liessen schlachten sie im Hause, Fest im Körper setzten sie sich, Drehten mir im Krampf die Glieder. Nach einem mir unverständlichen Anrufe an die zehn Kosha der Niederung und die vierzig Kosha der Höhe mit ihrem Chef Kasrät Kosha, der die Todten lebendig macht und dem Vieh und den Menschen den Samen giebt, ftlhrt er in der Beschwö- rung fort: Meine Kechte dreh' im Kreis ich, Frage meine linke Hand, Im Gebet den Kopf gestützt. Kämmend mir das Haar zur Sonne, Kenne nicht des Vaters Einfluss, Hab' nicht Muttermilch gesogen. Mit dem Winde sieben Hasen, Sie mit Zaubermitteln bindend. Habe ich hierher getrieben. Bin gedrückt von sieben Hacken, Eingetaucht in sieben Kessel. Geister rief ich vom Kambar, Die da in der Feme leben, Einen Gruss der Eisenseele! Gieb mir Nachricht Eisenseele! Radi off, Aus SibirieD. IL 5 — 66 — Sammle du ein mächtig Heer! Stecke auf die £isenfahnel Von der Nied'rung hergelaufen Kommen zehn der Wölfe jetzt, Unter allen diesen Wölfen Ist der blaue mit sechs Bachen; Bei des blauen Geistes Volk Lebt das Kind des Dshuma-Bai. Kosa-Bai, der blaue Eber, Ist der böseste der Geister, Zieht die Stimhaut tief in Falten, Streitet sich mit allen Geistern, Hängtest dich an meine Windeln, Fand' st mich auf im elften Jahre. Unter vielen, ganz unverständlichen Anspielungen, die mir trotz allen meinen Fragen der Baksa nicht erklären konnte oder wollte, erwähnt er noch eine ganze Reihe von Geistem: Bai Kabyl, Koibak, Kämängär Kösümböt, Mängäi-Dshüsdi, mit deren Wiedergabe ich den Leser nicht unnütz ermüden will. Zum Schluss wendet er sich, ganz im Geiste aller kirgisischen Sänger, an die anwesenden Zuhörer mit einer ehrenden Erwähnung des gegenwärtigen Stammführers des Geschlechtes der Argun, des Aga-Sultan des Semipalatinskischen Bezirkes: Hier am Wege liegt ein Heer, Unter diesen dichten Schaaren Ist der Sultan Kara Bek, Ist ein Fürst Tiläu Bärdi, Argyn's Kasy, meine Sohle, Trefflichkeit der Niederung, Fürstenkind, du aus der Höhe! Schon aus diesem Auszuge der mir gewiss unvollstän- dig und ungenau dictirten Baksa -Beschwörung kann man er- sehen, dass die Beschwörung des Baksa die religiöse Weltan- schauung des Schamanenthums, die Naturreligion, verlassen hat, und da sie jedwede ethische Grundlage verloren, zu einem mystischen, dem Sprecher selbst unverständlichen Complexe von auswendig gelernten Formeln herabgesunken ist. Trotz alledem sind aher noch Spuren aller früheren Elemente des Schamanen- dienstes verblieben, wie das Anrufen der Erdenhelden, die auf Bergen wohnen, und die Aufzählung der Vorfahren. Der innere Grund dieser Anrufe ist aber vollkommen verloren gegangen. Dass das Schamanenthum früher bei allen türkischen Völ- kern verbreitet war, können wir deutlich aus der Verbreitung V — 67 — der türkischen Benennung des Schamanen, dem Worte Kam, er- kennen. Das älteste Scluiftdenkmal der türkischen Literatur, das im Jahre 1069 verfasste uigurische Kudatku Bilik, kennt das Wort Kaniy und Vamh6ry giebt es in seiner Ausgabe dieses Werkes durch ,, Quacksalber, Wahrsager" wieder. Ob diese Be- deutung genau, vermag ich nicht zu bestimmen. Es tritt zwei Mal im Kudatku Bilik auf. An. der ersten Stelle heisst es: Der Besprecher giebt es viele, Die des Windes Krankheit heilen, An die musst du, Herr, dich wenden, Von der Krankheit helfen Sprüche; SoU der Kam dir aber nützen, Musst du, Herr, ihm aUes glauben, Seine Worte liebt der Arzt nicht, Er entfernt vom Mukasim sich. Mukasim, das hier gleich Kam gesetzte Wort, ist ein ara- bisches Wort und bedeutet: ,, derjenige, welcher Schwüre aus- stösst". An der zweiten Stelle heisst es: ,, halte entweder einen Arzt oder halte einen Kam^^. Hier also wiederum der Gegen- satz zwischen Ot-tschi (Arzt), d. h. der, welcher Medicin giebt, und Kam, der durch Wörter und Beschwörungen heilt. In seinen dschagataischen Studien führt Vambery das Wort Kam als ein noch heute in Mittelasien gebrauchtes Wort auf und zwar in der Bedeutung: Arzt, Quacksalber, Zauberer, Wunder- doctor; dasselbe thut Pavet de Courteille im Dictionnaire Turc- Orientale. Ebenso finden wir das Wort Kam in dem Zweitältesten Sprachdenkmale türkischer Sprache, dem im Jahre 1303 von einem Italiener geschriebenen Wörterverzeichnisse der Sprache der Komanen, d. h. des damals in Südrussland wohnenden Türk- stammes, welcher schon im XII. Jahrhundert zum Theil nach Ungarn auswanderte. Dieses Wörterverzeiclmiss findet sich iyi Codex Comanicus, der noch jetzt in der Marcus-Bibliothek in Venedig sich befindet. Dort finden wir auf Seite 9 der Aus- gabe des Grafen Kunu ,,Incantatrix" (Hexe) durch ,,kam katun kisi dir". Doch dies ist ein Kam -Weib genannter Mensch, Und einige Zeilen vorher „adiuino" = ,,ich mache eine Beschwörung" durch ,,kamlik etermen", d. h. ,,ich mache ein Kam -Geschäft." (Kamlik heisst auch im Altai eine Kam-Bescliwörung.) 5* VIL Sibirische Alterthümer. BeBchreibunfj lier Gräber, GrabBteine; Steiugräber iks Jenissci -Thaies, St«ingräber des Altai; Steinhügel- Gräber, Erdhügel -Gräber. Oefinung TOii Stfingrabem im Jeniasei-Thale und im Altai. Ooßnung von St«iii- hüg«l-Grabem in dem grossen Giabe an der KaUnda. — 109 — Meiner Meinung nach war das Grab bis zu den Querbalken früher geöffnet und ausgeraubt worden; gewiss fanden sich die den Todten beigegebenen Gegenstände und die Pferde oberhalb der Querbalken. Dies beweisen die zerstreut im oberen Theile der Grabhöhle und im Grabhügel gefundenen Pferdeknochen und eisernen Gegenstände, welche die Graböffner als unnütz im Grabe zurückliessen. Ausser dem grossen Grabe Hess ich auf dem zweiten Grab- felde noch neun kleine Gräber öffnen, von denen vier sich als unversehrt erwiesen. Alle vier waren, nach den bei den Skeletten gefundenen Gegenständen zu urtheilen, männliche Skelette. Das erste Grab lag östlich vom grossen Kurgane. Einrichtung wie die Gräber des eraten Grabfeldes. In der Tiefe von 2 Arschin stiessen wir auf ein Pferdeskelett (mit dem Kopfe nach Osten liegend), bei demselben eiserner Zaum, Steigbügel und eine eiserne Schnalle ; ^/g Arschin tiefer männliches Skelett, 2 Arschin 7^/2 Werschok lang. An seiner linken Seite befand sich ein grades, spitzes Schwert, 17 dreikantige eiserne Pfeilspitzen und einige Pfeilspitzen aus Knochen. Auf der Brust lagen einige Zeugstücke, etwas höher Rückenwirbel eines Schafes. In der Gegend des Kopfes war ein kleines silbernes GefUss mit einem Henkel. Alle Knochen lagen in vollkommener Ordnung, nur der Kopf befand sich zur .rechten Seite des Leichnams, rechts von den falschen Rippen. Das zweite Grab unterschied sich dadurch, dass hier sowohl das^Pferd wie auch der Leichnam des Mannes mit dem Kopfe nach Westen gelegt waren. Bei dem Leichname des Mannes be- fanden sich ausser einigen eisernen Pfeilen noch ein Feuerstahl tmd ein rother Stein, der offenbar als Feuerstein gedient hatte. In dem dritten und vierten Grabe, die sich in ihrer Ein- richtung nicht von den vorher erwähnten unterschieden, fanden sich ausser einer Bogenverzierung und eisernen Pfeilen noch ein eiserner Kelt und eine aus Knochen geschnitzte GurtschnaUe. In einem fünften, ganz kleinen Grabe, dessen Hügel kaum mehr als 2 Arschin im Durchmesser betrug, war etwa ^/q Arschin tmter dem Erdboden ein Schaf vergraben. — 110 ~ Oeffnung «Ines Grabffeldes in der Berelsteppe, nicht weit vom Ufer der oberen Buchtarma, vom 12. Juli bis 9. August 1865. Etwa 6 Werst unterhalb der Mündung des Berelflusses bilden die Ausläufer der nördlichen Berge eine kleine Hoch- ebene, die 30 — 40 Faden hoher als die Berelsteppe gelegen ist. Auf diesem Plateau liegen nicht weit vom südlichen Bande desselben etwa 20 ziemlich bedeutende Grabhügel, die aus grossen Steinen aufgeschichtet sind. Dei* grösste Theil dieser Grabhügel hatte über 8 Faden im Durchmesser. Nur 4 Kur- gane lagen in der Nähe des Flusses, die übrigen etwa 1 ^/g Werst weiter nach Norden. Ich öffnete hierselbst 4 Kurgane in der Nähe des Flusses und ausserdem 3 Kurgane der zweiten Gruppe. Der eine Kurgan dicht beim Flusse war 2^/^ — 3 Faden hoch und hatte über 14 Faden im Durchmesser. Er war vollkommen regelmässig angelegt und zeigte nirgends eine Spur von früherer Oeffnung. Es existirt im Volke die Sage, hier sei eine Prinzessin begraben, die auf einem goldenen Stuhle sitze. Der Grabhügel war so bedeutend, dass ich beschloss, den ganzen Hügel zu entfernen. Um den Grabhügel, der überall gleichmässig aus Steinen bestand, weg- zuschaffen, mussten wir bis zum 23. JuK arbeiten. Die Steine des Grabhügels waren hier in regelmässigen Reihen aufgeschich- tet, erst eine Reihe flacher, dann eine Reihe runder Steine, die Zwischenräume zwischen den runden Steinen waren mit Fluss- kieseln ausgefüllt. Zwischen den Steinen des Grabhügels ^nd sich das Skelett eines Pferdes, ein eiserner Zaum und zwei eiserne Steigbügel. Ob die Knochen des Thieres in richtiger Ordnung lagen, vermag ich nicht anzugeben. Meine Arbeiter hielten mir den Fund verborgen und die eisernen Gegenstände wurden mir erst am folgenden Tage nach der Auffindung einge- händigt. Als wir die Oberfläche der Erde erreicht hatten, fand sich in der Mitte des Hügels eine grosse Grabhöhle von 3^/2 Faden Länge und 3 Faden Breite. Obgleich der ganze Boden hier fest gefroren war, so konnte man die Grabhöhle doch deutlich erkennen, denn sie war mit Sand und Lehm zugeschüttet. In den festgefrorenen Boden vermochten wir nur mit Hülfe des Feuers vorzudringen. Die Arbeit ging auch hier höchst langsam vorwärts, denn bis zum 28. Juli waren wir erst 2^/^ Faden tief in die Grabhöhle eingedrungen. In dieser Tiefe stiessen wir — 111 — im südlichen Theile der^ Grabhöhle auf eine Lage von Balken. Im oberen Theile der Grabhöhle war bis zu einer Tiefe von 1 Faden keine Spur von Steinen zu finden gewesen, dann aber zeigten sich sowohl im westlichen wie auch im östlichen Theile vereinzelte riesige Steinblöcke. Als ich am 29. Juli die gailze Grabkammer gleichmässig reinigen Hess, fanden wir im südlichen Theile eine Holzlage, im nördlichen hingegen eine Lage von Birkenrinde ausgebreitet. Nach Forträumen der Birkenrinde zeigte sich, dass der ganze nördliche Theil mit Pferdeskeletten bedeckt war. Es lagen hier 16 Pferde, alle mit dem Kopfe nach Osten, und zwar in 4 Reihen zu je 4 Pferden. Bei den ersten beiden nach Osten gerichteten Reihen fanden sich eiserne Gebisse. Diese 8 Pferde waren mit einer dichten Schicht von aus Birkenrinde und Holz geschnitzten Verzierungen bedeckt, die zum grössten Theile mit feinen Goldplatten belegt waren; besonders viele Goldplättchen fanden sich auf der ersten Reihe. Unterhalb der Pferde war fester Boden. Es war unmöglich, die Lage der Pferde und der Verzierungen genau zu bestimmen, da der an den Seitenwänden der Grabhöhle aufthauende Schnee herabfloss und die Grabhöhle sich fortwährend mit einer mehrere Zoll starken, sehr dünnflüssigen Schmutzschicht anfüllte. Am folgenden Tage Hess ich die Holzlage des südlichen Theils der Grabhöhle reinigen und dann forträumen. Wir fanden hier am ostlichen und westHchen Ende vier sauber behauene Querhölzer und zwischen ihnen lagen der Länge nach ineinandergefügte Bretter. Es zeigte sich in der Folge, dass sich in der Mitte ein 1 ^1^ Arschin im Durchmesser haltender , ausgehöhlter halber Baumstamm befand, und dass an diesem zwei Planken befestigt waren; das Ganze war aus Lärchenholz gezimmert und mit Birkenrinde bedeckt. Als die obere Birkenrindenschicht entfernt war, gewahrte man, dass an den vier Ecken des ausgehöhlten Baumstammes vier aus Kupfer gegossene Vögel angebracht waren, an jeder Seite ein Vogel mit aufgehobenen und einer mit herabhängenden Flügeln. Zu beiden Seiten des hohlen Stammes zeigten sich zwei saubere, aus Steinplatten zusammen- gefügte Rechtecke. Als all dieses Holz und die Steine fortge- räumt waren, öffnete sich eine rechteckige Grabhöhle, die etwas kleiner als die Holzdecke war und die in einer Tiefe von etwa 1 ^/g Arschin unterhalb der Holzdecke mit Lehm und Fluss- kieseln angefüllt war. Unterhalb der Holzdecke war ein voll- — 112 — ständig verwestes Pferdeskelett. Hier war die Erde nicht mehr gefroren. In einer Tiefe von lO^/g Arschin unter der Erdoher- fläche stiess ich auf menschliche Knochen und zwar Arm- und Beinknochen. Diese lagen aher nicht der Länge des Grahes nach, sondern querüher, die Armknochen hefanden sich gerade unter dem nördlichen Rande der Grabhöhle; ich Hess die ganze nördliche Wand durchwühlen, fand aber nur noch Spuren von zwei oder drei Rippen. Die Knochen hatten so von der Feuchtig- keit gelitten, dass sie nur als Staub und Splitter herausgenommen werden konnten. In der Nähe der menschlichen Knochen fanden sich noch einzelne Spuren von Kupfer-, und wenigen kleinen Goldplatten. Im südöstlichen Winkel der Höhle wurde noch in der Tiefe des Skelettes ein Haufen Kohle und Asche gefunden. Unterhalb der menschlichen Knochen war steiniger Boden, offen- bar der Boden des Gewölbes. Da in den letzten Tagen Regen- wetter geherrscht, so fingen die Ränder der Grabhöhle an herab- zustürzen und wir mussten am 8. August die Arbeit einstellen. Jedenfalls scheint mir das eigentliche Grab ausgeraubt; dass dies in der Nacht während der Arbeit . geschehen sei , ist mir unwahrscheinlich, denn die menschlichen Knochen lagen zum Theil in Ordnung und ich hatte einen Posten bei dem Grabe ausgestellt. Vielleicht ist aber auch das Grab zur Zeit der Ein- richtung schon beraubt worden. Von den übrigen kleineren Grabhügeln, die ich in der Berelsteppe öffnete, zeigten alle dieselbe Einrichtung wie die Gräber an der Katanda. In allen Gräbern fanden sich Pferde, in einem sogar 5 an der Zahl, stets etwa l^/g Arschin höher begraben als die Menschen. Zu bemerken ist noch, dass sich in mehreren Gräbern silberner Schmuck vorfand, dann sehr gut gearbeitete Thongeschirre, ein Messer in einer Scheide und ein Messer und ein Dolch, die ganz nach Art der Messer und Dolche der Kupferperiode, aber aus Eisen gearbeitet waren, nur war bei beiden der Eisengriff mit einer dünnen Goldplatte über- zogen. Bei einer Leiche fand sich ein langes Schwert mit Eisengriff und Ring, ganz wie die Griffe der Dolche der Kupfer- periode gearbeitet, und Stücke von einem eisernen Plattenpanzer, aus länglichen, 2 Werschok langen Eisenplatten, die dem An- schein nach auf Leder befestigt waren. Die Erdhügelgräber nördlich vom Altai in der Kulunda, in der Barabinzischen Steppe und bei Barnaul, die ich geöffnet — 113 — hatte, stimmten zum grössten Theil in ihrer Einrichtung ' mit i den Gräbern der älteren Eieenperiode überein, nur mit defia Unterschiede, dass hier in den kleineren Gräbern kieine Pferde vorkamen und wo solche sich fanden, diese neben den mensch- lichen Skeletten lagen. An den in denselben gefundenen Gegen- ständen lässt sich erkennen, dass selbige aus einer späteren Zeit herrühren als die Schüttgräber des südlichen Altai. Ob sie demselben Volke angehören, ist fraglich, da die charakteristischen Merkmale der südlichen Eisenperiode fehlen. Hier möge die Beschreibung einiger Graböffnungen folgen, damit man die Einrichtung dieser Gräber mit der der Schütt- gräber im südlichen Altai vergleichen kann. 1. Oeffnung eines Grabes in der Kulunda. Runder, einen Faden hoher Grabhügel aus Erde, gleich- massig mit Gras bewachsen. Durchmesser etwa 16 Arschin: Auf der Höhe ist der Grabhügel etwas abgeflacht, zeigt aber von aussen keine Spur früherer Oeffnung. Oeffnung vom 14. bis 15. Mai 1862 vorgenommen. Der ganze Grabhügel bestand aiis ; demselben Lehmboden wie die umliegende Steppe. Es wurde ein etwa 3 Arschin breiter Schacht in der Mitte des Kurgans in der Haüptrichtung von Norden nach Süden geschlagen. Als der Grabhügel hier fortgeräumt war, stiessen wir auf den Erd- boden, was daran zu erkennien war, dass überall anstatt des gelben Lehmes sich vollkommen schwarzer Humus zeigte. Nur in der Mitte des Schachtes war ein Rechteck von gelber Farbe zu bemerken, dies war die Grabhöhle. Die letztere war S^a Arschin lang und 3 Arschin breit. Sie befand sich in der west- lichen Hälfte des Kurgankreises und ragte nur ^/2 Arschin in die östliche Hälfte hinein. Etwa nach 1 Faden Tiefe stiessen wir auf eine Schicht Holzkohle, die den ganzen Boden der Grabhöhle gleichmässig bedeckte. Die Holzkohlerischicht war nur 1 Zoll dick. Als diese fortgeräumt war, stiessen wir auf eine Schicht Holzbohlen, die in de;* Richtung von Norden nach Süden gelegt waren, die Bohlen waren wohl 3 Werschok dick und behauen, so dass sie aneinander passten und gleichsam eine Diele bildeten. Nachdem diese Bohlenschicht hinweggeräumt war, fanden wir eine zweite Bohlenschicht, aus ähnlichen Bohlen, welche in der Richtung von Osten nach Westen lagen, zusammen- gefügt. Unterhalb der letzten Holzschicht befanden sich im j3üd.- Radloff, Aus Sibirien. IL 8 — 114 — liehen Theile ein Pferde-Skelett und dicht neben demselben zwei menschliche Skelette in nordöstlicher Richtung (70 ®). Die mensch- lichen Skelette lagen auf dem Rücken, die Hände am Körper, Dau- men nach oben, Kopf nach Osten. Die Länge des ersten Skelettes betrug 2 Arschin 5 Werschok, die des zweiten Skelettes 2 Arschin 6^/2 Werschok. Bei dem nördlichen Skelette lag bei der rechten Schulter ein Köder, bei der linken Schulter 8 Rückenwirbel eines Rindviehes, zu beiden Seiten des Unterarmes ein Steig- bügel, auf der Mitte des Leibes eine kupferne Schnalle, an der linken Seite vom Becken an abwärts ein Schwert aus Eisen (gerade, einschneidig, mit einem Knopfe verziert, Griff mit Leder umbunden), an den Fingern der linken Hand zwei kupferne Ringe; neben der linken Hand befand sich ein Messer. Bei dem südlichen Skelette waren oberhalb des Kopfes eine stehende Lanzenspitze (ohne Holz), zur Seite des linken Oberarmes von der Schulter abwärts ein eisernes Schwert, zwischen den Füssen acht Rückenwirbel eines Rindviehes. Bei dem Pferde-Skelette befanden sich im Maule Spuren eines eisernen Gebisses, am Kopfe Eisenstückchen vom Kopfzeug, zu beiden Seiten eiserne Steigbügel. 2. Oeffnitng von Gri&bern bei Barnaul. Unversehrt zeigten sich nur ganz unbedeutende Kurgane, meist nur ^/j Arschin hoch und 2 — 3 Faden im Durchmesser. Im August 1862 öffnete ich vier dieser Gräber. In der Mitte jedes Grabes war eine rcehteckige Grabhöhle. Jede Grabhöhle war etwa 3 Arschin lang, drei derselben waren l^/g Arschin breit, die vierte aber 2^/2 Arschin breit. Die Tiefe übertraf nirgends 1^/9 Arschin. In der Tiefe zweier Gräber fand sich eine Schicht Holz, etwa 2 Werschok dick, die aber nur die Hälfte des Bodens der Grabhöhle ausfüllte. In der dritten dieser kleinen Grabhöhlen war nur eine Schicht Birkenrinde, ebenso in dem vierten Grabe. Unterhalb der Holz- oder Birkenrinden- Schicht befanden sich die menschlichen Skelette, in zwei Grab- höhlen je zwei dicht nebeneinander liegende Skelette. (Grab 1 : Richtung des Skelettes mit Kopf N.O. 85»; Grab 2: N.O. 72»; Grab 3: beide Skelette N.O. 73<>; Grab 4: beide Skelette N.O. 77®.) Alle Skelette lagen auf dem Rücken, den Kopf auf die Seite gebogen, die Hände am Körper anliegend. Auf der Brust jedes Skelettes lagen 4 — 5 Rückenwirbel eines . Schafes. Die Länge der Skelette betrug von 2 Arschin 3 Werschok bis 2 — 115 — Arschin S^/g Werschok. Zwei Skelette hatten auf dem Leihe kupferne Schnallen und an dem Leihe Messer, waren also wahr- scheinlich männliche Leichen, sonst fand ich nur unhedeutenden Schmuck. 3. Oeffnung von Gribern der Barabinzischen Stopp«. 1. Juni 1866. Bei dem Dorfe Kysyr, 25 Werst vom Uhin- schen See, hefanden sich einige Grahf eider, aus 10 — 25 »Grah- hügeln hestehend. Der grösste derselben war 1 Arschin hoch und hatte 3 Faden im Durchmesser. Auf diesen Grahfeldem arbeitete ich*- 5 Tage lang und Hess an drei verschiedenen Orten 26 Grab- hügel öifnen. Hier waren überall Grabhöhlen von 1 — 2 Arschin Tiefe. Die Arbeit war hier sehr schwierig, denn überall war der Grabhügel und der obere Theil der Grabhöhle mit stein- harter Erde angefüllt, so dass die Erde mit Spitzhämmern zer- schlagen werden musste, aber 1 Arschin unter dem Erdboden war die Erde schlammig, und das Wasser füllte in kurzer Zeit die Grabhöhle bis zur Hälfte an. Trotzdem Hess sich genau feststellen, dass der grösste Theil der Leichname mit dem Kopfe nach Osten lag, nur zwei Skelette lagen mit dem Kopfe nach Westen. Bei dem Kopfe jedes einzelnen Skelettes befand sich ^in eiserner Kelt, an dem Leibe aber, in der Gegend der Hände, lagen bei den Männern Schwerter, Pfeile, Ueberreste von Bogen- verzierungen und bei den Frauen Messer. Ausserdem fand sich bei allen Leichen allerlei Zierath von Kupfer und Eisen. Bei den Frauen waren in der Gegend der Ohren Perlen aus Glas und auf der Brust kupferne Schnallen oder Platten. Bei zwei männhchen Skeletten befanden sich Spuren von Steig- bügeln und eines Pferdegebisses. Die Knochen waren voll- kommen vermodert und sämmtliche Metallgegenstände durch die Feuchtigkeit so zersetzt, dass sie nur zerbröckelt aus der Erde genommen werden konnten. Die Länge der männlichen Ske- lette betrug 2 Arschin 3 Werschok bis 2 Arschin 5 ^/g Werschok, die Skelette der Frauen nicht über 2 Arschin 2 Werschok; bei den meisten Skeletten bemerkte ich Rückenwirbel von Schafen. Nicht alle Skelette waren mit Birkenrinde bedeckt, einzelne waren nur mit Erde überschüttet worden. Bei anderen wieder fanden sich kleine Stücke Holzkohle. Leider vermag ich nur so unbedeutende Nachrichten über die Gräber der nördlichen Eisenperiode zu geben, da die meisten Gräber dieser Periode, die ich im Norden des Altai und in der Kirgisensteppe geöffnet 8* — 116 — habe, schon früher ausgerauht waren. Besonders ist das hei solchen Grähem der Fall, die sich irgendwie durch ihre Grösse auBzeich- nen. Was ich aber von den ganz unbedeutend kleinen Gräbern dieser Gegenden geÖflPnet habe, zeigt Alles einerlÄ Einrichtung, wie ich sie eben bei den Gräbern bei Barnaul und bei denen der Barabinzischen Steppe geschildert habe. Ob diese Gräber von dem- selben Volke herrühren, wie das grosse Grab der Kulunda, das ich vorher beschrieben habe, vermag ich nicht zu behaupten. Letzteres hat Aehnhchkeit mit der Einrichtung der Schüttgräber des nördlichen Altai, die übrigen Gräber hingegen können eben- sowohl von einem anderen Volke hinterlassen sein, vielleicht von den Nachkommen der Jenissejer des Bronze-Zeitalters. Jeden- falls sind hier Waffen seltener als in den südlichen Gräbern. Gehen wir jetzt zu den Gräbern der jüngeren Eisenepoche über, die wiederum eine ganz bestimmte, sehr charakteristische Einrichtung zeigen. Gräber der neueren Epoche des Eisen -Zeitalters am Abakan. Zu den Gräbern dieser Epoche rechne ich alle die kleinen Schüttgräber, die sich auf den Grabfeldern des Mittelgebirges der Abakan-Steppe gefunden haben und welche die Volkssage als kirgisische Grober bezeichnet. Diese Grabhügel haben meist nur 1^2 Eaden im Durchmesser und hegen dicht zusammengedrängt in Haufen von 60 — 80 Grä- bern. Man kann deutlich unterscheiden, dass die kleinen Grab- hügel meist paarweise zusammen liegen, und zwar ist stets einer dieser Hügel kreisförmig, während der andere von ovaler Form ist. Ich habe derartige Grabfelder nur am mittleren Abakan ge- sehen, die Eingeborenen aber versichern, dass sie sich überall in den Ufergebirgen des Abakan und Jenissei in grossen Mengen vorfinden. Die Kleinheit dieser Gräber, ihr geringer Eeichthum an edlen Metallen, ihre weite Entfernung vom Flusse und ihre versteckte Lage sind wohl daran schuld, dass die Einwohner jener Gegenden sich wenig um diegrelben bekümmert haben, und dass nur ein ganz geringer Bruchtheil unter ihnen Spu- ren früherer Oeffnung zeigt. Unter den Koibalen, so be- richtete mir nämlich einer meiner Begleiter, ist die Ansicht verbreitet, dies seien Schlachtfelder der einst so wilden Kir- gisen, die ihre Todten hier beerdigt hätten. Die Oeffnung einer S.3 ^ — 117 — grossen Zahl dieser Gräber bewies aufs Deutlichste, dass diese Erzählung vollkommen aus der Luft gegriffen war. denn überall fand ich Skelette von Männern, Weibern und Kindern, überall waren die Leichen in grösster Ordnung beerdigt, was gewiss bei Schlachtengräbem nicht der Fall gewesen wäre. Oeffnungen von solchen Kirgisengräbem habe ich in grosser Zahl 7 Werst von der Mündung des Askys vorgenommen. Die Anlage der von mir untersuchten Grabstätte war fol- gende. Zwischen den ersten Wellen der Grenzgebirge fanden sich in einer Höhe von 100 Fuss über der Steppe und ungefähr 50 Schritte von einander entfernt zwei Grabhügelhaufen. Der westliche bestand etwa aus 80 Grabhügeln, während der öst- liche nicht mehr als 30 Hügel enthielt. Ich nahm zuerst die Oeffnung des westlichen Gräberfeldes vor und öffnete wohl die Hälfte der vorhandenen Hügel, indem ich solche auswählte, die keinerlei Spuren früherer Oeffnung zeigten. Bei der Oeff- nung dieser Gräber ergab sich, dass in der That stets zwei Hügel zu einem Grabe gel^örten. Wenn man die Steine des länglichen Hügels hinweggeräumt hat, so stösst man auf eine etwa Vg Arschin dicke Schicht aus Geröll oder lockerer Erde, unter- halb dieser Schicht befinden sich die Skelette (nirgends tiefer als 1 Arschin unter der Erdoberfläche). Die geringe Tiefe der Grab- höhlen scheint ihre Ursache in der Beschaffenheit des Bodens zu haben, der so hart war, dass meine Arbeiter ihn nur mit Beilen oder Spitzhämmem zu zerschlagen vermochten. Der Thon- boden, in dem die Knochen lagen, war so hart, dass ich jeden einzelnen Knochen mit einem spitzen Messer herausgraben musste, und so gelang es nur bei einzelnen Gräbern, die Lage des Skelettes genau zu bestimmen. Alle Skelette lagen auf dem Rücken in der Richtung von Osten nach Westen, den Kopf nach Westen gewendet. Der Kopf ist etwas auf die Seite gebogen und die Arme liegen fest am Körper, die Daumen nach oben gerichtet. Nirgends fanden sich bei diesen Skeletten Spuren von Kleidungsstücken oder Geräthschaften, nur bei den Füssen waren jedesmal Spuren von Holz zu finden, die vielleicht von einem Brettchen herrührten, gegen welches die Füsse der Leichen gestemmt wurden. Der zweite kreisrunde Grabhügel enthält dagegen nie ein Skelett, sondern Geräthe und Waffen, die dem Todten mit in's Grab . gelegt wurden. Wenn man die Steine des Grabhügels — 118 — fortgeräumt hat, muss man noch etwa ^/^ Arschin in den harten Thon graben, dann stösst man auf ein meist ^/^ Arschin hohes Thongei^ss mit schmalem Halse, das mit einem flachen Steine zugedeckt ist. Die Thonvasen sind stets leer und enthielten gewiss ein dem Todten in's Grab mitgegebenes Getränk. Hat man das Thongefass entfernt, so trifft man eine Schicht theils verbrannter, theils unversehrter Thierknochen, meist Knochen von Schafen, selten von Pferden und Rindvieh. Zwischen diesen Knochen befinden sich viele eiserne Geräthe, wie Beile, Kelte, Messer, Pfeilspitzen, Steigbügel, Pferdegebisse. Die die Geräthe enthaltenden Grabhügel befinden sich bald östlich, bald westlich von dem das Skelett enthaltenden Hügel. In allen Gräbern des westHchen Grabfeldes fand ich aus- schliesslich aus Eisen gearbeitete Gegenstände und dabei nur solche, die offenbar Waffen oder Werkzeuge von Männern waren. Anders war dies im östlichen Grabfelde, das ich in der Folge untersuchte. In dem nach Osten liegenden Grabfelde suchte ich ver- gebens nach unversehrten Grabhügeln, hier waren alle Hügel durchwühlt, obgleich ich deren mehr als dreissig öffnete. Trotz- dem war deutlich zu erkennen, dass auch hier jedes Grab aus zwei Hügeln bestand, von dem der eine ein Skelett eines Er- wachsenen oder Kindes ohne jegKche Gegenstande deckte, der andere aber eine Grabhöhle mit den dem Todten beigegebenen Gegenständen. Während im ersten Grabfelde sich nur eiserne Waffen und Werkzeuge fanden, traf ich in den Gräbern des östlichen Feldes nur Spuren von aus Kupfer, Silber und Gold gearbeiteten Schmucksachen; von diesen waren recht gut erhalten: 1. ein sehr fein aus Gold gearbeiteter Ohrring (in seiner Aus- führung etwa den von Witzen in Zeichnungen wiedergegebenen feinen Goldsachen ähnlich); 2. zwei silberne Ohrringe; 3. mehrere feine Silberplättchen von getriebener Arbeit, mit denen offenbar ein kupferner oder hölzerner Gegenstand überzogen war. Nir- gends fanden sich Spuren von den hohen, schön gearbeiteten Thonvasen des westlichen Grabfeldes, an Stelle derselben waren in allen Grabhöhlen Scherben von kleinen unansehnlichen, meist in der Hand gearbeiteten. Töpfen. Ausserdem fanden sich in allen Grabhöhlen, die Gegenstände enthielten, Thierknochen, meist Knochen von Schafen, vor. Diese Graböffnungen beweisen uns auf^s Deutlichste, dass — 119 — das Volk der jüngeren Eisenperiode die Männer und Weiber an verschiedenen Orten beerdigte. Kleine Kinder scheinen mit den Weibern beerdigt worden zu sein, grössere Knaben hingegen mit den Männern. Ich fand zwischen den Männergräbem zwei Skelette von höchstens 12 — 14jährigen Knaben. Den Männern wurden nur WaflPen und Werkzeuge aus Eisen mit in^s Grab gegeben, ausserdem Fleisch als Wegnahrung und eine grosse Vase mit Branntwein. Mit den Weibern hingegen wurden ihre Schmucksachen beerdigt und ausserdem Töpfe mit Fleisch. Wenn man die Grabeinrichtung dieser Gräber der jüngeren Eisenperiode des Abakan mit denen der älteren Eisenperiode im südHchen Altai vergleicht, so lässt sich trotz der grossen Verschiedenheit jedoch auch manches übereinstimmende Merkmal auffinden. Während in den Gräbern der älteren Periode Pferd und Mensch zwar in einem Grabe beerdigt wurden, aber doch an verschiedenen Theilen des Grabes, fanden wir hier eine vollkommene Zweitheilung des Grabes, die aber sehr leicht mit der Zeit sich aus den* älteren Grabformen entwickelt haben kann. Bevor* ich zu der Beschreibung des Culturstandpunktes der Völker der Eisenperiode übergehe , will ich hier noch die Grab- einrichtung von Gräbern der jüngsten Eisenperiode beschreiben. Nördlich von der Stadt Mariinsk an den Ufern der oberen Kija und dem Flüsschen zwischen Kija und Tscholym stiess ich auf aus Erde aufgeschüttete Grabhügel, die meist am Ufer der Flüsse in dichten Haufen zusammengedrängt liegen. An vielen Stellen zeigten auch diese unbedeutenden Hügel Spuren von früherer Oeffnung, besonders in der Nähe russischer Ansied- lungen, jedoch konnte sich keiner der Ansiedler erinnern, dass man hier gegraben habe. Nur an zwei Stellen auf meinem Wege zum Tscherdat schienen diese Gräber unversehrt und unternahm ich daher nur an diesen Orten Ausgrabungen. Es sind diese Grabfelder hier so häufig, dass man annehmen darf, dass das Volk, das diese Grabhügel zurückgelassen hat, lange Zeit in diesen Gegenden gelebt hat. Viele unter diesen Grab- hügeln befinden sich jetzt im dichten Walde, so- dass hier und da mächtige Fichten auf ihnen gewachsen sind. Die Lage und Einrichtung der Gräber ist kurz folgende: Dicht am Ufer der Flüsse, gewöhnHch auf höher gelegenen Stellen, oder auf dem Rande waldbewachsener Abhänge liegen Grabfelder, die aus 10 — 40 Hügeln bestehen und sich manchmal — 120 — über ein 100 — 200 Schritte langes Gebiet ausdehnen. Die Hügel sind meist 1 — 3 Arschin hoch und haben 3 — 6 Arschin im Durch- messer. Ihrer Form nach sind sie vollkommen abgerundet wie Kugelabschnitte. Sie liegen so dicht aneinander, dass sie sich manchmal mit ihren Eändern berühren. Oeffnungen dieser Orabhügel unternahm ich am Ulu-kÖl, etwa 60 Werst von Ma- riinsk, und am Flusse Tscherdat. Da die Hügel nur aus Erde aufgeworfen sind, so machte die Oeffnung wenig Schwierig- keiten und es reichte ein Aufenthalt von wenigen Tagen hin, um eine grosse Anzahl von Grabhügeln aufzugraben und mir dadurch ein klares Bild ihrer Einrichtung zu verschaffen. Die Leichen wurden hier auf den Erdboden gelegt, mit dem Kopfe nach Osten und den Füssen nach Westen, die Arme dicht an den Körper mit den Daumen nach oben. Gewöhnlich war der obere Theil des Körpers und besonders die Arme mit einer Schicht Birkenrinde zugedeckt. Zu Kopf oder zu Füssen des Todten stellte man entweder einen Kessel aus Eisen oder Kupferblech, oder ein Thongeftlss auf. Dann legte man über den Leichnam der Länge nach 2 — 3 Werschok dicke Bretter und überschüttete den so bestatteten Leichnam mit Erde, welche dicht an die Leiche so fest als möglich gestampft wurde. Diese Art der Bestattung stimmt also vollkommen mit der Grabein- richtung der Gräber der Eisenperiode in der nördlichen Steppe überein, nur mit dem Unterschiede, dass dort die Leichen nicht auf die Erde, sondern in Grabhöhlen in die Erde gelegt wurden. Am Tscherdat fanden sich einige Grabhügel, die mehrere Leichen enthielten. In einem derselben lagen zwei Skelette dicht übereinander und waren nur durch eine Birkenrinden- schicht von einander geschieden. Die untere Leiche lag, wie ge- wöhnlich, mit dem Kopfe nach Osten, die obere gerade umge- kehrt, mit dem Kopfe nach Westen. Das untere Skelett musste, den dabei liegenden Geräthen nach zu urth eilen, das Skelett eines Mannes sein, das obere das einer Frau. In einem anderen Grabhügel lagen drei Skelette. Das untere wiederum mit dem Kopfe nach Osten, die oberen aber durch einen Zwischenraum von Erde von 4 — 5 Werschok getrennt, eines mit dem Kopfe nach Norden, das andere mit dem Kopfe nach Südwesten. Die Skelette waren alle mittlerer Grösse, die weiblichen 2 Arschin bis 2 Arschin 3 Werschok, die männlichen nicht über 2 Arschin 6 Werschok. Alle Leichen waren mit Kleidern und Schmuck- — 121 — Sachen beerdigt, und, neben ihnen lagen Waffen und Werk- zeuge. Ueber das Alter jener Grabhügel, die keineswegs den Vor- fahren der in jenen Gegenden jetzt wohnenden Küärik-Tataren angehörten, geben uns nun alte, in einem Grabe gefundene russische Kupfermünzen Aufschluss, da diese sämmtlich aus der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts stammen. Wenn wir die Einrichtung der Gräber der Eisenperiode mit den uns von den Chinesen geschilderten Beerdigungscere- monien der Uiguren, Tukiu und Hakas vergleichen, so sehen wir nur einige Uebereinstimmung mit der Schilderung der Be- erdigung der Uiguren. Denn da heisst es ebenfalls: ,,die Todten bringen sie in ein ausgegrabenes Grab". Wenn die Chinesen erzählen, dass der Todte in das Grab gestellt würde und ihm alle WaflPen umgelegt würden, wie wenn er lebend sei, so ist ersteres wohl ein Irrthum, der dadurch veranlasst wurde, dass man erzählte, die Uiguren gäben ihren Todten alle diejenigen Waffen und Geräthe mit, die sie im Leben getragen hätten, und der Erzähler fügte gewiss aus Versehen hinzu, sie hätten im Grabe auch die Stellung eines Lebenden eingenommen. Die Schilderung der Begräbnissfeierlichkeiten der Tukiu enthält ge- wiss auch mehrere falsche Angaben. Falsch ist es jedenfalls, was vom Verbrennen der Leichen gesagt wird, denn ich habe nirgends gehört, dass man im Altai, der Kirgisensteppe und im Jenissei-Gebiete Todtenumen mit verbrannten menschlichen Gebeinen aufgefunden hätte. Wahr sind hingegen die Schilde- rungen der reichen Thieropfer, die bei dem Tode dargebracht wurden; ich erinnere an den Umstand, dass wir 16 Pferde in einem Grabe gefunden haben. Ebenso wahr ist es, dass die Geräthschaften der Todten zu den Leichen in's Zelt (?) gelegt wurden. Die Angabe, dass diejenigen Leute, die im Frühling und Sommer gestorben seien, erst begraben würden, wenn die Blätter auf den Bäumen gelb würden und abzufallen beginnen, die im Herbste und Winter Gestorbenen aber im Frühling be- erdigt würden, wenn die Blätter und Blumen hervorzuspriessen beginnen, lassen auf eine doppelte Grabceremonie schliessen, was vieUeicht die Zweistufigkeit der Gräber der älteren Eisen- periode im südlichen Altai erklären würde. Wäre meine An- nahme richtig, so wurde der Leichnam gleich nach seinem Ab- sterben beerdigt und dann die halbe Grabhöhle verschüttet. — 122 — Einige Monate später hingegen, vielleicht bei Gelegenheit von Frühlings- und Herbstfesten, fand die grosse Opferdarbringung statt und die Beerdigung einer Anzahl von Eeitthieren. Wenn es ferner in der chinesischen Beschreibung heisst: „Auf die Grabstätten stellen sie die Nachbildung der Todten auf und bezeichnen an diesen Steinbildern alle Schlachten, an denen der ,Todte während der Zeit seines Lebens theilgenommen hat; hat er nur einen Menschen getödtet, so stellen sie nur einen Stein auf, auf einigen Gräbern stehen bis hundert und mehr Steine*' — so ist dies einfach eine Verwechslung, die durch die Erzählung der Reisenden von den Grabsteinbildem enstanden ist. Diese Grabsteinbilder gehören einer viel früheren Zeit an. Dergleichen Uebertragungen finden wir Öfter. Ich erinnere nur an den Be- richt des Rubruquis aus dem Jahre 1253, der, als er zum Mengi Kan sich begab, auf seinem Wege im südlichen Russland Grabsteinbilder antrifft und diese den Kumanen, den damaligen Einwohnern jener Gegenden, zuschreibt, indem er geradezu sagt : ,,Die Kumanen machen einen grossen Grabhügel über dem Todten und errichten eine Statue darauf, die mit dem Gesichte nach Osten gerichtet ist und vor dem Nabel in der Hand ein Gefilss hält", während die Kamennyja Baby, die er hier offenbar meint, aus einer Zeit stammen, die mehrere Jahrhunderte der Ein- wanderung der Türken nach Europa voranging. Sehr dunkel sind die Nachrichten der Chinesen über die Bestattung der Todten bei den alten Hakas. ,,Bei Beerdigungen zerreis^en sie sich nicht das Gesicht (wie die Tu-kiu), sondern wickeln den Leichnam dreimal ein und weinen. Dann ver- brennen sie ihn und beerdigen die Knochen nach einem Jahre. Später halten sie zu einer bestimmten Zeit Trauerfeierlichkeiten ab." Was sollen die Worte bedeuten: ,,sie wickeln den Leich- nam dreimal ein und sie begraben die Knochen nach einem Jahre? " Ich glaube der Hergang ist so zu verstehen: die Leichen wurden zuerst ohne jegliche Schmucksachen bestattet und hier- bei wurden gewisse Theile des Opferthieres zu Ehren der Geister verbrannt. (Dies beweisen zum Theil angebrannte Schafknochen, die bei den Leichen der Gräber der neueren Eisenperiode am Abakan gefunden werden.) Dann fand nach einem Jahre ein Opfermahl statt, bei dem man die Geräthe des Verstorbenen in die Erde barg und dann die Grabhügel aufschüttete. Von Alterthümern des Eisen-Zeitalters in Südsibirien liegen i! il li l! — 123 — uns so reiche Sammlungen vor, dass es nicht schwer ist, einen ziemlich genauen Einblick in die Entwickelungsgeschi<5hte der Kultur dieses Volkes zu gewinnen. Besonders interessant ist es, dass meine Graböffnungen der grossen Schütthügel an der Ka- tanda und Buchtarma uns auf die älteste Periode des Eisen- Zeitalters hinweisen. Ich fand nämlich hier neben eisernen Waffen und Messern, die in ihrer Form denen der späteren Eisenperiode entsprechen, ein Schwert, einen Dolch und ein Messer, die vollkommen den Formen der älteren Bronzeperiode ähneln, d. h. bei denen Griff und Klinge aus einem Stück ge- arbeitet waren. Bei dem Dolche war sogar der Ring am Ende des Griffes aus zwei Schlangenköpfen gebildet. Dieser Umstand veranlasst mich anzunehmen, dass die Gräber, die diese Waffen enthielten, zu der Zeit errichtet sind, als weiter nach Norden im Altai der Uebergang der Brönzekultur in die Eisenkultur vor sich ging. Da nun, wie wir bei der obigen Beschreibung des Grabes an der Katanda gesehen haben, die Einrichtung der Steinschüttgräber eine vollkommen abweichende von der der Gräber der Bronzeperiode war, so sind wir berechtigt, an2ni- nehmen, dass das Volk, welches die Schüttgräber zurückliess, etwa zur Zeit des Anfanges der Eisenperiode aus dem Süden in den südlichen Altai vorgedrungen ist. Zum mittleren Ittiscli scheint dieses Volk nicht vorgedrungen zu sein, denn schon bei Ust'Kamenogorsk und in Kökbekti bin ich nirgends auf Stein- schüttgräber gestossen. Da diese neuen Ankömmlinge offenbar ein reines Nomadenvolk waren, das sich gewiss nur mit der Vieh- zucht beschäftigte (darauf weisen die Massen von Pferden, die wir in den reicheren Gräbern beerdigt finden, hin), so können wir ,wohl annehmen, dass sie ihre Metallwaaren aus dem Norden von dem ihm unterworfenen Volke der Bronzeperiode bezogen. Die aus Metall gefertigten Alterthümer der Eisenperiode beweisen uns, dass den Völkern dieser Periode von Anfang an Kupfer, Eisen,, Gold und Silber bekannt waren. Dass diese Metalle im Altai selbst gewonnen und verarbeitet wurden, unter- liegt wohl keinem Zweifel; Kupfer und Gold wurden ja schon seit vielen Jahrhunderten im Altai gewonnen und verarbeitet, Eisen und Silber mögen zwar in der ersten Zeit des Eisen- zeitalters durch Handel eingeführt sein, später wurden sie aber jedenfalls im Altai gewonnen, wie auch die an vielen Orten aufgefundenen Tschudenschürfe in den Silbergruben und die ^ 124 — von mir an mehreren Orten angetroffenen Eisenschlackenlager beweisen. Was die Verarbeitung des Goldes in der älteren Eisen- periode betrifft, so war diese eine ganz eigenthümliche. Das Gold wurde nämlich hier in feine Blätter gewalzt und mit diesem dünnen Goldbleche wurden Schmucksachen und Knöpfe über- zogen. Ich habe eine grosse Anzahl von solchen Goldblechen an der Katanda und am Berel gefanden. Es waren mit ihnen die Griffe von eisernen Messern und Dolchen überzogen, die der Form nach der ältesten Zeit angehörten, was uns beweist, dass man damals noch nicht verstand, das Eisen mit Gold und Silber auszulegen. Femer waren Holz- und Kupferknöpfe mit Goldblättem überzogen und feine Goldblättchen auf Biesen und Lederborten der lOeider befestigt, ebenso aus Goldblättem ge- schnittene Figuren und Thiere : Tiger, Katzen, Schlangen, wie auch Menschen, Eeiter ; ebenso waren aus Birkenrinde geschnittene Arabesken mit solchen Goldblättem überzogen. Wie die kleinen Löcher am Rande einzelner dieser Blättchen beweisen, wurden sie mit Fäden auf die Gegenstände festgenäht. Die spätere Zeit der Eisenperiode zeigt aber sehr feine künst- liche Goldarbeiten. Dies beweist der von mir am Abakan gefun- dene Ohrring und die von Witzen abgebildeten, in Westsibirien gefundenen Arbeiten aus Gold. Die spätere Periode zeigt auch mit Gold ausgelegten Eisenbeschlag an Eiemen- und Sattelzeug. Das Silber wurde von Anfang an zu Riemen- und Sattel- schmuck verarbeitet, dann zu Finger- und Ohrringen ärmerer Leute aus Silberdraht und in späterer Zeit wurde mit ihm auch Eisen ausgelegt. Ausserdem verfertigte man von Anfang an silberne Gefesse von verschiedener, oft sehr geschmackvoller Form mit oft sehr feinen Gravirungen. Das Eisen gewann von Anfang an eine grosse Bedeutung xmd verdrängte natürlich bei Herstellung von Werkzeugen und Waffen, die eine grosse Härte verlangen, vollständig. Kupfer und Bronze. Wie ich schon vorher erwähnt, wurden in frühe- ster Zeit die eisernen Messer und Dolche ganz aus Eisen wie die kupfernen geschmiedet, später erkannte man, dass eine derartige Verarbeitung des Eisens bei der grossen Härte dieses Metalles unnütz war, daher schmiedete man aii die Klingen dünne Spitzen, die dann in Holz- und Homgriffen befestigt wurden. Die Eisenarbeiten der älteren Periode haben meist — 125 — durch die Feuchtigkeit des Bodens so gelitten , dass wir nicht im Stande sind, die Kunst des Schmiedens, den Geschmack der Form nnd die Güte des Stahles zu beurtheilen. Von den Messern und Pfeilspitzen der neueren Eisenperiode sind einige vortrefflich erhalten und an diesen erregt die feine Arbeit und die Güte des Stahles xmsere Bewunderung. Diese Waffen waren ganz aus Stahl gearbeitet und von grosser Härte. Mir haben viele besonders fein und geschmackvoll gearbeitete Pfeilspitzen vorgelegen. Besonders viele eiserne Werkzeuge werden auf den Aeckem am Jenissei gefunden. Die russischen Einwohner be- haupteten, diese Gegenstände seien für sie vollkommen werthlos, denn die russischen Schmiede vermöchten sie nicht zu verar- beiten, so hart diese Waffen und Messer auch seien, sobald sie in den Ofen gebracht würden, werde das Eisen weich und brüchig und lasse sich in keiner Weise verarbeiten. Herr Struwe war so freundlich, auch einige eiserne Messer und Pfeile der älteren und neueren Eisenperiode zu untersuchen. Das Resultat seiner ch^nischen Analyse ist folgendes: „Alle aus Eisen gearbeiteten Gegenstände bestanden aus reinem Eisen, ohne Beimischung von fremden Metallen. Natürlich enthalten sie alle kleine Quantitäten von Kohle und Kiesel. Um die Reinheit dieser Eisenarten noch durch einen quantitativen Ver- such zu belegen, wurde ein Messer der älteren Periode einer Analyse unterworfen und es ergab sich, dass in 100 Theilen 99,43 Theile Eisen enthalten sind, somit ein ausgezeichnetes Stabeisen, das sich gut ausschmieden liess.^^ Einer der sehr harten Gegenstände der neueren Eisenperiode ist leider von Herrn Struwe keiner quantitativen Analyse unterworfen worden und auf diese Gegenstände beziehen sich hauptsächlich die An- gaben der russischen Bauern. Von eisernen Gegenständen dieser Periode haben mir vor- gelegen: 1. Pferdegeschirr und Reitzeugbeschlag: Ge- bisse (in der ältesten Periode meist mit grösseren und kleineren Seitenringen, in der neueren Periode mit Ringen von etwa 2^/2 — 3 Werschok langen Seitenstäben, von den verschiedensten Formen, meist sehr guter und geschmackvoller Arbeit); runde und viereckige Platten zum Schmucke der Brust- und Schwanz- riemen (in späterer Zeit mit Silber und Gold ausgelegt) ; Sattel- beschlag (der Beschlag am Sattelknopf später mit Gold aus- gelegt); Nieten und Ringe für den hinteren Theil des Sattels — 126 — zum Anbinden der Riemen (tat. : Kantschyga) ; Steigbügel (meist mit sehr breiter Sohle und runden Stangen. Die obere Oese, durch die der Riemen gezogen wird, ist meist sehr breit. Die Sohle ist häufig von durchbrochener Arbeit. Ich habe nur einen Steigbügel gefunden, der mit Silber ausgelegt war). 2. Werk- zeuge: Kelte (sich hauptsächlich dadurch von den Kelten der Kupferperiode unterscheidend, dass die hintere Seite des Keltes offen ist); Spaten, Meissel, Bohrer, Beile und Löthinstrumente. (Im Ganzen finden «ich diese Werkzeuge nur selten in Gräbern, nur einmal in den Gräbern am Abakan; häufig in den Gräbern an der Baraba und bei Barnaul). 3. Schneide -Werkzeuge und Waffen: Messer (fast in aUen Gräbern, von den ver- schiedenartigsten Grössen, In den Gräbern der älteren Periode fand ich mehrere Messer in einer Hölzscheide; vielleicht sind diese chinesischer Arbeit gewesen, da die Chinesen noch heute dergleichen Bestecke mit mehreren Messern verfertigen. Die Messer der neueren Periode haben einen schnurgraden Rücken und gleichen einigermassen den Messern der Sart); Dolche (sehr gelten, nur in einem Grabe der älteren Eisenperiode); Schwerter (sehr häufig, meist über 1 Arschin lang, mit schmaler Klinge, fast gerade, einschneidig, die Spitze ein wenig nach hinten gebogen, Schwertknopf von Eisen oder Kupfer, meist eine Rosette bildend; nur in einem älteren Grabe am Berel fand ich ein längeres, breites Schwert mit eisernem Griffe und statt des Degenknaufes mit einem grossen Ringe) ; Lanzenspitzen (im Ganzen selten, meist mit langer Spitze, einige Lanzenspitzen sehr fein gearbeitet); Pfeilspitzen (von den verschiedenartigsten Formen und Grössen: bolzenförmig, lanzettförmig, blattförmig, dreieckig, vorn in eine Schneide ausgehend, die von ^j^ Zoll bis 2^/2 Zoll breit ist. Besonders charakteristisch sind die aus drei Strahlflächen bestehenden Pfeile vom Abakan, eine furcht- bare Waffe). 4. Panzer (höchst selten, bestehen aus fein ausge- schmiedeten Rechtecken, die auf Zeug oder Leder [Unterkleid] aufgenäht waren). 5. Feuerstahl. 6. Landwirthschaftliche Instrumente: Sicheln und Pflüge (von den letzteren fand ich einen am Abakan, der voDkommen den Pflügen der Sart entr sprach). 7. Schmucksachen: Schnallen der verschiedensten Grösse, Nieten und Verzierungen auf Gürteln, AgraflFen. Das Eisen hatte somit die Verwendimg des Kupfers und der Bronze bedeutend in den Hintergrund verdrängt, so dass so- ~ 127 — wohl das Eine wie das Andere nur bei Verfertigung von Gewissen, Beschlägen und Verzierungen zur Verwendung kam. Von letzteren werden hauptsächlich Beschläge von Riemen an Pferdezeug und Gürtel gefunden, dann Gürtelschnallen und Beschläge, Agraffen, Ohrringe, Ringe, Perlenkügelchen, Schellen, Armbänder, Hals- bänder, kleine Statuetten. Eine Beschreibung der verschiedenen Formen zu geben, würde zu weit führen, es möge genügen, eine Zahl von Zeichnungen beizufügen. Die Gegenstände sind zum Theil roh gearbeitet, zum Theil aber auch mit sehr feinen und geschmackvollen Verzierungen versehen. Besonders schön gearbeitet sind viele grössere Gürtelschnallen. Für die roheren Arbeiten wurde meist nur reines Kupfer verarbeitet, für die feineren Arbeiten eine mehr gelbliche Legirung, die durch einen starken Zusatz von Zinn und Blei (20 ^/q, wie die Analysen von Göbel ergaben) hergestellt ist, da solche Legirung leichter schmelzbar imd bequemer zu bearbeiten ist. Eine merkwürdige Zusammensetzung ergab die Bronze einer Schmucksache aus der neueren Eisenperiode am Abakan, nämlich 89,70 ®/^ Kupfer, 0,63 ^/o Zinn und 9,10 ^Jq Eisen. Diese Bronze war sehr hart und brüchig, der Bruch feinkörnig und von grauer Farbe, der- gleichen Bronzen sollen nach Angabe von Struwe sehr selten und schwierig herzustellen sein. Ausser diesen Bronzen wurde zur Herstellung von Schmucksachen noch ein weissliches Metall ver- wendet, dessen Zusammensetzung mir nicht bekannt ist. Ich selbst habe dergleichen Schmucksachen am Jenissei gefanden und in der kaiserlichen Eremitage zu Petersburg findet sich eine reiche Sammlung von Alterthümem aus einem ähnlichen Metalle, die aus dem Altai stammen. Spiegel der Eisenperiode finden sich überall und mit verschiedenartigen Verzierungen. Sie sind aus sehr verschiedenen Metalllegirungen gegossen, meist von weisslicher oder graugelber Farbe. Spiegel mit sehr schön verzierten Rückseiten hat Messerschmidt gefunden, be- sonders schön ist ein solcher, von dem Messerschmidt eine Zeich- nung hinterlassen, er ist aus Stahl (?) verfertigt und mit reicher Ornamentik versehen. Alle Spiegel, die ich selbst gefunden oder gesehen, haben im Centrum der Rückseite eine Oese zum Be- festigen eines Riemens. Pallas giebt oben die Zeichnung von zwei Spiegeln mit Handstielen. Die Zeichnungen der Rückseite dieser Stücke scheinen mir deutlich zu beweisen, dass dieselben aus China stammen. — 128 — Ausser den hier anfgezäblten, ans Metall gearbeiteten Gregenständen finden wir fast in allen Gräbern des älteren Eisen- Zeitalters aus Knochen und Holz geschnitzten Zierath. Be- sonders häufig sind knöcherne Gürtelschnallen mit knöcherner oder eiserner Zunge. Viele Schmuckarbeiten dieser Art befin- den sich auch in der Eremitage. Einige derselben sind äusserst fein imd sauber geschnitzt und mit relief gearbeiteten Ara- besken verziert. Auf knöchernen oder hölzernen Platten sind sehr häufig Thierbilder ausgeschnitzt, die sich von denjenigen der Bronzeperiode auf's Deuthchste dadurch imterscheiden, dass sie nicht Nachbildungen natürlicher Thierformen Bind, sondern Verzerrungen und fabelhafte Compositionen von phantastischen Ungeheuern: Pferde mit Vogelköpfen, Vögel mit Tigerköpfen, Tiger mit Schwänzen, an deren Ende Schlangen- oder Vogelköpfe abgebildet sind. Elennthiere und Hirsche, an deren Geweih- zacken Vogelköpfe sich befinden und deren Maul mit einem Vogel- schnabel versehen ist u. s. w. Also offenbar Darstellungen von mythischen Thieren, vielleicht Nachbildungen von Thiergötzen. Zu letzterer Annahme veranlasst mich auch noch besonders der Umstand, dass sich, wie ich schon vorher erwähnt, in dem grossen Grabe an der Katanda in der Birkenrindenschicht, etwa 1 ^/2 Ar- schin über den Skeletten, in ein Kleidungsstück gewickelt allerlei Schnitzwerk aus Holz vorfand, das oflFenbar nicht zum Schmuck gedient hatte, sondern gewiss von religiöser Bedeutung war. Es waren mehrere auf ein Seidenband genähte, aus Holz ge- schnitzte Statuetten von Pferden natürlicher Form, deren Hufe mit Goldplättchen verziert. Eines der Pferde hatte einen Vogel- kopf mit mächtig gebogenem Schnabel. Dann eine Art Schale, auf dem Boden zwei ineinander verschlungene, lang gestreckte Tiger mit Schwänzen mit Vogelköpfen versehen und ein wunder- bar phantastisches Elennthier von riesiger Grösse, dem gegen- über ein Bär in natürlichen Formen angebracht war. Ausser diesen phantastischen Thierformen unterscheidet sich die Orna- mentik des Eisen-Zeitalters noch besonders durch die Anwen- dung von Arabesken und verschlungenen Linien, die offenbar Pflanzenformen entlehnt sind, während mir kein einziger Gegen- stand des Bronze-Zeitalters bekannt ist, welcher eine derartige Verzierung aufzuweisen hätte. In allen Gräbern des Eisen-Zeitalters finden wir irdene Ge- fasse, doch diese unterscheiden sich von den ältesten Zeiten an «BP" — 129 — scharf von den Thonwaaren des Bronze-Zeitalters. Im südlichen Altai und an der Buchtarma fanden sich in den Gräbern der ältesten Periode des Eisen-Zeitalters sehr gut gehrannte Thon- gefasse, die durch die feine Bearbeitung des Thones selbst und kunstvolles Brennen die rohen Thonarbeiten des Bronze -Zeit- alters weit übertrafen. Einen noch weit grösseren Fortschritt in der Herstellung von Thongefässen zeigen die Graburnen der jüngeren Periode des Eisen-Zeitalters am Abakan. Sie zeigen zum grössten Theil höchst geschmackvolle Formen, sind aus einem fein verarbeiteten und gut geschlemmten, blaugrauen Thone verfertigt und so gut gebrannt, dass sie beim Anschlagen einen reinen, fast metallischen E^ang von sich geben. Die Völker der neueren Eisenperiode müssen gute Ofeneinrich- tungen zxim Brennen der Gefässe besessen haben, denn die oft 8 — 4 Linien dicken Wände der Geisse sind ohne Ausnahme gleichmässig durchbrannt, während Gefösse mit dünneren Wän- den aus der älteren Eisenperiode an der Oberfläche schärfer ge- brannt sind als in der Mitte. Glasirte Geisse habe ich in den Gräbern des Eisen -Zeitalters weder am Jenissei noch im süd- lichen Altai gefunden, wohl aber fand ich im Altai Perlen aus Glas oder Thon, die mit einer künstlichen Glasur versehen waren. Ich glaube, dass diese Glasarbeiten nicht im Altai ge- fertigt wurden, sondern durch den Handel aus dem Süden ein- geführt worden sind. Die hier aufgeführten Alterthümer erlauben uns einen ziem- lich klaren Einblick in das Leben und Treiben der Völker der älteren Eisenperiode des Altai und der östlichen Kirgisensteppe. Wir haben es hier offenbar mit einem reinen Nomadenvolke zu thun, wie uns die Chinesen die Tukiu, Hakas und Uiguren schildern. Die grosse Zahl verschiedenartiger Waff'en, wie Schwer- ter, Lanzen, Dolche, PfeUe etc., die sich in allen Gräbern jener Epoche vorfinden, beweisen uns auf s Deutlichste, dass sie nicht mit einem friedlichen, industriellen Volke in Verbindung zu bringen sind, wie die Völker des Bronze -Zeitalters offenbar waren, son- dern mit einem kriegerischen Volke, das mit seinen wilden Reiter- schaaren alle seine Nachbarn beunruhigte und in Schrecken setzte, d. h. einem Volke, das den von den Chinesen geschil- derten Türk -Völkern sehr ähnlich war. Man vergleiche, was die Chinesen von den Tukiu sagen: ,,Von Waffen haben sie Bogen aus Hom und pfeifende Pfeile, Lanzen, Säbel und Radioff, Aus Sibirien. II. 9 — 130 — Schwerter. Die Tukiu sehiessen sehr geschickt vom Berge herab. Streif- und Raubzüge unternehmen sie gewöhnlich vor dem Volhnond." Von den Hakas, die, wenn sie auch eigentlich kein türkisches Volk waren, dennoch sehr früh sich mit Türken vermischt und türkische Sitten angenommen hatten, berichten hingegen die Chinesen: „Im Kriege gebrauchen sie Bogen und Pfeile. Die Reiter bedecken ihre Hände und Füsse mit kleinen hölzernen Schildern. Sie haben ein Heer von 80000 Mann, das unter dem Oberbefehle von drei Feldherren steht. Die Männer ziehen zu Pferde, mit Bogen und Lanze bewaffnet, in den Krieg". Alle diese Angaben über die Waffen der alten Türk -Völker finden wir in den Gräberfunden der Eisenperiode bestätigt, denn selbst Spuren von Panzerplatten fanden sich in den alten Grä- bern am Berel. Die alten Kettenpanzer, die in verschiedenen Gegenden des Altai vorgefunden werden, stammen offenbar nicht aus dieser Periode, sondern sind viel später aus anderen Län- dern eingeführt worden, da sie in ihrer Form voDkommen mit den Kettenpanzern, die im südlichen Theile von Asien gearbeitet wurden, übereinstimmen. Ein so kriegerisches Volk, wie die alten Türken, trug gewiss stets seine Waffen als Schmuck und so ist es nicht wunderbar, dass die Waffen, die steten Begleiter des Mannes, auch dem Todten mit in's Grab gegeben wurden, damit sie ihm auch im Jenseits als Schutz und Schirm dienen möchten. Die Schwerter der alten Türken waren bis 1 Arschin 18 Worschok lang, einschneidig und ein wenig gebogen. Die Lanzen bestanden aus einem mehrere Arschin langen Schafte, an dessem Ende meist eine lanzettförmige Eisenspitze befestigt war, also dieselbe Form hatte, wie die Naisa der heutigen Kasak- Kirgisen. Pfeile und Dolche dieser Periode habe ich oben schon genauer beschrieben. Zu erwähnen ist hier noch, dass sich Schwerter, Dolche und Lanzenspitzen nur in den Gräbern der älteren Epoche des Eisen -Zeitalters vorfinden, während die Gräber der neueren Epoche am Abakan von Waffen nur Pfeilspitzen aufweisen. Dies deutet darauf hin, dass die Türken der letzten Epoche nicht mehr zu einem grösseren Volke gehörten, welches grosse Heere gegen den Feind ausrüstete. Die verschiedene Form der Pfeil- spitzen, wie ich sie oben geschildert habe, beweist uns, dass die alten Türk-Stämme diese Waffen nicht nur im Kriege, sondern auch auf der Jagd verwendeten. Einige Pfeilpitzen sind so klein. — 131 — dass sie offenbar zum Erlegen kleiner Thiere, wie Eichhorn^ eben, Hermebn, Zobel, Marder, Fuchs dienten, deren Fell man möglichst wenig beschädigen wollte. Zu gleichem Zwecke mögen auch einige stumpfe Holz- und Knochenpfeile gedient haben. Dass diese Thiere wirklich erlegt wurden, beweisen uns die in den Gräbern an der Katanda gefundenen Kleidungsstücke und die Angabe der chinesischen Annalen. Die Pfeile mit breiter Schneide dienten offenbar zum Erlegen von Vögeln: Gänse, Enten und Schwäne, wie auch Birk- und Auerhühner, die in grosser Anzahl im südlichen Altai, im Sojonischen Gebirge und in den anliegenden Steppen den Sommer zubringen. Sehr schöne Abbildungen von Jagdscenen bietet ein silberner Becher vom Jenissei, von dem uns eine Zeichnung Messerschmidt' s vorliegt. Wir sehen hier mehrere Reiter, die vom Pferde herab jagen. Der eine schiesst nach einem über seinem Kopfe fliegenden Vogel, ein zweiter hält auf der linken Faust einen Jagdvogel, drei andere Reiter schiessen in verschiedener Stellung nach vor ihnen fliehenden Antilopen, während der sechste Reiter nach einem ihn anscheinend verfolgenden Raubthiere schiesst. Diese Jagdbilder werden noch durch Felsenzeichnungen am Jus ergänzt, die sich neben den vorhererwähnten Zeichnungen der Bronze- periode finden, aber durch Wahrheit der Darstellung von diesen unterscheiden und offenbar mit scharfen eisernen Instrumenten in den Felsen geritzt sind. In ihrem Charakter stimmen diese Zeichnungen mit denen des vorher erwähnten silbernen Bechers überein, so dass wir sie sicher den Völkern des späteren Eisen- Zeitalters am Jenissei zuschreiben können. Wir sehen hier neben anderen Jagdscenen dargestellt: berittene Jäger, die mit Bogen und Pfeil bewaffnet, Rehe, Hirsche, Elennthiere und Füchse verfolgen. Einer der Reiter verfolgt solche Thiere und sendet ihnen vom Pferde den todtbringenden Pfeil nach", indem er offenbar hoch im Sattel steht. An einer anderen Stelle ist die Jagd auf reissende Thiere dargestellt. Da sehen wir Tiger, Luchse, Wölfe und Bären. Diese wilden Thiere wagt der Jäger aber nicht vom Pferde herab anzugreifen, da er hier nicht sicher zu schiessen vermag und der vorbeigeschossene Pfeil ihm leicht den Tod bringen kann; er steigt vom Pferde, schleicht an das Thier auf Schussweite heran, lässt sich aufs rechte Knie nieder, «tützt den Ellbogen des linken Armes auf die linke Knie, zieht mit der rechten Hand die Bogensehne bis — 132 — 3sur Schulter zurück, wälirend er mit der linken Hand den Bo- gen hält, und sendet so den furchtbaren Feinden den sicher tödtenden Pfeil zu. Es verdient einer besonderen Beachtung, dass sich in allen Gräbern des älteren Eisenzeitalters eine grosse Menge von Pferde- skeletten finden. So deckten wir, wie ich schon erwähnt, 16 Pferde- skelette in dem grossen Grabe der Berel- Steppe, in anderen Gräbern 8, 6 und 4 Pferde, ja in den kleineren Gräbern an der Katanda sogar 2 — 3 Pferde auf. Dieser Umstand sowohl wie auch die Felsenzeichnungen dieser Periode, die nirgends Fussgänger, sondern ausschliesslich Reiter darstellen, beweisen uns, dass die Völker der älteren Eisenperiode unbedingt Reiter- völker gewesen sind, wie ja auch die chinesischen Annalen uns seit den ältesten Zeiten die Türkvölker als Reitervölker schil- dern. Dies kann uns nicht Wunder nehmen, denn überall, wo Türken auch in späterer Zeit in der Geschichte auftreten, er- scheinen sie als berittene Horden, wie ja alle in den Steppen Westasiens verbliebenen Türken, die Kirgisen, Kara-Kirgisen, Karakalpaken und Turkmenen bis jetzt echte Reitervölker ge- blieben sind. Aber auch die nach Südsibirien verschlagenen Türk- Stämme haben diese, Lebensweise nicht geändert, dies beweisen uns die Gräber der neueren Eisenperiode am Abakan, in denen sich überall zahlreiches Pferdegeschirr vorfindet, wie auch die Lebensweise und Sitten bei den Altajem und Katschinzen. Selbst- verständlich gaben Reitervölker ihren Todten auch Reitzeug und Pferdegeschirre mit auf die weite Reise in's Jenseits. Aus den in den Gräbern des Eisenzeitalters angetroffenen Alterthümern ist ersichtlich, dass die Völker des Eisenzeitalters von altersher Sättel und Steigbügel kannten. Ich habe selbst ein Paar Steigbügel in einem alten Grabe an der Buchtarma gefunden und in dem grossen Grabe an der Katanda fanden sich zwischen den vorherbescliriebenen, aus Holz geschnitzten Statuetten, Pferdchen mit Sätteln auf dem Rücken, deren vorderer Theil mit Goldblättchen verziert war. Die Hufe dieser Pferde- statuetten waren auch mit Goldblättchen überzogen. Vielleicht deutet dies darauf hin, dass die ältesten Völker des Eisenzeit- alters auch die Hufe ihrer Pferde verzierten. Dass sie aber vielfach Zierath am Pferdegeschirr anbrachten, beweisen uns nicht blos Schnüre mit aufgezogenen Eberzähnen, die wir in einigen Gräbern an der Buchtarma am Halse von Pferdeskeletten auf- — 133 — fanden, sondern auch die hölzernen, mit Gold überzogenen Ver- zierungen aus dem grossen Grabe am Berel, die offenbar an der Mähne der Pferde befestigt waren. Ob man schon in ältester Zeit die Pferde beschlug, vermag ich nicht zu entscheiden, da ich nirgends Spuren von Hufeisen in den älteren Gräbern vor- gefunden habe. Dass das Beschlagen von Pferden aber später bei Völkern des Eisenzeitalters Sitte war, beweisen uns in einem Grabe am Abakan vorgefundene Stücke von Hufeisen, die aus einer dünnen Eisenplatte mit Nagellöchern bestanden und den jetzt in China gebräuchlichen Hufeisen entsprechen. Ausserdem fanden sich aller Orten Pferdegebisse mit grossen Ringen an den Seiten und in den späteren Gräbern mit zierlich und sehr ver- schiedenartig geformten Seitenstangen. An den Ringen der Ge- bisse waren Seitenriemen befestigt und an diesen Querriemen. Zum Theil waren diese Riemen direct mit den Ringen des Gebisses verbunden, zum Theil durch metallene Beschläge. Alle Riemen des Zaumes waren mit Metallzierath belegt, der in den ältesten 2ieiten bei Reichen aus aufgenähten feinen Goldblättchen oder starken massiven silbernen Beschlägen , die mit silbernen Nieten festgenietet waren, bei Aermeren aus ähnlichen kupfernen Be- schlägen bestand. In späteren Perioden wurden auch eiserne, mit Gold oder Silber ausgelegte Riemenbeschläge angewendet, wie sie die reichen Kirgisen noch bis auf den heutigen Tag haben. Auf den Stirn- und Nasenriemen der Pferdezäume wur- den oft runde Platten mit kleinen Schellen befestigt. Die Sät- tel der Völker des Eisenzeitalters hatten oflFenbar vom einen breiten hohen Holzrand, wie ihn jetzt noch die chinesischen Sättel zeigen. Dieser war bei reichen Leuten mit Metallbeschlag verziert, der natürlich dem Riemenbeschlage entsprach. Am hinteren Theile des Sattels waren, wie mir vorgefundene Metall- beschläge bezeugen, seit den ältesten Zeiten zwei Riemen an- gebracht, die durch Ringe mit dem Schwanzriemen verbunden waren 5 in späterer Zeit wurden auch Brustriemen angewendet, dies beweisen uns auf's Deutlichste drei Metallbeschläge, die an einem grossen Ringe befestigt waren und die sich öfter in den abakanischen Gräbern der neueren Periode vorfinden. Die den Sattel haltenden Bauchriemen waren nur schmal, gerade wie sie noch heute die Reitervölker Asiens anwenden, das be- weisen uns die bei den Pferdeskeletten vorgefundenen Bauch- riemenschnallen. Die in der Mitte der Pferdeskelette im grossen — 134 — Grabe am Berel aufgefundenen Verzierungen aus Birkenrinde, die mit Goldblättchen überzogen waren, scheinen mir darzu- thun, dass auf dem Bücken der Pferde Scbabraken gelegen haben, die mit den Goldblättem verziert waren. Die Steigbügel haben meist sehr dünne Bügel, aber eine breite Sohle, die in der neueren Periode des Eisenzeitalters oft reich verziert wurde. Die Hauptbeschäftigung dieses Reitervolkes war offenbar die Viehzucht, die sie auch veranlasste, ein Nomadenleben zu führen. Ausser den Pferden hielten sie, wie uns F.elsenzeich- nungen am Jus und Jenissei beweisen: Schafe, Ziegen, Horn- vieh und Kameele. Dasselbe melden uns auch die Chinesen von den Hakas: ,,Ihre Pferde sind hoch und stark, diejenigen gelten als die besten, welche miteinander zu kämpfen lieben. Sie besitzen auch Kameele und Rinder, und Rinder mehr als Schafe. Reiche Leute besitzen ihrer mehrere tausend." Von den Tukiu wird nur erwähnt, dass sie Schafe und Pferde opfern. Dann aber über die Lebensweise derselben: ,,Wenn auch Nie- mand einen festen Wohnsitz hat, so besitzt dennoch Jeder seinen Antheil Land." Ich habe schon erwähnt, dass gewiss diese Landantheile sich nur auf die Wintersitze beziehen. Die Weide- plätze der einzelnen Aule waren, wie auch noch heute bei den nomadisirenden Kirgisen, überall familienweise vertheilt. Völker, die sich mit einer so ausgedehnten Viehzucht, wie die Chinesen von den Hakas erzählen, beschäftigen, können überhaupt nur ein Nomadenleben führen, da ihre Heerden sonst bald an Gras- mangel leiden würden. Das Leben dieser alten Nomaden schil- dern uns die Chinesen sehr ausführlich bei Gelegenheit der Beschreibung der Sitten der alten Kaotsche (Uiguren), wo es wörtlich heisst: ,,Die Kaotsche nomadisiren von Ort zu Ort, je nach der Fülle von Wasser und Gras." Bei diesen Nomaden- zügen benutzten die Kaotsche hohe zweiräderige Karren, was nach Angabe der Chinesen auch die Veranlassung gewesen ist, dass ihnen der Name Kao-tsche (hohe Wagen) gegeben wurde. Dass auch die Völker des Eisenzeitalters dergleichen Wagen be- nutzt haben, beweist uns eine Felsenzeichnung nicht weit vom Jus, die einen verdeckten Karren mit zwei hohen Rädern dar- stellt, der mit einem Kameel bespannt ist. Ausser der Viehzucht beschäftigten sich diese Völker des Eisenzeitalters noch mit dem Ackerbau, wie ihn ja noch jetzt all© türkischen Nomadenvölker betreiben. Sie bebauten gewiss in — 135 — ähnlicher Weise ihre Aecker in der Nähe der Winterplätze und Hessen auf diesen einen Theil ihrer Knechte und Clienten zurück, während sie mit ihren Heerden im ELreislauf ihre Weideplätze durchzogen. An jenen Winterplätzen bauten die Hakas sich nach Angabe der Chinesen Hütten aus Birkenrinde (die so- genannten Alatschyk-üi der jetzigen Türken), während sie im Sommer in Filzzelten lebten. Wie verbreitet die Sitte der festen Wintersitze bei den alten Türken war, beweist uns unter anderem auch der Umstand, dass die jetzt angesiedelt lebenden Usbeken des Serafschanthales überall ihre Dörfer Kyschlak (d. h. Winter- sitze) nennen. Eingehendere Nachrichten über den Ackerbau bei den alten Türken geben uns die Chinesen nur in Betreff der Hakas, die nach chinesischen Angaben Hirse, Gerste, Weizen und Hymalaja-Gerste gesäet haben sollen. Die Aussaat fand bei ihnen im dritten Monate und die Ernte im neunten Monate statt. Dass der Ackerbau bei den Hakas nicht in grosser Ausdehnung betrieben worden, ergiebt sich aus den wenn auch nicht wörtlich zu nehmenden Angaben der Chinesen: „Sie nähren sich von Fleisch und Stutenmilch, nur der Asho (Herrscher) isst Speise aus Ge- treide." Ich möchte dies so verstehen, dass nur reiche Leute (wie auch bei den Kirgisen noch heutzutage) Ackerbau treiben konnten, da sie allein im Stande waren, Jurten und Arbeiter während des Sommers bei den Ackerplätzen zurückzulassen und zu ernähren. Auf die Beschäftigung mit Ackerbau und die Verwendung von Hülsenfrüchten bei den Völkern des Eisenzeitalters deuten auch mehrerorts vorgefundene Pflüge und Sicheln, wie auch runde Mahlsteine von Handmühlen und rauhe Steinplatten zum Zerreiben der Kömer hin. Die Anwendung der Handmühlen bei den Hakas wird auch in den Annalen der Chinesen bezeugt. Die in der Abakan- Steppe, am Uimon und an der Buchtarma an- getroffenen Anlagen alter Kanäle zur künstliehen Bewässerung der Steppe mögen zum Theil wohl auch Von den Völkern des Eisenzeitalters herrühren, doch scheint es mir unwahrscheinlich, dass Nomadenvölker oft so bedeutende Bewässerungsanlagen hergestellt haben; sie haben gewiss bei Gelegenheit derartige Anlagen der früheren Einwohner (des Bronzezeitalters) zum grössten Theile wieder hergestellt und benutzt. Nach Angabe der Chinesen haben die Hakas sich auch mit dem Fischfange abgegeben. Dass dies auch bei den Völkern — 136 — des Eisenzeitalters stattgefunden, beweisen uns im südlichen Al- tai in alten Gräbern vorgefundene Fischknochen, wie auch ein eisernes Instrument mit einem Widerhaken, das ich am Abakan auffand und für eine Harpune erklären möchte. Was uns die Chinesen über die Kleidung der Hakas mit- theilen, scheint zum Theil überhaupt der Kleidung der Völker des Eisenzeitalters zu entsprechen. Dies bezeugen von mir ge- fundene Kleidungsstücke aus den Gräbern der älteren Periode des Eisenzeitalters, die sich, dank dem Eise, in den Gräbern an der Katanda erhalten hatten. Das erste dieser Kleidungsstücke ist ein runder Mantel mit langen, aber so schmalen Aermeln, dass es mir unmöglich scheint, dass man in diese überhaupt die Arme stecken konnte. Der Mantel war mit Zobelfell gefüttert, das sich an einzelnen Stellen vollkommen unverletzt erhalten hatte; der üeberzug bestand aus Hermelinfellchen, die mit den Haaren nach aussen gekehrt waren. Diese Hermelinfelle waren roth gefärbt und in hufeisenförmige und vierkantige Stücke geschnitten, zwischen denen grüngeförbte Streifen desselben Fellwerkes genäht waren. Auf die schmalen, hufeisenförmigen grünen Pelzstreifen, die sich mit den Spitzen aneinanderreihten, waren überall bis zu elf runde, hölzerne, mit Goldblättchen überzogene Knöpfe genäht. Die zwischen den Hufeisen eingenähten Zacken waren mit ganz schmalen Lederriemen eingefasst, auf denen bei jedem Zacken 16 kleine viereckige Goldblättchen aufgenäht waren. Um den Hals und an den vorderen Seiten des Mantels waren in einer Breite von 4 — 5 Werschok 1 4 Reihen viereckiger dicht an- einandergefügter hölzerner Knöpfe genäht, die gleichmässig so mit Goldblättchen überzogen waren, dass immer vier Knöpfe durch ein Goldblatt bedeckt wurden. Acht Reihen ebensolcher Knöpfe umgaben den unteren Rand des Kleides. Auf den Schul- tern befanden sich ebensolche Streifen, aus 5 Reihen Knöpfen bestehend, an den Enden der Aermel ein Streifen von 8 Reihen und auf der äusseren Kante des Aermels von der Schulter bis zum Ende des Aermels 2 Reihen gleicher Knöpfe. Ebensolche feine Streifen von Knöpfen gingen aus jeder Aermelhöhle Mnd von dem mittleren Theile des Kragens am Rücken bis zum unteren breiten Saume herab. Das zweite Kleidungsstück ist von einer sehr merkwürdigen Form, die an unseren Frack erinnert. Es war ebenfalls mit — 187 — Zobelfell gefüttert, aber der Ueberzug bestand atig einem dunklen Seidensto£Pe (die Farbe desselben mag wohl erst durch das lange Liegen gedunkelt sein). Den vorderen Theil dieses Kleidungs- stückes bildet eine etwa bis zur Taille reichende Jacke ohne Kragen und mit einem bis zur Mitte der Brust reichenden spitzen Ausschnitte. Etwa in der Gegend der Hüften verlängert sich hinten der Kücken der Jacke in einen etwa l^/g Fuss breiten Streifen, der gewiss bis zu den Knöcheln herabreichte. Ein- gefasst war das Oberzeu^ rund um den Hals und der ganze Saum des Kleides von einem etwa 1 ^/a Werschok breiten Leder- streifen, der an beiden Seiten mit feinen sägeförmigen Gold- zacken benäht war. Auf den freien Raum zwischen diesen Goldzacken waren paarweise, etwa einen Zoll von einander ent- fernt, kleine kreisförmige Goldblättchen auf den Lederstreifen aufgenälit. Ein gleicher Lederstreifen lief von der Schulter an über die Brust bis zum äussern Bande des Kragens hin und ebenso über den Bücken etwa in der Höhe der Schulterblätter. Auch die Aermel waren mit einem ebensolchen • Lederstreifen eingefasst. Von den Schultern abwärts waren auf der äusseren Aermelnaht und von den Schulterblättern abwärts auf der Näht des Bückenstückes halb so breite Lederstreifen gesetzt, die aber nur mit sägeförmigen Goldstreifen eingefasst waren. Das dritte Kleidungsstück war ein Brustlatz, der ebenfalls mit Zobelfell gefüttert und mit Seidenzeug überzogen war; er hatte die Form eines Trapezes und war einfach mit einem Leder- streifen eingefasst, dessen Band mit -einem feinen goldenen Streifen verziert war. An die Ecken des schmalen oberen Randes waren gewiss kurze Riemen oder Bänder geheftet, die um den Hals gebunden wurden, während an den unteren Ecken längere Bänder befestigt waren, welche um die Taille geschlungen wurden. Die Chinesen erzählen uns zwar von den Hakas, dass bei ihnen nur die Frauen seidene und wollene Kleidung trugen; es scheint mir aber trotzdem, dass alle hier beschriebenen, an einem Orte gefundenen Kleidungsstücke männliche Kleider waren, da der Brustlatz zweifellos nur einem Manne angehören konnte. Dass ärmere Leute Schafpelze trugen, gerade wie die Chinesen uns über die Hakas berichten, beweisen uns die Üeberbleibsel eines solchen Pelzes in einem kleinen Grabe an der Katanda. Die Form dieses Pelzes liess sich leider aus dem Funde nicht er- kennen, denn das Leder war ganz verfault und nur wenige — las — Fetzen waren unversehrt geblieben. Zwischen den Haaren des Pelses hatten cdch einzehie Stücke einer Hose erhalten. Dieselbe war aus einem 2iemlioh groben Handgespinnst gefertigt., in ihrer Structur oflPenbar dem aus Kameelgam gewebten Ormök der Kirgisen ähnlich. Ganz unversehrt hatte sich der untere Rand eines Hosenbeines erhalten, er war so eng, dass man annehmen muss, diese Hose sei in engen Stiefeln getragen worden« An der einen unteren Seite war das Hosenbein aufgesclmitten und dieser Einschnitt sowohl wie auch der untere Rand selbst mit einer feinen Schnur benäht, deren Enden herabhingen und also wohl dazu dienten, den unteren Rand der Hose beim Knöchel zu be- festigen. Die Schnur, mit der die Hose unten und in der Grürtel- stelle eingefasst war, wie man aus einigen Stücken deutlich ersehen konnte, geflochten und nicht gedreht. In einem anderen Grabe fand sich ebendaselbst ein Filzstiefel oder Strumpf, dessen aus ganz feinem Filz gearbeitete Sohle durch und durch ge- steppt war. Der obere Theil des Schaftes, der ungefähr l^/g bis 2 Spannen lang war, war etwa 1 Werschok breit umgebogen. Ausser diesen Kleidungsstücken fanden sich bei zwei weiblichen Skeletten am Halse Spuren von schmalen, etwa 1 Werschok breiten Stehkragen aus recht feinem Zeuge, auf denen kleine nmde und ovale Kupferblättchen reihenweise festgenäht waren. Diese Kupferblättchen waren zum Theil von derselben Form imd Grösse wie einige im grossen Grabe gefundene Goldblättchen. Von Hüten oder anderen Kopfbedeckungen habe ich in keinem Grabe des Eisenzeitalters Spuren angetroffen. Dahin- gegen fand ich in einem Grabe an der Buchtarma eine aus einem Goldblatte ausgeschnittene Figur eines Reiters, der anscheinend auf dem Kopfe eine spitze Mütze trug, die fast ebenso lang war wie die Hälfte des Oberkörpers. Auch einer der am Felsen am Jus abgebildeten Reiter trug auf dem Kopfe eine spitze Mütze. Aehnlich schildern uns die Chinesen die Mützen der Hakas. Zu diesen Angaben stimmen auch die spitzen Mützen, welche drei der Reiter trugen, die auf dem vorerwähnten silber- nen Gelasse, von dem uns Messerschmidt eine Zeichnung hinter- lassen, abgebildet sind, nur sind diese Mützen viel kürzer als die Mütze des Felsenbildes. Hierbei will ich noch erwähnen, dass das Bein des oben erwähnten Reiters im Felsenbilde am Jus von unten bis oben mit Querstreifen versehen ist; ich erkenne darin eine Nachbildung der Pelzstiefel, die aus den Fellstreifen — 139 — der Kehfüsse genäht werden und daher bunt gestreift sind* Solehe Stiefel tragen manche Altajer noch heute über einem langen Pelzstrumpfe. Die Schmucksachen aus Gold, Silber, Bronze und Kupfer, die sich in den von mir geöffneten Gräbern nur in geringer Zahl vorfanden y sind, wie ich schon oben erwähnt: Knöpfe, Gürtelbeschläge, Agraffen, Gürtelschnallen, auf Klleidungsstücke genähte Metallplatten, Fingerringe, Ohrringe, kleine Schellen und metallene Zopfverzierungen. Absichtlich gebrauchte ich im Vorhergehenden meist den Ausdruck „Völker des Eisenzeitalters ^^, weil meine Graböff- nungen und die mir vorliegenden Alterthümer noch nicht hin- reichen, diese Völker zu specialisiren. Offenbar waren die im Sü- den wohnenden Völker des Eisenzeitalters, die die grossen Stein- schüttgräber« zurückgelassen haben, türkische Völkerschaften, wie auch das Volk, das die neueren Gräber am Jenissei errichtete, Jenissei-Kirgisen oder Nachkommen der schon so früh türkisirten Hakas, da dieselben vom VI. bis zum XVII. Jahrhundert un- imterbrochen die Thäler imd Steppen am oberen Jenissei und am Abakan bewohnten. Ebenso scheinen mir die Gräber der östlichen Kirgisen-Steppe nach Norden bis zum mittleren Irtisch von Türkstämmen hinterlassen zu sein. Ob aber die Gräber des Eisenzeitalters am nördlichen Altai, zwischen Irtisch und Tscho- lym lind an den Flussgebieten des Tobol, Ischim, des unteren Irtisch und der Tara ebenfalls von Türkvölkem zurückgelassen sind, ob sie von ugro-samojedischen Stämmen oder Jenissejem errichtet wurden, vermag ich in keiner Weise zu behaupten oder zu bestreiten. Zur Entscheidung dieser Frage bedarf es noch vieler Untersuchungen und Graböffnungen, die hauptsäch- hch am unteren Irtisch, im Gebiete des Tobol, in der nördlichen Kirgisensteppe, im Gebiete des mittleren Ob imd am Tom vor- genommen werden müssten. Ebenso wichtig wäre die Unter- suchung der Gräber der Mongolensteppe und zuletzt eine Oeff- nung der reichen Grabfelder zwischen Buchtarma, Nor Saisan imd der Stadt Sergiopol. Während die Türken Mittelasiens durch die Berührung mit den südlichen Kulturvölkern zu einer höheren Stufe staat- hcher Entwickelung emporstiegen, sank bei ihren nördlichen Brüdern und bei den ihnen unterworfenen Stämmen der Ugro- Samojeden und Jenissejer, die von jedem engeren Verkehre — 140 — mit den Nachbarn abgeschnitten waren, der frühere Kulturstand- punkt immer mehr herab; sie zer&plitterten sich in kleine Stämme, die in ununterbrochenen Fehden und Kämpfen sich selbst ver- nichteten und zuletzt zu jener ünbedeutenheit herabsanken, in der die Bussen sie im XVII. Jahrhundert in Sibirien vorfanden. Mit dem Niedergange der politischen Bedeutung dieser Völker und ihres Kulturstandpunktes nahmen natürlich auch der Reich- thum und die Arbeitskraft derselben ab, so dass sie bald nicht mehr im Stande waren, ihren Todten hohe Grabmäler zu er- richten. Es schwand bei ihnen zuletzt die Sitte des Aufschütten» der Todtenhügel gänzlich, und sie nahmen zum Theil die Be- erdigungsweise der Mohammedaner, zum Theil die der Mongolen an. Dagegen scheint es, als ob in einzelnen Theilen Sibiriens sich die Sitte des Errichtens von Kurganen länger erhalten hat sls in anderen, wenigstens kann ich dies von einem Theile nach- weisen, wo die Errichtung der Grabhügel noch bis ih's XVII. Jahrhundert fortgesetzt wurde. Ich meine die Gegend am Tscho- lym, nördlich von Mariinsk, wo ich die schon geschilderten Grab- felder neuester Epoche in grosser Anzahl vorfand. Der Kulturstandpunkt der Tscholymbewohner des XVI. und XVII. Jahrhunderts war ungeföhr derselbe, auf dem sich noch heute die meisten Eingeborenen Südsibiriens befinden. Wie die in den Gräbern vorgefundenen Gegenstände beweisen, verstand dieses Volk kleinere Gegenstände aus Kupfer und Eisen zu bearbeiten, denn es unterliegt keinem Zweifel, dass einzelne Messer, eiserne Pfeile und die aus Eisen- und Kupferblech ge- schmiedeten Kessel an Ort und Stelle gearbeitet wurden. Offen- bar gewannen sie aber die Metalle, die sie verarbeiteten, nicht selbst, sondern erhielten Eisen und Kupfer in Form von Stangen und Blechen durch Vermittelung der russischen Kaufleute. An- dere Gegenstände aus Eisen, Kupfer und Messing sind offen- bar aus Eussland eingeführt. Zu diesen rechne ich einige Messer, Beile, Scheereh u. s. w. und alle Schmucksachen, Finger- ringe aus Messing, Ohrringe aus Messing, messingene Agraffen, Schnallen und auch Metall- und Glasperlen u. s. w. Die reichlich vorgefundenen Waffen (knöcherne und eiserne Pfeilspitzen) beweisen uns, dass jene Völker sich mit der Jagd beschäftigte, die auch bis jetzt noch eine Hauptbeschäftigung der Einwohner jenes Landstriches ausmacht. Dass sie ausser- dem Pferde besassen und dieselben zum Reiten benutzten, geht - 141 - aus den in deQ Gräbern aufgefundenen Pferdegebissen hervor. -Ob sie noch anderes Vieh hielten, lässt sich aus den Gräber- funden dieser Epoche nicht nachweisen. Ob und wie man sich mit dem Ackerbau beschäftigte, ist nicht bestimmt anzugeben; Sichehi habe ich nirgends gefunden, vielleicht haben einige grössere Kelte aus Eisen, die offenbar eigene Arbeit waren, als Hacken zum Auflockern der Erde gedient. In diesem Falle hätten die alten Tscholymbewohner den Ackerbau nach Art der Schwarzvald-Tataren betrieben. Kleine eiserne Kelte derselben Form haben gewiss zum Ausgraben der Kandykwurzeln und Lilienzwiebeln gedient, die seit ältester Zeit ein Hauptnahrungs- mittel der samojedischen Völker gewesen sind. Ausserdem habe ich von eisernen Instrumenten ein Schnitzeisen und mehrere kleine Kelte gefunden, die wohl zum Bearbeiten der Holzschalen be- nutzt wurden. Solche Holzschalen, einige mit Stiel, die offenbar als Trinkschalen gebraucht worden, fand ich in einigen Gräbern. Sehr vereinzelt fand ich die Scherben von irdenen Gefössen imd zwar nur in den Grabhügeln, so dass diese wahrschein- lich aus einer späteren Zeit herrühren. Der Umstand, dass die alten Tscholymbewohner an Stelle der früheren irdenen Gefilsse Kessel aus Eisenblech oder Kupfer und hölzerne Trinkschalen zu den Todten in's Grab legten, deutet darauf hin, dass dieses Volk nicht mehr verstand, irdene Gefösse zu arbeiten. In Be- treff der Kessel ist noch zu erwähnen, dass die kupfernen Kessel aus einem Stücke getrieben sind. Die eisernen Kessel bestanden aber aus zwei Stücken, dem Rande und dem Boden, und beide Theile waren durch grosse Nieten aneinander befestigt. In einem einzigen Grabe fand ich einen eisernen Schuppenpanzer. Das Panzerhemd war mit einem rothen Wollenzeuge gefüttert, von dem ganze Stücken sich noch sehr gut erhalten hatten. Das Wollen- zeug war sehr grob und den Wollgespinnsten der russischen Bauern ähnUch, so dass wir wohl annehmen können, dass es eigenes Fabrikat war. Ein Stück Leinenzeug, das sich in einem weiblichen Grabe am Tscherdat vorfand, ist zweifellos durch russische Handelsleute eingeführt worden. lieber die Kleidung der Tscholymbewohner lässt sich nach den bei den Skeletten aufgefundenen Spuren mit Bestimmtheit nur Folgendes sagen: Sowohl Weiber wie auch Männer trugen Mützen aus Rehfell; ihr Hauptkleidungsstück war ein Pelz aus den Fellen der Thiere, die sie auf der Jagd erlegten. Ihre — 142 — Stiefel waren aus Fell oder Leder gefertigt und reichten fast bis zum Knie, in der Sohle und unter dem Hacken waren Birken- rindenstücke befestigt, die meist nur die einzigen Ueberbleibsel der vollständig verwesten Stiefel waren. Die Frauen trugen Ohrringe und Fingerringe, am Halse häufig einen eisernen Ring, an dem lange Schnüre mit Perlen befestigt waren. Auch an den Zöpfen waren Glasperlen befestigt. An der linken Seite trugen die Frauen ausserdem eine Agraffe oder einen Haken, an dem Perlen- schmuck herabhing, an diesem Haken hing eine Tasche mit dem Nähwerkzeug, Fingerhut und Scheere. Die Männer trugen einen Gurt mit oder ohne Metallbeschlag und an der linken Seite ein in einer Holzscheide steckendes Messer. Auch an den Händen der Männer fanden sich Ringe aus Messing mit und ohne Glassteine. Da die Einrichtung der Gräber am Tscholym mit der Grab- einrichtung der alten Völker des Bronzezeitalters übereinstimmt und weil ausserdem gerade in dem Gebiete dieser Gräber die Flussnamen darauf hinweisen, dass hier zuletzt Jenissejer ge- wohnt haben, so sind wir vielleicht berechtigt, anzunehmen, dass es Gräber der alten Arinen sind, die sich für Nachkommen des Volkes der Bronzeperiode halten. In einer früheren Ab- handlung über die Ureinwohner Sibiriens, die ich in dem „Ma- lerischen Russland'* veröffentlicht habe, hatte ich angenommen, dass es die Ugro-Samojeden waren, die sowohl die Gräber der alten Bronzeperiode wie auch die Gräber am Tscholym zurück- gelassen haben, während ich der Ansicht war, dass die Jenissejer vor den Samojeden im wilden Zustande am Altai -Gebirge ge- haust und keinerlei Spuren der Kultur zurückgelassen hätten. Ich habe diese meine Meinung nach genauerer Durcharbeitung der chinesischen Quellen geändert und zwar besonders aus dem Grunde, weil die chinesischen Annalen schon im VII. Jahrhundert die Samojeden als Wurzelesser und Waldbewohner bezeichnen und ihnen denselben Namen geben, den ihre Nachkommen im Sojonischen Gebirge bis auf den heutigen Tag führen, nämlich Dubo (==Tuba). Zu derselben Zeit erzählen sie aber auch von den nördlichen Nachbarn der am Jenissei wohnenden Kirgisen, den Gelotschi, und schildern selbige als Verwandte der blonden Kirgisen und als ein ackerbautreibendes Kulturvolk. Da also die Gelotschi im Altai offenbar als ein eine andere Sprache (als die türkisch sprechenden Kirgisen) redendes blondes Volk ge- — 143 — schildert werden und die von den Chinesen als blonde Völker bezeichneten Stämme Hochasiens offenbar alle untergegangen sind, so ist es viel wahrscheinlicher, dass alle diese Stämme zum Stamm der Jenissejer gehört haben, die ja auch sprachlich sich vollkommen von den schwarzhaarigen Ural-Altajem unter- scheiden. Andere Beweise als die oben angeführten habe ich nicht und meine Annahme, die Jenissejer seien Nachkommen des früheren Kulturvolkes Sibiriens gewesen, ist lediglich eine Hypothese, die vielleicht einige Wahrscheinlichkeit für sich hat. Würde sich nachweisen lassen, dass die Völker, die im Altai schon eine bedeutende Kulturstufe erreicht hatten, später nach Westen gezogen sind und den Ural überschritten haben, so könnten diese Stämme ebensowohl Verwandte der blonden Finnen gewesen sein. Ja es ist sogar nicht unmöglich, dass einige indo- ger- manische Stämme, wie Ritter annimmt, bis nach Hochasien vor- gedrungen sind, also vielleicht Germanen oder Slaven auch am nördlichen Rande Hochasiens eine gewisse Kulturstufe erreicht haben, aber später durch die von Süden eindringenden Horden vollkommen vernichtet wurden. So lange aber für die letzte Be- hauptung keine anderen Beweise vorgebracht werden können als die Bezeichnung ,, blondhaarig'* und „blauäugig", halte ich meine Annahme für die wahrscheinlichere. Es wird leider wohl nie möglich sein, die Frage über die Abstammung der ältesten Bewohner Sibiriens zur Entscheidung zu bringen. VIII. StreifzQge zur chinesischen Grenze und in die west- liche Mongolei und die dortigen Handelsbeziehungen zwischen Mongolen und Russen. K«ise zum ehinesiechen Piquet SÜk im Jahre 1860. Der Jahrmarkt am Byraty, 1860. Reise zu den Sojonen am Kara KöI und meine Irrfa}jrt zwischen den Quellen des Kemtscliik und Abakan im Jahre 1861. Reise ilber das Piquet 8äk nach der Stadt Kobdo im Jahre 18T0. — Die Han- delsbeziehungen zwischen Russen und Moi^olen an den östlichen Grenzen " ä und 3ire Zukunft. Tagebnoh während meines Aufenthaltes an der ohinesisohen Grenze, Östlich von der Taohnjasteppe (1860). (Den 15. Juni.) Je mehr wir uns dem südlichen Kand- gebirgfe der Tschujasteppe näherten, desto deutlicher konnten wir bemerken, wie sehr die Berge jedes BaumBchmuckes entbehren und in kahlen Wellen mit ihren schneeumsäumten Häuptern sich eintönig am Horizonte hinziehen. Todtenstille herrscht auf der weiten nackten Ebene, kein Vogelgezwitscher durchtönt die Luft, von Zeit zu Zeit nur huscht eine Feldmaus, ein Hamster oder ein Springhase unter meinem Pferde hervor, verbirgt sich aber sogleich in eines der zu Tausenden vorhandenen Löcher, welche die Steppenthiere überall gegraben haben. Einige Gazellen, die, vom Lärm unserer Karawane aufgeschreckt, eiligst das Weite suchen, viele am Boden hegende Schädel der Argali mit ihren riesigen, spiralförmig gewundenen Hörnern, und zahlreiche Schä- del von Füllen, welche hier die Beute der in der Steppe um- herschweifenden Wolfe geworden sind, sind die einzigen Spuren — 145 — von Leben in der weiten, öden Ebene. Abends spät erreichten wir den Fluss Jilmägän,- dessen Ufer mit fusshohem Grase xind niedrigem Gestrüpp bewachsen sind. Hier, am Fusse des Grenzgebirges, wurde das Nachtlager aufgeschlagen. Ein eisig- kalter Wind fauchte durch die Thalschlucht, der uns zwang, uns in die Pelze zu hüllen. (Den 16. JunL) In aller Frühe aufgebrochen und den Weg am Jilmägän aufwärts fortgesetzt. Bas Uferthal dieses Flusses ist sehr schmal und zu beiden Seiten erheben sich nackte, ab- gerundete Bergwellen. Sehr häufig hat sich der Fluss durch Felsen Bahn gebrochen, so dass sich der Weg an den Uferbergen entlang schlängelt; aber keinerlei malerische, romantische Bil- dungen der Felspartieen, meist nur Bergstürze und Geröll. Die Vegetation im Thale ist dicht am Flusse üppiger und flecken- weise bedeckt 1*/, Fuss hohes, grünes Gras die Flussufer. An den Bergwänden wächst nur spärliches, graugelbes Gras zwischen dem den Boden bedeckenden Geröll und Kies hervor, nur selten gewähren grüne, mit Zwiebelpflanzen bewachsene Flecke dem Auge einige Abwechslung. Die Temperatur ist hier trotz des Sonnenscheines nur wenige Grade über Null, so dass wir die Pelze den ganzen Tag über anbehalten. Unerträglich ist der ununterbrochene heftige Wind, gegen den auch nicht der dich- teste Pelz zu schützen vermag. Das einzige Thier, das sich in dieser öden Wüstenei aufhält, ist das Murmelthier (Tarbagaii), das zwischen den Felsblöcken seine unterirdischen Gänge angelegt hat. Das Pfeifen der ausgestellten Murmelthierwachen ist der einzige Laut, der die Todtenstille unterbricht. Skelette und Schädel von Argali, Moschusthieren und Wölfen trafen wir auch hier in grosser Zahl an. Um die Mittagszeit wurde Halt gemacht, um uns durch einö Mahlzeit zu stärken. Unser Zelt aufzustellen, erlaubte uns der Wind nicht; so gab es denn kein anderes Mittel, uns vor dem schneidend kalten Sturme zu schützen, als dass wir uns platt auf der Erde ausstreckten, da der Luftzug bei der Unebenheit des Bodens dicht an der Erde bedeutend schwächer ist. In so un- bequemer Stellung, auf dem Bauche liegend, nahmen wir unser aus Grütze bestehendes Mahl ein, das uns trotz aller Unge- mächlichkeit nach dem anstrengenden Kitte vortrefflich mundete, R a d 1 of f , Aus Sibirien. II. 10 — 146 — Je höher wir stiegen, desto mehr nahm die Vegetation ab. Als wir den höchsten Bergkamm erreicht hatten, war fast nir- gends mehr das spärliche Gras zu entdecken, nur gelbes Ge- röll bedeckte den Boden. Hier verliessen wir den Jilmägäu und setzten unseren Weg an einem kleinen Nebenflüsschen des Sök fort. Dieses Flüsschen war zu beiden Seiten von schwarzgrauen Schieferfelsen eingeengt, deren dunkle Farbe die unfreundliche Umgebung noch verdüsterte. Dem Wasserlaufe folgten wir wohl 1 ^/j Stunden lang. Der Himmel hatte sich mit schwarzen Wolken überzogen, es war schneidend kalt und ein feiner Schnee be- gann zu fallen; unter solchen Umständen ist es ganz verständ- lich, dass der mehrstündige Ritt in einer Schlucht zwischen schwarzen Felsen, die jegliche Fernsicht unmöglich machten, uns in eine böse Laune versetzte. Endlich öffnete sich das Thal des Sök und vor unseren Augen zeigten sich die am jenseitigen Ufer sich aufthürmenden eintönigen Bergwellen. Noch kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir den Fluss Sök gerade an der Stelle, an der das chinesische Piquet am jenseitigen Ufer liegt. Das Piquet bot einen ebenso traurigen ^blick dar, wie die dasselbe umgebende Landschaft. Am linken Ufer des Flusses Sök standen etwa 8 — 10 Filzjurten, die vollkommen unbewohnt schienen, denn weder Menschen noch Thiere waren bei denselben zu sehen. Nur aus einer Jurte stieg ein dünner Rauch auf. Wir hatten erwartet, hier russische Kaufleute zu finden, aber keine Spur von ihnen zeigte sich am diesseitigen Ufer. Nach- dem wir eine passende Stelle zum Aufschlagen des Zeltes ge- funden hatten, liess ich die Pferde abladen und unser Lager aufschlagen. Etwa nach einer halben Stunde kam ein mongo- lischer Soldat zu uns herübergeritten und hielt mir eine lange mongoUsche Rede, von der ich nichts verstand. Da keiner meiner Führer des Mongolischen mächtig war, so konnte sich der Mongole nur durch Gesten verständlich machen. Wir ver- mochten aus diesen nur so viel zu entnehmen, dass irgend Jemand (ob Soldaten, ob Kaufleute?) jenseits des Sök nach Norden geritten sein musste. Als der Mongole das Vergebliche seiner Mühe, sich uns verständlich zu machen, eingesehen, drehte er sein Pferd kurz herum und ritt, ohne sich um uns weiter zu kümmern, in das Piquet zurück. Unsere Lage schien uns hier keineswegs angenehm. Fast 150 Werst von den Dwojedaner- Jurten entfernt, befanden wir uns an der Grenze eines Reiches, — • 147 — das wegen seiner Gastfreundschaft gegen Fremde keineswegs berühmt ist, ohne Waffen imd nur beschützt von 8 Dwojedanem, welche die den Chinesen unterworfenen Türböten, die hier über- all in der Nachbarschaft wohnen, wie das Feuer fürchten und bei der blossen Annäherung derselben sogleich das Weite ge- sucht hätten. Da die Kalmücken offen die Befürchtung aus- sprachen, es möchten ihnen in der Nacht die Pferde gestohlen werden, so rieth mein Kosak zur Rückkehr. Aber wie konnten wir zurück? die Pferde waren heute zu sehr angestrengt und Weideplätze sehr weit entfernt! Ich Hess deshalb das Zelt auf- stellen, nach drei Seiten Feuer anzünden und befahl, dass bei jedem Feuer eine Wache aufgestellt werde. Den Pferden lies» ich Vorder- und Hinterfüsse fesseln und sie dicht beim Zelte an Pflöcke binden. (Den 19. Juni.) In der Nacht zeigte sich nichts Gefähr- liches, die Wachtposten theOten nur am Morgen mit, dass die Mongolen uns gegenüber am jenseitigen Ufer des Flusses einen Wachtposten ausgestellt hatten. In der Nacht hatte der Wind noch zugenommen und es war so kalt, dass wir uns kaum er- wärmen konnten. Der Name des Flusses und desPiquets: Sök, d. h. ,,kalt**, ist ihnen mit Recht ertheilt worden. Wenn es hier im Juni so kalt ist, wie mag es erst im Herbst, Frühling und * Winter sein. (Sök liegt 8500 Fuss über dem Meeresspiegel.) Als wir aufgestanden waren und eben unseren Thee einnahmen, meldete einer meiner Führer, dass sich am jenseitigen Berg- rücken vier Reiter zeigten, die auf das Piquet zuritten. Als ich aus dem Zelte trat, sah ich, wie sie durch das Piquet ritten, dann über den Fluss setzten und auf unser Lager zukamen. Zwei dieser Reiter erkannte ich sogleich als Altajer, die anderen beiden waren mongolische Soldaten. Die Altajer meldeten uns nun, dass der chinesische General -Gouverneur, der ungefähr 15 Werst von hier sein Lager aufgeschlagen, von den russischen ELauf leuten erfahren habe, dass ein russischer Beamter hier am Piquet angekommen sei; er Hesse mich bitten, mit ihm zu früh- stücken. Falls ich die Einladung annähme, müsse ich mich aber beeilen, denn der Gouverneur müsse in einer Stunde abreiten. Ich trieb meine Leute zur Eile an, trotzdem ging es mit dem Aufbrechen nicht so schnell, wie ich gewünscht hatte, denn die Kalmücken hatten unsere Pferde bei Sonnenaufgang losgelassen 10* ' — 148 — und nun verging über dem Einfangen und Satteln wohl eine Stunde. Nach einer halben Stunde kam eine zweite Botschaft, die mich wieder zur Eile aufforderte. Um den chinesischen Be- amten noch anzutreffen, Hess ich die zwei bis dahin eingefange- nen Pferde satteln und ritt in Begleitung meines Kosaken und eines mongolischen Soldaten über die Grenze. Meine Frau Hess ich mit meinen Dwojedaner-Führem im Lager zurück. Auch jenseits der Grenze änderte sich der Charakter der Landschaft nicht. Ich fand dieselben graugelben Bergwellen, die zum Theil auf den Gipfeln mit Schnee bedeckt waren. Dieselbe TodtenstiUe überall. Nach Südosten scheint sich das Gebirge immer höher aufzuthürmen, dort sind hohe Schneeberge, die sich in ununterbrochener Kette fortsetzen. Nur wenige ganz unbe- deutende Bäche winden sich zwischen den von mir passirten Hügelwellen hindurch. Nirgends war eine Spur von mensch- Hchen Wohnstätten zu erbHcken. Ungefähr um 11 Uhr langten wir bei einem kleinen Flüss- chen an, wo d|is Lager stand. Leider kam ich zu spät, der Gouverneur war schon aufgebrochen und nur in der Ferne konnte man noch den ihn begleitenden Reitertrupp sehen. Hier im Lager herrschte ein buntes Treiben, denn Alles bereitete sich schon zum Aufbruch vor. Am östlichen Theile desselben ' standen wohl 10 Leinwandzelte russischer Kauf lernte, welche, wie mir mitgetheilt wurde, der chinesische Gouverneur selbst dorthin berufen, und bei denen er bedeutende Einkäufe, gegen 2000 Theeziegel (etwa 3000 Rubel), gemacht hatte. So wie der Gouverneur, so sollen aUe chinesischen Beamten, die auf der Grenze stationirt sind, sich mit dem Handel beschäftigen. Weiter ab von den vorher erwähnten Leinwandzelten der russischen Kaufleute standen etwa 20 Filzjurten der mongolischen Sol- daten. In einer dieser Jurten empfing mich der commandirende Offizier der hiesigen Grenzpiquete , welcher den Titel eines Ka führen soll. Er kam mir bis zur Thür seiner Jurte ent- gegen und führte mich feierHch bis zum Platze links von der Thür. Vielmals bat er mich mit sehr ceremoniösen Complimenten um Verzeihung, dass er mich hier nicht bewirthen könne, da er sogleich von hier aus zum Sök aufbrechen müsse, lud mich aber ein, ihn im Piquet zu besuchen. In der Jurte fand ich zwei chinesische Beamte, beide waren, wie sie mir selbst sagten, Mandschu. Der eine, der vorerwähnte — 149 — Ka, war Commandirender aller Piquets hiesiger Gegend, der andere wurde Dsurgan genannt und mir als Revisor des Grenz- gouvemements bezeichnet. Beide sind, wie man mir sagte, Militär-Offiziere, die^ könne man an den an den Mützen befes- tigten Eichhomf eilen erkennen. Der Ka, ein Mann von etwa 50 Jahren mit markirtem, ernstem Gesichte und starkem, lang herabhängendem Schurrbarte, trug dunkle Oberkleider aus Tuch und Beinkleider aus lila Sammet. Im Gürtel trug er einen chinesischen Säbel in rother Tuchscheide. Der Dsurgan, ein viel jüngerer Mann, hatte hellblaue Oberkleider aus Tuch mit heübraunen Aufschlägen und trug keinen Säbel. Auf dem Kopfe trugen beide die gewöhnliche chinesische Mütze. Auf der Mütze des Ka war eine grosse hellblaue Elfenbeinkugel befestigt, während sich auf der Mütze des Dsurgan eine weisse Elfßn- beinkugel befand. Nach einer Viertelstunde war Alles zur Rückkehr bereit und wir ritten zusammen mit den Kaufleuten zum Piquet am Flusse Sök zurück, wo wir uns von den chinesischen Beamten verabschiedeten. Nach Tische kamen die chinesischen Offiziere zu uns herüber und ich bewirthete sie mit Thee und Madeira, die einzigen Leckerbissen, die ich besass. Der Wein schien den Herren sehr zu munden und der Dsurgan fragte uns, ob sich nicht aus diesem Getränke eine sehr nützliche Medizin anfer- tigen lasse. Bei diesem Besuche bemerkte der Dsurgan meine Uhr und fing an, darauf zu bieten; ich nannte ihm den Preis, den sie mich gekostet hatte und erklärte mich bereit, sie ihm dafür abzulassen. Nach einer Stunde brachen die Offiziere auf und luden mich und meine Frau zum Abendessen ein. Kurze Zeit darauf bekamen wir viele Gäste, die mongo- lischen Soldaten kamen in grosser Menge an das diesseitige Ufer, theils um mit den Kaufleuten, die jetzt nicht weit von uns ihr Lager aufgeschlagen hatten, zu handeln, theils um uns, besonders meine Frau, zu sehen. Sie waren alle sehr ehrerbietig und musterten uns vom Kopf bis zu den Füssen, besahen jeden Knopf und erkun^gten sich nach den Preisen von allen uns gehörigen Gegenständen; die hiesigen Mongolen scheinen eiuv gutmüthiges, freundliches Volk zu sein. Alle hier im Piquet wohnenden Mongolen sind vom Stamme Chalka;. ihre Physiognomie unterscheidet sich wenig von der der Dwojedaner und Altajer: dieselben schief Hegenden Augen und — 150 — hervorstehenden Backenknochen und die nach hmten gedrückte Stirn. Sie sind aber grösser als die Altajer und ihre Bewegungen zeigen mehr Lebendigkeit und Feuer. Sie tragen das Haar ganz wie die Altajer; ihre Kleidung ist zwar genau nach einem Schnitte, aber in der Farbe verschieden. Sie tragen lange Kaftane von rothem, gelbem oder grünem Baumwollenzeuge, gewöhnlich mit schwarzem Kragen und kleinen, runden Messing- knöpfen. Auf dem Kopfe haben sie chinesische Mützen, die entweder mit schwarzem Sammet oder mit Fellwerk besetzt sind. Die Spitze der Mütze ist aus rothem Zeuge und der Knopf aus Leder, bei zweien oder dreien bemerkte ich Glaskugeln wie bei den Schülängi iier Dwojedaner, was ein Abzeichen der Unteroffi- ziere sein soll. Den Nachmittag brachte ich im Piquet zu, theils betrachtete ich die Jurten der mongolischen Soldaten, theils wohnte ich dem Tauschhandel der Kaufleute bei. Gegen Abend begaben wir uns zur Jurte des Dsurgan, die im Inneren sehr sauber und freundlich eingerichtet war. Die Wände und der Fussboden waren überall mit Teppichen bedeckt. In der Mitte der Jurte stand ein chinesischer Dreifuss oder vielmehr Vierfuss, denn die eisernen Dreifüsse der Chinesen bestehen aus vier eisernen Stäben, um die drei bis vier eiserne Reifen gelegt sind. Diese Dreifüsse sind für die hiesigen Verhältnisse sehr praktisch, da hier trockener Mist das einzige Brennmaterial ist; denn die Reifen des Drei- fusses halten das Brennmaterial und die glühenden Kohlen zu- sammen und gestatten trotzdem den Zutritt der Luft von allen Seiten. Vom Feuer an bis zur Thür, d. h. in der vorderen Hälfte der Jurte, standen an den Wänden Kisten und Säcke hinter Teppichvorhängen. Der hintere Theil der Jurte ist das eigentliche Wohnzimmer des Offiziers, hier war der Boden ge- dielt und wohl ^/g Fuss erhöht. In der Mitte dieses Raumes st«nd ein aus Brettern zusammengeschlagener Reisetisch, und an den drei Seiten desselben waren niedrige, etwa l^/j Fuss hohe Bänke aufgestellt. Die Bänke sowohl i^-ie auch der Fuss- boden waren mit Fellen belegt. Meine Frau, ich und die beiden Offiziere nahmen an den vier Seiten des Tisches Platz. Vor Jeden wurden jetzt kleine Zinnteller von etwa 3 Zoll Durch- messer und Stäbchen von EUfenbein gelegt. Da wir mit den letzteren nicht recht zu Stande kamen, gab uns der Dsurgan zierlich gearbeitete Gabeln aus Draht und silberne Löftel an — 151 -^ feinen Elfenbeinstielen. Die letzteren waren in Form der russi- schen Theesiebe gearbeitet. Zuerst wurde in Wasser gekochter Reis aufgetragen, dann Suppe in grösseren Näpfen, darauf verschiedene Fleischspeisen aus Hammel- und Kalbfleisch und vielerlei frische Gemüse und Salate. Wir zählten im Ganzen 18 verschiedenartig zubereitete Gänge. AUe Speisen schmeckten, der reichlich beigemischten Zwiebeln und Gewürze wegen, sehr scharf, aber durchaus nicht unangenehm. Uns, die .wir nun schon eine geraume Zeit von Hammelbrühe und Grütze gelebt hatten, erschienen dieselben sehr lecker und wohlschmeckend. Fleisch und Gemüse waren in ganz feine Scheiben geschnitten und sehr zierlich servirt. Zwischen je- dem Gerichte wurde in einer silbernen Flasche warmer Branntwein herumgereicht. Der Hals dieser Flasche lief nach Art unserer Kin- dersaugfl äschchen in eine feine Röhre aus, so dass man den Brannt- wein einsaugen musste; der Branntwein war so stark, dass man nur wenige Tropfen davon gemessen konnte. Das Mahl war trotz der schwierigen Verhältnisse ausgesucht und es bewies, dass die Chinesen grosse Feinschmecker sind, denn das Herbeischaffen von Gemüsen und anderen Leckerbissen zum Sök muss mit grossen Schwierigkeiten verknüpft sein. Der Kaufmann, der mir als Dolmetscher diente, erzählte mir, dass der Offizier täglich so speise, wöchentlich sende er ein Kameel zur Stadt Kobdq, um das für seine Küche Nothwendige zuzuführen. Der Dsurgan, der ununterbrochen umherreist, führt eine eigene Jurte als Küche mit sich. Der Gouverneur soll 5 Kameele mit Küchengeräth und Speisevorräthen für seinen eigenen Bedarf mit sich geführt haben. Nach eingenommener Mahlzeit begaben wir uns zur Jurte des Ka, wo der Thee servirt wurde. Diese Jurte war bei weitem nicht so gut eingerichtet wie die Jurte des Dsur- gan; sie ist grösser als diese und besteht aus zwei Zimmern, die aus zwei dicht nebeneinander gestellte Filzjurten, welche durch eine Thür miteinander verbunden sind, gebildet werden. Der hintere Theil des ersten Zimmers hat ebenfalls einen ge- dielten, etwas erhöhten Fussboden, und befindet sich hier das Bett des Ka und mehrere kleine Schränke. Ueber dem Bette war an einer Stange ein eiserner Napf angebracht, in welchem eine Talglampe brannte. Der Thee wurde ohne Zucker getrunken; da der Offizier aber bemerkte, dass er uns ungesüsst nicht schmeckte, Hess er uns — 152 — Krümelzucker reichen. Alsimbiss wurden recht wohlschmeckender Kuchen und getrocknete Früchte gereicht. Leider theilten mir die Offiziere nur wenig über die hie- sigen Vej-hältnisse mit, und zwar war die Zurückhaltung aU eine absichtliche zu erkennen. Die Mandschuoffiziere werden aus Peking auf drei Jahre in diese entfernten Gegenden des Reiches geschickt; dabei ist ihnen nicht gestattet, ihre Familie mit sich zu nehmen. Der Ka seufzte jedesmal, wenn man ihn nach seiner Familie und Heimath fragte. Es muss auch in der That eine schreckliche Qual sein, drei Jahre allein in einer so unwirthsamen Gegend und nur von ungebildeten mongolischen Soldaten umgeben zu- bringen zu müssen. Die Gehälter der Offiziere sind sehr niedrig, daher sind sie auch gezwungen, auf eigene Rechnung Handelsge- Schäfte zu unternehmen. Sie kaufen von den russischen Kauf- leuten Tuche und Eisengeräthe und von den Kalmücken Maral- hömer und zahlen dafür Theesteine, Seide, Tabak, Murmelthier- und Zobelfelle. Wie die Offiziere, so treiben auch alle Piquet- Soldaten Handelsgeschäfte. Im Laufe des Nachmittags hatte der Dsurgan schon mehr- mals meine Taschenuhr betrachtet und mir einen billigeren als den von mir geforderten Preis geboten ; da ich aber von meinem Preise nicht abgehen wollte, waren wir nicht handelseinig ge- worden. Spät am Abend kam er noch einmal zu meinem Zelte und liess mir nicht eher Ruhe, bis ich ihm die Uhr um einige Theesteine billiger abliess. Am Abend wurde bei meinem Zelte ein Feuer angefacht, da nur ich Brennholz besass, und um das- selbe versammelten sich die Kaufleute und viele mongolische Sol- daten und sangen und tanzten bis spät in die Nacht hinein. (Den 18. Juni.) Mangel an Proviant zwang mich schon am nächsten Tage zur Rückkehr. Ich besuchte am Morgen die Offiziere, verabschiedete mich von ihnen und verbrachte den übrigen Theil des Vormittages bei den mongolischen Soldaten des Piquets. Hier erhielt ich wenigstens einige Nachrichten über die hiesigen Grenzpiquets. Um die Grenze zu bewachen und sowohl den Uebergang der Dwojedaner auf chinesisches Gebiet, wie auch den der Türböt auf russisches Gebiet zu verhindern, ist an den Quellen der Tschuja, wo beide Völkerschaften zusammenstossen, eine — 153 -- ganze Reihe von Wachtposten errichtet. Diese haben ausser« dem den Zweck, die sehr berüchtigten Türböt-Stämme in Ord- nung zu halten, den Tribut, den die Dwojedaner dem chine- sischen Kaiser zu zahlen haben, in .Empfang zu nehmen und diese, die in ihr,en inneren Angelegenheiten UBter chinesischen Gesetzen stehen, zu beaufsichtigen. Die drei Hauptpiquets sind hier an den Flüssen Sok, Käk und Jystyt (jüs-tyt =«100 Lärchenbäume). Jedes dieser drei Pi- quets hat einen mongolischen Offizier als Kommandanten und über alle steht der Mpudschu-Beamte Ka, der am Sok seinen Sitz hat und viermal jährlich die übrigen Posten revidiren muss. Ausserdem ist noch eine ganze Reihe kleiner Posten südlich an der Grenze aufgestellt, diese werden aber nur von niederen Beamten befehligt. Das Piquet Sok ist das stärkste, es sind hierselbst über 100 Soldaten stationirt. Die Soldaten sind sehr schlecht bewaff- net, die meisten führen nur Säbel und Bogen. Feuergewehre sind nur vier im Piquet Sök vorhanden. Sie erhalten hier kein Pulver aus China, sondern kaufen dasselbe unter der Hand von russischen Kaufleuten. Der eine Offizier war naiv genug, mich um Pulver zu bitten, fügte aber, da er das Unpassende seiner Bitte selbst einsah, sogleich hinzu, dass der hier erwartete Pulvertransport aus dem Inneren noch nicht eingetrojffen, und dass das Pulver der Soldaten für sein Gewehr zu grob sei. Offiziere, wie auch Soldaten, werden auf 3 Jahre hierher kom- mandirt. Sie erhalten ihre Löhnung jährlich in zwei Raten und zwar nicht in Silber, sondern in Theesteinen, die hier ungeftlhr im Preise von l^/g Rubel stehen. Nachdem ich mich vom Ka und Dsurgan gegen Mittag verabschiedet, ritten wir in Begleitung des Kaufmanns Giloff ab. Wir kehrten nicht auf demselben Wege zurück, sondern auf einer kürzeren, das Grenzgebirge mehr westlich durchschneiden- den Strasse. Zuerst durchritten wir den Sök und blieben etwa 15 Werst auf chinesischem Gebiete. Während dieser ganzen Strecke sahen wir uns in geringer Entfernung von 4 bis 5 mon- golischen Soldaten verfolgt, die uns nachgeschickt waren, um uns an einem weiteren Vordringen auf chinesischem Gebiete zu verhindern. Nach etwa dreistündigem Ritte langten wir bei einem aus Steinblöcken und Argali-Hörnern aufgestellten Grenz- zeichen an. Bis hierher war der Weg fast ununterbrochen — 154 — bergauf gegangen. Jetzt traten wir in das Gebiet des Flusses Tsagan Burgasun ein, dem wir nun in seinem Laufe nach Norden folgten. Erst als wir am Abend das Grerfzgebirge der Tschuja-Steppe erreicht hatten, schlugen wir unser Nachtquartier in der Nähe einiger Dwojedanerjurten auf. Der Charakter der Landschaft war- auf der ersten Hälfte des Weges ohne die geringste Veränderung, dieselben hohen, kahlen Bergwellen, weiter südlich zog sich ein hoher Bergrücken, der mit Schnee bedeckt war, hin. In der Folge passirten wir bedeutende Schneefelder von 8 bis 10 Werst Länge. Auf der Höhe herrschte empfindhche Kälte und ununterbrochen wehte derselbe eiskalte Wind. Je mehr wir zum Tsagan Burgasun herabstiegen, desto freundlicher wurde die Natur, die Uferfelsen zeigten hier oft wildromantische Formen und die Thalebene war mit grünem, frischem Grasteppich bedeckt, ja selbst ein- zelne Bäume wurden am Ufer des Flusses sichtbar; zuletzt war die Ebene dicht mit Gestrüpp bewachsen und in den Berg- spalten war von Zeit zu Zeit ein kleiner verkrüppelter Lärchen- baum zu sehen. Unseren heutigen Ritt berechne ich etwa auf 70—80 Werst. (Den 19. Juni.) Da wir heute nur 40 — 50 Werst zu reiten hatten, so eilte ich nicht mit dem Aufbruch, sondern verliess erst gegen Mittag bei herrlichem Wetter mein Nachtquartier. Nach Zurücklegung weniger Werst hatten wir die offene Steppe erreicht und sahen in weiter Ferne die Waldungen des Koscha- gatsch vor uns liegen. Obgleich der Weg zu der Waldung höchstens 10 Werst weit erschien, war die Angabe des Kauf- mannes doch richtig, denn wir trafen trotz unseres ununter- brochenen Rittes erst spät am Abend bei den russischen Magazinen am Koschagatsch ein. Der Weg war gut und eben, nur hatten die kleinen Steppenthiere überall den Boden durchwühlt, was ein öfteres Stürzen der Pferde veranlasste. Etwa 25 Werst von Koschagatsch entfernt stürzte mein Pferd, da es mit einem Vor- derfusse in eines der Löcher trat, und ich fiel über den Kopf des Pferdes mit dem Gesichte auf den harten Boden, so dass ich einige Minuten besinnungslos liegen blieb. Den 20. bis 28. Juni brachte ich in den Magazinen der Kaufleute von Koschagatsch zu, da wir den Jahrmarkt erwarten — 155 — wollten. Am 28. Juni wurde uns endlich die erfreuliche Nach- richt gebracht, dass die mongolischen Soldaten angelangt seien und dass Tags darauf der Jahrmarkt beginnen werde. Die mongolischen Soldaten machen nämlich etwas nördlich von der chinesischen Grenze am Baichan Tasch (Zeltfelsen) Halt und benachrichtigen von dort aus die Saisane, dass das Heer gekommen sei und der Handel beginnen könne, und der Saisan seinerseits lässt diese Nachricht den russischen Kaufleuten zu- kommen. So geschah es auch in diesem Jahre. Wir Hessen da- her schon am Abend unsere Sachen packen, um früh morgens aufbrechen zu können. «I (Den 29. Juni.) Beise sehr früh angetreten. Der Weg, den wir einschlugen, war von mir schon zweimal zurückgelegt; zuerst wandte er sich direct nach Süden bis zum Tsagan Burgasun und dann nach Südosten zu den südlichen Grenzgebirgen. Am Nachmittag erreichten wir unseren Bestimmungsort am Flusse Byraty. Auf dem ganzen Wege derselbe einförmige Steppen- charakter ohne Leben und Abwechslung. Die letzten fünf Werst ging der Weg dicht am Fusse der südlichen Grenzhügel entlang. Der Byraty selbst ist ein kleines, wohl nur 10 Fuss breites Flüsschen; seine Ufer sind meist sumpfig und mit hohem, feinem Grase bewachsen. Als wir den letzten Hügel am Byraty erstiegen hatten, bot sich dem durch die eintönige Landschaft gelangweilten Auge unerwartet ein reizender AnbHck dar: das bunte Gewühl des Jahrmarktes, der jenseits des Hügels das breite Thalbeeken des Byraty einnahm, lag plötzlich vor unseren Augen und diese bedurften einiger Ruhe, um sich in dem Gewirr zurecht zu finden. Der Thalkessel des Byraty ist hier wohl eine halbe Werst breit und mit einem hellglänzenden grünen Rasenteppich be- deckt; das Flüsschen selbst schlängelt sich in vielen Windungen wie ein Silberfaden hindurch. Im Vordergrunde weideten Ka- meele, Pferde- und Rinderheerden im buntesten Gewirr durch- einander; im Hintergrunde liegen die Zelte des Jahrmarktes zerstreut umher. Rechts vom Flusse standen gegen zwanzig blaue Zelte, die uns als Zelte der Mongolen bezeichnet wurden. Hinter diesen Zelten waren Berge von Pelzwerk aufgeschichtet, die von einer Abtheilung Soldaten bewacht wurden. Etwas weiter südlich nach rechts zogen sich in mehreren Reihen die — 15G — weissen Zelte der russischen Kaufleute hin. Ganze Linien von heladenen Elameelen standen vor den Zelten; hier wurden Waaren abgeladen, dort grosse Paekete in die Zelte getragen, überall herrschte der grösste Eifer, denn Alles war bemüht, noch heute mit der Aufstellung der Waaren in Ordnung zu kommen. Noch weiter im Hintergrunde befanden sich am Fusse de» Grenzhügels zwei getrennte Zeltlager, das der Sojonen und der Türböten. Die Mongolen und Sojonen schienen schon ihr Tage- werk voüendet zu haben, denn sie lustwandelten schaarenweise zwischen den russischen Zelten umher. Die grelle, bunte Kleidung der Lustwandelnden verlieh dem ganzen Bilde ein eigenthüm- liches farbenbuntes Aussehen. Wir konnten von dem Hügel aus die verschiedenen Völkerschaften deutlich unterscheiden. Die Mongolen waren in rothe und gelbe lange Röcke gekleidet und trugen Mützen gerade wie die Piquet-Soldaten. Die Tür- " böten hatten hohe Pelzmützen mit viereckigen Deckeln und blaue oder grüne Röcke. Die Sojonen endlich waren an ihrer ärmlichen Kleidung deutlich zu erkennen ; in Pelzen ohne lieber- züge oder auch halb nackt, sahen sie zwischen den übrigen sehr stattlich Gekleideten wie ein Haufen von Bettlern aus. Der Saisan hatte für uns mitten auf dem Jahrmarkte zwei Jurten aufstellen lassen, eine für den Sassjedatel aus Biisk, die andere für mich. Nachdem wir uns in unserer Jurte recht behaglich eingerichtet und vor unserer Jurtenthür Platz ge- nommen hatten, versammelte sich bald ein ganzer Haufen von Lustwandelnden um uns herum. Einige Saisane der Türböt und Sojonen, die an ihren Mützenknöpfen zu erkennen waren, traten an uns heran und boten mir aus kleinen Glas- oder Stein- fl äschchen ihren Schnupftabak an, den ich zum Scheine dankbar annahm. Die Sitte des Tabakschnupfens ist, wie ich jetzt er- kenne, von China aus in den Altai eingedrungen und besonders unter den Dwojedanem verbreitet. Man hat den Schnupftabak in kleinen Fläschchen mit enger OeiShung, in welcher ein Stöpsel mit einem kleinen Löffel steckt. Mit diesem Löffel legt man den Tabak auf die Rückseite des Daumens und zieht denselben von dort aus in die Nase ein. Bei den Sojonen und Türböten scheint das Ueberreichen des Schnupftabakfläschchens der Pfeifen- ceremonie der Altajer und Dwojedanem zu entsprechen. — 157 — (Den 80. Juni hüs 9. Juli.) Am andern Morgen öfoeten die russischen Kaufleute ihre Waarenlager; die Mongolen, Tür- böten und Sojonen fanden sich schon in aller Frühe schaaren- weise mit Packeten von MurmelthierfeUen unter dem Arme auf dem Markte ein und feilschten mit ihrer Waare his spät in die Nacht hinein. Die russischen Kaufleute lassen wenig von dem bestimmten Preise ihrer Waaren ah, und das thun sie auch nur dann, wenn der Käufer mehrere Gegenstände auf einmal nimmt. Sie wissen es hei der Behandlung verschiedener Ohjecte so schlau einzurichten, dass der Käufer die Uehervortheilung nicht merkt und des eingehildeten Vortheües halher immer mehr und mehr kauft. Eün Beispiel möge das deutlicher zeigen: An- genommen, der Käufer fragt nach dem Preise eines Beiles. Der Kaufmann fordert- 6 Murmelthierfeüe. Der Käufer hietet deren vier. Der Kaufmann erwidert: „Wenn du 2 Beile nimmst, so gehe ich sie für 11 Feüe." Der Käufer hietet 10 FeUe. Nun sagt der Kaufmann: „Nimm noch diesen Kasten, er kostet 10 Felle, so gehe ich dir Alles für 20 Felle.'' Zu dem Kasten kommt noch ein Kasten, darauf ein Leder, Tuch und Daba, hei jedem Stück wird wieder 1 Fell ahgelassen, so dass zuletzt der Käufer etwa für 100 — 150 Feüe bei dem Kautinann gekauft hat. Bei diesem Einkaufe hat er etwa 15 Felle ahgehandelt, was, angenommen, dass der Handel wirklich um so viel hilliger ahgeschlossen ist, im Vergleich zu der Menge der gekauften Waaren in keinem Verhältnisse steht. Im Ganzen muss man sagen, dass die Verkäufer sehr freund- lich mit den Käufern umgehe, die Angeseheneren werden so- gar üherall mit Thee, Zucker und Zwiehack hewirthet. Jedoch ist diese Bewirthung mehr Kunstgriff, denn dahei sucht der Elaufmann den Gast länger hei seinen Waaren festzuhalten und die Lust zum Kaufen zu erregen. Die Mongolen bringen zuerst die schlechten Feüe zu Markte und bewahren die besseren und guten Felle bis zuletzt auf. Die reicheren Kaufleute kaufen die schlechten Felle gar nicht und machen daher am ersten Tage nur ganz unbedeutende Geschäfte. Bei den hier anwesenden mongolischen Soldaten befanden sich mehrere Lamas, die an ihren ganz kahl geschorenen Köpfen zu erkennen sind. Die Kaftane der Lamas sind gelb, einige tragen jedoch auch rothe Kaftane. Im Laufe des zweiten 0 8 — Nachmittags besuchten wir noch die Zelte der Türböten und der Sojonen, die alle in jämmerlichem Zustande sind. Hier be- währt sich so recht das Sprichwort: ,,Wer ein Dieb ist, sieht hinter jeder Thür einen Dieb**. Denn aus Furcht, dass man sie bestehlen könnte, kleiden sich die Sojonen so armsehg als mög- lich, obgleich sie im allgemeinen viel reicher sein sollen als die mongoHschen Soldaten. Ihre Pferde halten sie durch eiserne Fussfesseln aneinander gekettet, während sowohl Russen wie Mongolen die ihrigen frei umherlaufen lassen. Wie gut die chinesischen Offiziere den diebischen Charakter der Türböten und Sojonen kennen, beweist folgender Fall. Dem russischen Kaufmann Giloff war ein Pferd gestohlen, daher bat er den russischen Sassjedatel, dies den mongolischen Offizieren anzu- zeigen und um WiederbeschaflPung des gestohlenen Pferdes zu bitten. Der Offizier befahl darauf den Saisanen der Sojonen und Türböten unter Androhung harter Strafe, das Pferd aufsuchen zu lassen, und schon an demselben Nachmittage fand es sich bei der Heerde des Kaufmanns ein. In Betreff der Geschichte der Tschuja-Jahrmärkte habe ich Folgendes erfahren. Russische Kaufleute, die mit den Altajem und Dwojedanem Handel trieben, wurden vor einigen Jahr- zehnten von den Offizieren der Grenzpiquets zu einer directen Handelsverbindung aufgefordert. Die Kaufleute nahmen diese Aufforderung an, bauten in der Tschuja-Steppe am Koschagatsch Magazine mit Waarenlagern und brachten einen Theil des Jahres daselbst zu. Da der hohe Preis, den die Kaufleute für die Felle, besonders für die in China bis dahin vollkommen werth- losen Murmelthierfelle, zahlten, die Umwohner in Stand setzte, sich mit den für ihre Lebensbedürfnisse nothwendigen Waaren auf eine leichte Weise zu versehen, so vermochten die Piquets den Handel nicht mehr allein zu unterhalten. Dies veranlasste den Gouverneur der angrenzenden Provinz Chobdo, dreimal im Jahre 200 Soldaten unter Anführung eines Offiziers in die Tschuja-Steppe zu schicken, denen dann von Seiten der Ein- wohner die Besorgung der gewünschten Gegenstände übertragen wurde. Ein Saisan der Türböten und ein Saisan der Sojonen durften mit einem Theile ihrer Unterthanen die Soldaten begleiten. Da dieser Handel für die angrenzenden chinesischen Pro- vinzen von Jahr zu Jahr von grösserer Wichtigkeit wurde, so machte man den russischen Kaufleuten folgende Zugeständnisse: — 159 — 1) Die Kaufleute dürfen ihren Handel jederzeit bis zu den Piquets ausdehnen und die dort stationirten Offiziere müssen für die persönliche Sicherheit der Kaufleute sorgen. 2) Zur Jahrmarktszeit muss der beigeordnete Offizier für seine Leute einstehen und dafür Sorge tragen, dass keinerlei Diebstähle und Käubereien vorkommen. Ge- schieht dies dennoch, so muss der Offizier mit seinen Leuten das Gestohlene ersetzen. 3) Schulden dürfen die chinesischen Unterthanen weder in den Piquets noch auf den Jahrmärkten machen. Will ein russischer Kaufmann auf Borg etwas abgeben, so muss er dem Offizier davon Anzeige machen und dieser muÄS Sorge tragen, dass die Schuld bezahlt werde. Diese Bedingungen sind bis jetzt noch nie verletzt und die grössten wie die kleinsten Schulden sind stets richtig be- zahlt worden. Nach Angabe der Kaufleute erhalten die Soldaten, schon wenn sie sich eiijien kleinen Diebstahl zu Schulden kommen lassen, die heftigsten körperlichen Züchtigungen. Die drei Jahrmärkte sind: 1. Im Anfang Juni, beginnend den fünften des entspre- chenden Mondmonats. Die Kaufleute nennen ihn Tschwri (eine Verdrehung des Wortes Tschärüi ,,Heer, Heeres- abtheilung**. Die Kalmücken sagen nämlich „Tschärü käldi" = „das Heer ist gekommen", d. h. der Jahrmarkt hat angefangen.) 2. Ungefähr l^/g Monate später. Er wird Kalan genannt (wörtlich: Abgabe), weil die Dwojedaner zu dieser Zeit den Tribut nach China zahlen müssen. 3. Mitte December, er heisst deshalb der Weihnachtsmarkt (roshestwenskaja jarmonka). Die Waaren, welche hauptsächlich auf den Markt gebracht werden, sind: 1. Eisenwaaren, als: Beile, Messer, Kessel, Dreifüsse, Schöpfkellen, Kohlennäpfe, Fallen für Thiere, Pferde- fesseln, Schlösser, Schlüssel (besonders Vorlegeschlösser), ^ Eisen- stangen und Eisenbleche. 2. Messingwaaren: grosse und kleine Messingbecken, Theekessel, Messingdraht und Messing- blech. 3. Zeuge und zwar: a) Tuche (rothes, grünes, gelbes, hellblaues, andere Farben werden nicht gekauft); — b) Baum- wollenzeuge: weisse und blaue Daba; gelber, grüner, lila, rpther, hellblauer Nankin und goldbedruckter Kattun '(bunter — 160 — Kattun wird gar nicht gekauft). 4. Leder: lackirte Leder, kungnrisches schwarzes Leder, rothes, gelbes und braunes Leder, Lederstiefel und Schuhe. 5. Holzwaaren: sogenannte Irbit- scfaer Kasten (mit Blech beschlagen), kleine, bunte bemalte Kästchen, Geldkästchen mit drei Schlössern, lackirte Holzscha- len. 6. Uhren: Spieluhren, Spieldosen. 7. Vieh: Pferde, Bindvieh. 8. Maralhörner, diese werden von den Chinesen sehr hoch bezahlt; sie sollen als Arzneimittel dienen; ihr Preis ist aber nur dann sehr hoch, wenn sie frisch und noch mit Blut gefüllt sind. Die Kauileute trocknen diese sehr vorsichtig. Grosse Maralhörner sollen bis mit 1000 Rubel Banko (335 Rubel) bezahlt werden. Die Mongolen bringen auf den Markt: 1. Tarbag an- feile (Murmelthierfelle, deren Zahl auf dem diesmaligen Jahr- markte angebhch 80,000 betrug. 2. Zobelfelle (sehr wenige). 4. Seidenzeuge (gewöhnlich bunte), welche die russischen Kaufleute für reiche Eingeborene kaufen. 5. Ziegelthee. 6. Messer, Feuerstähle, Pfeifen. Der Handel an der Tschuja hängt auf das Engste mit dem Handel im Altai zusammen und ist durch die Verbindung mit dem letzteren erst vortheilbringend. Denn theils verkaufen die Kaufleute die von den Mongolen eingetauschten Waaren gleich im Altai, als: Ziegelthee, Seidenzeuge, Pfeifen, Messer, Feuer- stähle und die schlechten, kahlen Murmelthierfelle, theils ver- handeln sie von den Altajem gekaufte Waaren, als Maralhörner und Vieh, an die Mongolen. Haupthandelsartikel im Altai sind natürlich Pferde und Rindvieh, der einzige Reichthum der Altajer. Um die ange- kauften Rindvieh- und Pferdeheerden bei gutem Futter zu er- halten, haben die Kaufleute an verschiedenen Punkten des Altai Saimken angelegt, in denen sie zugleich Waaren -Depots für den Altai- und Tschuja -Handel und heizbare Häuser für die Winterzeit aufführen. Dieser ins Grosse gehende Viehhandel ist hier wie an anderen Punkten Sibiriens ein Krebsschaden, der inmier weiter frisst und das Volk immer mehr verarme» macht. Leute, die vor einigen Jahrzehnten den Altai bereist haben, versichern mich, dass im Altai so allgemeiner Wohlstand geherrscht habe, dass Altajer die nur 100 bis 50 Pferde be- sassen, zu den armen gerechnet wurden, während solche Leute heute als wohlhabend gelten. Der Grund des schädlichen Em- — 161 — flusses dieses Handels liegt hauptsächlich in dem Ankauf von Jungvieh. Die Kaufleute lieben nämlich vornehmlich ganz junges Vieh einzukaufen (das eben geborene Kalb zu einem Rubel rechnend), um dasselbe bei dem Besitzer der Heerde zu be- lassen, bis sie es nach 3 Jahren als fast ausgewachsenes Vieh abholen. Die Altajer ihrerseits gehen gern auf diese Bedingung ein, da ihre Kühe nur dann Milch geben, wenn sie ein sau- gendes Junges bei sich haben. Selbstverständlich kann es für den Kaufmann keine vortheilhaft^re Bedingung geben, denn allen Schaden, der dem Jungvieh zustösst, muss allein der Auf- bewahrer tragen und das Kapital des Kaufmanns sich jährlich verdoppeln. Nehmen wir beispielsweise an, ein Kaufmann habe im Altai ein Paar Maralhörner für 50 The esteine gekauft, so kosten dann dieselben nach heutigem Preise berechnet 75 Rubel Silber, er verkauft die Homer an der Tschuja wenigstens für das Doppelte, d. h. für 100 Theesteine = 150 Rubel und kauft im Altai dafür 80 einjährige Kälber, die er bei dem Besitzer auf der Weide lässt, so hat er nach drei Jahren dafür 80 Stück ausgewachsenes Rindvieh, das im Durchschnitt mit 10 Rubel bezahlt wird, also einen Werth von wenigstens 800 Rubel hat. In der That gewinnt der Kaufmann aber eine viel grössere Summe, da er die Schuld prolongirt und dabei durch Berech- nung auf Jungvieh riesige Procente nimmt, so dass er, wenn es ihm auch nur gelingt, die Hälfte seiner Schulden einzutreiben, immer noch einen ungeheuren Vortheil hat. Ein Beispiel da- von giebt uns ein Process, dessen in Peking bestätigte Ent- scheidung hier von dem Sassjedatel in Ausführung gebracht werden sollte. Vor einigen Jahrzehnten ist ein hiesiger Dwoje- daner einem Altajer 2 Eichhomfelle und einige Ahlen, im Ganzen im Werthe von 28 Kopeken, schuldig geblieben und jetzt haben die Nachkommen des Händlers eine Schüldforderung auf 81 Ochsen nach der Entscheidung in Peking einzutreiben. Einen Spaziergang zu dem TürbÖten-Lager unternommen; bei unserer Ankunft fand ich fast alle Lagereinwohner an einem Orte versammelt, da sie ihre Morgenandacht abhielten. Auf einen wohl zwei Fuss hohen Steinhaufen war eine Schale mit Milch gestellt. Vor diesem Altare stellten sich die ihre An- dacht Verrichtenden in einem langen Zuge auf und begannen einen sehr eigenthümlich klingenden Gesang. Von Zeit zu Zeit verneigten sie sich und erhoben die Hände, dann setzte sich Radioff, Aus Sibirien. IL H — 162 — der Zug in Bewegung und schritt langsam und feierlich drei bis vier Mal im Kreise um den Steinhaufen. Nach diesem Umgange wieder feierlicher Gesang und Händeaufheben. Nachdem der Gesang beendigt war, trat einer der Türbötfen an den Altar, hob die Schale mit Milch, sie mit beiden Händen haltend, herab und brachte sie, von allen Versammelten begleitet, in das Zelt des Saisans. Hier bUeben die Vornehmsten und Angesehensten, wohl 20 an der Zahl, zum Frühmahle beim Saisan; die Uebrigen kehrten in ihre Zelte zurück. Als ich in das Zelt des Saisans eintrat, wies er mir den Platz zu seiner Rechten an und reichte mir selbst eine Schale Milch. Er erzählte mir zwar, dass seine Heimath 20 Tage Weges von hier entfernt sei, antwortete jedoch ausweichend auf alle Fragen über den Weg, den er zurückzulegen habe» Er bemerkte nur, dass die Türböten südöstlich von hier wohnen und unter 16 Saisanen ständen. Olöt und Uranchai seien ein< zelne Stämme der Türböten. Der Pferdehandel bietet oft charakteristische Scenen. Die Pferde werden zu diesem Zwecke jedesmal von den Knechten der Kaufleute zu den Bergabhängen getrieben, um von dort aus eingefangen und einzeln vorgeführt zu werden. Beim Ein- fangen derselben zeigen Altajer und Mongolen eine grosse Ge- schicklichkeit. Auf einem flinken Renner wird das einzufangende Pferd in gestreckter Carriere verfolgt. Hat es der Reiter einge- holt, so reisst er sein eigenes Pferd plötzlich auf die Seite und wirft in demselben Momente einen etwa 20 Fuss langen Lasso nach dem einzufangenden Pferde. Selten fehlt der Werfende, meist schlingt sich die Schleife fest um den Theil des Pferdes, nach dem sie geworfen, sei es der Hals oder Schweif desselben. Hat der Lasso gefasst, so folgt der Reiter wohl noch 100 Schritte dem davoneilenden Pferde, dann zieht er es allmählich näher und näher an sich heran, bis das eingefangene Thier zuletzt neben seinem Pferde stehen bleibt. Um die Schnelligkeit der Pferde zu erproben, werden häuflg Wettreiten angestellt mit je 3 oder 4 Pferden. Diejenigen, die den Preis davontragen, werden von den Mongolen sogleich angekauft. An einem Tage wurden so 50 Pferde erhandelt. — 163 — Tagebuch meiner Eeise zu den Sojonen im Jahre 1861. (Den 29. Juni.) Erst gegen 10 Uhr konnten wir heute vom Tscholyschman aufbrechen, da zwei meiner Führer es vorgezogen, unser Uebereinkommen zu brechen und sich mit ihren Pferden während der Nacht auf und davon zu machen. Wir durchritten zuerst den Tscholyschman, der hier zwei sehr breite Arme bildet und daher nur seicht ist. Trotzdem war der Uebergang nicht ohne Gefahr, denn das Wasser ist sehr reissend. Am anderen Ufer zeigen die Bergwände nur spärliche Bewal- dung, da diese Seite der Sonne zugekehrt ist, und die Ufer- berge steigen in kahlen Felsblöcken empor. Bald sieht man romantische Felsbildungen, bald riesige Bergstürze, die von der Höhe der Berge bis zum Fusse in schnurgerader Linie herab- laufen. Das Thal selbst ist ziemlich breit und mit einem schönen Grasteppich bedeckt. An vielen Stellen ist es sogar bebaut und unregelmässig liegen auf der ersten Bergwelle die kleinen Acker- plätze zwischen Felsen und mit Steinen bedeckten Hügelflächen zerstreut. Die Thalebenen am Fusse der Uferberge liegen viel höher als der Fluss und sind daher sehr trocken, weshalb auch die Bewohner eine künstliche Bewässerung mit Kanälen ange- legt haben. Nach etwa 3 Werst erreichten wir das Flüsschen Kara-su, wo wir etwa 4 bis 5 ärmliche Jurten fanden. An der Mündung des Kara-su ist das Thal mit dichter Buschwaldung bedeckt. Nachdem wir den Kara-su durchritten, verliessen wir das Tscholyschmanthal. Zuerst führte uns der Weg in dichten Wald, von der Mündung dieses Flüsschens aufwärts. Weiterhin schlängelte sich der Weg in vielen Windungen an dem kahlen und steilen Felsufer empor. Der Weg ist hier sehr beschwer- hch, oft nur wenige Fuss breit; bald über hohe Felsen, bald durch Schluchten führend, nähert er sich von Zeit zu Zeit dem Flusse und von solcher Stelle aus sieht man das silbern glitzernde Wasser zwischen grossen Felsblöcken schäumend herabspringen. An den Ufern des Kara-su herrscht die üppigste Vegetation, fusshohes Gras, dichte Blumenbüschel, Buschwerk und einzeln- stehende Pichtenbäume geben den zwischen zackigen Felspartieen eingeengten Uferplätzen ein gar malerisches Aussehen. Als wir so am Felsen eine Stunde emporgeklommen waren, glaubten wir die Höhe der Uferberge des Kara-su erreicht zu haben; hatten wir aber den höchsten Punkt erklettert, so sahen 11* — 164 — wir den Berg noch in doppelter Höhe sich vor uns aufthürmen. So ritten wir von Terrasse zu Terrasse zu einer schwindehiden Höhe empor und erreichten erst Nachmittags 3 Uhr den Kamm des Felsabhanges wiederum dicht beim Flüsschen Kara-su. Die- steile Felswand war jetzt erstiegen, aber damit noch lange nicht die Höhe des Uferberges erreicht, welcher jetzt in mit Lärchen- wald dicht bewachsenen Terrassen immer höher und höher auf- stieg. Da unsere Pferde von dem beschwerlichen Wege , den sie zum Theil in grösster Sonnenhitze hatten ersteigen müssen, sehr ermüdet waren und wir mit ihnen noch manche Tagereise vor uns hatten, so folgte ich dem Rathe meiner Führer, machte für heute Halt und liess an einer geeigneten Stelle unser Nacht- lager aufschlagen. Von der Höhe aus ist eine prachtvolle Aussicht auf das Tscholyschmanthal. Das Thal sieht ziemhch breit aus, da die ersten Wellen der Uferberge von hier als zu demselben gehörig erscheinen, und zieht sich wie ein riesenhafter Hohlweg zwischen den himmelhohen steilen Bergwänden hin. Im Thale selbst windet sich der von der Sonne beschienene Fluss wie eine Schlange dahin und es scheint mir, als ob das Gewirr von phan- tastischen Windungen dem Flusse seinen Namen gegeben (das Zeitwort ^,tscholysch' bedeutet: ,,sich über Kreuz hin und her legen"). Die Ufer des Flusses sind, so weit das Auge reicht, von Waldungen eingefasst. Von Osten fallt der Tschöltschü in den Tscholyschman und bei der Mündung dieses Flusses er- weitert sich das Thal und erscheint von der Höhe als ein mäxsh- tiger Waldknäuel. Der Tschöltschü selbst ist nicht sichtbar, sondern wird von seinen Uferwaldungen ganz verdeckt. Die Berge am rechten Ufer erscheinen wie eine Reihe dreiseitiger Pyramiden, zwischen deren breiten Schluchten der dunkle Pichten- wald bis zur Kammhöhe hinaufsteigt. Das linke Ufer ist be- deutend höher als das rechte; schon auf der Höhe der Ufer- berge sind vereinzelte Schneefelder zu sehen, im Hintergrunde erheben sich aber noch weit höhere Schneeberge. (Den 30. Juni.) Die waldigen Bergkuppen und Terrassen, die wir gestern vor uns sahen, sind bedeutend steiler, als es von unten schien. Sie können nur an der Nordseite und im Zick- zack erstiegen werden. Hier sind wenig bewaldete, aber mit Kräutern dicht bewachsene Abhänge. Der Weg, der an diesen — 165 — Abhängen emporführt, ist höchstens ^/^ Arschin breit, so dass man, vom Pferde herab in die Tiefe schauend, jeden Augen- blick in diese hinabzurollen fürchtet. Nachdem wir so etwa 3 Werst geritten, war der Gipfel der ersten Terrasse erreicht. Hier trat wiederum dichter Lärchenwald ein. Nun stiegen wir am Kamm des Berges in diesem Walde immer höher und er- reichten nach einer Stunde Weges ein weites Waldplateau, aus dem sich rund um uns herum etwa zehn waldige Bergkuppen erhoben. Jetzt wurde der Weg unerträglich schlecht, überall mit Felsblöcken bedeckter Sumpf. Je höher wir stiegen, desto dichter wurde der Wald, zuerst Lärchenwald, der allmählich in einen Cedemwald überging. Nachdem wir abermals etwa eine Stunde bergan geritten, wurde der Wald immer lichter und lichter und zuletzt erblickte man nur noch vereinzelt stehende, kleine, verkrüppelte, vom Winde stark nach einer Seite ge- bogene Cedem, zuletzt hörten auch diese auf. Auf der Höhe war der Boden mit Moos bedeckt, aus dem stellenweise ^/g Ar- * schin hohe Wachholderbüsche hervorwuchsen. Der Boden war liier überall sumpfig und der Weg abscheulich. Diese Stein- sümpfe, wenn ich sie so nennen darf, sind eine wahre Qual für die sie passirenden Reiter. Die Pferde bleiben oft mit den Füssen im Schlamme stecken und können nur mit Mühe* im Sumpfe vorwärts gebracht werden. Das Reiten durch solche Sümpfe erfordert eine stete ' Aufmerksamkeit des Reiters. An der Quelle des Artysch, die wir hier passirten, und an dessen Ufern fanden wir wiederum einige niedrige, verkrüppelte, mit braungelben Nadeln bedeckte Cedem. Jenseits des Artysch ging unser Weg abermals bergauf und wir mussten an vielen Stellen breite Schneefelder passiren. Erst etwa 3 Werst jenseits des Artysch erreichten wir die Höhe des Gebirgskammes , der sich zwischen dem Kara-su und Tschöltschü hinzieht. Das Wetter war heute äusserst ungünstig, in der Niederung hatten wir Regen, der weiter in der Höhe in Hagel und Schnee überging. In der Höhe war es so kalt, dass unsere durchnässte Kleidtmg ganz steif fror. Von der Höhe des Gebirges eröffnete sich jetzt eine weite Aussicht nach Südosten, die aber einen nur wenig erfreulichen Anblick darbot. Hohe, kahle Felsmassen durchschnitten streifen- förmig das Land und nach Süden zu zog sich ein zackiger, mit ewigem Schnee bedeckter, mächtiger Bergriegel hin. Die Kai- — 166 — mucken nannten diese Schneegipfel Kyjak und erzählten mir, dass eie jenseits des Tschöltschü lägen. Von der Höhe des Bergkammes führte uns der Weg in's Thal hinah. Wohl 2 Stunden waren wir durch steiniges Sumpf- land hergah geritten, als wir in der wärmeren Region wiedenim auf eine dunkle Cedemwaldung stiessen. Der Boden war hier mit hohem Moose hewachsen, das in allerlei hunten Farben wechselnd denselben gleichsam wie mit Mosaik bedeckte. Auch die Bäume waren wie mit einem Schleier aus hängenden, weissen Moosguirlanden bedeckt, durch die nur an einzelnen Stellen das dunkle Grün der Bäume hindurchblickte. Viele Bäume hatten die Menge der Schmarotzerpflanzen nicht ertragen können, waren verdorrt und das Moos zugleich mit ihnen abgestorben. Jetzt standen die Stämme wie in Trauer da, denn das Moos hing wie schwarze Schleierfetzen an den nackten Zweigen herab. Hier war der Berg wieder abschüssig. Je tiefer wir hinab- stiegen, desto seltener wurde das Moos, zuletzt verschwand es ganz und die Bäume erfreuten uns wiederum mit ihrem frischen Grün. Die Brust athmete wieder leichter und unsere Führer fingen an zu singen, was sie den ganzen Tag über unterlassen hatten. Am Fusse des Bergabhanges trafen wir auf den Fluss Sary-su, der sich in den Tschöltschü ergiesst. Wir durchritten diesen Fluss und setzten unseren Weg wohl noch 4 Werst an einem kleinen Nebenflusse desselben, dem Kdegei-, fort. Die uns umgebenden Berge waren niedrig und alle mit Gedem- und Lärchen wald bedeckt, nur nach Süden hin erhoben sich die mächtigen Eisfelder des Kyjak. Das ganze Flussthal des Kelegei war sumpfig und mit dichtem Moose bewachsen, was darauf hindeutete, dass wir uns hier im Thale noch auf bedeutender Höhe befanden. (Den 1. Juli.) Das Wetter war auch heute unfreundlich und regnerisch ; wir durchritten zuerst den Kelegei und erstiegen dann das jenseitige Ufergebirge. Die Berge sind hier niedrig, abgerundet und stark mit Lärchenwald und Cedem bewachsen. Der Weg führt an zwei Seen vorüber, die die Tölös beide Arsajak Bashy (d. h. Arsajak-Quelle) nannten. Aus beiden, wohl nicht über eine halbe Werst langen Seeen fliessen zwei Flüss- chen Arsajak , die sich zwei Werst weiter nach Westen ver- — 167 — einigen und dann in den Tschöltschü ergiessen. Jenseits des Arsajak war der Weg sehr schlecht, durchgängig mit Steinen bedeckter Sumpf. Hier hat vor vielen Jahren ein fürchterlicher Waldbrand gewüthet; 15 Werst im Umkreise zeigen sich auf allen um- liegenden Bergen Ueberreste des verbrannten Waldes. Die mäch- tigen Baumriesen starren wie ein Heer von Palissaden zum Himmel. Viele von ihnen sind dem Einflüsse der Witterung erlegen und morsch zusammengestürzt, oft versperren sie haufen- weise den Weg und zwingen den Reisenden, im Zickzack sich einen Weg durch sie hindurch zu bahnen. Einen gar traurigen Anblick boten diese ausgebrannten Wälder dar; die nackten, angebrannten, zum Theil ganz verkohlten Baumstämme, gaben der ohnedies schon jedes frischen Grüns entbehrenden Natur eine matte Bleifarbe, die sich von dem schwärzlich grauen Himmel kaum unterschied. Etwa 3 Uhr Nachmittags sahen wir nach Norden hin einen grossen See (Sai Konysch Bashy, die Quelle des Sai Konysch) liegen, hinter dem sich hohe Berge erheben. Dieser See ist ebenfalls die Quelle eines Nebenflusses der Tschöltschü (Sai Konysch). SüdHch von demselben durchritten wir einen grossen Sumpf, in dem die Pferde an vielen Stellen bis zum Bauche versanken. Hier stellten sich die Unholde des Waldgebirges, die Mücken und Möschki, die uns bis jetzt verschont Jiatten, wieder ein. Dichte Schwärme dieser Quälgeister umgaben uns und gönnten uns weder Rast noch Ruhe. Wir passirten den Fluss Sai Konysch; derselbe ist wohl 40 Fuss breit, seine Ufer fallen circa 60 Fuss ab und der Fluss selbst braust zwischen mäch- tigen Felsblöcken dahin. Zu beiden Seiten seiner Uferabhänge zieht sich ein grosses kahles Plateau hin, das wohl 4 Werst breit und rings von dichtbewaldeten Randgebirgen umschlossen ist. Wir erstiegen das nördliche Randgebirge dieses Thalkessels. Obgleich der Wege hier sehr steil und felsig war und daher für Menschen und Pferde nicht wenig Beschwerden bot, war ich doch froh und fühlte mich neu belebt, als wir das öde, sumpfige Thal verliessen. Das helle Grün der Lärchenbäume und der bunte, mit Blumen und Kräutern bewachsene Boden wirkten schon belebend auf meine durch die traurige, öde Land- schaft erschlafften Sinne. Endlich war das waldige Felsufer der Tschöltschü erreicht. — 168 — Der Fluss selbst war noch nicht zu sehen, nur in der Tiefe hörte man ein mächtiges Rauschen. Hier schlängelte sich der Pfad durch wild verwachscjnes Gebüsch, über mächtige Stein- platten hinab, bald mussten wir ims durch Felsblöcke hindurch- «wängen, bald am Rande jäher Abhänge auf den vorspringen- den schlüpfrigen, glatten Steinen reiten. Ermattet langten wir bei dem* Flüsschen Scfru an, durchritten dasselbe etwa 150 Schritte vor seiner Mündung in den Tschöltschü und erreichten nach wenigen Minuten diesen selbst. Die harten Zweige hatten uns beim Herabreiten Gesicht und Hände blutig geschunden und ich war froh, endlich von den Leiden des langen und beschwer- lichen Rittes erlöst zu sein. Wie wohl fühlte ich mich in meinem mit Qualm von faulem Holze dicht angefüllten Zelte, das mir wenigstens eine ruhige Nacht versprach. (Den 2. Juli.) Die Ufer des Tschöltschü sind sehr mannig- faltig; der Thalgrund ist dicht mit Kräutern bewachsen, aus dem vereinzelte Lärchenbäume und Cedem hoch emporragen. Die Uferberge, theüs waldig, theils kahle Felsmassen, haben jene unbestimmte fahle Farbe, die den Jiöchsten Gebirgshöhen jenen traurigen Charakter der Abgestorbenheit verleiht. Das rechte Ufer, an dem wir jetzt stromaufwärts ritten, war sumpfig und mit Morästen bedeckt, so dass man nicht vom Wege ab- weichen dar£, wenn man nicht in den Sumpf versinken will. Bis zu der Stelle, wo wir den Fluss durchreiten mussten, war derselbe nicht über 50 Schritte breit und stürzte lärmend und schäumend zwischen den Felsblöcken dahin; von da ab nahm er aber die doppelte Breite an und in der Mitte desselben zeigten sich seichte und sandige Stellen. Die Fürth war hier nicht schwer zu passiren, trotzdem gerieth ein Packpferd in eine Untiefe und wurde mit Mühe aus dem Wasser gezogen. Am linken Ufer, dem wir jetzt folgten, entfernten wir uns wohl eine Werst vom Flusse imd durchritten hier einen dichten Wald, der uns die Aussicht auf den Fluss verdeckte. Nachdem wir den Schibit, einen kleinen Nebenfluss des Tschöltschü, durch- ritten hatten, erblickten wir bald den wohl 10 Werst langen See Tschöltschüning Bashy. Die Ufer des Seees sind mit dichtem Lärchenwalde besetzt und zu beiden Seiten desselben erheben sich hohe Felswände, deren Häupter mit Schnee bedeckt sind. Am jenseitigen Ufer sieht man in der Feme hohe Schneekuppen, — 169 — ! welche die TölÖs mir als Abakanyng Bashy (Abakan-Quelle) be- i zeichneten. I Die Ufer des Sees sind fast überall mit Morästen bedeckt und werden von unzähligen Schwärmen von Ungeziefer belebt. In das nördliche Ende des Sees ergiesst sich der Fluss Kiunny, den wir nicht weit von der Mündung durchritten. Die Gegend um den See und am Tschöltschü muss reich an Wild sein, denn wir fanden hier an verschiedenen Stellen aus Baum- zweigen und Rasen erbaute Jagdhütten, in denen die Jäger zur Winterzeit zu übernachten pflegen. Die Tölös erzählten mir, dass jenseits des Tschöltschü die Jagdgrenze der Sojonen sei, diese Hütten aber von den TölÖs erbaut seien. Die Jagd- grenze würde aber hier in den Einöden nicht genau beachtet und die Sojonen besuchten oft auf ihren Jagdzügen den Tschöltschü, während die Jäger der Tölös auch oft bis zum Kara Köl vordrängen. Jenseits des Sees hörte der Wald auf und es breitete sich eine kahle, sumpfige Ebene vor unseren Augen aus. Von bei- den Seiten niedrige Hügelwellen, deren Gipfel aber mit Schnee bedeckt waren. Der Kumny , dessen Laufe wir jetzt folgten, ist sehr breit und sein Bett steinig, er nimmt eine grosse An- zahl kleiner Nebenflüsse auf. Mehr stromaufwärts theilt er sich in zwei Flüsse, von denen der von Osten kommende Kara-su^ der von Nordosten kommende aber TaschtG (der Steinige) ge- nannt wird. Wir folgten dem Laufe des Taschtü und je höher wir an demselben aufwärts ritten, desto weiter dehnte sich die vorher« erwähnte Ebene nach Nordosten hin aus. Der Boden ist hier meist mit Geröll und mit Moos bedeckt. An einigen Stellen fanden wir wohl 30 bis 40 Fuss hohe Hügel weissen Sandes, die so locker waren, dass die Pferde tief hineinsanken. Wie hier die Sandhügel entstanden, vermag ich mir nicht zu er- klären. Bäume kommen hier in der Ebene nur ganz verein- zelt vor und auch dann sind es nur ganz verkrüppelte Ce- dem. Auf einem jener Sandhügel schlugen wir unser Nacht- lager auf. (Den 3. Juli). Wir setzten heute unseren Weg am rechten Ufer des Taschtü fort. Dieselbe öde Ebene mit den sie be- gleitenden schneebedeckten Hügelwellen. Nachdem wir den — 170 ^ Taschta durchritten, wandten wir uns etwas mehr nach Westen, der Hügelkette zu. Hier erst erreichten wir die Höhe der Grenzscheide zwischen dem Systeme des Ob und dem des Jenis- sei. Jenseits derselben fiel das Land ebenfalls nur ganz all- mählich ab, aber in der Feme zeigten sich bedeutend höhere Gebirgsmassen und nach Osten hin eine Reihe hoher Schnee- gipfel. Der erste Fluss des Jenissei-Systems, den wir passirten, war der Mön, der sich in den Kara Köl (schwarzen See) ergiesst. Am linken Ufer folgten wir jetzt dem Laufe des reissenden Mön, wo wir bald einen zweiten Arm desselben erreichten. Das Thal senkt sich hier bedeutend und zackiges Gebirgsland um- giebt uns. Bald bietet die Natur romantisch wilde Abwechslung. Hier ragen mächtige Felsblöcke in mannigfaltiger Bildung em- por, die dicht mit gelbem und rothem Moose bedeckt sind, dort sind Sümpfe und waldbedeckte Berge, hier kahle zerrissene Felsen, dort öde Bergkuppen, die der Waldbrand ihres Baum- schmuckes beraubt hat; dann wiederum üppige Vegetation — Alles bunt durcheinander. Hier trafen wir auf einen kleinen Nebenfluss des Mön, den Kulagasch, der in einer schmalen Schlucht zwischen steilen Uferbergen sich hindurchschlängelt. Der Weg zu diesem Flusse hinab war so steil, dass man jeden Augenblick befürchten musste, in die Tiefe hinabzugleiten. Die Passage des kleinen Flüsschen war ebenfalls mit Gefahr verknüpft, da die Strömung des Wassers sehr stark und das Flussbett mit grossen Steinen angefüllt war, die jeden Schritt der Pferde unsicher machten. Das jenseitige Ufer des Kulagasch war dicht mit Lärchenwald bewachsen. Da wir den Kara Köl nur spät am Abend hätten erreichen können und der Weg in der Dunkelheit nur mit Lebensgefahr zu passiren ist, so Hess ich hier unser Nacht- lager aufschlagen. Von unserer Lagerstätte aus hatten wir eine herrliche Aus- sicht auf den Kulagasch; der Fluss schlängelt sich zwischen den steilen Uferwänden hindurch. Am diesseitigen Ufer liegen die waldigen Bergwellen in frisches Grün der Lärchenbäume ge- kleidet, am jenseitigen Ufer graugelbe zackige Felsmassen, die vom in den Schluchten mit einem Saume von Bäumen eingefasst sind. Im Hintergrunde erhebt sich ein dunkler schwarzer Schieferfelsen, auf dessen höchstem Haupte sich riesige Schnee- felder hinziehen. ^ 171 — (Den 4. Juli.) Nördlich vom Kulagasch ritten wir durch den dichten Lärchenwald. Der Boden ist hald steinig, bald sumpfig. Auf des Höhe des Bergkammes wurde der Wald lichter, der Boden aber noch felsiger. Der Berg springt hier in einem mächtigen, fast senkrecht abfallenden Felsen zum Mön hervor, und auf diesem Felsvorsprunge geht der Weg dicht am Bande des circa 800 Fuss hohen Abhanges auf den schräg ablaufenden Steinplatten entlang. Die Pferde schreckten zurück und weigerten sich, den gefahrlichen Pfad zu betreten, an dessen äusserstem Rande sie entlang rutschen mussten; nur die Knute der Führer zwang sie dazu. Zwar hatte ich mich auf meinen ersten beiden Reisen durch den Altai schon genugsam an gefahrliche Wege gewöhnt und war gegen Schwindel abgehärtet, hier aber schwand mir doch aller Muth und schaudernd bhckte ich in die Tiefe hinab, in die wir jeden Augenblick stürzen konnten. Unten in der Tiefe rauschte der Mön und sein dumpfes Braiwen schien mir einem Wamungsrufe gleich. Auf dem äussersten Ende des Vorsprungs, der aus einer 6 Fuss langen und höchstens 4 Fuss breiten schrägen Steinplatte besteht, mussten die Pferde ge- wendet werden, da der Weg sich nun auf der linken Seite am Felsen herabzieht. Die Wendung war nur möglich, wenn man den Kopf des Pferdes mit dem linken Zügelriemen fast bis zum Unken Steigbügel herabdrückte und es so zwang, sich zu drehen, ohne den Platz zu ändern. Selbst die kühnen Gebirgsreiter waren ganz still geworden, ihr munteres Geplauder hatte auf- gehört und jeder sah auf die gefährliche Stelle mit ängstlichen BHcken. Mir standen, im wahren Sinne des Wortes, die Haare zu Berge vor dem grausigen Anblick, und als die Reihe an mich war, jene Stelle zu passiren, schloss ich die Augen und befolgte genau und glücklich das Manöver meiner Führer. Der Weg zum Mön hinab auf der anderen Seite des Fels- vorsprunges war zwar schmal und abschüssig, aber er schien tms nach der eben überschrittenen Stelle wie eine bequeme, angenehme Strasse. Unten im Thale angelangt, durchritten wir einen reissenden Sturzbach, Sailü Yrlasch, der sich etwa 100 Schritte weiter in den Mön ergiesst, dann erkletterten wir von neuem die Uferberge und ritten auf dem Kamme und an den Abhängen derselben wohl 5 — 6 Werst entlang. Das Thal des Mön ist hier breit und -baldig. Die Berge am rechten Ufer sind steil und felsig, während die am linken Ufer höchstens in -- 172 — einem Winkel von 50 Grad aufsteigen und mit Gras und Ge- röll bedeckt sind. Auch hier ist der Weg sehr gefährlich, denn er führt meistens in bedeutender Höhe am Rande der Abhänge hin. Weiter abwärts bietet das Thal einen wechselnden An- blick: bald ist es breit und mit grünen Wiesenflächen bedeckt, wie das Thal des Tscholyschman, bald waldig, dann wieder wird es von den felsigen, hohen Uferbergen eng zusammen- gezwängt. Am Nachmittage erreichten wir am MÖn, nicht weit vom Kara Köl (schwarzen See), auf einer grossen, hellleuch- tenden Wiesenfläche sechs Sojonenjurten. Da die Sojonen über- all im Lande als Diebe berüchtigt sind, so liess ich • aus Vorsicht meine Pferde und Gepäck auf einer Stelle sammeln und begab mich in Begleitung dreier Tölös in die Jurte des sojonischen Aufsehers (Schangda). Die Jurte war, nach Art der altajischen, eine Filzjurte in Zuckerhutform; auch ihre innere Einrichtung hatte nichts Abwei- chendes von den altajischen Jurten. Der Sojone trat mir entgegen und begrüsste mich, indem er meine beiden Hände ergriflf und seine Stirn zu ihnen niederbeugte. Alsdann nöthigte er mich unter vielen Ceremonien und Verbeugungen, Platz zu nehmen. Hierauf holte er einen weissen, ledernen Riemen von Ziegen- leder hervor und ersuchte mich, ihn als Ehrenzeichen zu behalten. Da dieser Sojone häufig am Tscholyschman gewesen, so verstand er genugsam den teleutischen Dialect, um sich mir verständlich zu machen. Ich theilte ihm mit, ich hätte die Absicht nach dem Abakan zu gehen, da aber meine Pferde ermüdet und ange- griffen seien, so gedächte ich mich hier 3 — 4 Tage aufzuhalten. Ich sagte ihm femer, wie ich erfahren, dass bei den Sojonen der Aufenthalt von Fremden gefiüirlich sei und dass die So- jonen fremdes Eigenthum nicht achteten. Damach machte ich ihm begreiflich, dass ich von meiner Regierung Befehl erhalten habe, diese Gegenden zu bereisen, imd da der weisse Kan und der gelbe Kan (der chinesische Kaiser) Freunde seien, so würde ich mir nicht die geringste Unbill gefallen lassen, sondern sogleich beim chinesischen Gouverneur, der mich persönlich kenne, mir gutes Recht verschaffen. Ich forderte ihn daher auf, seinen Leuten die nöthigen Befehle zu ertheilen. Diese Worte schienen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn er versicherte mir, dass ich in der ganzen Welt nicht so sicher sein würde wie hier. Wir könnten unsere Pferde frei herumlaufen lassen und — 173 — brauchten unser Gepäck nicht zu bewachen, nicht das Geringste würde mir abhanden kommen. Hierauf reichte er mir eine Schale Kumys und sein Fläschchen mit Schnupftabak. Ich Hess mein Zelt nicht weit von seiner Jurte aufschlagen. (Den 5. bis 7. Juli.) Die Versprechungen, die mir der Schangda gemacht, hat er treu erfällt, denn während meines dreitägigen Aufenthaltes in seiner Nähe ist mir auch nicht die geringste Unbill widerfahren. Durch Geschenke vermochte ich ihn sogar dahin zu bringen, uns Proviant, d. h. Hammel und Ziegen, gegen Sammet, Leinewand, Uniformknöpfe etc. zu ver- kaufen. Ueber die Sitten der Sojonen habe ich leider nicht viel erfahren können, da sich hier nur sehr wenige Jurten befinden und ich mich hüten musste, durch Fragen Verdacht zu erregen. Die Sojonen sind, so viel ich erfahren, ein sehr bedeutender Volksstamm, der von der russischen Grenze aus südhch das Gebiet des Jenissei bewohnt. Man erzählte mir, dass die hie- sigen Sojonen in 14 Saisanschaften zerfallen, an deren Spitze Saisane. stehen, die in ihren Amtspflichten denen der Tschuja- Saisane gleichkommen. Ueber alle diese steht ein Sojonenfurst, Münkö, sowie einige chinesische Offiziere, welche die Thätig- keit des Münkö und der Saisane beobachten. Man sieht hier in China ein Anlehnen der Regierungsmacht an die selbständige Stammverwaltung der Eingeborenen, während in Russland die Regierung überall bei den Eingeborenen eine neue russische Verwaltung eingeführt hat. Die Saisane des Altai sind nur Fi^uranten der früheren Macht, sie wagen ohne die russischen Beamten nichts zu unternehmen, nichts zu entscheiden. Daher sehen die russischen Beamten auch die Saisane nur wie Dorf- älteste an. Dies Verhältniss zwischen Saisanen und Beamten hat die ersteren ihres Ansehens beim Volke beraubt. Schon bei den Dwojedanem gemessen die Saisane eine grössere Unabhängig- keit und stehen auch deshalb in grösserer Achtung beim Volke. Der sojonische Saisan ist in der That der einzige örtliche Be- fehlshaber. Er träg^ das Zeichen der übrigen chinesischen Beamten, den Knopf, auf der Mütze. Die Regierung ertheilt ihre Befehle dem Volke nur durch Vermittlung der Saisane. Streitigkeiten zwischen den eigenen Unterthanen entscheidet der Saisan allein und ihm steht das Recht körperlicher Züch- — 174 — tigung zu. Unter solchen Umständen stellt der Sojone seinen Saisan hoch üher sich und beugt vor ihm das Ejiie, wenn er sich ihm nähert, wagt es auch nie, sich in seiner Gegenwart , niederzusetzen, wenn ihm nicht die Erlauhniss dazu ertheilt wird. Unter den Saisanen steht ein Heer von Unterheamten, Temitschi's, Targa's und Schangda's, die die Befehle des Saisans vollziehen und ihm Berichte über die Verhältnisse der Unter- thanen abstatten. Alle Sojonen sind Nomaden und treiben ausschliesslich Viehzucht. Ihr grösster Reichthum besteht im Rindvieh; Schaf- und Ziegenheerden sind bei ihnen unbedeutender, am wenigsten aber besitzen sie Pferde. Sie wenden daher die Ochsen sowohl zum Reiten wie auch zum Transport von Lasten an. Ein alter Sojone war ganz erstaunt darüber, als er erfuhr, dass die Russen nicht auf Ochsen reiten, und versicherte mich, dass der Ochse dem Pferde weit vorzuziehen sei. Er meinte, der Ochse trüge doppelte Pferdelast und hielte zweimal so viel aus wie ein Pferd, dabei verstehe er besser zu klettern und seine Hufe würden weder von Steinen noch vom Wasser beschädigt, was bei den Pferden leider nur zu oft der Fall wäre; an SchneUigkeit und Ausdauer stehe er dem Pferde ebenfalls nicht nach. Die Sättel, welche die Sojonen ihren Ochsen auflegen, sind ebenso beschaffen wie die Pferdesattel, aber die Ochsen werden nicht gezäumt. Durch die Nasenscheide wird ein Hölzchen ge- steckt, an welches ein Strick angebunden ist, dieser wird über die Stirn und zwischen die beiden Hörner des Thieres gelegt, und wenn der Reiter den Strick nach rechts oder nach links zieht, zwingt er den Ochsen leicht, sich nach der gewünschten Seite zu wenden. Zieht er den Strick nach hinten, so muss der Ochse den Kopf gerade in die Höhe halten und wird so zum Stehen genöthigt. Das Reiten und Belasten der Ochsen geschieht auch nicht selten bei den Tölös am Tscholyschman. Ackerbau treiben die Sojonen nur äusserst wenig und ihre einzige Aussaat ist die Gerste. Dagegen ist die Jagd die Lieb- lingsbeschäftigung der Sojonen; sie sind als vortreffliche Jäger weit und breit bekannt. Sie ziehen wie die Dwojedaner in Gemeinschaft auf Jagdzüge aus und streifen dann ebenso wie diese wochenlang in den unwirthsamen Gebirgen umher, im Sommer zu Pferde, im Winter auf Schneeschuhen. Auch sie errichten, wie die Tölös, an vielen Orten Hütten aus Zweigen, — 175 — die im Winter zum Uebemachten von den Jägern benutzt wer- den. Ihre Gewehre beziehen sie von den Mongolen, Pulver ver- fertigen sie selbst. Die Speise der Sojonen besteht im Sommer hauptsächlich aus Milch, welche als Quark, Eläse, Kumys und Milchbrannt- wein genossen wird. Dann aus Fleisch von Wild {sie jagen das Wild auch im Sommer des Fleisches wegen, was die Al- tajer nicht thun), von Schafen, Ziegen, Pferden und Kindvieh. Pferde und Ochsen, die man zmn Eeiten oder zum Lasttragen benutzt, werden nicht geschlachtet, da sie behaupten, dass das Fleisch von diesen Thieren hart und nicht schmackhaft sei. Die ärmeren Klassen der Sojonen beschäftigen sich auch mit Wurzelgraben und geniessen ELandyk, Lihenwurzeln, Kalba (al- Uum ursinum) und wilde Kettige, von denen sie grosse Vor- räthe für den Winter einsammeln. Die Gütervertheilung ist bei den Sojonen eine sehr un- gleiche, es herrscht hier recht ansehnlicher Keichthum neben grauenhafter Armuth; letztere ist sogar vielfach überwiegend. Wie bei den Tölös, so leben auch hier die Armen meist auf Rech- nimg der Keichen. Was aber Pestereff von den Sojonen er- zählt, dass sie Leder und sogar Menschenfleisch ässen, ist eine Fabel. Meine Führer, die doch ihre Nachbarn sehr gut kennen, brachen in ein lautes Gelächter aus, als ich sie darnach fragte. Die Sojonen bewohnen Filzjurten wie die Altajer und Dwojedaner. Auch die innere Einrichtung der Jurten ist im Ganzen genommen dieselbe, nur sind hier anstatt der Leder- säcke an den Wänden chinesische Kasten aufgestapelt und der Fussboden bei den Keichen mit Teppichen belegt, was ich nir- gends bei den Altajem gefunden habe. Der Hausrath beweist auf den ersten Blick, dass das sie mit Luxusartikeln versehende Volk Chinesen sind. Die Kleidung ist bei den Männern sehr einfach und be- steht aus kurzen ledernen Beinkleidern, Stiefeln und Pelz. Nur Keiche tragen Hemden und Köcke aus Baumwollenzeug. Auf dem Kopfe, den sie wie die Altajer scheeren, tragen die hie- sigen Sojonen mongolische Mützen, die mit schwerem Lammfell besetzt sind. Die Frauen tragen lange Kleider aus Baumwollen- zeug oder Pelze. Das Haar tragen sie wie die altajischen Frauen in zwei Zöpfen, nur hängen sie an diese keinerlei Schmuckgegenstände . — 176 — Die Sojonen sind bei ihren sämmtlich«n Nachbarn sehr be* rüchtigt, sie sollen heimtückisch, diebisch und rachsüchtig sein. Ich kann über sie in dieser Beziehung kein competentes Ur- theil fallen, da mein Aufenthalt hier von zu kurzer Dauer war, um Genaueres zu erfahren. Die Religion der hier am Kara Köl wohnenden Sojonen ist der Schamanismus, wie bei ihren altajischen Nachbarn; weiter östlich soll bei den Sojonen allgemein der Buddhismus Eingang gefunden haben. Auch hier kann man schon bemerken, dass die mongolischen Nachbarn auf Sitten und Sprache der Sojo- nen einen weit stärkeren Einfluss ausgeübt haben ak auf die Altajer. Selbst hier veirstehen mehrere Leute mongolisch zu schreiben. Ihre Todten legen die Sojonen auf ein Gerüst von Stangen und bedecken sie dann mit ihren Kleidungsstücken. Mir wurde hier in der Nähe ein solches Todtengerüst gezeigt. Es war den Opferstellen der Altajer sehr ähnlich, aus vier starken Stangen errichtet. Neben dem Todten lagen sein Zaum, Sattel und Steig- bügel. Die Angaben der Dwojedaner, dass die Sojonen sich selbst Tuba nennen, fand ich hier bestätigt. Der Schangda sagte mir, dass die hiesigen Einwohner Tuba-Leute (tuba kidji) wären und zum Geschlechte Sojong gehörffen. lieber andere Geschlechts- namen und Eigenthumszeichen wurde mir jede Auskunft ver- weigert. Da meine Angaben über die Sojonen sehr unvoll- kommene sind, will ich hier noch anführen, was der Teleut Tschivalkoff in seiner Lebensbeschreibung von den Sojonen sagt : ,,Ich fragte einen Tölös, Namens Pyryng: Ist es vortheil- hafb, zu den am Kemtschik wohnenden Sojonen zu reisen und dort Handel zu treiben? Er antwortete; Wenn man zu den So- jonen reist und russische Waaren verkauft, so kommen diese auf einen sehr hohen Preis, während sojonische Waaren beim Einkauf sehr billig zu stehen kommen. Gegen russische Waaren im Werthe von einem Rubel Banka tauscht man sojonische im Werthe von fünf Rubel Banko ein. Für ein Pfund Tabak nimmt man einen Pelz Filz (d. h. so viel Filz, als zu einem Pelze nöthig ist) und dieser kommt bei den Schwarzwald-Tataren auf fünf Rubel Banko zu stehen. Für ein Pfund Eisen giebt man -am Kemtschik zwei Schaffelle. Ist nun ein solcher Handel noch so vortheilhaft, so ist es doch gefährlich, mit ihnen Handel zu — 177 — treiben. Wenn wir dorthin gehen, so gehen wir in Gesellschaft von 20 bis 30 Personen. Gehen nur wenige, so sind es doch immer 10 bis 15 Menschen, denn wenn man dort nicht gut Wache hält, so wird Einem Alles gestohlen. ,,Wenn nun viele Leute dorthin gehen, so werden alle Waaren an einer Stelle aufgehäuft und mit Filz zugedeckt, den Eand der Filzdecke herunterdrückend, setzt sich die Hälfte der Leute rings herum. Nur einige Leute gehen den Sojonen entgegen und handeln mit ihnen. Einer oder der andere So- jone wird, um zu stehlen, das, was du in der Hand hältst, an sich reissen und davonlaufen; willst du ihm nacheilen und ihn festhalten, so werden in dieser Zeit die Uebrigen deine zu- rückgebliebenen Waaren ergreifen und ebenfalls davonlaufen, deshalb rege dich nicht von der Stelle. ,,Wenn du dem Saisan etwas schenkst, so wird er dir als Gegengeschenk zurückgeben, dass er dir, bis dein Handel be- endigt ist, einen Schangda zur Verfügung stellt. Dieser Schangda hält anstatt eines Schwertes einen Stock in der Hand und wird an deiner Seite Wache stehen ; wenn du ihm ein Weniges -schenkst, so wird er gut Wache halten, wenn du ihm aber nichts schenkst, so wird er nichts sagen, wenn er auch den Dieb sieht. Bis zu deiner Rückkehr vom Handel müssen ein bis zwei Menschen deine Pferde mit eisernen Fesseln zusammenkoppeln und bewachen, bei Anbruch der Nacht müssen sie sie dagegen herbeiführen, bei dem Hause anbinden und ohne zu schlafen Wache halten. Leute, die stehlen wollen, werden sich entkleiden und an der Erde auf dem Bauche herbeigekrochen kommen, die Pferde leise losbinden, sich auf dieselben schwingen und davonreiten. Wenn du hinterher läufst, weil man dein Pferd genommen, so wirst du andere Leute im Rücken lassen, die sich auch ent- kleidet haben und warten. Sobald diese gesehen haben, dass du fortgegangen bist, werden sie deine noch bei dem Zelte geblie- benen Pferde nehmen und davonjagen. Wenn die im Zelte befind- lichen Leute Alles liegen lassen und nach den Pferden laufen, weil ihr Freund Jemand verfolgt, so wird unterdessen deine Habe aus dem Zelte gestohlen. Deshalb sind viele Leute noth- wendig, wenn man zum Kemtschik reisen und Handel treiben will. „Wenn man sich hat bestehlen lassen und vom Saisan einen Urtheilsspruch verlangt, so wird er sagen: , Halte den- jenigen, der dich bestohlen, mit der Hand fest und bringe ihn Radi off, Aus Sibirien. II. 12 — 178 — her! so will ich das Urtheil sprechen; wenn du den Menschen nicht mit der Hand festgehalten hast, wie soll ich wissen, wer dich hestohlen hat?* ,,Ein Russe ritt mit zwei Pferden zu den Sojonen, um dort zu handeln. Als er hingeritten, koppelte er seine Pferde mit einer eisernen Fussfessel zusammen, dann richtete er hei seinem Zelte seinen Kessel zu. Die heiden gefesselten Pferde gingen thalahwärts und verschwanden; während der Handels- mann nun seinen Kessel zum Kochen hrachte, kam ein Mensch mit russigem Gesichte, der nackt war und die Hosenheine auf- gerollt hatte. Dieser setzte sich zu ihm und sagte: Was hast du zu verkaufen?" Indem der Kaufmann seinen Sack hervor- holte, schüttete jener Mensch den Henkelkessel um, fasste ihn dann heim Henkel und lief davon. Da warf der Kaufmann seinen Sack hei Seite und lief hinter ihm her. Wenn er ihn auch anfangs erreichte, konnte er doch den nackten Menschen auf keine Weise festhalten. Der Verfolger war angekleidet, so dass er heim Laufen kaum vor Hitze zu athmen vermochte und jenen nicht einholen konnte. Als er wieder hei seinem Zelte ankam, waren andere Leute gekommen und hatten Sack und Waaren gestohlen. - Als der Kaufmann nun zum Saisan reiten wollte und seine Pferde aufsuchte, hatte man eines der Pferde getödtet, den angefesselten Fuss ahgehauen und das andere Pferd weggeführt. Da weinte der Bestohlene und ging zum Temitschi, um die Sache anzuzeigen. Der Temitschi aher sagte: ,,Du Hund mit hehaartem Kopfe, weshalh hist du her- gekommen, Tim zu handeln? Wenn die hiesigen Leute deine Waaren und dein Pferd genommen hahen, wer kann sie ver- folgen? Gehe du jetzt Heher deinen Weg nach Hause!" Da weinte der Handelsmann und kehrte zu Fuss nach Hause zurück." Die Sojonen am Kemtschik sollen nach dem Berichte Tschivalkoffs zweierlei Stämme hilden: die schwarzen Sojonen und die gelhen Sojonen (Kara-Sojong und Sary-Sojong); die schwarzen Sojonen sollen in der Nähe wohnen, die gelhen aher weiter landeinwärts. Bei den schwarzen Sojonen gieht es wenige hlonde Leute- (ich hahe gar keinen gesehen), aher viele schwarz- haarige. Ihre Grösse ist bedeutender als die der Altajer, ihre Gesichter aher hahen eine längliche Form. Die gelhen Sojonen sollen zur Hälfte aus blonden Leuten bestehen, man sagt, die- selben wären geflohene Russen, die sojonische Weiber genommen — 179 — hätten. Die letztere Angabe Tschivalkoffs beruht auf einem Irr- thum, ich habe trotz aller Erkundigungen nichts von blondhaarigen Sojonen erfahren können. Der Stamm Sary Sojong ist hier sehr zahlreich, doch kommt der Name Sary durchaus nicht von der Haarfarbe her. Einige erzählen, fügt Tschivalkoff noch hinzu> die Hälfte der schwarzen Sojonen seien vom Geschlechte der Kirgisen, die sich mit den Sojonen vermischt hätten (die An- gabe ist vollkommen richtig). Soweit der Bericht Tschivalkoff* s. Die Sprache der Sojonen ist auch ein türkischer Dialect, weicht aber so sehr von den Dialecten der Altajer ab, dass Sojonen und Altajer sich nur mit äusserster Mühe verständigen können. Es lässt sich annehmen, dass die Mongolisirung der Sojonen allmähhch so weit um sich greifen wird, dass die so- jonische Sprache ganz untergeht. Wie die Tölös erzählen, sollen die Sojonen reich an Liedern sein; mir gelang es hier nur, zwei Märchen und einige Lieder aufzuzeichnen, die aber als einzige Specimina der sojonischen Sprache doch von Wichtigkeit sind. Weiteres Sprachmaterial konnte ich bei meinem kurzen Aufenthalte nicht sammeln. (Den 8. JuH.) Während unseres Aufenthaltes am Kara KöI hatten wir meist trockenes Wetter, so dass sich unsere Pferde, deren Hufe von den steinigen Wegen und vom Regen sehr an- gegriffen waren, ziemlich erholt hatten. Leider begann schon gestern wieder das gewöhnliche schlechte Wetter und unsere Führer beschlossen, da wir heute abreisen wollten, einen Versuch zu machen, gutes Wetter herbei zu zaubern. Der Glaube an das Bannen der Witterung ist bei allen Völkern des Altai sowie auch bei den Sojonen verbreitet. Es giebt gewisse Familien, in denen sich diese Kraft von dem Vater auf den Sohn vererbt. Einige dieser Wetterzwinger sind weit und breit berühmt und man sagt, dass es Menschen giebt, die das Wetter so beherrschen, dass sie machen können, dass die Sonne dir in's Gesicht scheint und zugleich der Regen den Rücken durchnässt. Zum Besprechen des Wetters bedient man sich eines Wettersteines (jada tasch), der vor mir angewandte war ein Bergkrystall. Dieser Stein muss aber gewisse Eigenschaften haben, an denen ihn nur der Eingeweihte zu erkennen vermag, die aber, da sie ein Geheimniss sind, mir nicht mitgetheilt wurden. 12* — 180 — Eine Sojonenfrau brachte einen Jada-tasch herbei und einer meiner Führer führte mit diesem die Ceremonie aus. Er be- festigte den Stein mit einer fusslangen Schnur an einem Stabe, hielt den Stein zuerst über's Feuer und Hess ihn vom Rauche beschlagen, dann schwang er den Stab nach allen Seiten in der Luft umher, während er mit lauter Stimme die Beschwörungs- formel sang. Trotz alles Zauberns war das Wetter nicht besser geworden, und wir verliessen heute früh bei schrecklichem Unwetter den Kara Köl. Wir wandten uns nach Nordosten und erstiegen zu- erst ien nördlichen Gebirgszug in der Thalrinne des Flüsschens Äldü-käm, eines Nebenflusses des Mön. Zuerst führte der Weg über einige Terrassenstufen frischgrüner Wiesen, dann ritten wir in einem dichten Lärchen walde. Nach etwa 5 Werst ward der Wald lichter und verschwand schHesslich auf der Höhe des Berges. Hier umgaben uns wieder kahle Bergkuppen, die meist mit Geröll und Sumpf bedeckt waren. Auf der Höhe des Berg- kammes, den schon an vielen Stellen Schnee deckte, war es so kaJt, dass unsere nassen Kleider steif froren und es erhob sich ein so heftiger Orkan, dass die Reiter sich kaum auf den Pfer- den halten konnten. Der Regen verwandelte sich allmähhch in einen feinen Schnee. Von der Höhe des Berges hätte sich dem Auge eine weite Rundsicht darbieten müssen, wenn das Wetter besser gewesen wäre, aber leider war die ganze Landschaft in eine undurchdringhche Nebelwolke gehüllt und man konnte nur sehen, wie sich die mächtigen Bergketten strahlenförmig hin- zogen. Auf dem höchsten Gipfel des Bergpasses stand ein Obö (Steinhaufen), und jeder unserer Führer legte einen Stein zum Opfer. Jenseits des erstiegenen Bergrückens sahen wir drei kleine Flüsse nach Norden in Thalschluchten herabrieseln, unsere Führer sagten, dass diese sich in den Abakan ergössen. An der anderen Seite war der Weg viel beschwerHcher, die Berg- abhänge waren hier viel schrofl'er und mit riesigen Felsblöeken bedeckt. Wir mussten wohl 3 Werst auf dem Kamme entlang reiten, ehe sich eine weniger steile Stelle fand, die das Herab- reiten ermöglichte, und auch hier war es kaum möglich, thal- wärts zu gelangen. Nach ^neler Mühe kamen Txir zu einer Thalrinne, die ein kleiner Bach durchströmte. Hier begann wieder eine lebhaftere Vegetation und je weiter wir herabstiegen, — 181 — desto lebensfrischer wurden die Ufer. Helle Lärchenwaldungen zogen sich an den Abhängen entlang, ein hoher, mit bunten Blumen und saftigen Kräutern bedeckter Boden ergötzte das Auge und üppig emporgewuchertes, blühendes Gesträuch sperrte oft den Weg. Nicht lange erfreute uns dieser liebliche Anblick, bald verliessen wir den Fluss und mit ihm das üppige Thal und kletterten wiederum die steile, waldige Uferwaldung hinauf. Auf der Höhe schwand abermals der Wald und uns umgaben die früheren gelbgrauen, nackten Bergkuppen. Der Weg führte jetzt auf der Höhe am Bergkamme entlang, wir überritten wohl 4 oder 5 Bergkuppen und stiegen nur sehr selten so tief herab, dass wir die verkrüppelten Cedern der Höhe antrafen. Spät am Abend übernachteten wir in einer kleinen Schlucht dicht unter dem Schnee. (Den 9. Juli.) Bis Mittag ritten wir auf der Höhe des Bergkammes weiter. Das Wetter war heute etwas günstiger als gestern und wir konnten viele Bergreihen, die parallel neben- einander nach Nordosten sich zu ziehen schienen, ganz deutlich unterscheiden. Nach Osten steigen die Berge immer höher auf imd erheben sich weit über die Schneegrenze, während nach Westen hin selbst auf der höchsten Bergkuppe nirgends Schnee zu erblicken ist. So ritten wir wohl über zehn Bergwellen, ohne irgendwie bis zu den in den Thälern. liegenden Waldungen herabzusteigen. Gegen Mittag gelangten wir an einen hohen Bergkegel, dessen Spitze mit Schnee bedeckt war; da er nach Osten hin felsig ist, so mussten wir ihn auf der Westseite umreiten. Hier föUt er in einem Bergsturze bis zu seinem Fusse in die nebel- graue Tiefe in einer etwa 45** geneigten geraden Linie herab, auf dessen Höhe wir nun entlang reiten mussten. Das Geröll, das den Bergabhang bedeckte, wich ununterbrochen unter den Hufen imserer Pferde am Rande des schmalen Pfades und rollte klap- pernd in die Tiefe, ein Fehltritt — und Ross und Reiter wären imfehlbar in den Abgrund gestürzt. Nachdem wir so wohl eine Stunde lang auf dem Gerolle geritten waren, umhüllte uns ein dichter Nebel. Wir konnten nicht zehn Schritte weit vor uns sehen und mussten, um nicht auseinander zu kommen, eine dichtgeschlossene Kette bilden. Etwa abermals nach einer Stunde hatten wir glücklich den Bergkegel umritten und er- — 182 — stiegen nun wiederum den sehr beschwerlichen Bergkamm. Je höher wir stiegen, desto dichter wurde der Nebel, und als wir endlich den Gipfel erklommen hatten, sahen wir uns am Rande eines felsigen Abgrundes, der ziemlich steil abfiel. Der Führer erklärte, er habe zu weit östlich gehalten und wir müssten jetzt umkehren. Glücklicherweise war der südhche Abhang, den wir jetzt herabritten, nicht so steil und es gelang uns, wenn auch mit grosser Mühe und Anstrengung, ein Flussthal zu erreichen. Da hier nirgends eine Stelle zum Uebemachten aufzufinden "war, so erstiegen wir wieder einen gegen Westen gelegenen Berg- zug und trafen auf einen kleinen Weg, dem wir folgten, da er ins Thal hinabzuführen schien. Im Thale regnete es heftig und wir bemühten uns, so schnell als möglich vorwärts zu kommen. Zu unserem Schrecken machte der Weg eine Wendung, ging wieder bergan und führte uns immer höher, so dass wir bald wieder von dichtem Nebel umhüllt waren. Mit einem Male war der Weg auf dem steilen Boden verschwunden; wir ritten jetzt aufs Gradewohl nach Norden. Es begann schon zu dämmern, als plötzlich wieder der Ruf: ,,tujuk!" (versperrt!) ertönte. Wir hatten wieder einen steilen Felsabhang erreicht. An Umkehren war nun nicht mehr zu denken. Wir stiegen von den Pferden und kletterten, unsere Pferde an den Zügeln haltend und nach- ziehend, an dem Rande des Felsabhanges entlang. Nach einer halben Stunde fanden wir eine weniger abschüssige Stelle, auf der wir endlich zum Thale hinabgelangen konnten. Ganz bis auf die Haut durchnässt und von den Mühseligkeiten des Tages vollständig erschöpft, erreichten wir endlich bei voller Dunkel- heit einen kleinen Bach, an dem wir übemachl^n konnten. (Den 10. Juli). Sehr früh am Morgen war unser Führer ausgeritten, um den Weg zu suchen. Voller Freude kehrte er mit der Nachricht zurück, däss nach Osten hin sich eine Thal- ebene erstrecke, durch die sich ein breiter Weg hinziehe. Ich liess deshalb in aller Eile satteln. Das Wetter war schön und der Himmel vollkommen klar, so dass wir von unserer Lager- stätte aus uns einer schönen Aussicht nach Südosten erfreuen konnten. In den mannigfaltigsten Bergwellen thürmten sich nach Osten hin die Bergzüge immer höher auf, und am Horizonte leuchteten die Schneegipfel des Sojonischen Gebirges. Die nie- drifi^en Berggruppen im Vordergrunde waren mit dunklen Wal- r — 183 — düngen bedeckt, aber die mächtigen terrassenförmig aufsteigenden Bergriesen des Hintergrundes reckten ihre kahlen Felskämme weit in das blaue Himmelsgezelt. Trübe Stille herrschte rings um uns her. Kein Thier verirrt sich in diese wüsten Höhen- züge des Gebirges. Blumen und selbst Kräuter fürchten den kalten Wind, der hier ohne Unterbrechung über den Berg- gipfel hinstreicht, und ziehen sich in die Thalniederungen zu- rück. Die wenigen niedrigen, verkrüppelten Cedernbäume in ihren fahl- gelben, spärlichen Nadelkleidern und knorrig ge- beugten Stämmen sehen wie frühzeitig gealterte Baumkinder aus. Nach etwa anderthalb Stunden starken Rittes erreichten wir das verheissene Thal, es war wohl 500 Schritte breit und üppig mit Gras und Kräutern bewachsen. Mitten hindurch zog sich ein ziemlich breiter Fluss, an dessen Ufer ein Weg entlang führte. So war die beste Aussicht vorhanden, dass unsere Leiden nun beendigt wären, und fröhlichen Herzens ritten wir zum Thale hinab. In der Ferne schienen die Berge viel niedriger und unser Führer behauptete, wir hätten schon den Obö (das chinesische Grenzmal) im Rücken und würden schon morgen Abend den Abakan erreichen können. Der Weg führte im Thale entlang, das einige Stunden Weges seinen Charakter keineswegs änderte, nur traten das dichte Weidengebüsch und der Nadelwald häufig bis zum Ufer des Flusses. Plötzlich wurde der Boden sumpfig, der Weg wandte sich den Uferbergen zu und schlängelte sich zwischen mäch- tigen Steinblöcken hindurch, seine Richtung wandte sich nach Osten hin, und wir verloren bald das breite Flussthal aus den Augen ► Nachdem wir einige Stunden geritten waren, zog sich der Weg wieder abwärts in das Thal eines kleinen Flüsschens, das ein Nebenfluss des vorher erwähnten Flusses zu sein schien. Hier theilte sich unser Weg in zwei Pfade, von denen sich der eine direct nach Osten, der andere nach Nordwesten wandte. Unser Führer behauptete trotz meines Widerspruches, wir müss- ten den letzteren einschlagen, da wir schon jetzt zu weit nach Osten geritten seien; er kenne den Bergrücken und wisse sich jetzt ganz bestimmt zurecht zu finden. Wir ritten a^so jetzt an dem Flüsschen weiter entlang, wohl 1 Werst durch baum- loses Wiesenland, dann geriethen wir in einen dichten Cedern- T^ald. Der Boden war hier mit dichtem Moose bewachsen und — 184 — keine Spur mehr von einem Wege zu entdecken. Umgestürzte Bäume, Schluchten, Felspartieen und Steinblöcke nöthigten uns, kreuz und quer zu reiten, so dass wir Abends, als wir einen direet nach Norden fliessenden Giessbach erreichten, weder vor- noch rückwärts konnten und froh waren, unser Nachtlager hier aufschlagen zu können. (Den 15. Juli.) Nach fünf schweren Tagen sind wir end- lich wieder in dem schönen Flussthale, das wir am 10. Juli Morgens verliessen, eingetrofi'en. Aber in welcher Lage er- reichten wir dasselbe! Damals waren wir glücklich, deii rechten Weg gefunden zu haben und das frische Grün des Thaies er- höhte unsere Reiselust; damals waren wir von guter Hoffnung erfüllt, denn unser Ziel, der bewohnte Abakan, lag nur nock zwei Tagereisen entfernt. Aber wie anders steht es heute mit uns! Die unsäglichen Strapazen der letztvergangenen fünf Tage haben uns fürchterlich mitgenommen. Unser Proviant ist zu Ende gegangen und das fast faule Fleisch eines von uns am 11. Juli geschlachteten Pferdes ist das Einzige, was meine Leute zur Nahrung haben. Ich selbst habe die letzten drei Tage nur muffige, in Wasser gekochte Erbsen ohne Salz und ausgelassene, halb faule Butter, sowie Thee mit Zucker genossen. Unsere Pferde- sind in jämmerlichem Zustande. Ihre Hufe, von dem fast un- unterbrochenen Regen aufgeweicht, haben sich an dem steinigen Boden vollständig abgeschliffen und in geschwollene Blutbeulen verwandelt, ihre Rücken sind fast ohne Ausnahme durchgerieben,, und nur mit Mühe können sich die armen Thiere fortbewegen» Bis zu den Sojonen haben wir noch zwei Tagereisen; wie wir dorthin gelangen wollen, weiss ich nicht. Unsere einzige Ret- tung wäre schönes Wetter. Die Leiden, die wir in den verflossenen Tagen erduldet haben, sind kaum zu schildern. Wir ritten drei volle Tage im Kreise in dem öden Walde umher, der in der That den Namen eines Urwaldes verdient. Am ersten Tage behauptete unser Führer, wir müssten den Fluss, bei dem wir übernachtet, un- bedingt durchreiten; leider war nirgends eine Furt zu ent- decken, denn die mächtige Wassermasse des Flusses wälzte sich schäumend über 3 — 4 Fuss hohe Felsblöcke mit einer Gewalt, der kein Pferd im Stande war, Widerstand zu leisten ; wir folgten deshalb dem Flusse am Ufer aufwärts. Der Boden war hier V — 185 — eine dichte glatte Moosfläche, die alle Unebenheiten des Erd- bodens und selbst grössere Steinblöcke verbarg. Oft wich diese trügerische Decke unter den Füssen unserer Pferde und Reiter und Pferd stürzten in 4 — 5 Fuss tiefe Löcher. Dann musste die ganze Karawane Halt machen und manchmal gelang es kaum den vereinten Kräften, das Pferd aus dem Loche heraus- zuziehen. Als wir so unter stundenlangen Qualen eine oder zwei Werst vorgerückt waren, geriethen wir in einen Sumpf, in dem die Pferde oft bis zum Bauche einsanken. Wir wurden deshalb gezwungen, einen weiten Umweg zu machen, um nicht zu ver- sinken. Erst gegen Abend gelang es uns, den verlassenen Fluss zu erreichen. Das Fleisch, das ich vom Kara Köl mitgenommen hatte, war bei dem ununterbrochenen Regen faul und unge- niessbar geworden und musste fortgeworfen werden; ich musste daher, um für meine Leute Speise zu schaffen, eines unserer Pferde schlachten lassen. Am anderen Morgen trafen wir nicht weit von unserer Lagerstätte eine Furt im Flusse und durchritten denselben hier ohne grossen Schaden, denn nur eines unserer Pferde wurde vom Wasser umgeworfen, jedoch unbeschädigt an's jenseitige Ufer gebracht. Hier war der Boden weniger steinig, aber da- für gab es neue Leiden. Unzählige umgestürzte Baumstämme versperrten überall den Durchgang; dabei waren die Uferberge, die wir zu erklimmen hatten, so steil, dass wir fast jede halbe Stunde Halt machen und den ermatteten Pferden Ruhe gönnen mussten. Ununterbrochen traten uns Hindemisse in den Weg; bald hatten sich umgestürzte Baumstämme zu einer unüber- steigbaren Mauer aufgethümit und die Pferde konnten nur mit Gewalt hindurchgeführt oder herübergezogen werden, bald waren die Stämme so dicht mit Gestrüpp verwachsen, dass man sich nur mit grösster Mühe und mit Hülfe der Axt einen Weg hin- durchbahnen konnte, wobei die nadelbesetzten Zweige dem Hin- durchreitenden Gesicht und Hände blutig peitschten. Nachdem wir so zwei Tage vom Morgen bis zur einbrechen- den Nacht bei dem ununterbrochen herabströmenden Regen auf den bewaldeten Bergzügen umhergeirrt waren, langten wir end- lich am Fusse eines hohen Berges an, dessen Spitze unbewaldet war, und schlugen hier unser Nachtquartier auf. Am Morgen des vierten Tages erreichten wir glücklich den Gipfel dieses Berges und vermochten uns von hier aus über — 186 — den Gang unserer Irrfahrt zu orientiren. Da unsere Pferde zu angegriffen waren, um noch jetzt zum Ahakan zu gelangen und dem Laufe desselben folgen zu können, und der Führer erklärte, dass er jegliche Spur des Weges verloren habe und weder ein noch aus wisse, so heschloss ich, von hier aus zurück- zukehren. Ein alter Jäger der TölÖs, der sich unter meinen Begleitern befand, zeigte mir von hier aus den Bergzug, über den wir vom Kara Köl gekommen seien, und erbot sich, uns dorthin zurückzuführen. Der gefasste Beschluss wurde sofort ausgeführt. Obgleich unser neuer Führer zum ersten Male in dieser Ge- gend war, also nur die bei unserer Irrfahrt passirten Berge nach einmaligem Durchstreifen kannte, verstand er doch im dichten Walde, ohne sich um meinen Compass zu bekümmern, so be- stimmt Richtung zu halten, dass er uns am zweiten Tage wohl- behalten in das schöne Flussthal zurückführte. Die Sicherheit des Führers flösste allen Vertrauen zu ihm ein. Auf meirie Frage, wie er hier eigentlich den Weg finden könne, antwortete er mir lachend: ,,Eine Gegend, die ich einmal passirt habe, werde ich mein Leben lang nicht vergessen." So erschien mir denn der Rückweg weniger beschwerlich, obgleich wir hier auch mit vielen Beschwerden zu kämpfen hatten und Felspartieen , Ver- haue und Sümpfe in grosser Menge passirt werden mussten. Der Führer benutzte mehrmals kleine Jagdpfade, auf denen uns weniger Hindemisse in den Weg traten. Am meisten setzte uns aber das Wetter zu, das jetzt sehr veränderlich war; immer wechselten Sonnenschein und Regen ab, so dass unsere Mantel- säcke zu faulen begannen und unser Fleischvorrath schon nach 24 Stunden in Fäulniss überging. Ich hatte all' mein Ansehen anzuwenden, den früheren Führer vor der Wuth der übrigen Kalmücken zu schützen. Der arme Mann that mir leid, da weniger seine Unkenntniss des Weges, als das ungünstige Wetter, das auf den Höhen jeden Rundblick unmöglich machte, an unserer Irrfahrt schuld war. Während der ganzen Rückfahrt war er die Zielscheibe des Spottes und man überhäufte ihn bei jeder Gelegenheit mit Schimpfreden, die ohne mein Entgegentreten gewiss in Thätlichkeiten über- gegangen wären. Einen meiner Reisebegleiter, der am Magenkrampf er- krankte, befreite ich durch einige Arzneimittel von seinen — 187 — Schmerzen. Dadurch hatte meine Apotheke das Zutrauen der Tölös-Leute erworben, so dass sich alle an mich wendeten und um Arzneien gegen dieses und jenes Uebel baten. Jaschyk, imser Regenbesprecher, behauptete schon seit einigen Tagen, dass der Jada-Stein der Sojonen wirkungslos gewesen sei, er meinte, es wäre das Beste, wenn er mit meiner guten Arznei den Regen besprechen würde. Bis jetzt hatte ich mich gegen diesen Unsinn gesträubt. Doch heute Abend musste ich nachgeben, wenn ich meine Leute bei guter Laune erhal- ten wollte. Jaschyk schritt nach meiner Einwilligung sogleich zur Ausführung seines Planes. Er kam mit einem Holzlöffel und mein Diener musste die Apotheke herbeiholen. Nun that ich ihm in seinen Löffel Bittersalz, Glaubersalz, Senfspiritus, spanische Fliege und Heftpflaster. Mi% glücklicher Miene trat er nun ans Feuer, räucherte die Medicin und schwang unter lautem Hersagen seiner Beschwörungsformel den Löffel in der Luft umher, dann schüttelte er ihn unter dem Rufe : ,,Kairakan, Kairakan! alas alas alas!" in's Feuer. Alle Anwesenden stiessen einen lauten Freudenschrei aus, als der brennende Senfspiritus hoch aufflackerte und sahen in diesem Ereignisse eine gute Vor- bedeutung. Am Abend herrschte unter meinen Leuten die aus- gelassenste Fröhlichkeit, denn jeder war überzeugt, dass mor- gen unbedingt gutes Wetter eintreten würde. (Den 19. Juli). Am 16. und 17. hatten wir wirklich das herrlichste Wetter (wozu doch Bittersalz nicht alles nützt!), so dass wir unter der sicheren Leitung unseres neuen Führers schon am späten Abend des 17. wieder am Kara Köl eintrafen. Der Ritt war natürlich äusserst beschwerlich gewesen, da die Pferde nur im langsamen Schritt zu gehen vermochten. Um daher die Zeit der Reise zu kürzen (dazu zwang uns der feh- lende Proviant), ritten wir bei Sonnenaufgang aus und machten erst bei einbrechender Nacht Halt. Der Weg, den unser Führer einschlug, war kürzer und weit weniger beschwerlich als der auf unserer Hinreise passirte; nicht wenig trug dazu auch das klare, schöne Wetter bei, das uns überall einen freien Rund- blick gestattete. Als wir die Höhe des letzten Bergkammes vor dem Mön erreicht hatten, sahen wir in der Ferne zwei mächtige Schneeketten sich aufthürmen, die mir als die Quell- gebirge des Kemtschik bezeichnet wurden. Von den Wiesen- i^ — 188 — terrassen diesseits der sojonischen Jurten sahen wir gegen Osten den zwischen fast senkrecht abfallende Felsmauem eingezwängten Kara Köl. Im Vordergrunde bei der Mündung des Mön in diesen See sind die Uferberge wie auch das Flussthal in dich- ten Lärchenwald gehüllt und im Hintergrunde steigt das Hoch- gebirge in sieben Terrassen auf, von denen die drei höchsten Kämme mit Schneefirnen bedeckt sind. Als wir an der Stelle, wo wir die sojonischen Jurten ver- lassen hatten, anlangten, war nirgends eine Jurte zu sehen^ die Einwohner waren offenbar weiter ins Gebirge gezogen. Am andern Morgen kam der Schangda in Begleitung eines sojonischen Saisans, der grade den hiesigen Kreis inspicirte, in unser Lager. Als sie unsere jämmerliche Lage sahen, nahmen sie einen hochmüthigen- Ton an und der Saisan weigerte sich, seinen Leuten zu erlauben, uns für Waare Proviant abzulassen. Erst nachdem ich ihm ein Pfund nasses Pulver und eine Flasche Branntwein geschenkt hatte, gab er uns die Erlaubniss zum Handel und zu einem zweitägigen Aufenthalt. Leider hatten wir alles unnütze Gepäck, wie Kessel, Drei- fuss, Filzdecken etc. auf unserer Irrfahrt zurückgelassen, um den 'Pferden nach dem Schlachten eines der Packpferde die Last möglichst zu erleichtem; so hatten wir nur sehr wenige Dinge, die die Sojonen hätten gebrauchen können. Einige Pfund Pul- ver und Blei wurden gegen zwei Hammel eingetauscht und um wenigstens noch eine Ziege zu erhalten, schnitt ich alle Me- tallknöpfe von meinem Rocke ab und fügte, da diese noch nicht genügten, eine buntgestickte Weste hinzu. Mein diesmaliger Aufenthalt bot mir keinerlei Gelegenheit zu Forschungen, denn der Saisan erlaubte mir nicht einmal, die Jurten der Sojonen aufzusuchen und hielt auch seine Leute von unseren Zelten fern. Trotzdem gelang es mir, ein kleines Wör- terverzeichniss zusammenzustellen. Jeden Morgen Hessen meine Führer wieder den Regen von Jaschyk bannen, wobei meine Reiseapotheke am schlech- testen wegkam, und gerade, als ob die Leute erst recht in ihrem Aberglauben bestärkt werden sollten, klärte sich stets nach der Beschwörung der Himmel auf. Meine dwojedanischen Führer machten unsere hufkranken Pferde durch ein sehr einfaches Mittel für unsere Weiterreise taughch. Es wurde eine Menge Holz zusammengetragen, scheiterhaufenartig aufgestapelt und — 189 — angezündet. Am Abend wurden die brennenden Zweige und glühenden Kohlen etwas auseinander geritten und auf einem etwa 4 bis 6 Quadratfaden grossen Platze ausgebreitet, so dass am Morgen der ganze Platz mit glühender Asche bedeckt war. Dann machte man mit einem scharfen Messer in jeden Fuss oberhalb des Hufes drei bis vier tiefe Einschnitte, so dass das Blut hervorrieselte. Hierauf führten sie die Pferde auf Öen mit heisser Asche bedeckten Platz und liessen sie da wohl eine Viertelstunde stehen, bis kein Blut mehr aus der Wunde floss. Das Mittel erwies sich als sehr wirksam, denn die Ueberreste der Hufe wurden hart und die Pferde vermochten ohne grosse Schmerzen aufzutreten. (Den 24. Juli). Nach viertägigem Ritte sind wir heute glücklich am Tscholyschman angekommen. Bis zum Arsajak hielten fast alle Pferde Stand, aber von hier aus mussten wir an verschiedenen Stellen sieben Pferde zurücklassen, welche von einer zum Alasch gezogenen dwojedanischen Handelsge- sellschaft auf dem Rückwege zum Tscholyschman nachgebracht werden sollten. Um diese auf die zurückgebliebenen Pferde aufmerksam zu machen, wurde an einer freien Stelle neben dem Wege, jedesmal da, wo man ein Pferd liess, an eine Stange ein Packsattel gebunden und an diesen ein Zweig, der mit der Spitze zum Tscholyschman gerichtet war. An den Zweig band man ein Haarbüschel aus der Mähne des Pferdes. Der Führer erklärte mir auf mein Befragen, dass jeder Tölös, welcher des Weges daher komme das Zeichen so verstehen würde: ,,Hier ist ein Pferd von der Farbe des Haarbüschels zurückgebheben, sattle es mit dem Sattel und bringe es dahin, wohin die Spitze des Zweiges zeigt. Die Jäger sollen vielerlei dergleichen Zei- chen anwenden, um einander ihren Willen kund zu thun, z. B. ein Zweig an eine Stange horizontal angebunden, heisst: ,, Komme dorthin, wo die Spitze des Zweiges hinzeigt." Zwei Zweige in derselben Weise befestigt, aber so, dass die Spitzen nach entgegengesetzten Richtungen zeigen, bedeuten: ,,Ich bin dorthin gegangen, komme aber hierher zurück, warte hier!" durch nebenbei eingesteckte Stäbchen bezeichnet man die Zahl der Tage, wann man zurückkehren will, u. dergl. m. Die ganze Reise ging ohne weiteres Ungemach von statten; wir ritten Tag für Tag von Sonnenaufgang bis zur einbrechen- — 190 — den Nacht. Die letzten zwei Tage war das Wetter wiederum sehr ungünstig und alles Eegenbannen Jaschyks blieb ohne Erfolg. Am 21. Juli Abends hatten wir die letzten Ueberbleibsel oinserer Nahrung verzehrt und litten daher bei der grossen Anstrengung und der zehrenden kalten Luft nicht wenig Hunger. Am Nachmittag des 22. trafen wir auf acht Schwarz- wald-Tataren, die von einer Handelsfahrt zum Alasch zurück- kehrten, und trieben unsere Pferde zur Eile an, als wir die Leute in der Feme erblickten, in der Hoffnung, irgend ein Nahrungsmittel zu erhalten. Aber es war eine eitle Hoffnung, die Leute waren selbst schon den dritten Tag ohne Speise. Der Hunger trieb uns jetzt zur Eile, selbst die schauderhaften Bergabhänge, die zum Tscholyschman herabführten, schreckten uns nicht zurück, unseren Weg bei dunkler Nacht fortzusetzen, und so erreichten wir 1 Uhr Nachts glücklich die ersten Jurten am Tscholyschman, wo ich mit dem grössten Appetite Kumys, Airan und geröstetes Gerstenmehl aus schmutzigen Kalmücken- schalen genoss, ohne weitere Rücksicht auf die Unreinlichkeit der Speisen zu nehmen. Ich entsinne mich nicht, dass mir eine andere Speise je so vortrefflich gemundet hat. Hunger ist eben der beste Koch. Unsere Packpferde waren noch zurückge- blieben und langten erst einige Stunden später an. Aus dem Tagebuch der Beise nach Kobdo im Jahre 1870. (Den 14. Juni.) Endlich ist es mir heute gelungen, die nöthigen Menschen, Pferde und ein Kameel zu miethen. Ich musste für jedes Pferd 3 Rubel und für das Kameel 6 Eubel zahlen, dabei mich aber verpflichten, gefallene oder sonst zu Schaden gekommene Thiere zu ersetzen. So konnte ich denn endlich nach Tische die Lawken an der Tschuja verlassen. Es hatte den ganzen Morgen über geregnet, gegen Mittag aber klärte sich das Wetter auf, und wir wurden bis zum Abend nicht weiter vom Regen belästigt. Von der Reise ist wenig zu sagen. Die Steppe ist glatt und eben, baumlos und mit ganz spärlichem Grase bedeckt, zwischen dem viel Geröll und kleine Steine zu sehen waren. Nach einer Werst den Fluss Tschagan Burgasun erreicht. Breites Flussbett, an den Ufern weniges Strauchwerk. Mehrere Arme durchritten, der eine derselben ziemlich tief. Nach etwa 15 bis 20 Werst begannen sich nach F — 191 — Osten niedrige Hügelketten weit in die Steppe hinein zu er- strecken. Einzelne Gräber mit aufrechtstehenden Steinen; dicht bei dem südlichen Grenzgebirge abermals den Tschagan Bur- gasun durchritten, nicht weit von seinem Ufer übernachtet. (Den 15. Juni.) Nacht sehr kalt. Der Himmel hat sich aufgeklärt. Weg am Tschagan Burgasun aufwärts. Schmales Thal. Wenige Felsen. Am Flusse selbst ganz niedriges Weidengestrüpp. Von rechts drei Nebenflüsse, die alle drei Karassu heissen. Beim ersten derselben nur wenige Bäume, beim zweiten bedeutender Lärchen wald, daher von hier aus einige Holzvorräthe mitge- nommen. Die Gegend wird mir jetzt als sehr unsicher geschil- dert. Hier sollen im vorigen Jahre Kirgisen gelebt haben. Ein Theil der Buchtarma- Kirgisen hat sich Russland unterworfen (die Karatai). Die Samai aber sind nach China gegangen und Makilä, mein alter Bekannter von der Buchtarma, hat einen Mützenknopf erhalten. Am Orta Karassu machten wir Halt, da das Herbeischaffen des Holzes doch einige Zeit kostete. Wir setzten unseren Weg am Tschagan Burgasun fort; mehrere Eis- felder passirt, blaue Wasserrinnen auf dem Eise, viele Spalten und Risse, die das Reiten beschwerlich machen. Später wird der Weg an einigen Stellen sehr steinig. Ein kleiner See am linken Ufer. Bei der Quelle des Tschagan Burgasun machten wir Halt. Wir hatten den ganzen Tag über schönes Wetter gehabt, nur ein kleiner Sturzregen hatte uns beim ersten Karassu überrascht. Auf dem ganzen Wege lagen Massen von Argali -Hörnern umher. Sehr viele Murmelthier- löcher. Die Murmelthiere sitzen bei dem Loche und schauen neugierig auf die Herankommenden. Ahnen sie Gefahr, so schlüpfen sie sogleich in ihre Löcher. Bei der Jagd brauchen die Jäger folgende List: sie schwenken, sobald sie ein Murmel- thier erblicken, den einen Arm wie ein Rad im Kreise herum und nähern sich so dem neugierig nach dem Wunder aus- schauenden Thiere auf Schussweite. So allein lassen sich diese Thiere übertölpeln; würde der Jäger ruhig herankommen, so würde das Thier, ehe er noch die Flinte anlegen kann, in seine Höhle geschlüpft sein. Auf den östlichen Bergen erblickten wir zwei grasende Argali, die hier in grossen Heerden leben sollen. Am Nach- mittage schrecklicher Regen und eisigkalter, schneidender Wind. — 192 — So niedriger Wolkenzug, dass die unteren Spitzen uns fast be- rührten. Wir erstiegen die Östlichen Berge. Breiter Bergrücken mit niedrigen Hügelwellen. Das Grenzzeichen auf dem höchsten Punkte des Bergrückens, ein Brett, das auf chinesischer Seite mit rother mongolischer Inschrift versehen. Wind immer stärker. Ringsum hohe Schneeberge. Jenseits der höchsten Stellen des Bergrückens abermals Sumpf. Hier bildet sich allmählich ein Wasserreservoir für die Abflüsse des Flusses Boro-Burgasun, dessen IJfer wir jetzt bis zum Piquet Sök folgen. Zwei kleine Flüsse passirt. Weg sehr gut. Erst gegen 12 Uhr Abends langten wir beim Piquet Sök an. In der Nähe stehen jetzt Türböten -Jurten, vor denen uns ein ganzes Rudel bissiger Hunde überfiel, die wir kaum zu vertreiben vermochten. End- lich erreichten wir das Lager der russischen Kaufleute, die jetzt hier in Filzzelten wohnen. (Den 16. Juni.) Ich besuchte heute die Kaufleute, unter denen ich viele Bekannte fand. Sie sind durchaus nicht zufrieden. Da sie jetzt den grössten Theil des Jahres bei den Piquets wohnen müssten, so hätten sie bessere Wohnungen als die früheren Zelte nöthig. Der Handel sei jetzt schlechter als früher und wegen des Wohnens bei den Piquets der hiesige Aufenthalt kostspieli- ger. Als früher die Jahrmärkte, besonders der Tschärü, be- standen, sei der Handel viel vortheilhafter gewesen. Der Tschärü hätte von Jahr zu Jahr zugenommen und im Jahre 1865 seien schon fast 200 000 Tarbaganfelle von den Mongolen auf den Markt gebracht. Da sei plötzlich der Gouverneur von Tomsk, Herr L., hier angekommen und habe, um seine Macht zu zeigen, den am Byraty anwesenden chinesischen Beamten verhaften lassen. Die Helden that habe zur Folge gehabt, dass die chinesische Regierung ihren Leuten verboten habe, die russische Grenze zu überschreiten und sich nun nicht mehr in die Handelsang^- legenheiten, die sie früher mit allem Eifer unterstützt habe, mische. Dadurch sei der Handel zu einem Detail-Handel gewor- den. Es sei den Kaufleuten unmöglich, den Handel hier fortzu- setzen, wenn die Verbindung des Piquet-Handels und des Altai- Handels denselben nicht ermögliche. Die Kaufleute seien nic^t im Stande, irgendwie auf feste Preise zu halten, da bei der jetzigen Art des Einzelverkaufes Alles vom Zufall abhänge. Sie nehmen jetzt, so viel sie bekommen, und verkaufen bald mit grossem — 193 — Vortheil, bald mit Schaden. Am vortheilhaftesten yerkaufen sich Kleinigkeiten, die oft mehrere hundert Prozent ergeben. Die grossen Theesteine stehen jetzt im Preise von 2 Rubel und kom- men den Eaufleuten im Allgemeinen auf 1 Rubel 20 Kopeken zu stehen. Yergrössert hat sich der Handel seit 1864 nicht. Seit zwei Jahren fangen die Chinesen an, Thee zu verkaufen und zwar zwei Sorten, in Easten zu 80 und solche zu 60 Pfund, Der Letztere ist unvergleichlich besser. Man hat versprochen, den Thße in grösseren Partieen herzujschaffen, was bei deA ge- ringen Preise, das Pfund zu 50 — 80 Kopeken, sehr vortheilhaft wäre. Ob dies den Chinesen möglich ist, wird die Zeit lehren. Ich machte damals dem Ka einen Besuch. Ka ist die Benennung der Mongolen. Die Chinesen nennen ihn Dcdcje. Er trägt den blauen Mützenknopf 'und steht im Range eines Ugeri-da (Obersten). Er ist aus dem Inneren und wird auf drei Jahre zur Grenze geschickt. Er hat nicht nur die Aufsicht über die Grenzposten, wie man mir firüher gesagt, sondern ist auch der Verwalter der hier an der Grenze wohnenden Völkerschaften. Bei ihm befinden sich einige Mandschu-Soldaten. Dte Mongolen- Soldaten der Piquets stehen unter den Befehlen eines Tuslak- tschi mit rothem Mützenknopfe, der also Generalsrang hat. Der Daloje empfing mich sehr artig, untersuchte meinen Pass imd versprach, mir einen Mongolen-6oldaten als Convoi zu geben. Vergebens versuchte ich mit ihm mandschurisch zu sprechen. Da mir mein Schibä-Lehrer Bitä als Dolmetscher diente, so trat der merkwürdige Fall ein, dass ein russischer Beamter mit einem Mandschu-Beamten sich so unterhielt, dass der russische Beamte mandschurisch sprach und seine Rede dem Mandschu durch einen Uebersetzer chinesisch wiedergegeben werden musste. Im Laufe des Nachmittages machte mir der Ka einen Gegenbesuch. Am Sok sind übrigens nur fünfzig mongolische Soldaten stationirt, alles Chalcha. Unter diesen befanden sich wohl ein halbes Dutzend Lama's; sie tragen rothe und gelbe Röcke und sind leicht an ihren gelben Mützen und geschorenen Köpfen zu erkennen. Alle Lama tragen Gebetperlen, murmeln' beständig Gebetformeln und tragen Buddha-Bilder in kleinen Kästchen, sowie ausser- dem noch kleine Zeugpackete am Halse. (Den 17. Juni). Am Morgen verliessen wir um 10 Uhr den Karaul Sök. Der Weg geht zuerst nach N. 0. 0. am linken Radioff, Aus Sibirien. IL 13 — 194 — Ufer des Flnsses Boroburgasim abwärts. Das Flussthal ist schmal und die Ufer sind ziemlich steil. Uferberge kahl und mit Ge- röll bedeckt. Nur an den Bändern tritt der Felsen vor. Gras- wuchs sehr gering und nur in einzelnen Büscheln, Blumen fast nirgends zu sehen. Weiter abwärts wächst dicht beim Flusse kurzes Weidengestrüpp. Flussbett breit und steinig; der Fluss fliesst meist ungetheilt. Der Fall des Wassers ist hier ziemlich stark. Fluss durchritten bei einem kleinen Nebenflüsschen, das von fechts in den Boroburgasun Wlt. Im Flussbette viele Ar- gali-Hömer. Wir trafen zweimal auf Argali-Heerden. Dicht vor uns stieg eine Heerde Argali zum Flusse hinab, es mochten ihrer wohl sechzig Stück sein. An den Uferbergen sieht man viele Pfade sich emporschlängeln, dieselben sollen zum grössten Theil von den Argali herrühren, die hier in grosser Zahl leben. Etwa nach sechs Werst fliesst ein Fluss von Norden her in den Boro- burgasun, der Name konnte mir nicht genannt werden. Dem Flusse gegenüber ist am rechten Ufer ein Obö errichtet, auf dessen Spitze mehrere Argali -Homer aufgestellt waren. Jetzt verschwinden die Weidengebüsche gänzlich aus dem Flussthale und die Uferberge verändern ihren Charakter. Sie erscheinen jetzt meist in terrassenförmigen Abstufungen, die an vielen Stellen mit grünen Grasplätzen bedeckt sind, ein Zeichen, dass wir schon bedeutend herabgestiegen. Nach zwölf Werst erreichten wir den Fluss Sossiila, der in den Boroburgasun fliesst. Bei der Mündung dehnt sich das Thal aus, durch das man den recht breiten Weg sich nach NO. hinschlängeln sieht. Der Fluss macht eine Krümmung nach Osten und später nach Norden. Das weite Thal des Sossiila ist mit dichtem, kurzem, feinem, grünem Grase bedeckt. Etwa 4 bis 6 Werst höher am Flusse sind an drei Stellen je 5 bis 6 Filzjurten der Chalcha zu sehen, in deren Nähe einige Schaf- und Sarlyk-Heerden weiden. Nicht weit von der Mündung des Sossula befindet sich ein hoher Obö, bei dem, wie mir unser Convoi- Soldat mittheilt, den vorüber- reisenden Ambanen Thee gereicht wird. Der Weg ändert die eingeschlagene Richtung nur ganz unbedeutend. Noch recht früh erreichen wir die erste Mongolen-Station, die mir als Ürtö (Station) Boroburgasun genannt wird, obgleich sie jetzt gar nicht am Flusse Boroburgasun liegt. Man erklärt mir dies dadurch, dass der Ürtö, der Witterungs- und Vegetationsverhältnisse halber mehrmals im Jahre seinen Standort wechselt. — 195 — Im Ürtö Boroburgasun wurde uns ein recht freundlicher Empfang. Man bewirthete uns mit Allem, was man bieten konnte, und wies mir eine eigene Jurte zur Wohnung an. Die hiesigen Chalcha sind im vorigen Jahrhunderte angesie- delt worden. Sie wechseln nicht im Dienste wie die Chalcha des Piquets. Man sieht auf den ersten Blick, dass die Leute hier viel weiter fortgeschritten sind als die altajischen Bergkal- mücken, dies beweist schon die reinliche Kleidung und bessere Jurteneinrichtung. Alles macht den Eindruck einer gewissen Wohlhabenheit, man möchte sagen von Reichthum. Der Wirth bot mir sogleich den Ehrenplatz zum Sitz an. In der Jurte, deren Boden zum Theil mit Teppichen bedeckt war, standen rund an der Jurtenwand chinesische und auch Irbitsche Kasten auf- geschichtet, im Hintergrunde ein Schrank mit Burchanen (Bud- dhabildem); dergleichen Schränke sollen immer da aufgestellt werden, wo sich ein Lama befindet. Unter den anwesenden Gästen, die sich bald in nicht geringer Zahl einfanden, er- blickte ich viele Lama, darunter sogar mehrere im Kindesalter. Zuerst bewirthete man uns natürlich mit Thee (Ziegelthee mit Milch und Fett), der nicht sehr schmackhaft war, da er nicht heiss aufgetragen wurde. Dann wurden länglich-ovale, in Form einer Presswurst gefertigte, süssliche Käse gereicht, die recht sauber aussahen, Krümelkäse (Artschi) und zuletzt Milchbrannt- wein. Alles Vorgesetzte sah ganz reinlich und einladend aus. Kalning und mir reichte man Porzellanschalen, alle Uebrigen tranken aus gelblackirten chinesischen Holzschalen. Die Sitte des Pfeifereichens als Begrüssungsformel ist hier ganz wie bei den Altajem, nur wird die Sitte mit mehr Ceremonien ausge- geführt. Bei der Ueberreichung hält der Altajer die Pfeife mit der rechten Hand und legt die horizontal ausgestreckte Linke unter die Pfeife, der Mongole dagegen neigt zuerst den Kopf, bietet dann die Pfeife mit der hc^en Hand und legt die rechte Hand mit der schmalen Seite horizontal vor die Stirn. In Pfeifen herrscht hier ein grosser Luxus, die meisten der- selben haben Manu-Spitzen, die einen Werth von fünf bis zehn Rubel haben sollen. Einer der anwesenden Mongolen sprach mit Bitä chinesisch und verstand auch einige Worte der Mand- schusprache, die er schnell hervorbrachte, als er hörte, dass ich mich mit Bitä in dieser Sprache unterhielt. Er hatte, wie er uns erzählte, dies Alles in Kobdo gelernt, wo er sich einige Jahre 13* — 196 — aufgehalten y auch habe er einen Mandschu-Beamten nach Pe- king hegleitet. Im Hause waren viele Bücher: tibetische (Tan- gut Nomun), die meist geschrieben waren, und gedruckte mon- golische Bücher. Es gelang mir hier, einen Ardschi-Bordschi zu erwerben. Nachdem ich in meiner Jurte gespeist, trieb ich mich bei den Jurten umher und besuchte mehrere derselben. Bei den gelegentlichen Gesprächen erfuhr ich Manches über die hiesigen Verhältnisse. Die Bewohner der Stationen sind Ghalcha, die sich hier freiwillig angesiedelt haben. Sie werden nicht zum Piquet-Dienste verwendet. Die Ansiedlung ist vor etwa hundert Jahren geschehen. In jedem Jahre stellen sich 5 Mann der Ansiedlung zum Dienst (d. h. Post-Dienst) und erhalten im Jahre jeder 18 Lan (Unzen) Silber als Löhnung und 30 Pud Weizen als Proviant. Der Weizen wird in der Gegend von Kobdo an- gebaut und zwar von dort zu diesem Zwecke von der Regierung angesiedelten Chambing (chinesischen Soldaten). Die fünf Stations- Soldaten haben die Verpflichtung, jeder 5 Pferde zu halten, im Ganzen also 25 Pferde. Ihr gewöhnlicher Dienst besteht darin, dass sie alle officieUe Gorrespondenz zur nächsten Station zu führen haben. Den im Dienste reisenden Soldaten haben sie die zur Reise nöthigen Pferde zu stellen und Führer beizugeben. Ist eine grössere Anzahl von Pferden nöthig, so werden diese durch einen die Station befehligenden Soldaten von den in der Nähe wohnenden Türböten requirirt. Anderer Dienst, als der hier geschilderte Postdienst, liegt den hiesigen Ansiedlem nicht ob, auch sind sie von jeder Abgabe befreit. Diese Dienst- leistungen sind für diese Nomaden in keiner Weise drückend, das bezeugt die hier herrschende Wohlhabenheit. Am Abend besah ich mir das zu den Jurten zurückge- kehrte Rindvieh. Es war nicht sehr zahlreich, bestand aber wenig- stens aus 30 melkenden und etwa 15 Sarlyk-Kühen, von denen auch hier die Hälfte ohne Homer war. Die mongolischen Sarlyk sind sehr friedfertig und lassen sich, wie ich mich durch den Augenschein überzeugen konnte, ohne jeglichen Widerstand melken. Die bedeutenden Schaf heerden waren seitwärts von den Jurten fortgetrieben. Die Hunde der Mongolen haben alle eine merkwürdig klingende, sehr heisere Stimme, sie sind so böse, dass mich mein Wirth bat, nie ohne Begleitung die Jurte zu verlassen. Freundlich begleiteten mich daher stets zwei Mon- golen. Die Schafe sind sehr gross und weichwoUiger als die — 197 — kirgisischen.' Ein grosses Schaf wurde mir von den Mongolen auf 2 Theesteine geschätzt. Ich sah hier einige Schafe mit lang herabhängender Wolle. Man theilte mir mit, dass diese Schafe Schüttär seien, d. h. zum Opfer bestimmt (gerade wie bei den Altajem die Yjyk). Solchfe Schafe dürfen von Geburt an nicht geschoren werden. Die hiesigen Chalcha scheinen sehr strenge Buddhisten zu sein. In den Händen der Lama, ja sogar auch der älteren Leute, die nicht Lama sind, sieht man stets Rosenkränze, an denen sie die halbe Zeit unter Gebetmurmeln die Kugeln fortschieben. Oft habe ich aber auch gesehen, dass die Kügelchen des Rosen- kranzes mechanisch fortgeschoben werden, während sich der so mit 4er Hand Betende in einem eifrigen Gespräche mit den Nachbarn befindet. Es ist nicht wunderbar, dass ein so tmunter- brochenes Beten zuletzt zu einer vollkommenen Aeusserlichkeit wird. (Den 18. Juni.) Erst um 11 Uhr verliessen wir heute die Station Boroburgasun. Der Weg wendet sich zuerst südwest- lich und führt in dieser Richtting über zwei kleine Bergrücken, die sich zu dem Wasser der Station hin herabsenken. Dann folgt eine kleine Ebene und ein dritter, bedeutenderer Berg- rücken, der mit dem weiter nach Westen liegenden Berge Boro- burgasun-u-Chürün-Chairan in Verbindung steht und gleichsam als eine Vorlage dieser grösseren Bergmasse zu betrachten ist. AUe diese Bergrücken und die zwischen ihnen liegenden Thäler sind mit kurzem, aber dichtem Grase bewachsen. Die Berg- züge, die wir von hier aus erblicken, sehen wie sich hoch auf- thürmende Hügelwellen aus und nur selten treten grössere Stein- und Felspartieen zu Tage. Nachdem wir die dritte BergweUe überritten, sehen wir ein langes, schmales Thal vor uns, das sich in seiner Hauptrichtung nach Süden hinzieht, westlich wird es von den Fortsätzen der Chürün-Chairan begrenzt. Aus den östlichen Bergwellen fliesst das klare Wasser des Sossulan xmd Ago hervor, die in der östlichen Seite des Thaies dahinströmen. Nur im nördlichen Theile des Thaies sieht man in der Feme eine Anzahl Jurten liegen. Am Ende des Thaies öflPnen sich die Berge weiter nach Westen, so dass der Fluss in einer Wendung nach Westen herabfliessen kann. Jetzt steigt der Weg an einem Bergriegel empor, der die östlichen und westlichen Gebirge — 198 — verbindet, dann erhebt er sich noch 2 oder 3 Werst zu einem zweiten Bergriegel, der südöstlich von dem ersten liegt, bis zum Bergpasse Kösch-Daba. Von der Höhe desselben kann man an drei Stellen in das westliche Thal hinabschauen. Hier sieht man in einem weiten Thale den Fluss Sök. Im Hintergrunde erheben sich zwei mächtige Bergrücken, von denen der weiter nach hinten liegende mit ewigem Schnee bedeckt ist und den Namen Bajan Chargyn führt. Auf der Höhe des Passes ist abermals ein Obö errichtet, an welchem meine dwojedanischen Begleiter Pferdehaarsträhne befestigten. Das Thal vor dem Berg- passe war noch meist mit dichtem Grase bewachsen imd nur selten trat fleckweise feines Geröll hervor. In der Höhe aber, bei dem Bergpasse, ändert sich natürlich der Boden; hier ist Alles mit Geröll, Sand und grösseren Steinen bedeckt und nur stellenweise wächst hellgrünes. Gras in kleinen Büscheln und zwischen diesen vereinzelt grosse, dunkelgrüne, lange Gras- büschel, wodurch die ganze Bergfläche eine buntscheckige Fär- bung erhält. Die Berge sind überall kahl und steinig imd nur an den Kanten tritt an vielen Stellen der dunkle Fels hervor. Jenseits des zweiten Bergpasses Öffnet sich die Aussicht auf das Sök-Thal und in der Feme auch auf das breite Thal des Kobdo- Flusses, der von Süden her kommt, und in den sich der Sök ergiesst. Der Kobdo nimmt, wie mir meine Führer er- zählten, bei seiner Quelle zwei Flüsschen auf, den Sum Bairak und den Kutan. Von der Höhe erscheint das Land zwischen Sök und Kobdo wie eine weite Ebene, in deren Hintergrunde sich ein langer Felsrücken erhebt, südlich aber sind hohe Schnee- berge zu sehen, die mir als die Quellberge des Saksai-Flusses bezeichnet werden. Das Thal des Sök erscheint wie ein breiter, dunkelgrüner Streifen, durch den der Fluss sich, in viele Arme getheilt, hindurchschlängelt. Der Fluss Sök entspringt auf dem Ulan Daba, der sich südöstlich von der Tschujasteppe befindet. Hier entspringen auch noch zwei Nebenflüsse des Arkyt, der Kalguty und Dschumala. Der Sök bildet sich aus zwei Quell- flüssen, dem Oigur und Karalmaty, und nimmt ausser einigen unbedeutenden Bächen von Süden nur den obenerwähnten Boro- burgasun in sich auf. Vom Kösch Daba abwärts wendet sich der Weg zuerst nach Südosten, von dort aus geht er allmählich nach Osten über, zuerst steigt er an den südlichen Abtuen des Berges herab bis zum Flussthale, führt darauf dicht am Flusse — 199 — vorbei und wendet sich niin wieder zum Fusse des nördlichen Grenzgebirges. An den hier passirten Bergwellen herrschte im Allgemeinen die früher beschriebene fleckenartige Vegetation, dann kam ein breiter Gürtel mit Salzflächen untermischt, in dem nur dichte Büsche des Schi-Grases wuchsen. Im Flussthale selbst wächst dichtes, grünes Gras. Am Flusse sieht man einige Jurten der Türböten. Der mit Schi-Gras bewachsene Gürtel bildet am Fusse des Berges eine etwa l^/g Werst breite, sich zum Thale herabsenkende Ebene. Im Flussthale sehen wir in der Folge mehrere kleine Seen, von denen der eine wohl 1 Werst lang ist. Nach einiger Zeit erbhcken wir einen dunklen,. fast schwarzen Streifen, der sich von Norden nach Süden hinzieht; dies sind die hohen Ufer des Flusses Bölü, der, von Norden kommend, sich einige Werst südlich in den Kobdo ergiesst. Das Uferbett des Bölü senkt sich einige Faden unter das Niveau der Steppe und wir erblicken den Fluss nur dann, wenn wir den dunklen, mit Akazien-Büschen bewachsenen Uferkamm erreicht haben. Zwischen dem Kösch Daba und dem nördlichen Grenzgebirge des Sök trafen wir an vielen Stellen alte Gräber, die mit Stein- fliessen umstellt waren. Das Thal des JBölü ist mit dichtem Grase bewachsen. Hier sahen wir eine grosse Menge von Jurten. Die ganze Ebene war mit Viehheerden wie bedeckt, ganz in unserer Nähe weidete eine Heerde von wenigstens 1000 Scha- fen. UeberaU Wohlhabenheit. Unbegreiflich erscheint es dem Beisenden, der vom Altai kommt, dass in diesen öden Steppen überall ßeichthum herrscht, während man im reichen Altai nur auf Armuth und Noth stösst. Auch hier fand ich einen sehr freundlichen Empfang. Man führte mich in eine Jurte, die zwar nicht ganz so geräumig war als die auf der vorigen Station, aber doch im Inneren recht behaglich eingerichtet. Be- wirthung mit Thee und Pfeifenbegrüssung, wie früher. Männer und Weiber drängen sich in grosser Anzahl zur Jurte, wo wir ab- gestiegen, um die neu angekommenen russischen Herren zu sehen, so dass ich die Tracht der Leute genau beurtheilen konnte. Männer und Weiber tragen dieselben Mützen. Die Haar- tracht der Frauen ist eigenthümlich. Breite Stirnbänder in Form einer Kappe mit Perlen und Korallen, von den Ohren herabhängende Lappen mit langen Gehängen, kleine Ohrringe. Das Haar ist glatt gekämmt und an beiden Seiten des Hinter- kopfes wird es mit Leim zu zwei Scheiben von 3 — 4 Zoll — 200 — Breite zusammengeklebt, die wie eine Haube den Hinterkopf einrahmen, an zwei oder drei Stellen sind Stäbe eingeklemmt, die das Haar vom Kopfe abhalten. Unterhalb der unteren Stabe ist eine Wxilst eingelegt, die nach aussen ganz mit Haaren be- deckt ist, unterhalb derselben werden die Haare zusammen- gebunden imd die Enden in zwei Zöpfe geflochten; letztere wer- den in Futteralen aus schwarzem Zeuge getragen. Am Halse ist eine breite Litze mit Perlen über jeden Zopf gehängt, welche in breiten Sammetstreifen endigen, die die Flechten umhüllen und über beiden Schultern zur Brust herabhängen. Die Ohrringe bestehen bei allen Frauen aus einem Silberdrahte, der in Form eines Dreieckes gebogen ist, dessen Spitze am Ohrläppchen hängt, an dessen Basis aber noch ein besonderer Behang be- festigt ist. Bei reichen Mongolen sind die Stirnbänder wie auch die Zopfbehänge mit Silber und Korallen so reich geschmückt, dass das unglückliche Opfer der Mode mehrere Pfund Silber am Kopfe zu tragen hat. Die Mongolen-Mützen, die, wie ge- sagt, sowohl die Männer wie auch die Frauen tragen, scheinen mir aus den chinesischen Mützen entstanden, also erst seit dem XV. oder XVI. Jahrhundert in der Mongolei eingeführt zu sein. Sie bestehen aus einem Mützenkopfe und nach oben gebogenem, den Mützenkopf rund umgebendem, hartem Hände. Der Mützen- kopf ist der Form nach ein schief stehender Kegel, dessen vor- dere Seite kürzer ist als die hintere, er ist gewöhnlich mit gelbem Zeuge überzogen und mit parallelen Nähten von oben nach unten gesteppt, auf der Spitze ist ein glattes, manchmal gesticktes, sechs- oder achtkantiges Stück Zeug aufgenäht tmd auf demselben befindet sich der aus einem Knoten bestehende Mützenknopf, das Würdezeichen der chinesischen Soldaten, das bei den Beamten durch den Steinknopf ersetzt wird. Der Mützen- rand, der vom viel höher ist als hinten, ist mit Sammet über- zogen, (bei Wintermützen mit Pelzwerk) und am hinteren Theile oflPen; hier sind zwei 1 oder l^/g Fuss lange, herabhängende Bänder befestigt. Vornehme Mongolen tragen noch künstlich ver- knüpfte Behänge aus Schnüren mit Quasten an der Mütze. Die Frauen tragen Eöcke und Pelze, fast wie die Männer, nur haben dieselben einen senkrechten Schlitz auf der Brust, der mit Messingknöpfen geschlossen wird. Die Aermel sind bis zum Ellbogen mit andersfarbigem Zeuge besetzt oder haben breite Pelzaufschläge. Auf den Schultern tragen die Frauen unter — 201 — den Köcken und Pelzen, wie es seheint, Holzreifen, über denen die Aermel um die Sclmltem zu hohen Puffen aufgebauscht sind. Ueber diesen Pelzen tragen die hiesigen Frauen Jacken mit weiten, runden Aermelausschnitten, gerade wie bei dem Tschägidäk der altajischen Frauen. Die Mädchen tragen Pelze mit einem viereckigen Latze aus schwarzem Sammet auf der Brust. Im Nacken hängen bei ihnen zwei Zopfe herab und zwar ohne Futteral, was also ebenso wie die Jacke ein Zeichen der verheiratheten Frau zu sein scheint. Die Zöpfe werden bei den Mädchen mit silbernen Knöpfen zusammengehalten. Auch die Mädchen tragen die Mongolen-Mützen der Männer. Wenn die Mütze sich ein wenig auf die Seite verschoben hat, so kleidet sie ein jugendliches Mädchengesicht ganz vortrefflich, während der Kopfputz der Frauen trotz seines Reichthums selbst das hübscheste Gesicht einstellt. Die zweite Station heisst nach dem Flusse, an dem sie sich befindet, Ürtö Bölü. Um meine Pferde nicht überanzu- strengen, bheb ich die Nacht hier. (Den 19. Juni). Der Weg geht jetzt zuerst eine Strecke am Bölü entlang und wendet sich dann nach Osten. Zuerst überreiten wir die linken Uferberge des Flusses, vier ziemlich xinbedeutende Bergriegel, die zusammen mit dem Namen Bo- skan Daba bezeichnet werden. Der Grund ist sehr steinig und das Gras wächst nur fleckenweise und in Büscheln, darunter be- finden sich auch stellenweise niedrige Akazienbüsche. Vor uns sehen wir den Berg Öndür Chairchan nach Südosten. Jenseits des Passes befindet sich eine etwa 2^/2 Werst lange Ebene, die sich bis zum nördlichen Fusse des Öndür Chairchan erstreckt. Vegetation wie auf den Bergwellen. Jetzt ersteigen wir einen zweiten Bergriegel, der höher ist als der erste und den man mir als Mänggin Daba bezeichnet. Aufritt ziemlich steil, der Bergrücken wohl 8 Werst lang. Die fleckige Vegetation hat aufgehört und der Boden ist dichter mit niedrigem Grase be- wachsen, dazwischen grober Sand und kleine Steine. Nördlich und südlich bedeutende Bergkegel. Am östlichen Ende des Mänggin ist ein schmaler Thaleinschnitt ohne Fluss und ihm gegenüber befindet sich ein schmaler niedriger Bergrücken, der fast nur als eine Fortsetzung des Mänggin erscheint, er wurde mir als ein Ketschü Daba bezeichnet. Der östliche Abhang, — 202 — den wir nun herabritten, ist sehr steil und von bedeutender Tiefe; sehr uneben, meist Geröll und viele grössere Steine und Felsblöeke. Nach Osten öffnet sich ein mehrere Werst breiter Thaleinschnitt, der vielfach mit Akaziengestrüpp bewachsen ist. Dieser Thaleinschnitt senkt sich grösstentheils nach Osten. Nach- dem wir denselbe durchritten, stiegen wir wieder von einem sanft ansteigenden Bergriegel den Nom Daba empor. Der Grund des Nom Daba ist sehr fest, kleinkörnig und von dunkelgelber Farbe; Graswuchs gleichmässig wie ein feiner, grüner Flor- schleier. Von der Höhe des Nom Daba aus haben wir eine weite Aussicht; vor unseren Augen liegt eine etwa 15 Werst lange und ebenso breite Thalebene. In der Feme viele Berg- kämme, vor diesen nach Osten der Fluss Kobdo. Den Hinter- grund bilden nach Südosten hohe Schneeberge. Die Ebene ist mit demselben dünnen Grase bewachsen, der Grund ist überall fester gelber Kies. Der Charakter der Berge hat sich hier geändert. Sie gleichen in ihrer Lage und Form den Bergen der nördlichen Kirgisensteppe. Niedrige, langgestreckte, ziem- lich zackige Felsriffe, die in parallelen Streifen verschiedener Färbung in der Ferne sich aufthürmen. Die ganze Landschaft hat eine matte, graublaue Färbung und die fernen Bergzüge zeichnen sich durch eine immer dunkler werdende Schattirung der einzelnen Streifen aus. Alles ist öde und wasserleer. Die einzigen lebenden Wesen, die wir erblickten, waren einige Anti- lopen, die sich bei unserem Herannahen eiKg davonmachten. Nachdem wir etwa 5 Werst die sanfte Senkung des Berges bergabgeritten waren, . erreichten wir endlich die vollkommen ebene Thalfläche, die sich bis zum Flusse wenigstens noch sechs bis sieben Werst hinzieht. Der Fluss scheint hier in seiner Hauptrichtung südöstlich zu fliessen. Der Fluss Kobdo hat, wie man uns hier berichtet, südöstlich von Nom Daba den Fluss Sak- sai aufgenommen, welcher wie der Kobdo selbst aus dem süd- lichen grossen Bergrücken herabfliesst und ein recht bedeutendes Wasser sein soll. Nicht weit vom Flusse Kobdo zeigen sich an einigen Stellen dichte Baumreihen. Vor der Flusssenkung sehen wir einen hellgelben Streifen, es ist, wie wir uns später über- zeugen, ein dicht mit hellgelb blühenden Akazien besetzter Land- strich. Später passirten wir noch zwei oder drei sanft aufsteigende Hügelwellen. Das Niveau des Flusses, das wir erst zu sehen bekamen, als wir uns seinem Bette etwa auf 100 Schritte ge- — 203 — nähert hatten, liegt nicht sehr tief unter demjenigen der Steppe. Ufer sandig, nur dicht am Eande grün und mit Gestrüpp und stellenweise mit Weiden und Birken besetzt. Linkes Ufer baum- los. Der Fluss ist bei der Fähre, wo wir ihn natürlich passi- ren, etwa 25 bis 30 Faden breit. Er fliesst schnell, aber ruhig, nur am rechten Ufer ist die Strömung stärker. Flussbett steinig. Jenseits des Flusses steht eine kleine Hütte, aus stehenden, dünnen Baumstämmen errichtet, die mit einer dicken Lehm- schicht verschmiert sind. Darin wohnen die Fährleute. Hier haben acht mongolische Soldaten ein Jahr lang den Fährdienst, je zwei auf eine Woche. Sie erhalten die gewöhnliche Löh- nung der Soldaten im Dienst ebenso wie die Soldaten der Post- station am Boroburgasun. Die Fährleute führten uns ohne Un- fall über den Fluss und zeigten sich in der Handhabimg ihrer Fähre sehr geschickt. Die Fähre wird entweder aus zwei oder aus vier schmalen Kähnen zusammengebunden. Bei grösseren Lasten wird auf den Kähnen eine etwa zwei Arschin im Geviert grosse Holzdecke befestigt, die an den Rändern erhaben ist. Die Pferde müssen schwimmen, ebenso die Kameele. Die Fähr- leute stehen im Hintertheil des Bootes. Bei jedem Boote, das vom rund ist, ist hinten ein kleiner Holzvorstoss von etwa 1 ^/g Arschin Länge; in diesem ist eine Vertiefung, in die gerade der Fuss eines Menschen passt. Der Fährmann tritt nun mit jedem Fusse in eine dieser Vertiefungen und drückt durch seine Schwere die beiden Hintertheile der Boote auseinander, wodurch die Vor- dertheile natürlich zu einer Spitze zusammengedrängt werden. Dabei hält der Fährmann eine lange Stange mit einer eisernen Spitze mit beiden Händen und stammt die Spitze der Stange zwischen seinen Beinen hindurch gegen den Boden des Flusses, wodurch die Fähre nach vom gedrängt wird. Hier in der Ebene ist die Temperatur bedeutend höher ^Is auf den früheren Stationen, dafür stellen sich auch sogleich die schrecklichen Plagegeister der Flussniederungen: Fliegen, Moschki und Mücken, ein. Der Graswuchs am Ufer ist sehr schlecht, weshalb auch hier keine Station und Ansiedelung. Der Ort selbst wurde mir als Station Ölgä bezeichnet und zählt nur dem Namen nach als Ürtö. Die Dienstthuenden der Sta- tion befördern alle Poststücke vom Bölü direct bis zur Station Chatu. — 204 — (Den 20. Juni). Beim Flusse übernachtet und ganz in der Frühe aufgebrochen. Der Weg führt zuerst direct nach Osten und zwar anfangs am rechten Ufer des Kobdo. Der Fluss schlängelt sich in kurzen Windungen in derselben Richtung zwi- schen zwei oder drei von Norden und Süden an ihn herantre- tende Bergriegel hindurch. Seine beiden Ufer sind durchgängig mit dichten Büschen bewachsen, dazwischen Birken, Pappeln, Weiden. Das Ufer ist theils einige Faden höher als der FIuäs und dann steinig und kahl, theils ist es niedrig und kaum einige Fuss über dem Niveau des Flusses erhaben, dann aber mit einem dichten, dunkelgrünen Wiesenteppich bedeckt; der Boden ist feucht, oft sumpfig. Sobald wir zu einer solchen Niederung herabsteigen, umschwärmt uns das schreckliche Unge- ziefer in dichten Schwärmen: Mücken, Moschki und eine kleine, sehr lästige Fliegenart. Dann haben weder Menschen noch Thiere einen Augenblick Ruhe. Die Ebene südlich vom Kobdo ist genau wie die am linken Ufer. Der Weg geht in gleicher Weise etwa 7 Werst am Flusse entlang. Darauf tritt ein Bergriegel so dicht an den Fluss, dass der Weg, wenn der Wasserstand hoch ist, auf der Höhe des Hü- gels entlang führt. Bei niederem Wasserstande, wie er jetzt ist, reitet man unten an der Seite des Flusses .auf einem etwa l^/g Faden breiten Wege. Dieser Abhang (Böm) heisst Obugerin Kisa oder Ohara Üsür. Jenseits dieses Felsens macht der Flus^ eine Wendung nach Süden und biegt dann plötzlich nach Nord- osten ab. An dieser Stelle ist der Fluss sehr breit und fliesst ganz ruhig. Vor uns öffnet sich nun nach Osten eine ziemlich weite Ebene, die sich allmählich nach Westen abflacht. Am • östlichen Rande derselben erblickt man das fast nach Norden gerichtete, dicht bewaldete Thal des Flusses Chatu. Zuerst führt der Weg am Fusse des südlichen Bergriegels entlang, in der Hauptrichtung nach Südosten. Die Ebene ist hier dicht mit Steinen übersäet; schwacher Graswuchs. Nach etwa 4 Werst erreichen wir das waldige Thal des Chatu, der nordwestlich von diesem Punkte in den Kobdo fliesst. Das Thal des Chatu ist sehr breit und überall dicht bewaldet, wie kein anderes Fluss- thal, seit wir die Tschuja verlassen; aus dem dichten hohen Weidengestrüppe ragen Pappeln und hohe Weidenbäume her- vor. Der Hauptarm des Chatu ist sehr reissend und etwa 4 Faden breit, sonst giebt es noch mehrere vier bis fünf Fa- — 205 — den breite Arme, die aber weniger reissend sind. Das Wasser ist klar xmd durcbsichtig. Der Chatu mnss im Frühling ein sebr mächtiges Wasser sein, denn in Osten liegen noch mehrere sehr bedeutende Flussrinnen, die aber beim jetzigen niedrigen Wasserstande versiegt sind. Das ganze Flussbett ist wohl ^/^ Werst breit und überall mit grossen Feldsteinen bedeckt. Für unsere Pferde ist dieser Ritt durch das Flussbett des Chatu eine schreckliche Qual, da Schwärme von Mücken und lästigen Fliegen über sie herfallen. Nachdem wir den Fluss Chatu durch- ritten hatten, folgten wir dem Flussbette noch einige Werst und dann eine beträchtliche Strecke am linken Uferkamme. Ueberall daselbst grobes SteingeröU. Darauf tritt der Bergvor- sprung dicht an den Fluss. Dieser wird überritten, östlich er- scheinen hohe Felsen. Der Weg wendet sich jetzt nach Süd- osten. Hier fliesst von Süden der Fluss Tum Bulak in den Chatu. Vor uns liegt eine ziemlich weite Ebene, die mit einem dichten Grasteppich bedeckt ist. In der Feme ist dicht beim Wege mitten in der Ebene ein kleiner, ganz vereinzelt stehen- der Bergkegel zu sehen. Wir konnten schon von weitem er- kennen, dass viele Menschen sich bei dem Hügel befanden, daher ritten wir nun gerade auf denselben zu. Als wir näher gekommen, hörten wir das Geräusch einer lauten Beckenmusik. Bitä reitet näher heran und berichtet uns, dass auf dem Hügel viele Lama zum Opfer versammelt seien. Wir beschliessen, uns die Feierlichkeit mit anzusehen und reiten daher an dem Hügel empor. Auf der Höhe war der Boden mit dichtem Strauch- werk bedeckt, das man aus dem Chatu-Thal hier heraufgeschafft hatte. Oben waren sehr viele Menschen versammelt, unter ihnen wohl 80 Lama. Acht Lama sitzen an der östlichen Seite und singen Gebete, sie haben gelbe Mützen mit Troddeln und schlagen die Becken. Zwei Opferaltäre mit brennendem Feuer. An der süd- lichen Seite sitzen die übrigen Mongolen beim Mahle und ver- ♦ zehren die Opferspeisen. Die Nicht-Lama scheinen mir wenig An- dacht zu haben, sie sitzen da und plaudern miteinander, als ob das Beten der Lama sie ^ar nicht anginge. Diese aber schreien aus vollem Halse, so dass ihre Stimmen oft das Geklapper der Becken übertönten, trotzdem aber wenden sie bei unserer Ankunft* ihre Köpfe uns neugierig zu, ohne jedoch ihre Musik zu unterbrechen. Mein Begleiter, der Dwojedaner Tschomai, hängt auch ein Opfer- band an die trockenen Zweige und nennt dies ein Opfer, das man — 206 — dem Jer-su darbringe. Er findet, dass die Buddhisten ganz des- selben Glaubens seien wie die Dwojedaner. (Gewiss erinnert ihn das Heulen der Lama an die Extase seiner Schamanen). Was mich wundert, ist, dass ich äberall so freundlich em- pfangen werde; selbst die hier beim Opfer versammelte Menge zeigte überall Ehrerbietung und Zuvorkommenheit; ich bin auch nicht einem feindlichen Augenblitze begegnet, wie man sie in mohammedanischen Ländern so oft antrifft. Der. Weg wendet sich nun gerade nach Osten durch eine weite , steinige Ebene. Von hier reiten wir mehr nach Süden bis zu den Höhen des Gebirgskammes, wo sich sieben Jurten befinden, die den Mongolen der Station Ülgö angehören. Die Jurten sehen ziemlich ärmlich aus, es weiden aber in der Nälie sehr bedeutende Schafheerden. Nur ein Mann ist hier zu Hause, alle anderen haben sich zum Opfer begeben. Unter den Weibern war eine Türbötin mit einer Pelzmütze, sie trug kein Stirn- band wie die mongolischen Weiber. Hier in dem von drei Seiten mit Hügeln umgebenen Bergwinkel ist eine wohl eine halbe Werst breite Ebene mit recht gutem Graswuchse, welche zum Theil mit grossen, sehr verwitterten Granitblöcken bedeckt ist. Auf solchen Blöcken hat sich nun in oft fasstiefen Löchern Was- ser gesammelt, welches den Leuten hier, wo der Fluss mehrere Werst weit entfernt liegt, als Trinkwasser dient. Die Chalcha sollen dergleichen kühle Plätze bei den Gebirgskämmen als Wohnsitze für den Sommer lieben. Im Winter ziehen sich die hiesigen Chalcha zu dem baumreichen Flussthale herab. Die Sol- daten der hiesigen Station Ülgö sind zur Hälfte von Bölü, zur Hälfte von Chatu. Die Mongolen- Weiber sammelten sich bald woo. uns und baten uns, ihnen doch unsere Waaren zu zeigen. Sie wollten gar nicht glauben, dass ein Beamter reise und keine Waaren zum Verkaufe mit sich führe. Die Leute erwarten sehn- lichst die Ankunft von Kaufleuten, sie fragen besonders nach Manchester und russischem Nankin. Mein Begleiter, der Dwo- jedaner Tschomai, macht ein gutes Geschäft mit Zwirn. (Den 2 1 . Juni. ) Auf dem gestrigen Wege habe ich recht viele alte Gräber gesehen, sowohl in der Ebene des Chatu, als auch des Kobdo. Die Gräber liegen hier gerade wie im Altai an Stellen, wo sich keine Bewohner aufhalten können. Es sind 1) runde Steinhaufen, meist aus grösseren Felsstücken; 2) vier- — 207 — eckige Gräber, welche mit grossen Steinblöcken umstellt sind; 3) schmale Rechtecke mit 3 bis 4 parallel stehenden Steinen. Am Morgen brechen wir auf. Der Weg geht zuerst eine halbe Werst nach Norden und dann nordöstlich bis zu der Höhe des Bergpasses Iki-Daba. Bis zur Höhe der Thalhöhlung ziem- lich dichtes Gras. Grosse Granitblöcke, stark verwittert, feines Geröll. Vom Kamm aus weite Femsicht nach Südosten. In der Feme hohe Schneeberge. Nach Osten hin sind noch mehrere Bergriegftl zu sehen, nach Süden liegt eine tiefe Thalschlucht. Der Weg wendet sich nach Osten. Erst ein kleiner Bergrücken, dann eine Thalebene von mehreren Werst; an der stark geneig- ten Bergseite entlang geritten, dann drei kleine Bergrücken und ein höherer Bergpass, der mir als ^Agt zweite Iki-Daba bezeich- net wird. Zu Anfang dichteres Gras, dann wird das Land immer steiniger. Von hier aus öffnet sich eine breite Thalschlucht nach Südosten; Weg steinig, geringer Graswuchs, nur in einer^ von den Frühlingswassem aufgerissenen Furche wächst dichte» Gras. Der Weg senkt sich in dieser Weise wohl acht Werst abwärts. Es öffnet sich nun die Aussicht auf das Flussbett de& Ucha, eines Nebenflusses des Chatu, das sehr breit und mit schönem, frischem Grün bedeckt ist. Viele Akaziensträucher und vereinzelt hohe Bäume. Das Grün des Thaies macht nach den kahlen, graslosen Bergpartieen, die wir heute durchritten hatten, einen sehr wohlthuenden Eindruck. Viele Jurten am südlichen Rande des Thaies. Oberhalb des Thaies liegen die hohen Schnee- berge des Altan Tschöktschü. Reiche Viehheerden, viele Pferde und Rinder, besonders Sarlyk. Einwohner fast ausschliesslich Chalcha, nur sehr wenige arme Türböten. Die ganze Umgegend soll von Sojonen bewohnt sein, einige Jurten derselben hatten wir von der Höhe aus zwischen den beiden Iki-Daban gesehen. Diese Sojonen sollen, wie man mir hier sagt, Kriegsdienste leisten, (wahrscheinlich Postdienste). [Dies biestätigt auch Potanin, der aber wohl fölschlich diese Uranchai und Sojonen als Olöten bezeichnet. Die von Potanin angeführten Geschlechter Bürgüt und Telengit beweisen, das» ein grosser Theil der jetzt fast ausschliesslich mongolisch re- denden Uranschai (Sojonen) nachweislich Türken waren. Diese mongolisch sprechenden Uranchai zerfallen nach Potanins An- gabe in die östlichen Uranchai an den Flüssen Tschinirli und Bulguna und in die westlichen am Kara Irtisch und Saksai. — 208 — Jede Abtheilung der Uranchai steht unter einem Ombo (Am ban?) genannten Beamten. Dem östlichen Ombo sollen auch drei Sumul Sojonen (Koktscholut) unterworfen sein. In Folge von Käubereien und des schädlichen Einflüsse des chinesischen Handels soll jetzt bei diesen Uranchai die grösste Armuth herrschen. Potanin schildert dieselben folgendermassen: ,, Viele Uranchai haben nichts zu essen und sammeln nur Almosen in den benachbarten Aulen, dabei bitten dieselben mit einer Un- verschämtheit, als ob es Pflicht wäre, ihnen etwas zu geben. Viele haben kein anderes Vieh als ein halbes Hundert Ziegen. Sie nähren sich zum Theil mit dem Fleische von Füchsen und Nagethieren, da sie keine andere Nahrung finden. Sie kochen Thee aus der Karagan-Wurzel, die sie zusammen mit gedörrtem Gerstenstroh fein zerstossen. Der Familienvater geht Morgens aus, um Holz zu sammeln, oder gräbt Karaganwurzeln mit Hülfe von Argali-Hörnern aus der Erde; die Mutter treibt sich in den benachbarten Dörfern umher; nur am Abend kehren die Eltern heim. Der eine bringt eine Last Holz und der andere ein kleines Stück Fleisch oder etwas anderes Essbares. Weder Frauen noch Männer tragen Hemden, nur die Reicheren haben zwei Pelze, von denen der eine ihnen als Bett, der andere als Decke dient. Die zerrissenen Pelze der Uranchai sind sprich- wörtlich geworden, man nennt in Kobdo einen zerrissenen Pelz stets „den Pelz eines Uranchai".] In der Jurte hier trafen wir drei solcher Sojonen (Uranchai) die nur mongolisch sprachen, sie trugen türbötische Mützen und waren recht gut gekleidet. Die hiesigen Ghalcha stehen auf einer viel niedrigeren Stufe als die früheren und leben fast wie die Altai-Kalmücken. Es muss bei den Mongolen eine ungeheure Menge Lama geben, denn fast jeder dritte Mann, den wir hier antrafen, trug die gelbe Mütze. Es wurde gerade Schafschur gehalten. Die Wolle der mongolischen Schafe ist feiner als die der altajischen. (Den 22. Jimi) Morgens verliessen wir die Station Ucha in der Richtung nach Süden. Zuerst durchritten wir den Fluss Chatu, dessen Ufer etwas steinig war. Etwa nach anderthalb Werst erreichten wir die Jurte des Dsanggin (Kapitäns). Freund- licher Empfang. Der Wirth giebt uns ein Kameel und ein Pferd, da imser Elameel und eines unserer Pferde nicht weiter können. — 209 — Wieder trafen wir hier einige mongolisch sprechende Sojonen, die sogar den Chalcha des Piquets zugezählt sind. Der Weg geht auch von hier direct nach Süden am Ufer des Flusses Ssussülan, den die Sojonen Jailyg nennen. Von hier aus wen- det sich der Weg mit diesem Flusse nach Osten. Der Boden ist meist mit Sandgeröll hedeckt. Dichtes, graugrünes Gras. Vom Jailyg aus den Bergrücken üherritten; weite Ebene, zweiter Berg- rücken; wir steigen zu dem Höhenplateau unterhalb des Schnee- gebirges Tsasta Chairchan. Der Weg führt nicht weit unter dem Schnee entlang, der in grossen, dichten Massen liegt. Trotz- dem sind nirgends Gletscher zu erblicken. An vielen Stellen hängt der Schnee in wunderbaren Gebilden zusammengeballt über die Untiefen herab. Nach Norden kleiner Fluss MöstÖ Bulik, am Ufer desselben einzelne Chalcha- Jurten. Hier befin- det sich ein weites Kurgan-Feld. Nach Norden fliesst der kleine Fluss Schara Bulik. Boden steinig. Jenseits viele Bergwellen. In der Richtung nach Osten erheben sich von Neuem Schnee- berge. Hier sieht man zwei ziemlich bedeutende alte Gräber, die mit Steinkreisen umgeben sind. Jenseits des Schara Bulik wird der Boden weich und sumpfig, dichtes gelbgrünes Sumpf- gras. Ein heftiger, eisigkalter Wind streischt über die Ebene, so dass wir selbst in unseren Pelzen frieren. Kleiner Schnee- fall. Allmählich bildet sich aus dem Sumpfe der Fluss Kongyr Ölöng. Man kann von hier aus weit ins Flussthal hinabsehen. In der Feme sieht man an mehreren Stellen Jurten und zwischen ihnen reiche Kameelheerden. An den Bergwänden weiden über- all grosse Schafheerden. Ermüdet langten wir bei den Jurten an und hatten hier einen gar üblen Empfang. Die ganze männliche Bevölkerung war betrunken, an der Spitze der hiesige Dsanggin. Der letz- tere kam zu uns hingewankt und schrie und schimpfte, er wei- gerte sich, mir eine Jurte zum Uebernachten zu geben, da er Mandschu-Offiziere erwarte. Er wolle Jeden binden lassen, der es wage, sich den Jurten seiner Leute zu nähern. Wir befan- den uns so in einer höchst kritischen Lage. Von dem ange- strengten Ritte zum Umsinken ermüdet, standen wir in der schneidenden Kälte, dem heftigen Winde und dem hagelartig gegen unsere Gesichter peitschenden Schnee auf offener Land- strasse. Bitä rieth mir, auf den unverschämten Mongolen los- zureiten und ihn meine Peitsche fühlen zu lassen. Letzteres Radioff, Aus Sibirien. IL 14 — 210 — that ich zwar nicht, ritt aber auf den Dsanggin zu und indem ich meine Peitsche erhob, befahl ich Bitä, ihm zu sagen, dass ich ihn wie einen Hund niederreiten und mich von hier di- rect zu dem in der Nähe wohnenden Dsalyn begeben würde (man hatte mir nämhch auf der vorigen Station erzählt, dass hier in der Gegend ein Oberbeamter über alle Ürtö , der den Titel eines Dsalyn führe, lebe und einen blauen Mützenknopf habe). Schon die Drohung wirkte, und ich glaube, Bitä hatte Hecht: ein Schlag hätte noch besser gewirkt. Der Dsanggin befahl, mich zu einer leeren Jurte zu führen und entfernte sich. Darauf schickte er einen Mongolen zu mir, der Geld für das Uebernachten forderte. Ich Hess ihm sagen, er solle selbst kommen. Er erschien aber nicht. Für ein Schaf, das ich hier zu kaufen gedachte, forderte er Waaren im Preise von 10 Bubel, so dass wir uns heute ganz ohne Fleisch behelfen mussten, Den Jurten sich zu nähern, gestattete man meinen Leuten nicht. Am Abend liess der Wind nach, so dass das Nachtquartier be- hagUcher wurde, als ich anfangs gedacht. (Den 23. Juni.) Vom Flusse Namyr-jang, an dem die Sta- tion Kongyr Ölöng jetzt stand, wendet sich der Weg wieder nach Süden zu einem Bergriegel, der wie eine Wand von ge- ringer Höhe sich von Westen nach Osten hinzog. Dieser Berg- riegel ist mit dichtem, weichem Grase bewachsen. Von der Höhe desselben zeigen sich nach Süden drei mächtige Bergrücken, von denen der hinterste mit Schnee bedeckt ist. Der Bergriegel, den wir überritten, wurde mir Chamir Daba genannt. Nach Osten hin ist eine Schlucht zu sehen, zu der rechts von uns ein Thal hinabführt. Nach etwa 4 Werst erreichen wir das Ende des Berges, der von hier in steilen Felsen zum Thale herabfallt. Der Weg führt an einer sehr steilen Stelle an dem Felsenvorsprunge herab, woher auch der Name Chamir Daba = Felsvorsprung -Pass. Von nun an breitet sich vor uns ein sehr weites, überaus steiniges Thal aus, nur in der Mitte ist ein prächtiger grüner Streifen zu sehen, durch den sich der kleine Fluss Kökö Sairy schlängelt. Die Hauptrichtung dieses Flusses geht von Westen nach Osten. Unser Weg führt am Flusse entlang. Prächtiger Grasteppich; Fluss durchritten. Die Berge treten allmählich näher an den Fluss. Von Norden herab fliessen zwei Flüsse in den Kökö Sairy, imd zwar erstens der — 211 — Namyr-jang Kaptal, in einer sehr schmalen Felsenschlucht fliessend) und der Schara Sairy = kleiner gelber Bach, welcher in einem sehr abschüssigen, mit grossen Feldsteinen bedeckten Bette fliesst. Jetzt wird das Flnssthal noch enger, Felsen und Ufer- berge treten dicht an den Fluss. Die Ufer des Flusses sind nur stellenweise mit dichtem Grase bewachsen. Der Weg führt bald am rechten, bald am linken Ufer des Flusses entlang; um die vielen Windungen des Flussbettes zu vermeiden, steigt er häufig an den Uferbergen empor. Fluss fünfmal überritten. Jetzt er- weitert sich das Thal und die Uferberge werden weniger schroff. Nun reiten wir zum Thale des Ürgün-Schirigin-Kol herab ; schöne grasreiche Ebene, • einige Jurten. Da das Ürtö weiter nach Osten übergesiedelt, so reiten wir am Flusse Ürgün-Schirigin- Kol abwärts bis zu seiner Vereinigung mit dem Schara Sairy. Die Vereinigung dieser beiden Flüsse wird Chongo Schuruk genannt, an dessen Ufer wir wohl noch 5 Werst weiter reiten. Breites, steiniges Bett, von einzelnen Grasplätzen unterbrochen; sehr viele Jurten am entgegengesetzten Ufer. Wir durchreiten den Kongo. Hier werden wir vom Dsanggin empfangen, der uns entgegengekommen. Er fuhrt mich in seine Jurte und bewirthet mich mit Thee. Die Jurte füllt sich bald mit den hier wohnen- den Chalcha. Jedoch geht es dabei sehr friedfertig her, nicht das ungestüme Drängen wie bei den Kirgisen. Ueberall machen die Mongolen denselben Eindruck auf mich, sie sind ruhig und friedfertig, neugierig aber nicht zudringlich, lieben harmlos zu scherzen und zu lachen. Besonders lustig und munter erscheinen die Frauen und Mädchen, dabei ist ihr Betragen durchaus an- ständig, ich habe nirgends die unanständige Ausgelassenheit ge^nden, die ich so oft bei den jungen Kirgisenweibem an- getroffen. Die mongolischen Jurten sind fast ganz ebenso wie die altajischen gebaut, doch sind die Dachstäbe nur oben gerade, am unteren Ende, das an das Jurtengitter gebunden ist, sind sie in Form einer Hyperbel gebogen. Die Thür ist bei den mon- golischen Jurten nach Süden gerichtet und ausser der Thür aus Woilok stets noch eine hölzerne Thür mit zwei Flügeln vorhanden, die sich zum Inneren der Jurte hin öffnen. Der Thür gegenüber befindet sich immer ein Hausaltar, der meist aus einem sehr bimt geförbten Kasten oder Schränkchen be- steht. Auf diesem Kasten stehen mehrere Buddhabilder, Figuren 14* — 212 — und Zeichnungen auf Papier und Zeug, vor ihnen eine Beihe messingener Opferschalen. In hesseren Jurten sind diese Götter- stellen noch mit seidenen Drapperieen und künstUchen Blumen verziert. Kechts von dem Altare, das heisst von der Thür aus, sind das Bett und neben demselben Regale für die Ge- isse aufgestellt, weiter nach rechts stehen grössere und klei-. nere Lederschläuche mit Kumys, Airan, Buttermilch u. s. w. auf hölzernen Unterlagen; rechts und links von der Thür ist meist einiges Jungvieh angebunden, das man in den ersten Tagen stets in den Jurten hält. Die übrigen freien Stellen der Wände sind mit chinesischen oder russischen Kästen, Leder- säcken u. s. w. besetzt, die die bewegliche Habe des Wirthes enthalten. Die Bewirthung mit Thee geht überall in derselben Weise vor sich. Sobald der Gast Platz genommen hat, giesst die Wirthin aus einer Holzkanne kalten Thee in den Kessel, dann wird etwas frischer Thee gestossen und hinzugethan und Wasser aufgegossen. Sobald dasselbe kocht, thut man Salz hinzu und giesst später etwas Milch und Sahne in den Kessel. Hat der Thee eine Weile gekocht, so wird er in mehrere Holz- kannen gegossen und vor den Wirth gestellt, der die Schale des Gastes mit Thee füllt. Neben den Gast stellt man nun in besseren Häusern auf einen kleinen Tisch die Leckerbissen der mongolischen Küche: frischen Käse, dicke Sahne und einen Teig aus Fett, Mehl und Milch, Tosu genannt, zuletzt den süssen Kjümelkäse, der nach dem Milchbranntweinbereiten übrig bleibt und sehr wohlschmeckend ist. Die Mongolen mischen in ihren Thee häufig noch geröstetes Gerstenmehl, so dass sich der Thee nach Hinzufügung desselben in einen dünnen Brei verwandelt. Erst wenn sie mehrere Schalen dieses Breies verzehrt haben, trinken sie eine oder zwei Schalen Thee mit Milch. Manchmal ist mir auch ausser den erwähnten Leckerbissen noch gekochtes Fleisch vorgesetzt worden, das aber nicht so schmackhaft zu- bereitet ist wie bei den Kirgisen. Nach dem Thee wird dem Gaste stets Milchbranntwein vorgesetzt, der ganz ebenso schmeckt wie der altajische. Oefters wurde mir doppelt destillirter Milch- branntwein gereicht. Er ist zwar stärker, aber noch unschmack- hafter als der gewöhnliche. Im Winter sollen die Mongolen auch Branntwein aus Gerste, wahrscheinlich eine Art Gerstenbier, wie die Schwarz wald-Tataren, herstellen. Im vorigen Jahre hat hierselbst die Rinderpest schrecklich — 213 — gewüthet, es sollen in diesem ÜrtÖ über 300 Kühe gefallen sein. Zu meiner Freude erhielt ich spät am Abend einen Brief von meiner Frau, dieselbe hatte den Brief mit einem Kauf- manne bis zimi Sök gesendet und hier hatte der Ka die Freund- lichkeit gehabt, selben mir durch einen mongolischen Soldaten nachzuschicken. Man sieht daraus, dass die Chinesen gar nicht so unliebenswürdige Leute sind, für welche sie gewöhnlich aus- gegeben werden. (Den 24. Juni). Dicht bei den Jurten überritten wir aber- mals den Chongo-Schuruk. Jenseits eine weite Ebene mit nur unbedeutenden Hügelwellen. Der Fluss wendet sich nach Nord- osten, unser Weg aber direct nach Osten. Ritt in der Ebene etwa 6 Werst. Boden überall steinig, Graswuchs spärlich; links liegt ein kleiner See, an dessen Ufern grüne Wiesen, auf denen mehrere Pferdeheerden weiden. Der Name des Sees ist Tsa- gan-Nor. Im Osten ist die Ebene mit Büschen bewachsen; Hügel- land und niedrige Bergriegel im Norden und Süden. Der Weg führt am Fusse des südlich liegenden Bergkammes Kütlin Daba hin. Nach etwa 3 Werst ein zweiter Bergrücken, niedriger als der erste, wird von meinem Begleiter Tsagan Burgasun Daba genannt. Am Fusse dieses Berges ein ziemlich bedeutender Fluss, der gerade nach Norden fliesst und Tarchytty Schuruk heisst. Wir begegnen einigen Lama der Olöt, die die Bevölkerung der hiesigen Gegend ausmachen. Diese Olöt haben sich im vorigen Jahrhundert von den übrigen getrennt, die damals nach Westen zogen, während sich jene im Norden niedergelassen. Die Olöt bilden einen Koschun und leben westlich von Kobdo. Nördlich von diesen leben zwei Koschune Mingit, die auch zu den ölöt gezählt werden; beide Völkerschaften werden unter dem Namen Choir Koschun zusammengefasst. [Wie Potanin berichtet, besteht der Dienst beider Völker darin, dass sie Kronsholz nach der Stadt Kobdo* zu schaffen haben. Potanin theilt femer mit, dass bei den Mingit die Geschlechter Paschkit, Mingit, Chulyr Kirgis, Schü und Klitit vorkommen; ein Theil der Mingit soll früher zu den Sojonen gehört haben.] Die Lama der Olöt, die ich hier traf, waren von zwei Knaben begleitet, die mehrere Packete Bücher am Sattel be- festigt hatten. Fluss reissend. Etwa 2 bis 3 Werst südlich sieht man Jurten am Tsagan Burgasun; auch zahlreiche Pferdeheerden. — 214 — Der Fluss soll hier unter der Erde fliessen und dann weiter nördlich hervorströmen und sich in den Tarchytty Schuruk er- giessen. Jetzt wendet sich der Weg wieder ganz nach Süden zum Thale des Flusses Ugdu herab. Dort sind sehr viele Jur- ten. Das Flussthal ist sehr breit. Der Ugdu nimmt weiterhin den Fluss Schara £ulik auf, an dem auch die Station Schary Bulik liegt. Der Boden ist die letzten zehn Werst meist sandig oder mit sehr feinem Geröll bedeckt. In den Vertiefungen ist die Vegetation recht üppig. Den ganzen Weg, wohl 35 Werst, hatten wir in 7 Stunden zurückgelegt. Dicht bei dem Ürtö überholten uns eine grosse Menge Lama, die von einem Opfer kamen und alle angetrunken schienen. Am Abend hörten wir plötzlich Hommusik. Auf meine Frage nach dieser wurde uns mitgetheilt, dass hier ein grosser Chamba Lama wohne. Wir begaben uns sogleich zu der Jurte desselben, die etwas ab- seits von den übrigen Jurten lag. Die Jurte des Lama war viel grösser als alle anderen Jurten und mit sehr schönen, zum Theil gestickten und gesteppten Filzdecken belegt. Vor der Thür der Jurte standen zwei zusammengerollte Fahnen. Die Woh- nung machte von innen einen wahrhaft prächtigen Eindruck. Sie war rundum mit rothem Tuche ausgeschlagen, die innere Dach- wand bestand aus rothen und weissen Streifen. In der Mitte des Raumes stand ein viereckiger Heerd aus Messing und ein russischer Kochofen aus Eisenblech. Theekannen in Form der hölzernen Theekannen der Mongolen waren aus Messing fein ge-^ arbeitet und reich mit Ornamenten verziert. Zu beiden Seiten lagen gestickte Decken und Teppiche, ein erhabener Sitz im Hintergrunde war mit schönem Tuche überzogen und an der Rücklehne mit grossen goldenen Figuren verziert. An der linken Seite der Jurte stand ein prächtiger Schrank mit kleinen Opfer- gefassen, es brennt dort Tag und Nacht ein grosses Licht. Sonst sah ich noch fünf Schränke mit Büchern in der Jurte. Vor dem Opferschranke standen zwei Trompeten aus Silber, zusammen- geschoben waren sie vier Fuss lang, sie Hessen sich aber zwei Faden lang ausziehen. Auf meinen Wunsch bhes ein Lama ein Lied und die anderen beteten. Ein eintretender Lama verneigte sich vor dem hiesigen Buddhabilde wohl sechsmal bis zur Erd^. Man bat mich, Platz zu nehmen, und bewirthete mich mit Thee. Dabei erzählte man mir, dass der Chamba Lama aujsgeritten sei und erst am nächsten Tage wieder eintreffen werde. Die Trom- — 215 — peten sollen jeden Morgen tmd Abend geblasen werden, wenn man die Lama zum Gebete ruft. Bitä schenkte dem Bnrchan ein rothes Tuch, ehe wir die Jurte verliessen. Als wir zu un- serer Jurte zurückgekehrt waren, trafen wir daselbst einen Kir- gisen, der soeben aus Kobdo angekommen war und den Dsandsün im vorigen Jahre als Dolmetscher begleitet hatte, er war ein arger Prahler, den Bitä zuletzt einfach aus unserer Jurte hinaus- warf. Wir erfuhren von ihm, dass der russische Consul sich augen- blicklich in Kobdo aufhalte, den Namen des Consuls konnte er mir nicht nennen. (Den 25. Juni). Der Weg führt am Flusse Bchara Bulik entlang; etwa nach einer Werst wendet sich der Fluss nach Südosten, der Weg aber biegt zu den nördhchen Uferbergeh ab. Weite, ziemlich dicht mit GrrasNbewachsene Ebone, von niedrigen Bergen eingeschlossen. Wir reiten etwa 7 Werst, ohne die Eichtung zu ändern, durch eine Bergpartie, die mir als Ohara 01a bezeichnet wird. Die Bezeichnung entspricht dem Charakter der Berge, die in der That eine schwärzliche Färbung zeigen. Jetzt öjßPnet sich die kleine Thalebene eines nordöstlich fliessen- den Flusses. Keiche Schaf heerden, die, wie man mir erzählte, einem Chinesen gehören sollen. Der Fluss wurde mir Tondo- ussu genannt. Am Ufer dieses Flüsschens reiten wir in einem Bergcomplex, der den Namen Ulan 01a (rother Berg) führt. Er hat in der That eine röthliche Färbung und besteht im süd- lichen Theile aus kahlen Granitbergen. Der nördliche Theil ist röthlicher und scheint nur zum Theil aus Granit zu bestehen. Der Weg wendet sich nach Südosten und verlässt den Fluss, welcher, wie man mir mittheilt, später im Sande versiegen soll. Zwischen den Granitplatten erheben wir uns allmählich zu dem Bergrücken, der den Namen Kötöl Daba führt. Nicht weit von diesem Bergrücken liegt weiter nach Norden ein kleiner See, der den Namen Buligi führt. Man sieht deutlich, dass hier die Berge nach Osten hin immer mehr abnehmen. Wir steigen nun in der Hauptrichtung nordöstlich zwischen kahlen Felsenriffen zum Flusse Tondo hinab; obgleich hier nur wenig Gras wächst, sehen wir doch eine Pferdeheerde weiden, diese gehört aber einem chinesischen Kaufmanne, dessen Zelt wir am Flusse an- treffen. Er schickt uns einen Menschen entgegen und bittet uns, bei ihm abzusteigen. Wir werden äusserst freundHch empfangen — 216 — I und mit Thee und Fleisch bewirthet. Die Haltung der Chinesen und ihre Art zu sprechen zeigen deutlich, um wie viel höher die- selben in der Bildung stehen als alle hiesigen Nomadenvölker. Ihre Kleidung ist sauber und ordentlich, ausserdem zeigen sie Freund- lichkeit und Artigkeit in den Umgangsformen. Wir sprachen über den Handel von Kobdo, was mit Bitä's Hülfe sehr gut von statten ging. Er meinte, es lohne sich für sie nur, Ziegelthee hierher auszuführen. Baiclju-Thee, den sie im vorigen Jahre hierher eingeführt hätten, soll sich durchaus nicht bezahlt ge- macht haben; das ist auch selbstverständlich, denn wenn ein Mensch j^ wie der Biisker Kaufmann G., 50 Kopeken für das Pfund Thee zahlt, so kann kein Theehandel bestehen. Nach- dem wir uns ausgeruht, setzten wir unsere Reise fort. Von dem Flusse Tondo, der hier in einer tiefen, steinigen Thalschlucht liegt, geht der Weg südöstHch auf mehreren Bergwellen bis zur Spitze des letzten Bergkammes diesseits der Ebene des Bujantu- Flusses, an dessen Ufer die Stadt Kobdo liegt. In der Feme erblickt man im Thale einen dunklen Flecken liegen, der wie ein Wald aussieht, dies soU die Stadt Kobdo sein. Nordöstlich sind bedeutende Schneeberge. Auf dem Wege zur Stadt, der jetzt nach Süden hin zur Ebene herabsteigt, trafen wir viele Schafheerden. Die Gegend soU hier durch die Barlyk (Kysyl- Ajak) sehr unsicher gemacht werden, die unter Tsagan Gigen aus dem Süden des Tarbagatai angeblich weiter nach Norden gezogen sind und seit dem Jahre 1868 die ganze Gegend beun- ruhigen. Noch vor wenigen Tagen sollen sie eine grosse Heerde Schafe von hier fortgetrieben haben. [Potanin erzählt uns, dass es die Barlyk waren, die die Uranchai zu Grunde gerichtet haben. Sie sollen sogar bis zur russischen Grenze in die Gegend des Piquets Sök vorgedrungen sein, Staatsbeamte und zwei Stationen ausgeplündert haben. Von der Station Chatu hätten sie angebhch 150 Kameele fort- getrieben. Als sie in der Gegend des Karaul Sök von dem Com- mis der chinesischen Kaufgesellschaft Tschagantai die Heraus- gabe aller seiner Waaren forderten, soll dieser sich an den Ka von Sök um Hülfe gewandt haben, ohne dass es derselbe gewagt habe, Gewalt anzuwenden, er habe sie vielmehr durch Güte zum Nachgeben überredet; als das nicht half, gab er dem Commis den Eath, den Barlyk die Waaren lieber auszu- liefern.] — 217 — Etwa eine Werst von der Stadt setzten wir über den Fluss Bujantu. Nördlich sehen wir die Festung, südlich die eigent- liche Stadt. In beiden sieht man vom Flusse aus viele Bäume. Jenseits des Flusses ist ein Sümbö und dabei viele Häuser, auch ein alleinstehender Tempel. Chinesen waschen am Flusse Felle. Durch ein niedriges, unbedeutendes Thor reiten wir endlich in die Stadt. Der Consul war so freundlich gewesen und hatte mir zum Flusse einen Kosaken entgegengeschickt, der mich zu seinem Hause brachte, wo man mir eine recht hübsche Wohnung eingeräumt hatte. (Vom 26. Juni bis 6. JuK.) Die Stadt Kobdo besteht, wie schon gesagt, aus zwei Theilen, der eigentlichen Festung und der Kaufstadt. Die Festung ist im Vierecke gebaut und mit einer ziemlich hohen, mit Zinnien versehenen Mauer umgeben. An den vier Ecken stehen Thürme, d. h. Pavillons mit Holz- dächem. Drei Thore mit geschweiften Dächern führen in die Stadt. Die Mauer ist überall zerfallen, die Thore sind klapperig und werden schief; somit macht das Ganze als Festung einen jämmerlichen Eindruck und man wundert sich, dass ein solches Rumpelding als Zwingburg der Mongolen dienen kann. In der Festung wohnen ausser den Beamten 300 Chambing- und 200 Mandschu-Soldaten. Der Proviant für diese Besatzung wie auch für alle auf den Stationen und Piquets der Provinz stationirten Soldaten wird auf Feldern, die etwa 20 Werst von Kobdö zwi- schen den Flüssen Kobdo und Bujantu liegen, gebaut. [Potanin erzählt uns von diesen Kronsfeldem Folgendes : Die Kronsfelder bestehen aus zehn Landstellen. Jeder Stelle wer- den 80 Kameellasten Samen geliefert. Jeder Ackerstelle sind 25 Jurten zugetheilt, also im Ganzen 250 Jurten. Jeder Acker- bauer erhält 6 Unzen Silber Lohn; wünscht er sich an der Arbeit nicht zu betheihgen, so hat er dem die Arbeit verrich- tenden Mongolen nicht nur den Lohn, sondern noch 9 — 10 grosse Ziegelth^esteine zu zahlen. Die Lage der Ackerbauer ist durch- aus nicht glänzend, da sie alles Getreide abzuliefern haben und nur die abgefallenen Aehren einsammeln dürfen. Sie müssen deshalb, da sie nur wenig Vieh halten, ihren eigenen Getreide- bedarf in der Stadt kaufen. Daher kommt es auch, dass die Ackerbau-Mongolen viel ärmer sind als alle übrigen. Die Auf- sicht führt ein besonderer chinesischer Beamter, Tsimuja, und — 218 — zehn ünteraufseber, Badsyn, von denen jeder eine Ackerbau- stelle unter sich hat. Ausserdem haben die Ackerbau-Mongolen noch ihre eigenen Unterbeamten. Von jeder Ackerbaustelle müssen 160 Kameellasten Getreide eingeerntet werden. Dabei ist zu bemerken, dass alle Ackergeräthe und Ochsen, 500 an der Zahl, der Krone gehören. Dieses Ackeryieh wird wiederum von anderen, als Viehhüter angesiedelten, Mongolen gehütet.] Die Mandschu- Soldaten der Festung erhalten per Kopf 45 King Waizen und Hirse. Die höchsten Beamten, die in Kobdo wohnen, sind der Gouverneur der Provinz; der Chebei Amban Kui-tschan, ein Beamter der zweiten Kangklasse; sein Gehülfe, Wan-Schu, ein Beamter der dritten Rangklasse, und der Mejen Amban, der Befehlshaber der Mongolen des Kobdinschen Kreises. Der Consul liess den Gehülfen des Chebei Amban unseren Besuch melden, um mich demselben vorzustellen, und Wan-Schu liess erwidern, er würde sich sehr freuen, uns zu empfangen. Am Morgen des folgenden Tages ritten wir zur feierlichen Audienz, voran ein Kosak in voller Uniform, der uns anmeldete, dann der Consul, Kalning und ich in einer Reihe reitend und hinter uns mehrere Kosaken in Uniform. Bei der Festungs- thür empfingen uns einige Beamte lind Soldaten zu Pferde und schlössen sich unserer Suite an. Vor dem Jamun des Gehül- fen wurde Halt gemacht. Wir stellten uns alle drei in einer Reihe vor dem Da-men (dem Hauptthore) des Jamun auf. Plötz- lich wurden alle vier Thore: 1) Da-men, 2) 01-men, 3) Da-tang, 4) Peng-men geöffnet und der Amban erschien in der Thür seines Hauses. Nun ritten wir langsam über den ersten Hof, während der Amban feierlich bis zum Peng-men schritt. Beim 01-men machten wir Halt und stiegen vom Pferde, wobei uns unsere Leute behülflich waren. Dann stellten wir uns in eine Reihe und machten eine Verbeugung gegen den ebenfalls beim Peng-men stehenden und sich auch tief verbeugenden Amban. Nun schritten wir feierlich zu Fuss über den zweiten Hof, während der Amban den dritten Hof in gleichem Tempo durch- schritt. Bei dem Da-tang trafen wir zusammen und reichten uns hier zum Grusse die Hände, hier wurden wir dem Amban vor- gestellt. Der Amban bat uns jetzt mit einer Handbewegung, voranzuschreiten; wir dankten durch eine Bewegung, baten ihn aber, dasselbe zu thun. Diese einladenden Handbewegungen — 219 — wurden wohl viermal wiederholt, bis endlich der Amban voran- schreitet und wir ihm bis zum Peng-men folgen. Hier wird wiederum Halt gemacht und das Comphmentiren wegen des Vortritts beginnt von Neuem, bis wir in derselben Ordnung endhch auch den vierten Hof durchschreiten. Endlich langen wir glücklich bei der ELausthür des Amban an, wo von Neuem das Complimentiren beginnt; dieses Mal sind wir aber die Vor- schreitenden und der Amban folgt uns nach, bis wir in das für unsern Empfang bereitete Zimmer eingetreten sind. Jetzt be- ginnt das Complimentiren wegen des Hinsetzens, bis alle Par- teien zugleich Platz genommen. Nun nimmt der Amban seine Kopfbedeckung ab und drei«. Diener erscheinen bei der Thür, der- eine reicht dem Amban die Pfeifen, der zweite Tabak und der dritte bringt Feuer. Der Amban bietet uns zuerst die Pfeifen an, wir danken, darauf holen wir unsere Cigarren hervor, bieten sie dem Amban an, er dankt ebenfalls; zunächst wird eine Weile schweigend geraucht. Hierauf erscheinen ein halbes Dutzend Die- ner, die den Thee serviren und dann bei der Thür stehen bleiben; jetzt erst beginnt die Unterhaltung. Der Consul spricht mit dem Amban chinesisclj, ich aber die Mandschusprache. Die Unter- haltung geht ganz gut, wenn auch ich gewissermassen im Vor- theil bin, da ich fliessender mandschurisch spreche als der Am- ban, der die Sprache in der Weise spricht, wie Philologen etwa lateinisch sprechen, d. h. in regelrechten, gleichsam geschrieben gedachten Sätzen. Er bat mich auch mehrmals ^ langsam zu sprechen, da es ihm sonst schwer sei, mich zu verstehen. Jeden- falls hat der Amban eine recht tüchtige Bildung, da er so viel Mandschurisch versteht. Er ist klein von Gestalt, hat aber sehr hübsche, lebhafte Augen imd ein angenehmes, recht geist- volles Gesicht. Er war so hebenswürdig, wie der Consul ihn noch nie gesehen hatte. Er erzählt mir, er habe früher im auswärtigen Ministerium in Peking gedient. Er bittet uns um Entschuldigung, dass er uns nicht besser bewirthen könne, es sei aber hier in diesem öden Lande nicht möglich, das Ge- wünschte zu beschaffen. Die Kleidung des Amban war recht einfach, ein braunseidenes Ueberkleid mit anliegendem blauen Kragen und blauen Aufschlägen von demselben Stoffe. Das Zimmer, in dem wir uns befanden, war nur klein und sehr ein- fach möbhrt, auf einem Regale standen recht viele Bücher. Ueberhaupt machte der Jamun (Palast des Amban) einen durch- — 220 — aus nicht reichen Eindruck, die Höfe waren nur sehr klein und die Thorwege nicht im besten Zustande, ebenso das Haus des Amban selbst. Der Jamun ist ein Dienstgebäude und seine Anlage durch die geringe Ausdehnung der Festung selbst be- dingt. Es scheint aber, als wenn seit dem Ili-Aufstande auch die Beamten der Mongolei jetzt in ziemlich üblen Verhältnissen leben. Unser Gespräch berührte vielerlei Gegenstände, nament- lich Verhältnisse der Mongolei wie auch des benachbarten Altai; besonders eingehend erkundigte sich der Amban nach unseren Rangklassen, und da er erfuhr, dass wir ebenfalls solche Generäle seien wie er selbst, so beruhigte er sich. Der Consul hatte mich nämhch schon vorher darauf aufmerksam gemacht, um Himmelswillen nicht zu sagen, wir seien von geringerem Range als der chinesische Beamte, mit dem wir sprächen. Jede derar- tige Aeusserung führe zu den lästigsten Inconvenienzen, da der Chinese nur mit russischen Beamten gleichen Ranges verkehre. Nach etwa einer Stunde erhoben wir uns, um heimzugehen. Sogleich setzte der Amban seine Mütze auf und nun begann das Comphmentiren wieder bei dem Austritt aus dem Hause, dann beim Peng-men. Der Amban geleitete uns zurück bis zum Da-tang. Neue Vemeigungen beim 01-men. Dann stiegen wir zu Pferde und der Amban trat wieder in sein Haus. Hinter uns schloss sich der Da-men. Jetzt erst bestiegen unsere Kosaken ihre Pferde und nun ging es im feierlichen Zuge nach Hause. Leider regnete es sehr stark, so dass unser Heimritt lange nicht so feierlich war als unser Aufritt. An demselben Tage erkrankte ich am Fieber und musste sogar das Bett hüten. Am folgenden Tage stattete Wan-Schu uns seinen Besuch ab. Wir empfingen ihn auf dem Hofe; er hielt sich ebenfalls eine Stunde bei uns auf und nahm beim Consul den Thee ein. Nachmittags besuchte ich den Tempel beim Eingangsthore der Stadt. Von beiden Seiten führen Thore in den Tempelhof, in der Mitte hegt der Tempel selbst, der aus zwei parallelen Gebäuden besteht. Die Eingangsthür ist ausserhalb der Stadt, zu beiden Seiten derselben stehen Pferde aus Holz, von Menschen geführt, rechts ein weisses und links ein gelbes Pferd. In- wendig im Thorwege rechts und links befinden sich Steintafeln mit Gebeten in mongolischer und chinesischer Schrift. Zu beiden Seiten sind femer Thümischen, in der rechten gewahrt man eine Pauke, in der Hnken eine Glocke. Rechts und hnks vom Tempel — 221 — liegen niedrige Gebäude mit Zimmern, in denen jetzt aus dem Hi-Thale geflüchtete * Soldaten wolmen, im Hintergründe sind zwei Flügel und eine Veranda. Ein mit Steinfliessen gepflasterter Weg führt über den ein Rechteck bildenden Hof. Das Tempel- dach ist geschweift und mit Glocken verziert. Auf der Veranda steht ein Tempelthurm aus Gusseisen. Wir treten jetzt in den Tempel und erblicken ih einer Nische die kolossale Figur des Gesser Bogdo (Lao-je-fu-tsch'chi), neben ihm zwei kleinere Figuren, die seine Diener darstellen. Zu beiden Seiten stehen vor der Nische je zwei riesige Figuren, die zwei nächststehenden sollen Beamte vorstellen, der rechtsstehende von diesen hat eine Tafel in der Hand. Die beiden weiter nach vom stehenden werden mir Dsho-sang und Guan-ping genannt. Dsho-sang, der links stehende, ist ein schrecklicher Krieger, er hat ein entsetzlich fratzenhaftes, schwarzes Gesicht. Guan-ping hingegen ist eine Art Oberbefehlshaber, er hat ein sehr nachdenkliches Gesicht und hält in beiden Händen ein Schwert. Die Tracht der Figuren ist eine alterthümlich chinesische. Besonders auflallend ist die Mütze des die Tafel haltenden Beamten. In der Nische steht ein Tisch mit allerlei Opfergefössen und zu Füssen jeder Figur ist ein viereckiger Opfertisch mit einem Holznapfe für die Gaben an Esswaaren. An der Decke hängen rothseidene Drapirungen mit Reihen von chinesischen Schriftzügen. Zu beiden Seiten an den Wänden stehen die Waff^en des Gesser Bogdo: Helle- barden, Lanzen, Krummstäbe, ein Stab mit einer Hand, ein sol- cher mit Inschriften, Fahnen; meist Alles aus vergoldetem Holze. Der chinesische Tempelwächter zeigte, während er uns herum- führte, durchaus keine, Andacht, während meine mongolischen Begleiter sich sogleich andächtig zu Boden warfen und ein langes Gebet murmelten. Auf dem Hofe des Tempels herrschte ein wildes Treiben. An einer Stelle* wurde ein Pferd beschlagen, an einer zweiten Stelle zimmerte man Etwas aus Holz zusammen, an einer dritten wurden Sattel ausgebessert, so dass der Tempel- hof einer Werkstatt viel ähnlicher war als einem heiligen Orte. Am 15. Tage jedes Mondes begiebt sich der Chebei Amban mit allen Beamten zum Tempel und hält ein Gebet im Namen des Kaisers vor dem Gesser Bogdo. Bei Gelegenheit des Pferdebeschlagens, dem wir hier bei- wohnten, will ich das von meinem Begleiter Kalning über den Huf beschlag der Chinesen Gesagte mittheilen. Kalning war ganz entzückt über den Hufbeschlag der Chinesen, er meinte, wenn wir doch nicht immer so hochmüthig auf die Chinesen herab- schauen wollten; hier könnten wir wirklich Etwas lernen. Den chinesischen Schmied leitet der richtige Gedanke, einen mög- lichst leichten, künstlichen Tragrand für den Huf zu bilden, also gewissermassen damit die Natur zu unterstützen. Zur An- fertigung eines Hufeisens dient ein fast viereckiger Eisenstab, er wird halbmondförmig ausgeschmiedet und zwar mit dünner werdenden Enden. Etwa zwei Zoll von den Enden wird eine' längHche Vertieftmg gemacht, die vielleicht drei Viertel der Dicke des Eisens beträgt, hinter dieser eine zweite. Durch diese Vertiefungen sind längliche Nagellöcher geschlagen. Die Enden des Eisens gleich hinter den Gruben sind plattgeschlagen in Form einer Pflaume. Die Hufnägel sind etwa 1^/^ Zoll lang und haben einen halbrunden, platten Kopf. Zum Beschlagen der Pferde sind drei Menschen beschäftigt, einer hält das Pferd beim Zügel, der zweite hält den Fuss und der dritte beschlägt. Der Schmied legt das Hufeisen auf die Sohlenfläche des Hufes und merkt sich etwaige Abweichungen des Eisens, worauf das- selbe kalt gerichtet wird. Das Hufeisen darf nur den Trag- rand, die plattgeschlagenen Enden den Eckstrebenwinkel und die Eckstrebenwand nach Möglichkeit bedecken. Passt Alles, so drückt der Fusshalter seine Daumen auf die Eisenenden und der Schmied schlägt mit grosser Fertigkeit alle vier vorher gezwickten Nägel ein, nietet sie zurück und zieht das Eisen an. Man lässt das Hufeisen so lange liegen, als man das Thier benutzt; hört die Benutzung auf, so werden die Eisen sogleich abgenommen. Bitä ist durch einen Mandschu- Offizier aus dem Ili-Thale sehr eingeschüchtert worden. Derselbe machte ihm Vorwürfe, dass er, ein Soldat des Kaisers, jetzt bei einem Wei-gu-shin (Ausländer, so nennen die Chinesen auch alle ihre nicht chi- nesischen Unterthanen) diene. Er zeigte sich deshalb heute den ganzen Tag nicht auf der Strasse, denn er fürchtete sich trotz alles seines Prahlens. Er wollte den Consul veranlassen, er möchte sich darüber beklagen, dass der Beamte es wage uns Wei-gu-shin zu nennen. Der Consul aber meinte: „Gott sei Dank, dass die Chinesen uns jetzt einen so anständigen Titel geben, vor zehn Jahren nannten sie uns ganz anders und schimpften uns oft öffentlich auf der Strasse." Ich machte also meine weitere Tem- — 223 — pelbesichtigung allein. Ausser dem vorherbeschriebenen Tempel sind noch zwei derselben in der Stadt, ein grösserer und ein kleinerer. Der eine liegt am südwestlichen Ende der Festung und ist dem Tschung-Chang geweiht. Er besteht aus einem Flügel bei der Eingangsthür und einem hintern Flügel, in dem sich zwei Götzen des Tschung-Chang befinden. Zu beiden Seiten desselben stehen zwei ungestaltete kleine Ungethüme, das eine von brauner und das andere von grüner Farbe. Auf den Wänden sind Bilder, die schreckliche Strafen veranschaulichen, welche der Tschung-Chang durch seinen grünen und braunen Diener ausführen lässt. Geräthe der Götzen stehen zu beiden Seiten. Die Opfergefässe sind aus einem weissen Metalle und von sehr feiner Arbeit. Den Götzen verhüllt ein Vorhang aus schwerem gelben Seidendamast. In den beiden Seitenflügeln sind eben- falls Götzen aufgestellt: links der Erdgeist Mu-di, er sitzt mit untergeschlagenen Armen; rechts ist der Berggeist Schan-sching in prächtigem Gewände, wie ein wilder Jäger aussehend. Die Wandgemälde sind den Figiiren entsprechend und stellen Scenen ihrer Thätigkeit dar. Der dritte Tempel befindet sich am östlichen Ende der Stadt, er ist der kleinste von allen und, wie man sagt, dem Meeres- gotte Lung-Wang geweiht. Hier ist ebenfalls die Figur des Lung-Wang aufgestellt und neben ihr befinden sich zwei Diener, von denen der linke von sich einem Fische nähernder Unge- stalt ist. Die Wandgemälde, grotesk und wenig kunstreich aus- geführt, veranschaulichen einen Triumphzug des Meeresgottes ä, la Neptun. Das Gefolge bilden scheussliche Meeresungeheuer. Die Armuth des kleinen Tempels ist schon daraus zu ersehen, dass hier vor den Götzen nur gewöhnliche Holzgefässe sich be- finden. Vor letzterem Tempel hängt eine grosse Glocke. . Am 2. Juli hatte uns der Amban zu Tische geladen. Der Consul war schon morgens früh in Geschäften hingeritten und wir folgten ihm einige Stunden später, etwa um 12 Uhr, in feierlichem Aufzuge. Wiederum Empfang mit Complimenten, wie das erste Mal. Der Amban kam uns bis zur letzten Thür entgegen und führte uns in sein Cabinet. Rauchen, Theetrinken und gewöhnliche Complimente. Etwa nach einer halben Stunde begaben wir uns, vom Amban angeführt, in das Speisezimmer im ersten Flügel. Jede Thür, die wir zu passiren haben, for- dert einen Aufenthalt von einigen Minuten, denn bei ihr be- — 224 ^ ginnt das unvermeidliche Complimentiren und Bücklinge machen, das mit der Zeit überaus langweilig wird. Endlich, nach vielen Verbeugungen, haben wir an einem runden Tische Platz ge- nommen. Es wurden zuerst Eadieschen und mehrere Salate auf- getragen, dann gekochtes Fleisch, mehrerlei Saucen, warmer Branntwein in ganz kleinen Tassen (beim Trinken vielfache Verbeugungen und Comphmente), dann mehrere andere Fleisch- speisen, zweierlei Braten mit Ei gamirt, kleingeschnittener Kür- dak mit sehr scharfer. Sauce, darauf eine süsse Speise und zweierlei Kuchen, hierzu offerirte der Wirth selbst Champagner, den der Consul ihm geschenkt hatte ; dann Fleischpasteten dreier- lei Art, Pelmeni und zuletzt ein höchst geschmackvoll zube- reitetes Gekröse. Der Amban machte einen sehr freundlichen Wirth und lud ununterbrochen zum Essen ein. Nach dem Essen kehren wir unter allerlei Complimenten wieder in das Cabinet zurück. Gespräch über sehr verschiedene Gegenstände. Der Amban fühlt sich hier sehr unglücklich und sehnt sich nach seiner Familie nach Peking. Er erzählt von seiner Bekannt- schaft mit Europäern und versteht die verschiedenen Völker recht anschauhch zu charakterisiren. Aus seinem ganzen Be- nehmen erkenne ich, dass der Amban ein Doppelwesen ist. Setzt er seine Mütze auf, so ist er der seine Eegierung vertre- tende Beamte, der sich in die strengste Officialität hüUt, dann wird sein Nacken steif, die Worte tönen hart von seinen Lippen und der Gesichtsausdruck ist streng und theilnahmlos. Nimmt er den Hut ab, so hat er ein gutmüthiges, freundliches Gesicht und eine Geschmeidigkeit in den Bewegungen, die den viel ge- wandten Salonmenschen zeigt. So viel ich bis jetzt bemerken konnte, trennen sich die Dienenden scharf von dem Volke, wie ja auch die Mandschu- sprache, unser Wort „Volk*^ durch drei Wörter: Chafan-Tschoacha und Nirgen (Beamte, Soldaten und Volk, d. h. nicht Dienende) wiedergiebt. Jede dieser zwei Klassen lebt hier vollständig von einander getrennt. Die Beamten und die Soldaten haben ihren Sitz in der Festung und sind Fremdlinge, wenn sie die Kauf- stadt besuchen. Die Kaufleute, Handwerker und Arbeiter der Kaufstadt betreten nur dann die Festung, wenn sie in offi- ciellen Verkehr mit den Beamten treten müssen. Die Bewoh- ner der Festung, wenn sie nicht Dienstgeschäfte haben, liegen auf dem Eücken, rauchen, schwatzen und lassen sich von der — 225 — Kegiening kleiden und nähren, und da der Dienstgeschäfte nicht allzuviele sind, führen sie im Ganzen genommen ein recht faules, bequemes Leben. Ganz anders geht es in der Kaufstadt her, hier ist Alles von früh bis spät in Thätigkeit. Ackerbauer und Gärtner arbeiten auf den Feldern, die Handwerker in ihren Werkstätten, die Kaufleute in ihren Magazinen und Läden. Arbeitsam und geschickt, praktisch und schlau, in seinem Aeussern die grösste Gleichgültigkeit zeigend und dabei doch auf Alles Acht gebend, ist der Chinese stets auf seinen Vortheil bedacht. Die Arbeitstheilung ist bis auf das Peinlichste durchgeführt, Jeder ist nur in seiner Hantierung Meister. Dies sieht man besonders bei der Hausbedienung. In jedem grösseren Haus- halte muss ein Koch, ein Heizer und ein Wasserträger sein, ein Diener zum Ankleiden, ein anderer zumTheeserviren; ein dritter besorgt die Pfeifen uind das Aufräumen des Zimmers. So muss jede Haushaltung einen ganzen Hofstaat unterhalten. Der Gonsul erzählt, dass dieser Umstand das Leben in China, trotz der so geringen Löhne, zu einem recht kostspieligen mache. Dafür wird man aber auch nirgends besser bedient als in China. Der Diener kennt die Gewohnheiten seines Herrn bis aufs Kleinste, der Herr hat nie einen Befehl, nie eine Ermahnung zu geben. Nach unserm Besuche beim Amban Wan-Schu zu urtheilen, muss derselbe 20 bis 25 Diener in seinem Haushalte haben. Die Stadt Kobdo besteht aus zwei Längsstrassen und einer Querstrasse. Die Hauptstrasse ist ungefähr 235 Faden lang und mit zwei Reihen von hohen Pappeln (populus nigra L.) besetzt. Sie stösst mit ihrem nördlichen Ende gerade gegen das Thor der Festung, von dem sie nur durch einen Zwischenraum von 20 bis 30 Faden getrennt ist. Die zweite Längsstrasse liegt westlich von der Hauptstrasse und ist unge^ibr halb so lang wie die erste, mit ihrem nördlichen Ende mündet sie in die Hauptstrasse; die die Strassen senkrecht durchschneidende Quer- strasse ist wohl nicht über 80 Faden lang. In der kleineren Längsstrasse sind fast in allen Häusern kleinere und grössere Läden, die nach der Strasse zu liegen, während die Haupt- strasse wenig Läden zeigt, da hier die Höfe der grossen Kauf- häuser liegen, die nur nach der Strasse zu eine Mauer und einen Thorweg haben. In der Kaufstadt sind wohl 60 bis 70 Höfe und die Einwohnerschaft beträgt nach Schätzung des Consuls vielleicht 1000 bis 1100 chinesische Einwohner. In der Haupt- Radi off. Aus Sibirien. IL 15 — 226 — Strasse uiid dem westlichen Theile der Kaufstadt sind last nur Läden, Höfe und Wohnhäuser, im <)stli€hen Theüe hingeg^en und in der ganzen Peripherie der Stadt überall Gemüsegärten. In den Gärten sah ich auss^ Gemüsen: Mohrrüben, Badieschen und Gurken, auch Mohn, Tabak und zum Theil -ein wenig Weizen angebaut, an einigen Stellen selbst kkme Haferfelder. Alle Gärten waren in musterhafter Ordnung und die Beete auf das Sauberste abgestochen, wie dies überall bei den Chinesen geschieht. Di« Gärten xmd besonders die Bäume bedürfen hier einer besonderen Pflege, um jeden Baum ist daher eine nied- rige Lehmmauer auf einem steinernen Fundamente aufgeführt, damit ja Niemand die Wurzeln beschädige. Alle Bäume werden künstlich bewässert und zwar durch das in zwei Binnen zu bei- den Seiten der Hauptstrasse Tag und Nacht rieselnd-e Wasser, und nicht unnütz ist alle diese Arbeit verwendet, -denn die Haupt- strasse mit ihrer grünen Baumfülle und dem unter ihr da- hinrieselnd^n Wasser bildet hier in der Wüstenei eine für die Einwohner wohlthuende Oase, die Tor Sonnenbrand und Wind schützt und wie ein Zaubergarten in der Wüste erscheint. Die künstliche Bewässerung der Stadt geschieht durch drei Gräben, die von einer höheren Stelle des Flusses Bujantu hergeleitet werden. Ausserhalb der Stadt befindet sich ein kleines Bassin, das die Bewässerung des südlichen Theiles der Stadt regulirt. Die Stadt konnte der Bodenbeschaffenheit halber nicht näher an den Fhiss gelegt werden, da dicht beim Flusse der Boden sehr steinig ist. Hier, wo die Stadt sich befindet, ist ein fetter Lehmboden, nordlich von der Festung hingegen ein ziemlich ausgedehnter Sumpf, während sich im Süden der Stadt be- deutende Lehmhügel befinden, aus denen das Baumaterial fär die Häuser der Stadt, an der Luft getrocknete Lehmziegel, ge- wonnen wird. Rings um die Stadt liegen noch zahlreiche Mon- golen-Jurten, in denen ein Theil der hier stationirten mongo- lischen Reiterei im Lager Kegt, ausserdem viele Jurten armer Mongolen, die in der Stadt Arbeit suchen. Früher lebten in Kobdo von Chinesen nur Männer, da es den Chinesen verboten ist, ihre Frauen herzufülnren. Jetzt giebt es eine Anzahl von Frauen, die aus dem Ili-Thai hieAer geflüchtet sind und zum Theil sich hier verheirathet haben ; es wurde mir die Zahl der- selben auf 20 bis 30 angegeben. Die Festung ist in einem Rechtecke gebaut, das mit seinei^ — 227 — Scfamabeite zur Ksii&tailt gekehrt ist. In die Festung föüren drei Tkcre, die meh. in der Mitte der Seite befinden. Das erste Thor liegt der Stadt sngekehrt, das zweite nach dem Flusse hin und das dritte nach der dem Flosse entgegengesetzten Seite. Ueher den Thoren sind kleine Thürrae aus Holz mit gesehweifben Dächern angebracht. In den beiden Ecken der Festung, die der Stadt zn liegen, stehen ebenfalls kleine Thürme. Von dieser Seite ist die Mauer und ihre Ausrüstung in gutem Zustande, aber der Thurm auf der dem Müsse entgegengesetzten Seite ist - zeir&lien« Das nach Norden liegende Ende der Festungs- maaer .kt fast ganz eingestürzt. Am nördlichen Ende der Festung gewahrt man an der hinteren Wand einen hübschen Tempel, der mit seinen weissen Mauern und zierlichen Thürm- chen von aussen «ehr niedHch aassieht. Aus der Festung er- hebt sidi ein diditer Baumwald, der der ganzen Anlage den Charakter eines groasea Gartens verlebt. Die Preise der Nah- rungsmittel in der Stadt Kobdo sind wegen der hohen Kosten des Mehles sehr hoch. Ein Huhn kostet 2 Rubel, ein Ei 20 Kopeken, ein Pud Mehl 8 Babel, l^/^ Pfund Schweinefleisch 40 Kopien. (Ich redhine die Preise nadb russischem Gelde, indem kh die chinesische Unze Silber zu 2 Rubel annehme.) Am 4. Juli besuchten wir den sogenannten Schär Sumul der Mongolen, der jenseits des Flusses Bujantu liegt. Der Fluas war nach dem Regen sehr angesdiwoUen; die Aryke waren zum grössten Theil über die Ufer getreten. Das Durch- reiten des Flusses war jetzt mit Schwierigkeiten verknüpft. Das Wasser reichte bis zum Satt^ und die Strömung trieb an ein- zelnen Steilen die Wellen noch über den Sattel hinweg. Der Tempel liegt wohl 1 Werst Tom Masse entfernt auf einer An- höhe. Oben am Felsen ist ein weisses Haus erbaut und süd- lieh Yon demselben siAht eine Art Obeüsk nnt einer vergoldeten Spitze. In der Mitte liegt der Tempel in der Durchgangsrich- tung zwischen beiden Thürmen. Der Tempel ist im Quadrat gebaut und mit hohen beworbenen Ldimmauem umgeben, deren Kamm mit allerlei Verzierungen aas gebrannten Ziegelsteinen bedeckt ist. Zu beiden Seitm des Tempels sind eine Menge kleiner Häuser und viele Fikzelte, in denen Lama wohnen. Wir ritten zuerst zum Hause des Da-Lama. Sein Haus war sehr rein, d^ Fussboden überall mit Teppichen belegt. Die Lama behandelten ihn mit grosser Ehrfurdit. Er machte einen sehr 15* — 228 — angienehmen Eindruck, da er sich ganz wie ein gewöhnlicher Mensch henahm. In seiner Kleidung unterschied er sich durch nichts von den ührigen Lama. Mit grosser Bereitwilligkeit gab er uns nicht nur die Erlaubnisse den Tempel zu besuchen, son- dern befahl mehreren Lama, uns Alles zu zeigen und zu ' er- klären. Der Tempel besteht aus vier parallelen Flügeln, von denen die drei ersten Durchgangsthore haben. Im ersten Flügel stehen zwei riesige Wächter mit Keulen aus Thon gefertigt und glacirt. Der linke ist grün und hebt die linke Faust ge- ballt in die Höhe, als ob er den Eindringling niederschmettern woUe. Der rechte ist braun und hebt die linke Hand ausgespreizt zur Höhe. Beide Figuren machen den Eindruck von Missge- stalten, da die unteren Extremitäten zu kurz gerathen sind, Auf dem Kopfe haben sie eigenthümlich geformte goldene Mützen. Die Gestalten machen trotz ihrer Missgestalt den Ein- druck riesiger Körperkraft, auf der offenen Brust sieht man mächtige Muskelstreifen. Im zweiten Flügel sind vier sitzende Götzen, zwei zu jeder Seite, sie haben auf den Häuptern gol- dene Kronen. Jeder dieser Götzen hat eine andere Gesichts- farbe, der eine ist weiss, der zweite gelb, der dritte braun und der vierte grün. Einer von den Götzen hält ein Schwert in der Hand, der zweite spielt ein Saiteninstrument und der dritte hält eine grüne Schlange. Der dritte Flügel ist bedeutend grösser und eine Art Tempel, im Hintergrunde desselben sind drei Götzen verschleiert, einer ist aus Messing gegossen. Hier steht ein Schrank mit Büchern. Decke und Wände sind mit bun- tem Zeuge drapirt. An der Erde sind dem Gange entlang Sitze für die Lama. Das vierte Gebäude, der Haupttempel, ist be- deutend grösser. An der Hinterwand sehen wir hier viele Götzen, in der Mitte einen grossen Burchan. Alle diese Götzenbilder sind sehr schön gearbeitet. An den Seitenwänden rechts und links sind Fächer angebracht, die alle mit tibetanischen Büchern ge- fällt sind (der Gandschur). Die Decke ist mit Draperieen atus gelber Seide geschmückt und von ihr hängen drei mächtige Inschriften herab, rechts eine mandschurische, in der Mitte eine chinesische und links eine mongolische. Die chinesische Inschrift in der Mitte soll aus Peking hierher geschickt sein. Ueber- all an der Erde sind Sitze für die Lama und kleine Tische mit bunten Vasen und Verzierungen. Trotz aller Pracht und des reichen Schmuckes macht der Tempel keinen angenehmen — 229 — Eindruck. Man sieht, dass die Lama trotz aller Bigotterie nicht viel Werth auf ihr Heiligthum legen; tiberall liegen fingerdicker Staub, Papier- und Zeugfetzen. Ausser diesen Tempelgebäuden sind noch an jeder Seiten- wand drei Gebäude und eines an der Bünterwand. Von allen diesen waren nur in drei Gebäuden Götzen, in zwei Gebäuden an der rechten Wand und in zwei derselben an der linken. Im ersten Gebäude rechts drei Götzenbilder, einige Lama-Mützen, Trommeln und Klappern. Die Götzen waren hier mit Todtenköpfen geschmückt, ausserdepi waren hier Lanzen und andere WaflPen. Im zweiten Gebäude waren fünf Götzen und ein Haufen Masken. Rechts war ein Gebäude mit drei grossen und einem kleinen, furchtbar aussehenden Götzen. Alle hier erwähnten Gebäude sind aus gebrannten Ziegelsteinen aufgeführt, haben geschweifte Dächer aus gebrannten Dachziegeln und Terrassen; an den Dächern waren viele Glocken befestigt, die im Winde schwingen und einen hellklingenden Ton von sich geben. Bei dem grossen Tempel ist ein Speicher mit grossen und Ideinen Cy lindem mit der heiligen Inschrift: ,,Om-mani-patma-hom", welche ununterbrochen gedreht werden. Da die selbst nur flüchtige Besichtigung des Tempels den ganzen Nachmittag in Anspruch genommen hatte, mussten wir uns beeilen, um noch bei Tage den Fluss passiren zu können. Es sollen sich hier immer mehrere Hundert Lama aufhalten, zu gewissen Zeiten des Jahres aber mehrere Tausend derselben versammeln. Die übrige Zeit meines Aufenthaltes in Kobdo brachte ich bei den Kaufleuten und in den Werkstätten der Handwerker zu und bemühte mich, soviel ich nur irgend konnte, Nachrichten über die Handelsverhältnisse dieser Stadt einzuziehen. (Den 7. Juli.) Heute früh verhessen wir Kobdo und trafen gegen Abend bei der ersten Station Scharabulik ein. Ich kann heute nur Einiges über die Topographie von Kobdo mittheilen. Der Bujantu fliesst ebenso wie der Fluss Kobdo in den See Kara-ussu. Die Stadt Kobdo liegt nicht in der Ebene dieses Sees', sondern auf einer Terrasse, erst 6 — 7 Werst abwärts am Bujantu erreicht man die Ebene des Sees. Die Mündungen beider Flüsse sind nur wenige Werst von einander entfernt. Ueber den heute zurückgelegten Weg ist zu bemerken, dass mir der erste Berg vor Kobdo als Todaitu Daba und der zweite — 230 — aLs Beliabiktu Kötöl genannt wurde. Hier wurde mir auch ein See 8elMur« Nor geaaannt^ idi weiss aber nichts ob aus ihm der Fluss ügdu hervorströmt. (Den 8. Juli.) Auch heute nur einige geographisehe Namen hinzuzufügen. Der erste Fluss^ den wir passbren, hetsBt Durki Schuruk. Links von ihm wird mir der Flnss Qiüröng Ondnr genannt , weiterhin liegt der Darki Schurugon Eötdl und der Iting Kötöl. Von hier aus ist rom Darki Sehuruk zum ELobdo nur ein Tag Weges. Dicht beim Chongo Sehuruk ist ein Obara plo genannter Berg. Der Chongo Sehuruk ist ebenfieiUs ein Nebenfluss des Kobdo, von dem Ürtö Chongo soll zum Flusse Kobdo nur ein halber Tag Weges sein. (Den 9. Juli.) Auf dem alten Wege bis zur Station Chongur Olöng geritten. Der Chongur Ölöng ist ein Nebenfluss des Chongo. Von links nimmt er fünf Nebenflüsse auf: den Namyrdscha, Aschita, Aidanrsairiy Jasti Bulik und den Kökö Sairy. Wir hielten unsere Mittagsrast nicht sehr weit vom Ürtö, darauf folgten wir dem Fhisse Namyrdscha bis zu den Schneebei^en. Von hier aus stiegen wir auf einem etwas anderen Wege am Tsagan Kol ab- wärts bis zum Sossuling. (Den 10. JuU.) Jetzt reiten wir am Chatu abwärts. Der- selbe empfangt von der linken Seite zuerst den Fluss Borgustu, dann weiter nach der Quelle zu von rechts den EIrgitli. Hier öffnet sich ein weites Thal Ükül Jibä, das sich in drei Thal- furchen zum Greburgskamm erhebt. Wir folgen der mittleren Thalfurche bis zmn Igi Daba und langen unge^hr um 2 Uhr bei dem Ürtö an. Die Jurten stehen an der früheren Stelle. Wir erhielten hier unsere Pferde zurück, leider in einem sehr schlechten Zustande. Am Abend ritten wir den Chatu abwärts bis zur Fürth und übernachteten in der Flussfurche jenseits der Fürth. Das Wasser des Chatu war sehr gestiegen und der Fluss ziemlich ge- fahrlich zu durchreiten. Unser Führer von Ürtö ücha ist ein üranchai, er erzählt mir, er gehöre zu denjenigen Uranchai, die sich Mörönggö Uranchai nennen. Sie sollen mehr als 500 Jurten ausmachen und nordöstlich vom Kök Köl wohnen. Ihre Sprache ist der sojonischen verwandt, viele von ümen sprechen nur sojonisch. Sie zahlen ihre Abgaben in Fellen, jede Ab- — 231 — tkeünng einen Zobel und einen Foebs^. Den Annen wisi. die Abg^fcbe erlassen und au£ die Beichen vextbeüt. Sie sollen ans zwei Q^eseMeebtem^ Tvba und Ürküt^ besteben. Der zweite Fübrev war ein Ambyn ürancbai) veifstand aber nur naon^oliscb. (Den 11. Juli.) Am Morgen etwa um 10 Ubr erreickten wir den Fluss Kobda; derselbe bat sebr zugenommen. Sebr starker Begen. Etwa um 2 Ubx yeiHessen wir das jenseitige Ufer. Nacb einem ziemlicb starken fiitt durcb das Steppenibal erreicben wir etwa nach 10 Werst das Grenzgebirge. In einer sebr allmäblicb auüsteigenden Tbalfurcbe erbeben wir uns zum Ketseb Daba. Weg weicb imd ziemlicb dicbt ndt Gras be- wachsen. Bis zum Gebirgskamm etwa 25 Werst. Jenseits breite Tbaüfurebe nacb Südwesten. Obne Wasser übernachtet. Gewitter. (Den 12. Juli.) Um mcbt länger an Wassermangel zu leiden^ beseblossea wir^ uns weiter südwestbcb zu wenden. Nacb einem Bitte von etwa 8 Werst treffen wir auf einige Moaagolen, die uns den nächsten Weg nacb Kak zeigen. Wir folgen jetzt dem direkt na»cb Westen führenden^ ziemlicb breiten Wege und gelangen, nachdem wir einen ziemlicb hoben Bergpass überritten, zu einer von den Cbakba bewohnten Thalscblucbt. Nachdem wir noch einen Bergpass überritten^ steigen wir auf einem zi-em- lieh steü abfallenden Wege zum Flusse Sök binab. Von der Hohe ist der Kobdo-Fluss deutlich zu sehen. Am Flusse Sök wurde Mittagsrast gehalten. Hier besuchte uns ein Boschko von der Statio» Boroburgasu», er war vollkonunen betrunken und bat uns,, ihm noch Branntwein zu reichen. Obgleich er nicht auf den Füssen stehen stehen konnte, ritt er dennoch voirtreff- lich. Am Abend erreichten wir die Jurte des Dsburdski Dsanff^^in am Fluss Agotai. (Den 13. Juli.) Bei starkem Begenwetter verlassen wir am Morgen die Jurten. Zuerst folgen wir dem Flusse Sossulan bis zum Bergübergange nach dem früheren Nachtquartiere am BoroburgasuiDL Nachdem wir den Sossulan durchritten, stossen wir auf cbinesiscbe Kaufieute, die von einer Handelsfabrt mit vier mit Leder beladenen Kameelea zurückkehren. Jenseits des Flusses treffen wir mehrere Mongolen-Zelte, bei denen ein — 232 — viereckiger Wall von Torbagan-Fellen aufgestapelt ist. Diese Mongolen nennen sich uns Chotochat-Mongolen und erzählen, dass ihre Heimath wohl einen Monat Weges nach Osten liege. Sie gehen zum Piquet Kak, um daselbst die Felle zu verkaufen. Trotz des heftigen Regens setzen wir unseren Weg fort. Zu- erst steigen wir allmählich in der Thalhöhle des Bagyn Buhk zum Gebirge auf. Der Weg steigt hier nur ganz allmählich zwischen links und rechts liegenden Bergwellen empor. In den Bergen müssen viele Antilopen leben, denn wir stossen mehrmals auf Heerden von mehr als 100 Stück. Etwa nach zwanzig Werst erreichen wir den Bergkamm. Von der Höhe ist der Kak Nor nur etwa noch sechs Werst entfernt. Hier sind schon alle Bergwellen dicht mit Gras bewachsen. Am Ufer des Sees liegt der Karaul Kak, bei dem wir gegen Abend eintreffen. In den Mongolen -Jurten sind vierzig mongolische Soldaten stationirt, die von einem mongolischen Beamten, den man Taidschi nennt, befehligt werden. Nicht weit von den Mongolen-Jurten sind sechs bis acht Jurten und mehrere Zelte der russischen Kaufleute aufgestellt. Wir steigen an der Jurte des Kauftnanns Oschükoff, eines alten Bekannten, ab, der uns sehr freundlich empföngt. Der mongolische Taidschi besucht mich noch Abends spät und verspricht, mir in Allem behülflich zu sein. Morgen will ich mich ausruhen und nur, wenn dai^ Wetter irgendwie sich bessert, die blos einige Werst von hier entfernten Türböt- Jurten aufsuchen und dann zur Tschuja zu- rückkehren. (Den 14. Juli.) Heute ist das Wetter doch etwas besser, obgleich es am Morgen früh schon geregnet hat. Wir reiten gleich nach Tische zu den Türböt- Jurten, die in der Nähe wohnen. Es begleiten uns Bitä, ein mongolischer Soldat und ein Kaufmann. Der Weg geht gerade nach Osten zu dem Berg- rücken, dessen Höhe wir ungeföhr nach 6 Werst erreichen. Die Jurten waren jenseits des Bergrückens nur 2 Werst ent- fernt. Die Hauseinrichtung dieser Türböten unterscheidet sich in keiner Weise von der der Chalcha, nur hat die Nähe der russischen Kaufleute diesen Jurten ein eigenthümliches Gepräge aufgedrückt. Die Jurten waren sehr reich ausgestattet, den Boden bedeckten Tjumensche Teppiche, an den Wänden standen Ir- bitsche Kasten aufgestapelt; ein russischer Dreifass, Kessel wie — 233 — auch russische Theekannen. Die Türhöt unterscheiden sich durch ihre Kleidung von den Chalcha. Ihre Mützen sind nach Art der altajischen mit einem breiten Schilde von schwarzem Lamm- fell besetzt, nur ist hier das Fell mit einem schmalen Streifen von Otterfell eingefasst, was ich bei _den Altajern nirgends ge- sehen habe. Der Deckel der Mütze ist viereckig wie bei den polnischen Mützen und mit einem kleinen Knopfe und einer Goldschnur geschmückt. Diese Mützen tragen Männer wie auch Weiber. Die Lama tragen Mützen von fast derselben Form, nur sind die Fellschilde schmäler und aus Fuchsfüssen genäht, und die Mützenknöpfe sind bei ihnen von gelber Farbe. Die Männer tragen den mongolischen sehr ähnliche Röcke, die Weiber hingegen einen Tschägidäk, der dem altajischen sehr ähnhch ist. Bei den Mädchen hängt das Haar in ungeflochtenen Strähnen herab, während die Frauen zwei-, dreisträhnige Zöpfe tragen, die wie bei den mongohschen Frauen mit Sammetstreifen um- wunden sind, am Ende sind goldene Schnüre und lange Trod- deln befestigt. Anderen Schmuck habe ich bei den Türböten- Frauen nicht gesehen. Die Türböt, erzählt mir der Wirth, be- wohnen alles Land zwischen der russischen Grenze und dem grossen Ups«-See. Es sei ein sehr zahlreiches Volk. Der westliche Theil dieses Volkes werde von einem Chan verwaltet, der am Flusse Kobdo seinen Sitz habe, er bestehe aus 12 Sumun. Der östliche Theil stehe unter dem Wan, der am Upsa-See wohne. Der Wan sowohl wie auch der Chan erhalten ihre Befehle direct vom Chebei Amban und Dsan-dsün. Die Tür- böt thun keine Heeresdienste, sondern bezahlen ihre Abgaben in Silber und Vieh; über den Betrag dieser Abgaben konnte mir unser Wirth nichts Näheres angeben, sie sollen aber sehr bedeutend sein. Eingesammelt werden die Abgaben von einem Beamten, der mir als Mäirän genannt wurde und dieser liefert sie dem Chan ab, welcher sie seinerseit nach Kobdo entsendet. Pferde brauchen die hiesigen Türböt nicht zu stellen, diese müssten die Chalcha der Ürtö beschaffen. Wenn aVer der Dsan-dsün oder ein anderer hoher Beamter reise und die For- derung an Pferden sehr hoch sei, so würden manchmal Hülfs- pferde von den TürbÖten requirirt. Dies soll aber nur sehr selten vorgekommen' sein. Die Kaufleute versichern mich, dass die Türböten sich durch Reichthum auszeichnen; hier in den Jurten deutet Alles auf Wohlstand. Sie soUen sowohl Klein- — 234 — vieli als aueh Pferde und Binder in sehr gross&a. Heerden haltea, auch SarUk soll man sehr viel l^ei den Türbdten an- treffen. Erst spät am Abcmd kehrten wir zuaa Kak zurück. (Den 15. JuH.) Wir verhlieben- noch am heu^ai Tage am Kak^ weil ich noch Mancherlei üher den Handel au er- fragen hatte. Das Wetter hat sich gehessert, so dass wir mor- gen aufzuhrechen gedenken. (Den 16. JnJi.) Nach einem nicht schwierigen Uehergaog über den westMchen Bergkamm des> Sailu Käm;^ steigen wir in das Thal des; Buraty herab, wo wir eine kurze Bast machen. Abends s^^ langen wir noch beim Koßchagatsch an. Schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts war eine ge- regelte Handelsverbindung zwischen Russland und der Mongolei in Ostsibirien eröffaet worden, und zwar wurde die Stadt Kjachta als Handelspunkt ausgewählt. D^ Handel über Kjaehta erlangte von Anfang an einen bedeutenden Umfang und hielt sieh so lange auf seiner Höhe, als die Handelsverbinduni^n zwischen China und dem übrigen Europa Schwierigkeiten bereiteten und das Einfahrverbot von Thee durch die westliche Grenze^ des russischen Reiches den Kjachtaer Theehändlem ein Monopol für alleinigen Verkauf Kjachtaer Thees im Gebiete de» russischen Reiches sicherte. Der Kjachtaer Theehandel musste aber sogleich an Be- deutung verlieren, sobald das Verbot der Theeeinfuhr über die westliche Grenze aufgehoben wurde, und die directen Handels- verbindungen des übrigen Europas^ mit China durch die Eröff- nung mehrerer Häfen befestigt und erweitert wurden. Die un- günstige Lage von Kjaehta und die Unbequemlichkeit des weiten Landweges erklärt mir die Abnahme des Kjachtaer Handels vollkommen. Wenn aber auch nur Kjaehta allein officiell als Handelspunkt zwischen Russland und China bestimmt war, so war die gemeinsame Grenze zwischen beiden Reichen viel zu ausgedehnt, als dass nicht ausser Kjaehta noch viele andere Handelspunkte sich bilden mussten, wo die benachbarten Be- wohner beider Reiche ihre Produkte und Waaren austauschen konnten. — 2^5 — YiML denk BÜdüdb^ezi Tkeäe des JenisseiskiscJfiezi Goiiyerne- Hients fttkrten russigiehe ELarufleute und anwahnende Laitdeseiii- gelooffene ikre Wauren svm oberen Jeniasei und zum südüich Tom Abakan liegendlen Scbabin Dabagan, uza sie gegen Produkte der benaebbairteife Bewobner des binmiHseben Reicbea einzu- tauseben. Ueber die steilen, fast unwegsamen Bergrücken des altajisebien) Alpenstockes- drangen rusaiscbe Kaufleute bis- zur Ghrenae der Mongole vor, und Tasebkender uzid tadairisebe Kaufleute von Semipalatinsk zogen mit ibren Karawanen) dtosrcb die^ weite Kirgisensteppe bis in das cbioiesisebe Bi-Tbal, ohne die Ueberlalle dev kb-gisiscben und buxuti^cben Bäuberbanden zu färcbten. Obgleicb das Fassiren aUev dieser Wege mit grosser G-efabr Yesbundeffi war,, und die Scbwieri^keiten der Natujf des Latndes und die Blaubkist deii Eingeborenen den russiseben Kaufleuten fast unüberwindlicbe Sebwierigkelten in den Weg l^ten, nabm dennoeb der Handel auf allen diesen Punkten mit jedem Jabre zu^ obgleich er nirgends von der Begierung unter- stützt wurde. Dieser Umstand beweist uns deutbieb genug, dass sieb bier Handelspunkte bildeten, die die geograpbdscbe Lage beider Belebe von selbst bestimmten,, und dass russisebe Waaren aittf der ganzen Grenze des chinesischen Reiches gewünscht und noftbwendig waren. Nachdem Bussland die östliche Kirgisensteppe sieb unter- worfen und aueb in der Nabe de» ThLaDSsehan sein Gelnet hiß dn das chanesisehe Beicb vovgescboben hatte, muisste natürlich deir russische Hanidel mit dem Ili-Tb^e bedeutend zunehmen. Die russische Begierung hatte düe Bedeutung dieses Handels wohl verstanden, denn schon im Jahre 1851 errichtete sie zwei Fakto^reien in d}en ehinesiacben Städtem Kuldsha und Tsehu- gutschak und suchte so den dort in der Zumabme begriflienen Handel an diesen Punkten zu eoncentriren. Trotzdem erreichte der Handel in diesen Städten nieht die Höhe, die man wahr- scheinlich erwartet hatte. Der Handel! in Kuldsha blieb nur sehr mittebnässig; in Tsebugutsehak nabm er bedeutend zu. Diese Thatsache ist leicht zu erklaren. Die Hi-Provina und der Tarbagatai sind von dem eigentlichen China so weit entfernt, dass der russisebe Handel daselbst nur von örtlicher Bedeutung sein konnte, d. b. russische Waaren fnnden in diesen Städten nuor insoweit ein Absatzfeld, als sie dem Bedürfhisse der Einwohner jener Länder entftpa*aeben. — 236 — Die russischen Kaufleute mussteu ausserdem in den Faktoreien wohnen, da sie nicht das Recht hatten, in den Städten selbst Läden zu errichten und in den Dörfern und Aulen umherzu- reisen und ihre Waaren direkt den Einwohnern zu verkaufen. Unter solchen Verhältnissen blieb den russischen Kaufleuten nur übrig, mit den chinesischen Grosshändlem in Verbindung zu treten, die durchaus nicht wünschten, dass die russischen Kauf- leute unmittelbare Verbindungen mit den Einwohnern anknüpften, obgleich sie selbst eigentlich keine Waaren besassen, die die RuBsen mit Vortheil hätten kaufen können, da der Thee hier zu keinem für die Russen vortheilhaften Preise abzulassen war. Ausserdem wurde die Menge der von den Russen einzu- führenden Waaren noch viel mehr durch die bedeutende in- dustrielle Entwickelung der Städte des Hi-Thales beschränkt, denn die russischen Waaren kamen hier ziemlich theuer zu stehen, da der weite Weg und der Transport auf Lastthieren den Preis bedeutend erhöhten. Schon oben habe ich bemerkt, dass der Handel in Tschugutschak den von Kuldsha bald über- flügelte. Die Ursache davon ist offenbar die, dass die Einwohner des Tarbagatai weiter von dem Mittelpunkte industrieller Thätig- keit im südlichen Theile vom westlichen China entfernt waren, als die Einwohner des Hi- Thaies, sodass das grössere Bedürf- niss nach russischen Waaren von Seiten der Einwohner des Tar- bagatai die chinesischen Kaufleute in den Stand setzte, den Thee unter günstigeren Bedingungen zu verkaufen. Dass meine Schlüsse richtig sind, beweist uns die Handelsbilanz der russi- schen Faktorei, die ich bei der Beschreibung des Hi-Thales auf- führen werde. Ausserdem konnte ich mich während meines Aufenthaltes in Kuldsha davon überzeugen, dass die russische Faktorei, trotz alles Strebens der Regierung, doch nicht den ganzen russischen Handel in sich zu concentriren vermochte, sondern dass ein grosser Theil desselben sich mit dem Tasch- kender Bazar in Kuldsha vereinigte, weil die daselbst leben- den Taschkender und die sich bei diesen aufhaltenden russischen Tataren die Möglichkeit hatten, das Hi-Thal und die benachbarten Standörter der Kalmücken zu bereisen, was den in der Faktorei wohnenden Kaufleuten nicht erlaubt war. Ich bin davon überzeugt, dass der russische Handel in Kuldsha von Jahr zu Jahr zugenommen hätte, wenn die Kauf- leute das Recht des unmittelbaren, freien Verkehres mit den — 237 — Einwohnern des Ili-Thales gestattet worden wäre und dieselben sich weniger um den Ankauf von Thee bekümmert hätten als um den Erwerb von örtlichen Erzeugnissen. Dass dies von selbst eingetreten wäre, darauf deutet schon der Umstand hin, dass die russischen Händler von Jahr zu Jahr grössere Mengen von Vieh aufkauften. Unglücklicher Weise wurden die russischen Handelsbeziehungen mit Westchina durch den Aufstand der Mo- hammedaner unterbrochen. Dem unparteiischen Beobachter ist die Gleichgültigkeit, mit der die russischen Machthaber an der Grenze auf diese Störung blickten, vollkommen unverständlich. Ruhig liessen sie zu, dass sich an Stelle der für unsere Grenzruhe so vortheilhaften chinesischen Macht hier an dieser Grenze ein uns in jeder Beziehung feindlich gesinntes mohammedanisches Reich bildete, dessen Streben von Anfang an darauf gerichtet war, die mohammedanischen Nachbarn auf russischem Gebiete an sich zu ziehen. Gleichgültig blickte man zu, wie durch den Fanatismus ein reiches Land vernichtet wurde, das uns ein so vortheilhaftes Handelsfeld darbot. Wie voraus zu sehen war, zwang die feindliche Strömung in dem Mohammedaner-Reiche von Kuldsha zuletzt doch die russische Regierung, das Land zeitweise zu besetzen; aber in weiser Vorsicht hat die Regierung ihren früheren Fehler eingesehen und das Hi-Thal den Chi- nesen zurückgegeben. Die einzigen für Russland vortheilhaften Nachbarn in Asien sind seit altersher die Chinesen. Wenden wir uns jetzt zu dem zweiten Punkte, wo sich feste Handelsverbindungen zwischen China und dem russischen Reiche gebildet haben, ich meine den östlichen Altai. Hier hatte sich, wie ich in meinem Tagebuche vom Jahre 1860 ge- schildert, ganz von selbst ein recht bedeutender Handelspunkt gebildet. Etwa vor 80 Jahren begannen zwei oder drei Elauf- leute aus Biisk den Altai mit ihren Waaren zu bereisen. Damals erstreckte sich die russische Bevölkerung nur bis zu den äussersten Ausläufern des Altai und das am weitesten nach Süden liegende Dorf war Altaiskoje. Als der Handel dieser Kaufleute mit den Russland unterworfenen Kalmücken immer mehr zunahm, baute sich zuerst der Kaufmann A. Ch. ein Haus am Sehe, an dem- selben Orte, wo sich jetzt das Dorf SchebaUna befindet. Hier richtete er eine Waarenniederlage ein und ein Vorwerk, auf dem er das bei den Kalmücken eingekaufte Vieh auf freier Weide hielt. Die Altajer kamen nun von allen Seiten hierher, — 238 — un d.as ihnen Nö<^ig>e einzukaitfeii. Der Kau&uinn Oh. aber reiste seihet nie weiter als ins zur Katviija. Das scimeBe Waelisen dieses Hiandels zog immer is/elir Handdtrei^bende «a» Bilde und SmeinogOTsk zu den WeideplÄtBen der Kahnückea, iml die Kwuf- le«te begannen ihre Handelszüge Mn zu dem sogenannten iRothen Berge am westlichen Ende der Tschujasteppe axiSBudeimefi. Hier hielten sie mdk stets so lange a;af , bis die Dwojedaner ihre Waaren amsYerkanft hatten. Maoehmal ersehienen zugleaeh mit den Mohammedanern auch mongoliscdie Soldaten vgu den dlaine- sischen ixi^enzpiquete. Einer der ältesten Büsker KanA^ite, der mir dies Alles seihet erzählte, bat die Fahrten ftdbst noch mit- gemacht. Nach seinen Angaben wurden die Waaren beim Eiothen Berge meist in wenigen Tagen a/nsveikau^t, sie selbst aber sind im Laufe von 10 Jahren nie weiter als bis ewoa. Rotben Berge gegangen. Zm jener 2^it waren die Dwoj^daner an der Technja die Vermittler zwischen den russischen Kaiifleuten nnd den Mon- golen. Sie tauschten die russischen Waaren gegai Vieh waA MurmelthierfeUe ein und verkanften sie in den mongoHischen Aolen, ja sie brachten sie sogar bis zw Stadt Kiobdo. Durch diesen Handel sind die Dwojedaner reich gewoorden; diLe mon- golischen Soldaten aber lebten bei ihnen häufig als Arbeiter und waren sehr arm. Vor etwa 45 Jahren fingen die Russen an, bis zur Tschujasteppe vorzudringen und bahnten sich in der Folge sogar das^bst kleine Häuser zu Waarenmederkigen an eiabem Orte, der Koschagatsch hiess (mongolisch Chosehamodun), etwa 15 Werst abwärts von der Stelle, wo die Tschuja «ich aus den Flüssen Jüstyt, Sailfikäm, Kök-örü und Kysyl-tsdnn bildet. Dies ist ein sumpfiger, mit dichtem Walde bedeckter Platz. Diese Hütten wurden gerade an der Stelle erbaut, wo der Tsaganburgasun von links in die Tschuja mündet und v mann. Die Kalmücken sind ein sehr furchtsames Volk, das sich nicht leicht zu beklagen wagt, weil dies bei der weiten Ent^ fernung von Biisk immer mit Schwierigkeiten verknüpft ist. Einzelne Kaufleute' sollen sich sogar beim Einkaufe von Vieh nicht immer genau darnach erkundigen, woher der Verkäufer das Vieh hat, und offenbar gestohlenes Vieh kaufen; sie wagen da- bei sehr wenig, da sie dasselbe zu jeder Zeit schleunigst den Verhältnissen gemäss entweder nach der Mongolei oder nach Sibirien absetzen können. Es ist nicht wunderbar, dass der Handel in so entfernten Gegenden, der ohne alle Aufsicht von Seiten der Regierung vor sich ging, und* zwar zwischen den geriebenen russischen Händ- lern und den furchtsamen, halbwilden Kalmücken, mit voll- kommener Ausbeutung der Letzteren endigen musste. Der Altai war im Jahre 1870 schon vollkommen verarmt, die Viehheerden waren seit den letzten zehn Jahren decimirt, selbst im reichen Urussul-Thale traf ich nur unbedeutende Heerden an. Wo man Vieh antrifft, hört man überall: ,,kodjoimnyng maly" (das ist Vieh eines Kaufinannes). Besonders verarmt sind die Dwoje- — 245 — daner an der Tßchuja, die sich vor 1860 durch ihren Reich- thum auszeichneten. Zwar hat in den letzten Jahren öfter die Rinderpest gewüthet und die Heerden vernichtet, auch gieht es hoch manchen anderen Grund der Verarmung der Altajer, die Hauptursache ist aber dennoch die widergesetzliche Auswucherung der Eingeborenen von Seiten der Kaufleute. Uehrigens haben sich die russischen Kaufleute nicht nur den russischen Unter- thanen gegenüber üebergriffe erlaubt, sie haben auch nicht selten Gewaltthaten gegen die benachbarten Mongolen ange- wendet. Nach den Worten der Kaufleute sind die Mongolen ein sehr ehrliches und gerechtes Volk, denen man immer be- deutende Summen in Waaren auf Credit anvertraut hat und welche, wiie sich mir gegenüber alle Kaufleute äusserten, immer ehrlich ihre Schuld bezahlten. Nur in letzter Zeit sollen Fälle vorgekommen sein (ich spreche vom Jahre 1870), wo die Mon- golen Waaren auf Schuld nahmen und dann nicht wieder er- schienen. Dadurch hätten die Kaufleute in letzterer Zeit schwere Verluste erlitten, da die chinesische Regierung ihnen keinerlei Unterstützung gewährt hätte, diese SchxQd einzutreiben. Es ist merkwürdig, wie die Kaufleute überhaupt Hülfe beim Eintreiben der Schulden von der russischen oder chinesischen Regierung beanspruchen können! Die Schulden stehen bei sehr verschie- denen Leuten an allen möglichen Orten der weiten Mongolen- steppe aus, die Namen und die Wohnorte sind in den Büchern der Kaufleute, wenn solche überhaupt vorhanden sind, zum grössten Theile falsch und ungenau verzeichnet. Die Schuld- scheine bestehen meist in Papierfetzen ohne jegliche Beglau- bigung, und solcher Schuldscheine giebt es nicht einmal viele. Der Kaufmann sowohl wie auch der Mongole verstehen oft nicht einmal zu lesen und zu schreiben. Welche Regierung kann unter solchen Verhältnissen den Kaufleuten Hülfe leisten? Jetzt haben die Kaufleute das Recht, die Mongolei selbst zu bereisen; mögen sie nun selbst mit Hülfe der mongolischen Beamten ihre Schulden eintreiben. Ich habe häufig Gelegenheit gehabt, sowohl auf den Piquets wie auch auf dem Wege nach Kobdo, über die Handelsverhältnisse zwischen Russen und Mongolen zu reden und überall habe ich Klagen über unsere Kaufleute vernommen. Einige Erzählungen von Mongolen und Kaufleuten will ich hier anführen und zwar solche, deren Richtigkeit mir von mehreren Seiten bestätigt wurde. — 246 -> Im Jahre 1864 hatte der Mongole D. bei dem Kanfmann S. Waaren auf Schuld genommen. Es war noch kein Jahr vergangen, als der Kaufmann ganz unerwartet den auf dem Piquet Kak eingetroffenen Mongolen ergreifen, an ein Pferd binden und nach dem Piquet Sök bringen liess, wo ihn der Ka bestrafen sollte. Auf- dem Wege dorthin gab der geängstigte Mongole einen Schuldschein, worin er sich bekannte, ausser seiner Schuld noch ein Zobelfell schuldig zu sein. Er bezahlte Alles noch vor dem festgesetzten Termine. — Der Mongole Tsch. von der Station Boroburgasun beschäftigte sich früher nur mit dem Handel, nahm stets bei den Piquets Waaren auf sehr hohe Sum- men und bezahlte immer, wie es sich gehörte. Vor acht Jahren blieb er einmal 600 Murmelthierfelle schuldig; die Zeit der Rück- zahlung war noch nicht herangekommen, als der Schuldner wieder zum Piquet Kak kam. Hier wurde er unerwartet vom Gommis des Kautinannes, dem er schuldete, ergriffen. Man legte ihm eiserne Fussf essein an und hielt ihn drei Tage in der Jurte, indem man ihm drohte, ihn zu Fuss nach dem Piquet Sök ab- zuführen. Aus Furcht bezahlte er dem Kaufinann 38 Sarlyke im Werthe von 353 Rubel, obgleich seine Schuld nicht über 100 Rubel betrug. — Der Mongole D. nahm im zehnten Monat des Jahres 1868 Waaren auf Credit, graues Tuch zu einem Rocke und 6 Juchtenleder im Preise von 3 Ochsen und 10 Murmel- thierfellen. Er versprach, diese Schuld im Herbste 1869 zu bezahlen. Im achten Monate des Jahres 1869, d. h. mehrere Monate vor Ablauf des Termines, schickte der Kau^ann den mongolischen Piquet-Soldaten B. zu ihm und forderte von ihm die Bezahlung der Schuld. Der Schuldner kam selbst nach Kak und brachte 10 Murmelthierfelle und versprach die 3 Ochsen in vierzehn Tagen abzuliefern. Ausserdem gab er dem Boten ein Stück grosse Daba für seine Mühe. Die Kaufleute ver- sprachen in Gegenwart des Ka, zu warten. Als der Sohn des Schuldners jetzt die 3 Ochsen herbeigetrieben hatte, nahmen ihm die Kaufleute noch sein Pferd ab, das etwa 16 Rubel kostete, weil sie, wie sie sich ausdrückten, so viel Mühe beim Eintreiben der Schuld gehabt hätten. Der Mongole D. trieb mit 3 Gre^hrten 8 Kameele mit Kronsproviant zum Piquet Sök. Die Kaufleute ergriffen diese Kameele und erklärten den Soldaten, dass sie sie als Unter- pfand für Schulden mit Beschlag belegten, die bei ihnen fünf- — 247 — undsechzig Mongolen der verschiedenen Stationen gemacht hätten, da D. leichter diese Schulden eintreiben könne als sie selbst. Es half nichts y dass sich die Mongolen an. den Mandschu-Be- amten Ka wandten, die Russen gajben die mit Beschlag belegten Kameele nicht zurück, sondern übergaben ein Verzeichniss der Schuldner dem Ka, welcher dieses dem Dsalin übergab. Bis jetzt ist dem Besitzer der Kameele der Verlust nicht ersetzt worden. Wer mit den hiesigen Verhältnissen nicht bekannt ist, dem mag es in der That wunderbar erscheinen, dass die russi- schen Kaufleute hier an der Grenze in der Nähe der Piquets sich dergleichen Excesse erlauben können. Ich bin aber selbst Zeuge gewesen, dass ein russischer Kiiufmann ohne Weiteres einen mongolischen Soldaten an das Gitter seiner Jurte fest- band, weil er ihm eine grosse Summe Murmelthierfelle schuldig war, obgleich dier Schuldner seine Schuld durchaus nicht leug- nete. Der Kaufmann rechtfertigte sein Betragen dadurch, dass er nur wolle, dass der Mongole ihm einen gesetzmässigen Schuld- schein ausstelle; der Mongole hatte aber diesen zu geben ver- sprochen, ehe der Kaufmann die Gewaltthat ausübte. Weshalb also der Kaufmann den Mongolen einschüchtern wollte, weiss ich nicht, ebensowenig habe ich den ausgestellten Schuldschein gelesen. Die mongolischen Offiziere sahen vollkommen theil- nahmlos diesem merkwürdigen Schauspiele zu und mischten sich durchaus nicht in diese Sache, sie sind stets auf Seiten der Kauf- leute, da sie durch dieselben die grössten Vortheile gemessen. Solche Verhältnisse können, in der That nicht zur Ent- wickelung des Handels beitragen, sie müssen meiner Ansicht nach zum Verfalle desselben führen. Hoffentlich wird die Re- gierung ihre Aufinerksamkeit dem hiesigen Handel bald zuwen- den, damit dieser mehr und mehr einen regelrechten Charakter annehmen kann. Ausser an der Tschuja sind noch zwei Handelspunkte auf der chinesischen Grenze im östlichen Altaigebirge. Diese sind: 1) am Kara Kol und Alasch, dem Nebenflusse des Kemtschik, im Norden von der Quelle des Tscholyschmanflusses; 2) nicht weit vom Grenzzeichen Schabin Dabaga. Am ersten Punkte ist der Handel in Händen von einigen Biisker Kaufleuten und vielen altajischen Eingeborenen, besonders Dwojedanem am Tscho- lyschman und Schwarzwald-Tataren, im zweiten in Händen von Eingeborenen und russischen Einwohnern des Minussinskischen — 248 — Kreises, lieber den letzteren Handelspunkt konnte ich keiner- lei nähere Nachrichten einziehen. Am ersteren Punkte, den ich im Jahre 1862. besuchte, ist der Handel höchst xmbedeutend. Daran sind die Schwierigkeiten des Weges schuld, die ich im Jahre 1861 reichlich erfahren habe, und ausserdem die Spitz- bübereien und Treulosigkeit der Sojonen. Der dortige Handel ist nur für die kleinen Händler vortheilhaft, die für ihren eigenen Bedarf Vieh kaufen wollen. Besonders nutzbringend sind hier Messing- und Eisen- Waaren abzusetzen. Die Kaufleute lieben nicht sojonisches Vieh einzukaufen ; da die Sojonen ihre Ochsen als Reitthiere benutzen, so sind sie meist sehr mager und be- dürfen ein ganzes Jahr der Ruhe, um sich zu erbolen. Alle oben erwähnten Handelsplätze von der chinesischen Grenze haben sich ganz von selbst ohne Zuthun der Regierung gebildet und an allen diesen Plätzen hat die Nachfrage nach russischen Waaren zugenommen. Dies beweist uns aufs Deut- lichste, dass im westlichen Theile des chinesischen Reiches ein Bedürfniss nach russischen Waaren vorhanden ist, die, trotz aller örtlichen Hindemisse und Schwierigkeiten, trotz des Ver- botes der Passirung der Grenze, trotz des eigenmächtigen Ver- fahrens der Kaufleute sich dennoch ein bedeutendes Absatzge- biet eroberten. Nach dem letzten Pekinger Tractate vom Jahre 1869 und nach der festen Grenzbestimmung im südlichen und Östlichen Altai beginnt eine neue Periode des russischen Han- dels mit China. Die bis jetzt geschlossene Grenze ist nur für unsere Kaufleute eröffnet. Sie haben jetzt das Recht erhalten, ohne jeglichen Transit -Zoll ihre Waaren in die Mongolei ein- zuführen und überall da zu verkaufen, wo sie es für sich vor- theilhaft finden. Schon vor einigen Jahren ist die Aufmerksam- keit auf diesen Handel gelenkt worden. Herr Prinz schlug schon im Jahre 1864 einen neuen Weg für russisch-chinesische Handelsverbindungen über die Tschuja vor. Er drückt sich dar- über folgendermassen aus: „Aus diesen Gründen und wegen der bedeutenden Verkürzung des Weges unserer bis jetzt nach China führenden Handelsstrasse und der aus dieser entspringen- den Verminderung des Preises der Tauschwaaren, weise ich auf die Tschujaer Handelsstrasse hin, wo unser Handel mit den Chinesen sich ganz von selbst entwickelt hat und ohne jede Unterstützung der Regierung seit vielen Jahren besteht. Wenn ich Tomsk als Ausgangspunkt rechne, da bis hierher die — 249 — Waaren zu Wasser geschafft werden können, so haben wir von Tomsk bis Kjachta 2000 Werst Wagentransport. Von der Tschuja aber bis Tomsk 1100 Werst, davon noch die Hälfte zu Wasser, was um so bequemer ist, da schon jetzt Dampf- schiffe bi» Biisk fahren. Der Handel, der sich hier so natür- lich gebildet hat, spricht schon ganz aUein für den von mir vorgeschlagenen Weg und für die Nothwendigkeit einer Unter- stützung der Handelsbeziehungen in der vorgeschlagenen Rich- tung. " — Die Wünsche des Herrn Prinz sind jetzt in Erfüllung gegangen. Der Weg ist geöffnet und unsere Regierung hat dieser Handelsbeziehung ihre volle ünterstützimg gewährt; schon im Jahre 1870 ist ein Beamter beordert, den Weg für diese neue Handelsverbindung zu erleichtem. Werden nun die Hoffnungen des Herrn Prinz in Erfüllung gehen? Ich wage keine direkte Antwort anf diese Frage zu geben, da ich den Schleier der Zukunft nicht zu lüften vermag, ich will mich nur bemühen, ein möglichst treues Bild der Handels- beziehungen in den uns jetzt neu eröffneten Bezirken zu ent- werfen. Diese Auseinandersetzung wird die beste Antwort auf die aufgeworfene Frage bilden. Der westliche Theil der mongolischen Steppe ist überall von Nomaden bewohnt, die in verschiedenen Jahreszeiten an verschiedenen Stellen eines grossen Landcomplexes in einem regel- mässigen Kreislaufe mit ihren Filzjurten umherziehen. Im Nor- den der westlichen Mongolei leben 1. die Sojonen im nördlichen Theile der Mongolei, nördlich von einer vom Piquet Jüs-tyt bis zum Upsa-See gezogenen Linie, vom Flusse Tes und dem Berg- rücken Tangnü 01a bis zum See Kossogol. 2. die Türhöten, südlich von ^%n Sojonen und nördlich vom Flusse Kobdo bis zum Upsa-See. 3. die Uranchm, südlich von den Türböten auf einem schmalen Streifen vom Flusse Kobdo bis zum Urungu- Flusse. 4. Kirgisen im Westen von den Uranchai. 5. Olöt und Mingity zwischen den Uranchai und dem See Chara-ussu, westlich und nördlich von der Stadt Kobdo. 6. Torguten, süd- lich von den Uranchai. 7. Ost- Mongolen und Chaleha] nach Potanins Angabe: a) Aiinak Dsasakturchana, leben östlich vom Tsitsik Nor bis zu dem Berge Bain Dsürkü im Norden bis zum Gebirge Chan-chüchei und im Süden bis zur Wüste Gobi (im Ganzen 13 Koschune); h) Tabyn Choto-gottu am Flusse Telgir Moran, östlich vom See Tanggin Dalai und zwischen Ulas- — 250 — sutai und Dsinsilik (fünf Koschime) ; c) AimaJc Soin Nojon\ von diesen östlich am Ulassutai wohnenden Aimak herührte die Ex- pedition Potanins nur drei Koschnne. Für den Ackerhau geeignete Stellen gieht es in der ganzen Mongolei so wenige, dass die Bevölkerung kein angesiedeltes Lehen führen kann, ausserdem erlauht die chinesische Regie- rung den Nomaden nicht, sich anzusiedeln, ohne ihre Ahgahen- verhältnisse zu verändern. Die Chinesen halten es für eine po- litische Nothwendigkeit, so sagte mir wenigstens der Amhan in Kohdo, dass die äusseren Völker in ihrer alten Lehensweise als Viehzüchter verharren, nur als solche vermöchten sie dem Keich diejenigen Dienste zu leisten, die es von ihnen in den weiten Steppen verlangen muss. Die Verwaltung verursacht dem Reiche keinerlei Kosten, die riesige Mongolensteppe wird üheraU von Mongolen verwaltet, die Postwege, Eronstransporte, den Proviant und seihst das Gehalt für alle Soldaten und die Mandschu -Verwaltung hahen die Mongolen zu hestreiten, so dass die Mongolei in ihrer Verwaltung noch einen hedeuten- den Ueherschujsf an Einnahmen nach Peking ahliefert. Die Mandschu-Regierung hat nur wenige Punkte ausersehen, wo sie mandschurische Gouverneure und Befehlshaher der Heeresab- theilungen eingesetzt hat. An diesen Centralpunkten hat sie kleine Befestigungen aufführen lassen, in denen kleine Mandschu- Gamisonen stationirt sind. Solche Befestigungen sind in dem westlichen Theile der Mongolei Kohdo und Ulassutai. Die West -Mongolei ist in zwei Gouvernements getheilt, Ulassutai und Kohdo, jedes mit einer Stadt und Festung gleichen Namens. Der Gouverneur jeder dieser Städte ist ein Chehei Amban und in Ulassutai wohnt ausserdem noch ein Dsandsün oder Generalgouvemeur und Oherst-Kommandirender aller Trup- pen der westlichen Mongolei. In jeder dieser Befestig^gen sind nicht nur eine geringe Zahl von Mandschutruppen, sondern auch Chamhing und kleine mobile mongolische Heeresabthei- lungen und aUe Mandschu-Beamten des Gouvernements, ebenso wie die höchsten Offiziere der mongolischen Armee stationirt. Bei jeder dieser Befestigungen haben sich, ohne Zuthun der Regierung, einige chinesische Kaufleute und Handwerker angesiedelt und Läden und Werkstätten eröffnet. Die chinesi- schen Kaufleute und Handwerker treten indessen nur zeitweise als Bewohner auf, führen aber ihre Familien nicht mit sich. Von — 251 — K^aufleuten sind die meisten nur Vertreter, Commis und Agenten grosser Häuser. Die Handwerker treiben ihre Gewerbe als selbständige IJntemebmungen. Ein Weg' verbindet die befestigten Punkte der westlichen Mongolei, es ist die grosse Strasse von Kobdo über Ulassutai nach Kuigatschin (Kökö Choto), welche die Verbindung zwischen der westlichen Mongolei und dem eigentlichen China herstellt. Von Kuigatschin bis Ulassutai rechnen die chinesischen Kauf- leute 80 Tage Weges für belastete Karawanen, von Ulassutai bis Kobdo 14 Tage. Auf diesem ganzen Wege befinden sich mongolische Militär -Stationen (Ürtö) zur Besorgung der offi- ciellen Correspondenz und zum Schutze der hier reisenden Kauf- leute. Auf diesem Wege führen die chinesischen Kaufleute alle Waaren, deren die westliche Mongolei bedarf. Dieser Weg bie- tet zwar keine besonderen Schwierigkeiten, ist aber doch nur für den Transport mittelst Kameelen geeignet. Da die Mongolei nur von Nomadenvölkem bewohnt und in derselben keinerlei Industrie entwickelt ist, so müssen alle für die Bewohner nothwendigen Industrieprodi^Vte auf dem sehr langen Wege über Kuigatschin aus dem eigentlichen China trans- portirt werden. Jedes in Kuigatschin für den Transport von Waaren bis Kobdo gemiethete Kameel kostet 12 Unzen Silber = 25 Rubel, d. h. jedes Pud kostet 2 Rubel 50 Kopeken Trans- port. Ausserdem hat der Kaufmann für jedes auf dem Wege gefallene Kameel einen vorherbestimmten Preis zu erlegen und das tägliche Auf- und Abladen der Kameele erfordert viele Arbeitskräfte, dabei währt jede Reise wegen der Länge des Weges wenigstens drei Monate. Um alle diese Auslagen zu er- setzen, berechnet der chinesische Kaufmann ausser den direkten Transportkosten noch 30®/q des Preises der Waäre. Aus diesem Grunde kann der 9 — 11 Unzen Silber (18 — 22 Rubel) kostende Kasten Thee in Kobdo nicht billiger als für 18 — 22 Unzen ver- kauft werden, d. h. der Kaufmann kann seine Waare nur mit einem Zuschlage von 100% ihres Werthes in Kuigatschin verkaufen. Doch dieser Zuschlag ist noch viel zu niedrig veranschlagt. Der Kaufmann muss den grössten Theil seiner Waaren noch bis in die verschiedenen Aiüe abführen und von hier das ein- getauschte Vieh auf dem langen Wege nach Kuigatschin treiben, wobei eine nicht geringe Anzahl verloren geht. Unter solchen Umständen ist der chinesische Kaufmann gezwungen, den Werth — 252 — seiner Waaren in der Mongolei durch einen Zuschlag von 150 bis 200 */q ihres Werthes zu erhöhen. Die Mongolen sind im Allgemeinen ein reiches Volk und seit langer Zeit durch den Einfluss der Chinesen an den Ge- brauch vieler Industrieprodukte gewöhnt, die sie selbst nicht zu produciren vermögen. Vor Allem lieben sie sich z. B. gut zu kleiden tind begnügen sich keineswegs, wie die uns unter- worfenen Kalmücken des Altai oder der grösste Theil der So- jonen, mit selbst gefertigten Pelzen. Das Bedürfhiss naoh In- dustrieprodukten einer höheren Civilisation ist daher in der Mongolei sehr gross, so dass der Weg nach Kuigatschin im Laufe des ganzen Jahres von Karawanen wimmelt. Die Bedeutung eines der chinesischen Steppen-Märkte, näm- lich des Marktes von Kobdo, habe ich im Jahre 1870 kennen ge- lernt und so viel es mir in der kurzen Zeit möglich war, seinen Umfang und seine inneren Beziehungen zu erforschen gesucht» Auf dem Markte von Kobdo befinden sich bis fünfzig chine- sische Läden, unter ihnen zwei Apotheken und Gewürzbuden und ausserdem h^ zehn grössere Magazine, die den fünf grossen chinesischen Handelsgesellschaften Sy-chu-tu gehören und sich mit dem Aufkauf von Schafen und Pferden für das eigentliche China beschäftigen. Potanin giebt uns folgende Namen der Handels- gesellschaften an: 1) Ja-schiu-di, von den Mongolen Arshan, von den russischen Kaufleuten Arshanowskaja Kompanija genannt. 2) Ta-scheu-chu. 3) Tjan-gi-ta, von den Mongolen Nastai ge- nannt. 4) Dau-dsha-fu, von den Mongolen ündtir Modo (hoher Baum) genannt, da bei dem Thorwege dieser Gesellschaft sich eine hohe Stange befindet. 5) Cho-schou-chui, von den Mon- golen Tschagantai genannt. — Jedes grosse Magazin nimmt einen ganzen Hof, der in einem grossen Recktecke gebaut ist, ein. Nach der Strasse zu ist nur ein Zaun und ein Thorweg. An der Längsseite des Rechteckes befinden sich die Waaren-Nieder- lagen und Speicher, die Wohnungen der Diensthuenden, ein grosses Empfangszimmer für die Käufer, wo jedem kommen- den Käufer bei seinem Eintritte Thee gereicht wird, und wo die Commis sich befinden, die auf Befehl des Geschäftsführers die geforderten Waaren aus den hinteren Zimmern hervorholen und dem Käufer vorlegen. An der Hinterseite des Hofes be- finden sich die Wohnungen der Geschäftsführer. Detailverkauf findet in diesen Kaufhöfen nicht statt. Der Handel in der Stadt — 253 — ist hier sehr unbedeutend. Die Kaufhäuser haben in den Aulen der Mongolen an vielen Orten Niederlägen, die sie von dem Hauptmagazine in Kobdo aus mit Waaren versehen, und schicken ausserdem einzelne Commis mit Waarentransporten umher. Die Niederlagen in der Steppe geben zum grössten Theile ihre Waaren ihnen bekannten Mongolen auf Schuld aus und zwar fast nur gegen Vieh, das sie im Frühjahre einsammeln und nach Kuigatschin treiben lassen, lieber den Umfang ihres Handels konnte ich natürlich von diesen Kaufleuten keinerlei Nachrichten einziehen, ihr Handel muss aber sehr bedeutend sein, dies lässt sich aus der Zahl der CommiB der Centraldepöts in Kobdo er- kennen, in keinem derselben waren weniger als 15 — 20 chi- nesische Commis anwesend, Hunderte von Commis sollen sich in den Niederlagen der Aule und bei den gekauften Heerden auf- halten. Die Schaf- und Pferdeheerden werden hier in den Thälem des Bujantu und Scharabulik zusammengetrieben. Auf mehrere dieser Heerden stiess ich auf meinem Wege nach Kobdo, bei einem einzigen der Agenten traf ich eine Heerde von 900 Pferden und 15000 Schafen, die alle während des Sommers 1870 aufgekauft waren. Man versicherte mich, dass jede der grossen Handelsgesellschaften derartige Geschäfte mache, und dass allein aus dem westlichen Theile des Kreises Kobdo jähr- lich mehr als 200 000 Schafe nach Kuigatschin getrieben wür- den. In der Gegend von Ulassutai sollen die Mongolen noch reicher und der Handel der chinesischen Kaufleute noch be- deutender sein als hier in Kobdo. Dasselbe sagte man mir vom Handel am Schwarzen Irtisch, won dem Centralpunkt Buluntogoi (kirgisisch Bürultogai), wo die Regiertmg jetzt eine Stadt an- zulegen gedenkt. Potanin besuchte Btduntogoi am. 6. und 7. August 1877 und berichtet über dasselbe Folgendes: ,,Die Ansiedelung Bu- luntogoi liegt zwischen einem Kanäle, der das Wasser aus dem Flusse ürungu führt, und einer Felswand, in der die Terrasse zwischen dem Urungu und Baga-nor abfallt. Der Kanal war, wie die Einwohner behaupten, ursprünglich ein kleiner Graben, der sich von selbst in einen Fluss verwandelt hat. Die An- siedelung besteht aus zwei Theilen, der Festung und der Stadt. Die Festung ist mit einer Lehmmauer und einem Graben um- geben, letzterer ist mit Wasser gefüllt, so dass man zur Fest- ung nur auf einer kleinen hölzernen Brücke gelangen kann. - 254 ~ In der Festung wohnen Soldaten. Kanonen habe ich nicht ge- sehen; der aus Gutscheu hierhergekommene Tschi Amban soll sie in einem Keller verriegelt haben. Auch die Stadt ist mit einer viereckigen Mauer umgeben, in welche zwei mit eisernem Gitter verschlossene Thore führen. Die Strassen in der Stadt sind krumm und uneben. Die grösste Anzahl der Häuser war leer und viele sind schon zerfallen. Es sind daselbst eine Mühle, eine Gerberei, zwei schlechte Buden tmd ein Wirthshaus. Als wir dort waren, lebten hier nicht mehr als hundert Seelen. Das Ackerland soU einen Platz von 50 Werst Länge einnehmen, und Potanin traf daselbst 65 chinesische Vorwerke; sonst leben hier torgutische Ackerbauer in Jurten. Die grösste Landplage sind die Mücken. Am Tage kann man es in der Ansiedelung noch aushalten, in der Nacht ist es aber auch hier unmöglich zu leben. Auf den Aeckem kann man auch am Tage sich der Mücken nicht erwehren.] Die Stadtbewohner in Kobdo kaufen ihre Waaren aus den kleinen Läden. Diese Läden erhalten ihre Waaren entweder von der Handelsgesellschaft oder verschreiben sie aus Kuiga- tschin. Viele Läden sind so unbedeutend» dass sie kaum für 100 Rubel Waaren vorräthig haben. In der Mitte des Winters werden die meisten Läden leer und füllen sich erst wieder, wenn im Frühling neue Zufuhr eintrifft. Einmal im Jahre treffen in Kobdo Kaufleute aus Peking mit einer reicheren Auswahl von Waaren ein, als in den kleinen Läden vorhanden ist. Solche Pekinger Läden werden in Kobdo nur zwei eröffnet. Die von den Chinesen nach Kobdo eingeführten Waaren sind folgende: Thee, Baumwollengewebe, Seidenstoffe, Tuche, Messer, Eisen- Waaren, Dreifüsse, Kessel, Messing-Waaren etc. Thee wird hierher in dr«i Sorten eingeführt. Die hauptsächlich eingeführte Sorte ist Da-tscha oder Da-ban-sy-tscha, in grosse Tafeln geschlagener Ziegelthee im Gewichte von 4^/a Pfund. Diese Theesorte ist die hier allgemein angewendete und wird deshalb hierher in grossen Massen eingeführt. In Kobdo kostete er im Jahre 1870 6 Tschan (gleich 1 Rubel 20 Kopeken). Er wird in Kasten zu 39 Theesteinen eingeführt. Ein solcher Kasten kostet in Kobdo 22 Unzen Silber (44 Rubel). Dieser Thee soll in den Provinzen Jün-Nan, Chu-Jün-San und Sy-da-li zubereitet werden, welche, wie mir die Kaufleute sagten, 45 Tagereisen von Kuigatschin liegen. Er wächst auf kleinen Sträuchern, hat — 255 — längliche Blätter, wie der Tschaptarku-Straucli, und eine rÖthliclie Binde. Derselbe Theestrauch wächst auch in Lan-dshu, hier wird der Thee aber nicht gut bearbeitet. Es scheint, als ob die Sorte von Lan-dshu auch an Qualität geringer sei. Man kann den Thee nicht sogleich in Ziegel schlagen, sondern muss ihn erst einige Zeit in Wasserdampf halten; daherkommt es auch, dass der Ziegelthee stets einen etwas muffigen Ge- schmack und Geruch hat. Der Da-ban-sy-tscha ist ziemlich fest- geschlagen und auf jeder Tafel ist das Zeichen — ^=— ■ ein- gemerkt. Aus Mangel an Silber wird der Da-ban-sy-tscha auch als Münzeinheit benutzt und alle Waaren nach Theesteinen abgeschätzt. Jedermann nimmt einen Theestein fiir 6 Tschan und giebt ihn auch für diesen Preis aus. Anstatt einer kleinen Münze von 10 Kopeken sind hier bunte Gürtel im Gebrauch, die von den Mongolen überall getragen werden. Die beste Sorte der grossen Ziegelthee-Tafeln ist der so- genannte Schang-jün-tscha. Jede Tafel desselben hat ein Ge- wicht von 3 Pfund. Auf jeder Tafel sind zwei chinesische Worte eingepresst: Schang (hoch) Jün (Anwendung). Dieser Thee ist sehr fest geschlagen und wird von den Mongolen hoch- geschätzt. Man zahlt für jede Tafel .5 Tschan oder 1 Rubel Silber, er kommt aber nur wenig in den Handel. Man sagte mir, dass dieser Thee für die chinesische Regierung von den Fabrikanten als Abgabe gefertigt werde. Mit diesen Theesteinen zahlt die Regierung zum Theil den Dienenden Gehälter tmd Belohntmgen aus. Ich hatte in Kobdo nur einmal Gelegenheit eine Tafel Schang-jün-tscha zu sehen. Die zweite Sorte des Ziegelthees sind die dünnen Ziegel, Dshing-dshuang-sy-tscha. Er wird an denselben Orten bereitet wie die grossen Ziegel. Erstere sind klein und dünn und wiegen nur anderthalb Pfund. Dieser Thee ist feiner und fester ge- schlagen als der grosse Ziegelthee, wird aber nur von den reichen Mongolen verwendet. Viele Tafeln sind ohne Zeichen, andere haben verschiedene Zeichen. In seiner Güte kommt dieser Thee so ziemlich den dünnen Theesteinen der russischen Fabrikanten, die aus Kaigan über Kjachta eingeführt werden, gleich; er ist aber büliger als dieser Thee. Im Jahre 1869 zahlte man für eine Tafel 2 Tschan (40 Kopeken), im Jahre 1870 war der allgemeine Preis 3 Tschan (60 Kopeken). Man konnte mir die Ursache der Preiserhöhung nicht auseinander- — 256 — setzen. Diese beiden Sorten Thee werden ganz allein für die Mongolen hier eingeführt, die den Thee als tägliches Nahrungs- mittel verwenden. Die dritte Sorte Thee, die hier eingeführt wird, heisst Tschin-lan-tscha (tatarisch At-bas-tschai). Dieser Thee ist seiner Qualität nach besser als der Ziegelthee, er ist aber nicht so fest geschlagen. Er wird in grossen Cy lindem im Gewichte von 2 Pud 10 Pfund (90 Pfund) verkauft. Da dieser Thee zarter ist als der Ziegelthee, so kann man ihn nicht in kalten und feuchten Orten halten, dort zerkrümelt er und verdirbt. Aus dieser Ursache ist er für die in Jurten lebenden Mongolen nicht brauchbar, da man ihn dort nicht vor den Einflüssen der Witte- rung schützen kann. Er wird daher nur von den in der Mon- golei in Häusern lebenden Chinesen der Mandschu verbraucht und deshalb in kleineren Quantitäten eingeführt. Früher war der Tschin-lan-tscha hier sehr theuer tind ist nur in den letzten Jahren im Preise gefallen. Im Jahre 1868 kostete hier der Cylinder 24 Rubel (12 Unzen), im Jahre 1869 kostete er nur 9 Unzen (18 Rubel), im Jahre 1870 nur 7 — 8 Unzen (14 bis 16 Rubel. Anderer Thee wird hier aus China nicht eingeführt. Im Jahre 1869 und 1870 sind von den Chinesen als Probe einige Kasten Bai-choa-tscha, d. h. Baichovy oder schwarzer Thee, nach Kobdo eingeführt worden. Von hier aus sind diese den Kaufleuten verkauft worden, die sich bei den Piquets aufhalten. Die Biisker Kaufleute sagten mir, dieser Thee sei von zweierlei Güte gewesen. Die bessere Sorte in Packeten zu 60 Pfund und die geringere Sorte zu 80 Pfund. Das Pfund dieses Thees sei ihnen hier nicht höher als 50 Kopeken zu stehen gekommen, in Biisk sei er zu 1 Rubel 40 Kopeken verkauft worden, und die bessere Sorte hätte dem Publikum ausnehmend gefallen. Die Biisker Kaufleute würden sehr froh sein, wenn die chinesischen Kaufleute mehr von diesem Thee herführen würden, denn man könnte ihn in den östlichen Gouvernements tind in Westsibirien billiger verkaufen als den Kantoner Thee. Der chinesische Kaufmann, der den Thee in Kobdo eingeführt hatte, sagte mir, er habe bei diesem Verkaufe einen grossen Verlust erlitten, er könne künftig den Thee nicht für diesen Preis liefern. Er müsse die Waaren um den halben Preis er- langen und auch dann könne er nur eine sehr kleine Quantität aus Ulassutai nicht niedriger als 75 Kop. das Pfund einführen. — 257 -^ Obgleich es nicht möglich war, nähere Andeutungen über die Menge des hier eingeführten Ziegelthees zu erhalten, kann man dennoch direkt behaupten, dass der Ziegelthee sicherlich 50 ®/o aller hier eingeführten chinesischen Waaren ausmacht. Der Preis stellt sich in Ulassutai etwas niedriger als in Kobdo, in Buluntogai hingegen ist der Preis höher. Die besseren Sorten der baumwollenen Textilstoffe, welche die Chinesen nach Kobdo einführen, werden in Stücken zu 12 bis 13 Arschin verkauft. Die schlechteren Sorten werden aber auch in halben Stücken zu 6 Arschin abgelassen. Diese Baum- wollenstoffe werden von den Mongolen hoch geschätzt und ebenso von unseren Altai -Kalmücken. Auch die russischen Kaufleute tragen gern Kleidungsstücke aus diesen Stoffen, obgleich sie doppelt so theuer sind als die entsprechenden russischen Stoffe. Die Ursache davon ist, dass die chinesischen Baumwollenstoffe viel besser und stärker sind und doppelt so viel aushalten als die russischen Stoffe. Baumwollene Textilwaaren werden in sehr verschiedenen Sorten eingeführt. Die besten Sorten sind drei verschiedene Stoffe, die mit einer Beimischung von Seide und Wolle verarbeitet werden: Sy-da-lan-bu, breiter Baumwollenstoff mit Zusatz von Seide, das Stück zu 3 Unzen Silber (6 Rubel); billiger ist Su-bu von derselben Breite, das Stück zu 2 Unzen (4 Rubel), die dritte Sorte Jau-da-lan-bu ebenso breit, das Stück zu 1 Unze 6 Tschan (3 Rubel). Diese Stoffe sind von verschie- dener Farbe, erste und dritte Sorte meist blau und ziegelroth, die zweite Sorte vorherrschend schwarz. Die übrigen Stoffe sind gewöhnhche Baumwollenstoffe. Zwei rothe Sorten Da-chun-bu kosten 1 Unze (2 Rubel), .^chau-chun-bu 9 Tschan (1 Rubel 80 Kopeken), dann drei Sorten von heller und dunkelblauer Farbe: S^Iihi-lan-dshai-bu 7 Tschan (1 Rubel 40 Kopeken), Jüe- lan-dshai-bu 6 Tschan (1 Rubel 20 Kopeken), Tschuan-lau-dshai- bu 8 Tschan (1 Rubel 60 Kopeken). Dies sind die hauptsäch- liebsten Sorten, die mir vor Augen gekommen sind und von den Mongolen überall gekauft werden. Wollene Stoffe führen die Chinesen wenig ein. Das chinesische Tuch ist nicht gut und viel theurer als das russische. Seidenstoffe lieben die Mongolen nicht, sie werden nur für die Mandschu-Beamten eingeführt und sind sehr theuer. Nur in einem Magazine wurde mir schwarzer Kanfa gezeigt, er war 1 ^j^ Arschin breit und von vorzügHcher Radioff, Aus Sibirien. II. 17 — 258 — Güte, der Kaufmann erklärte mir aber, er könne die Arschin nicht hilliger als zu 5 Ruhel 60 Kopeken verkaufen. Ausser Thee und Textilwaaren werden aus China noch Galanterie- und Metallwaaren eingeführt. Die hauptsächlichen derselben sind: gusseiseme Kessel und Dreifüsse zu einem sehr hohen Preise. Sie werden nach Gewicht 8 — 10 Unzen das Pud (d. h. 16 bis 20 Rubel) verkauft und das nur zeitweise. Die chinesischen Dreifüsse haben vier Füsse, die durch drei Quer- reifen verbunden sind, so dass der trockene Mist, der hier als einziges Heizmaterial verwendet wird, sich unter dem Kessel hält. Die chinesischen Kessel sind flacher als die russischen. Die Dreifüsse haben meist 3 — 4 Spannen im Umfange. Chine- sisches unbearbeitetes Eisen ist nur wenig billiger, es war im Som- mer 1870 in Kobdo gar nicht zu haben, so dass wir aussergewöhn- liche Umstände hatten, um so viel Eisen aufzutreiben, dass wir zwei Pferde beschlagen lassen konnten. Das kleine chinesische Huf- eisen wiegt nur ^/^ Pfund und kostete 30 Kopeken. Der Preis kleiner Eisenwaaren, wie Messer, Bestecke, Scheeren u. s. w., ist sehr verschiedenartig. Ich kaufte ein kleines Besteck für 80 Kopeken, die besten kosteten hier 2 Rubel. Die Mongolen lieben durchaus nicht chinesische Messer, sondern ziehen diesen solche ihrer eigenen Arbeit vor. Kleine Messinggeräthe, wie Tabakspfeifen, Opfergeßlsse, Götzenbilder, Agraffen, Gürtel- schnallen u. s. w., haben natürlich einen sehr verschiedenartigen Preis. Alle diese Messingwaaren sind doppelt so theuer wie die entsprechenden russischen Waaren, da ja in China das Kupfer in hohem Werthe steht. Dasselbe kann man von kupfernen Theekannen chinesischer Arbeit sagen, daher besitzen auch die Mongolen sehr selten kupferne Theekannen. An Stelle der kupfer- nen Theekannen sind die hölzernen im Gebrauche, die von Chinesen in der Mongolei gefertigt werden. Ausser diesen Dingen führen die Chinesen noch ein: Farben, Papier, Tusche, Bücher, Schreibutensilien, auch Juchtenleder (wenn auch nur sehr wenig), aber die Mongolen lieben das chinesische Leder nicht. Alle übrigen chinesischen Waaren werden nicht für die Mongolen, sondern für die chinesischen Stadtbewohner, die Mandschu- Beamten und für die in den Festungen wohnenden Mandschu- Soldaten eingeführt. So wird für die Stadtbewohner Weizenmehl aus Kuigatschin zugebracht. Gewöhnliches Mehl kostet 4 — 6 Unzen (8 — 18 Rubel), das Cho (100 chinesische — 259 — Pfund), feines Weizenmehl 10 San (20 Eubel) das Cho. Dieser hohe Preis des Mehles bedingt auch den hohen Preiö des Ge- flügels, ein Ei kostet daher in Kohdo 10 Kopeken, ein Huhn 2 Rubel. Reis wird hier nur in sehr kleinen Quantitäten ein- geführt und ist sehr theuer, im Sommer 1870 war in Kobdo kein Reis aufzutreiben. Silber ist in der westlichen Mongolei nur in sehr geringer Menge vorhanden und wird nur von der Krone zur Bezahlung der Gehälter verwendet, durch die Beamten und Soldaten kommt es natürlich auch in den Handel. Die Kaufleute kaufen es auf, so dass zu gewissen Zeiten selbst in der Stadt Kobdo durchaus kein Silber zu finden ist. Ausser den Läden sind in Kobdo noch eine Anzahl von Werkstätten chinesischer Handwerker, die viele für die Stadt- bewohner und Mongolen nöthige Sachen hierselbst verfertigen: Tischler, Maler, Schneider, Schuhmacher, Schmiede, Silberar- beiter und Kupferschmiede. Die chinesischen Arbeiter in Kobdo bilden Genossenschaften, die in einer Werkstatt gemeinschaftlich arbeiten. Einige dieser Werkstätten habe ich besucht, z. B. eine Tischlerwerkstatt. In ihr arbeiten 8 Arbeiter, drei von diesen wohnen an der Quelle des Bujantu, wo Wald wächst, und fertigen dort Bretter von 4 Arschin Länge, 3 Werschok Breite und 1^/2 Werschok Dicke. Diese Bretter werden in Kobdo zu 4 Tschan (80 Kopeken) verkauft. Die übrigen 5 Arbeiter arbeiten in der Werkstatt in Kobdo und verfertigen daselbst Möbel, Kästen, Fässer, hölzerne Theekannen und kleine Opferschränke für die Mongolen. Ein kleiner Kasten kostet 7—8 Tschan (1 R. 40 K. bis 1 R. 60 K); Fässer von 7 Tschan bis 1 Unze und 5 Tschan (1 — 3 Rubel). Die Maler und Anstreicher beschäftigen sich mit dem Anstreichen und Lackiren der Möbel und Opferschränke ; die Schneider und Schuhmacher arbeiten nur für die Stadt, während die Silber- arbeiter und Kupferschmiede nur für die Mongolen arbeiten. Der Silberarbeiter, den ich besuchte, ist sehr geschickt, er verkauft alle seine Arbeiten nach Gewicht und berechnet 40^/^ des Metallwerthes für seine Arbeit. Die Schmiede beschlagen Fässer, Theekannen, bessern zerbrochene Eisenwaaren aus und machen Hufeisen. Die Kürschner nähen hier Schafpelze in einer grossen Zahl. Bei unserer Ankunft in Kobdo trafen wir wohl 50 Arbeiter, welche am Bujantu die Schaffelle wuschen. 17* - 260 — Ein gutes ungegerbtes Schaffell kostet bis 25 Kopeken, ein gegerbtes 1 Rubel 30 Kopeken. Ausser den Kaufleuten und Handwerkern lebt noch eine Anzahl von Gärtnern in Kobdo, welche Kohl, Rüben, Radieschen, ein wenig Mohn und Tabak, Hafer, Weizen und Gerste säen, natürlich nur für die Stadtbewohner. Aus dem Mohn wird auch hier gleich an Ort und Stelle Opium bereitet. Der hiesige Tabak ist eine niedrige Sorte und wird nur in der Stadt ver- kauft. Derjenige für die Mongolen wird aus dem Osten ein- geführt und zwar in fertigen Packeten zu einem Pfund. Dieser Tabak ist von gelber Farbe, schwach und wird von den Mon- golen hoch geschätzt und ,, rother Tabak" genannt, zum Unter- schiede vom russischen, den sie als ,, grünen Tabak" bezeich- nen. Der russische Tabak wird hauptsächlich zur Herstellung des Schnupftabaks verwendet. Der Preis des chinesischen Ta- baks in Kobdo ist das Pfund von 2 bis 3 Tschan (40 bis 60 Kopeken). Gehen wir jetzt zu denjenigen Produkten des Landes über, die von der westlichen Mongolei nach China ausgeführt werden. Der Hauptgegenstand der Ausfuhr von einem Volke, das sich fast ausschliesslich mit Viehzucht beschäftigt, ist natürlich Vieh. Obgleich alle Nomadenvölker Hochasiens durchschnittlich dasselbe Vieh halten, so hat die Bodenbeschaffenheit der ver- schiedenen Gegenden doch das Halten verschiedenen Viehes ver- anlasst. So haben sich denn bei jedem Volke verschiedene, ihm eigenthümliche Racen entwickelt und fortgepflanzt. Im eigent- lichen Altai, wo meist saftiges grünes Gras wächst, ist das Vieh stärker und von grösserem Wüchse, besonders Pferde und Rind- vieh. Wegen der Feuchtigkeit können aber im Altai keine Kameele gehalten werden. Aehnlich wie dort ist der Viehstand der inneren Kirgisensteppe am rechten Ufer des Irtisch; hin- gegen in dem südlichen Theile der Kirgisensteppe und in der Mongolei ist der Boden steinig, das Gras spärlich und niedrig, dafür aber duftig und sehr kräftig. Dort gedeihen besser Ka- meele und Kleinvieh , d. h. Schafe und Ziegen. Aus diesem Grunde ziehen die Mongolen auch hauptsächlich Kleinvieh auf- Der für die Viehzucht geeignetste Landstrich ist die obere Tschuja und hauptsächlich die Tschuja- und Kurai-Steppe, wo Kameele und Kleinvieh ganz vortrefflich gedeihen, während in — 261 — den Schluchten der Berge hohes, saftiges Gras wächst, das für Pferde und Rinder ganz vorzüghch ist. Man sagte mir, die Tschuja sei die einzige Gegend, wo das Vieh im Herbste und sogar im Winter fett wird. Dies ist auch der Grund, weshalb, sich die Kaufleute die Tschujasteppe zum Mästen des aufge- kauften Viehes ausgewählt haben. Wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit dem mongolischen Viehe zu. Die Mongolen halten, der Bodenbeschaifenheit der west- lichen Mongolei gemäss, wie ich schon vorher erwähnt habe, hauptsächlich Kleinvieh. Das mongolische Schaf hat viel Aehn- lichkeit mit dem altajischen Schafe, auf dessen Beschreibung ich hier nur zurückweise. Es ist klein von Wuchs und fleischig, ist mit langer, dichter Wolle bedeckt, die mehr gekräuselt und bedeutend feiner ist als bei den altajischen Schafen. Dabei haben alle Schafe ohne Ausnahme weiss und schwarzen Kopf und zur Hälfte schwarzgefiirbten Hals. Bisweilen reicht diese schwarze Färbung sogar bis zur Vorderbrust. Das Fleisch dieser Schafe ist sehr schmackhaft und nahrhaft. Die mongolischen Schafe haben einen kurzen Schwanz und an beiden Seiten des- selben bildet sich beim Fettwerden des Schafes eine starke Fettansammlung, die bis zur Hälfte des Schwanzes reicht. Ich habe Schafe gesehen, bei denen sich bis 20 Pfund Fett am Schwänze gebildet hatte. Diese Fettwulste der mongolischen Schafe erreichen aber nie eine so ungeheure Grösse wie bei den kirgisischen Sehafen, die sich ausserdem von den mongo- lischen durch den fehlenden Schwanz unterscheiden. Der Preis der Schafe ist zu den verschiedenen Jahreszeiten und je nach den Waaren, für welche man sie eintauscht, ein verschiedener. Im Allgemeinen kostet ein Schaf des ersten oder zweiten Jahres einen grossen Ziegeltheestein, im dritten und vierten Jahre zwei solcher Theesteine. Die mongolischen Ziegen sind kleiner als die altajischen, schlanker gebaut und haben ein längeres, sehr hartes Haar. Sie kommen nicht in den Handel, sondern werden meist nur für den Hausgebrauch der Mongolen ge- schlachtet. Die Schaf- und Ziegenfelle werden im Durchschnitt 10 Stück für einen grossen Theestein verkauft. Die Menge des gehaltenen Viehes ist eine sehr verschiedenartige. Die Chalcha auf der Poststation halten selten mehr als 1000 Schafe und Ziegen. Bei den Türböten sollen Heer den von 5000 Schafen durchaus nicht selten sein. — 262 — Von Kameelen halten die Mongolen nur das zweihöckerige, das von hohem und starkem Körperbaue ist. Es ist an Kälte ge- wöhnt und findet hier in der westlichen Mongolensteppe treffliche J^ahrung. Die Mongolen des Kobdoer Kreises halten nicht viel Kameele, selten besitzt ein Eigenthümer mehr als 50 Stück. Sie dienen natürlich als Lastthiere. Man bindet auf ein Kameel nicht mehr als 8 bis 12 Pud Waare. Mit einer solchen Last kann ein Kameel, wenn der Weg nicht lang ist, bis 50 Werst an einem Tage zurücklegen. Der Preis eines ausgewachsenen Kameeis beträgt bis 50 Theesteine, sie werden aber nur selten verkauft, da die meisten Mongolen nur die zu ihrem Gebrauche nothwendigen Kameele halten. Das Kameelhaar wird nur sehr wenig gesammelt und dann zu Stricken verarbeitet. Die Chinesen kaufen das Kameelhaar nicht. Obgleich das Rindvieh durphaus nicht den Hauptgegenstand der chinesischen Viehzucht bildet, wird es dennoch in bedeu- tenden Mengen gehalten. Im Jahre 1870 trafen wir nur sehr wenige Rinderheerden, da, wie man mich versicherte, die Rinder- pest im Jahre 1869 gewiss bis 90 Proc. des gesammten Rind- viehes hinweggerafft hatte. Das Aeussere des mongolischen Rind- viehes ist folgendes: grosser Kopf, das Flotzmaul und die Stirn breit, die Homer dick, nach oben lang und ein wenig nach vom gerichtet. Der Hals ist breit und stark und die Wamme ziemlich bedeutend. Die Höhe des Buges ist nicht sehr gross, der Brustkasten gewölbt, der Rücken gerade oder auch etwas eingesenkt, das Kreuz gerade und der Schwanz hoch angesetzt. Die Euter sind ziemlich gross und behaart; der Milchspiegel ist gut. Die Beine sind stämmig und von verhältnissmässiger Länge, wie auch die Länge des Thieres im rechten Verhält- nisse zur Höhe steht. Die Klauen sind steil. Es ist viel grösser als das altajisclie Rind und hat mehr Masse. Sein Aussehen ist ein stattliches, meist ist sein Haar roth geförbt. Das Rind wird von den Mongolen auch zum Reiten und Lasttragen gebraucht. Aussör dem gewöhnlichen Rindvieh halten die Mongolen noch vielfach den tibetanischen Yak, der mongolisch Sarlyk ge- nannt wird. Es scheint eine Spielart des Bos gruniens zu sein, die vielleicht durch theilweise Vermischung mit anderem Rind- vieh entstanden ist. Ich gebe hier eine Beschreibung des Sar- lyk nach meinem Begleiter Kalning: Der Kopf des Sarlyk ist klein, kurz und schmal, die Nasenlöcher, das Flotzmaul sehr — 263 — schmal und die Stirn ebenfalls. Meist kommen die Thiere horn- los vor; bei den gehörnten sind die Hörner dünn, lang und weit von einander angesetzt, in der ganzen Länge zu einander gebogen un^ etwas nach vom gerichtet. Die Einge beginnen am Grunde der Hörner. Die Ohren sind kleiner als beim ge- wöhnlichen Einde, die Stellung derselben wie bei letztei^m, aber etwas schlaffer. Der Hals ist dünn und gerade, plötzlich in die Brust und den Bug übergehend. Letzterer erhebt sich zu einer bedeutenden Höhe, senkt sich dann plötzlich und geht in den geraden Rücken über. Das Kreuz ist gerade, der Schweif hoch angesetzt. Gleich an der Wurzel beginnt starker Schweif- haarwuchs. Diese langen Schweifhaare reichen etwas über die Sprunggelenke, wo sie alle gleichmässig aufhören. Der Schweif füllt den zwischen den Hinterbeinen befindlichen Raum ganz aus. Die Beine sind im Verhältniss zu dem gestreckten Körper- bau kurz, aber sehr stämmig, die Klauen lang, aber ganz steil. Das Euter ist klein und stark behaart. Das ganze Thier ist xmgleichmässig mit Haaren bewachsen. Zwischen den Hinter- extremitäten, an der Stelle, wo bei dem gewöhnlichen Rinde sich der Milchspiegel befindet, ist bei dem Sarlyk die Haut mit kurzen Haaren bedeckt. Der Kopf, Hals, Rücken, das Kreuz, die Brust- und Bauchseiten und die Beine, bei den vorderen vom Ellbogengelenk, bei den hinteren aber vom Kniegelenk ab, sind mit etwa l^/g Zoll langen Haaren bedeckt. Dagegen ist auf dem Bug das Haar etwas länger. Die Schultern, die Hin- terschenkel, die untere Seite des Brustkorbes und des Bauches, von der Wölbung nach unten beginnend, sind mit etwa 8 Zoll langen Haaren bedeckt. Am allerlängsten sind die des Schwei- fes, so dass derselbe ganz einem Pferdeschweife ähnlich ist. Der Sarlyk ist entweder weiss oder schwarz oder schwarz und weiss gescheckt. Das Haar hat einen schimmernden Glanz. An- fang Juni geht das Winterhaar verfilzt ab, dieses ist sehr weich, elastisch und fein, besonders das der Kälber besitzt eine ausser- ordentHche Feinheit und Weichheit. In der Länge eines rhein- lä^dischen Zolles zeigt ein Haar 13 Windungen. Besonders zur Herstellung einer feinen Filzsorte würde diese Wolle sehr ge- eignet sein. Das Winterhaar wird von den Mongolen gar nicht benutzt; aus dem Sommerhaare, das gröber, aber auch sehr elastisch ist, verfertigen die Mongolen Stricke. Der Sarlyk giebt einen grunzenden Laut von sich, sehr ähnlich dem Grunzen des — 264 — Schweines, kann aber auch wie ein gewöhnliches Kind brüllen. Er ist sehr boshaft, thut aber den Menschen nichts zu Leide, wenn er nicht gereizt wird. Er lässt sich schwer einfangen, wenn er auch sonst nicht scheu ist. Mit dem gewöhnlichen Rindvieh grast er im Allgemeinen ganz ruhig in der Nähe der Jurten. Das Kalb wird zu Hause angebunden gehalten. Wenn die Sarlyk-Kuh genjolken werden soll, wird sie zur Jurte ge- trieben, woselbst man das Kalb erst etwas saugen lässt und dann von der Kuh entfernt, und diese nun melkt. Eine Sarlyk-Kuh giebt über 5 Stof Milch, die sehr schmackhaft ist. Sarlyke halten die Mongolen ebensoviel wie gewöhnliches Rindvieh. Das Fleisch der Sarlyke ist lange nicht so wohlschmeckend wie Rindfleisch, es ist härter und grobfaseriger. Man bezahlt die besten Thiere mit 6—8 Unzen Silber (16 bis 20 Rubel). Kalning hat ausserdem noch Produkte der Begattung eines Sarlyk-Bullen mit einer mongolischen Kuh beobachtet. Er be- schreibt diese wie folgt: Der Kopf, Hals und die Wamme wie beim mongolischen Rinde. Der Bug ist sehr hoch und geht all- mählich in den geraden Rücken über. Das Uebrige wie beim mongolischen Rinde; nur da, wo beim Sarlyk das lange Haar vorkommt, ist bei diesem Bastard längeres Haar als am übrigen Körper. Es hat einen Kuhschwanz, bei welchem die längere Behaarung beim halben Schwänze anföngt und in einem starken Büschel endet. Das Temperament ist das des Sarlyk. Die Mon- golen lieben diesen Bastard sehr, er kommt aber nur selten vor. Der Preis des Rindviehes war im Jahre 1870 sehr hoch, da die Rinderpest im vorigen Jahre stark gewüthet hatte. Pferde werden im Kobdoer Kreise nur in geringer Zahl gehalten, selten bei einem Wirthe mehr als 2 — 3 Hengstheerden. Die mongolischen Pferde bilden eine besondere Race. Ich gebe auch hier die Beschreibung Kalning' s: Das mongolische Pferd ist 2 Arschin hoch und 2 Arschin 2 Werschok lang. Sein Kopf ist lang und trocken, mit schmalen Ganaschen. Die meisten Pferde haben eine gerade Stirn mit einer kleinen Wölbung. Die Lippen sind fein behaart, die Augen klein, der Kehlgang ziem- lich breit, die Ohren verhältnissmässig lang, nahe aneinander an- gesetzt und gestellt (Hasenohren). Die Verbindung des Kopfes mit dem Halse gut, letzterer ist gerade und muskulös mit einer deutlich ausgesprochenen Drosselrinne. Vor dem Widerrist be- findet sich keine Grube, sondern er erhebt sich zu einer unbe- — 265 — deutenden Höhe und geht ebenso in den Rücken über. Die Vorderbrust ist bei den meisten Pferden breit, der Brustkasten aber schmal. Der Rücken ist bei vielen Pferden gerade und scharf. Das mongolische Pferd hat einen sogenannten Bürschleib, er ist lang geschlossen. Die äusseren Darmbeinwinkel treten stark hervor. Die Kruppe ist kurz und schräg, der Schweif aber ist hoch angesetzt und wird hoch getragen. Der Ober- schenkel ist selten breit, das Sprunggelenk aber gewöhnlich breit, die Fesseln steil und kurz, die Hufe schräg und gross, der Strahl gut ausgebildet. Der Vorderoberschenkel ist mus- kulös, das Knie breit. Das Geschröt ist fein behaart, der Schweif- haarwuchs ist gewöhnlich stark und hat arabische Frisur. Der Zopf und die Mähne sind dicht. Ersterer wird ganz abge- schnitten, von letzterer aber nur die erste Hälfte vom Kopfe ab gerechnet. Die mongolischen Pferde sind verschiedenfarbig, Schimmel und Rappen kommen aber nur wenig vor. Der Preis eines gewöhnlichen Pferdes ist 6 — 8 Unzen Silber, bessere Thiere 10—14 Unzen (20—28 Rubel). Die Chinesen kaufen, wie schon oben erwähnt, meisten- theils erwachsene, fette Hammel, , die sie bis zum Juli-Monat in grossen Heerden zu 1000 und 2000 Stück halten. In der Mitte des Juli treiben sie diese von Kobdo . fort über Kuigatschin nach China. Der Verlust auf dem Wege stellt sich im Allge- meinen auf 10^/q. Auf der Strecke werden die Schafe den Tag nur einmal getränkt. Ebenso werden von den Chinesen auch Pferde aufgekauft und in grossen Heerden zu 500 Stück fort- getrieben. Ausser dem lebenden Vieh kaufen die Chinesen noch Schaf- und Ziegenfelle, Lammfelle, ZiegenhÖrner und Sarlyk- schwänze. Die Preise dieser Produkte lassen sich nicht genau festsetzen. Schafwolle kaufen sie dagegen nicht auf. Mongo- lische Filzdecken hinwieder kaufen sie nur zum Wiederverkaufe von den Mongolen, dieselben werden nicht nach China ausge- führt. Die Bereitung der Filze ist der bedeutendste Industrie- zweig der Mongolen. Zu den Filzdecken wird die schlechtere Wolle verwendet. Man legt sie in einer dichten Schicht auf etwa 2 Arschin breite Lappen oder Filzdecken, feuchtet die aufge- legte Wolle stark an und windet die Schicht um einen dicken Stock; an beiden Enden des Stockes werden lange Stricke angebunden und an den beiden Sattelseiten eines gesattelten Pferdes befestigt. Dies Pferd besteigt ein Reiter und reitet — 266 — so lange hin und her, his man glaubt, die Wolle ordnen zu müssen. Ist dieselbe ^icht an einem Tage verfilzt, so wird die Proeedur am zweiten Tage wiederholt. Der so gefertigte Filz wird zum Trocknen ausgelegt. Er ist bedeutend schlechter als der kirgisische. Ausser der Viehzucht beschäftigen sich die Mongolen noch sehr fleissig mit der Jagd. Von . den erbeuteten FeUen kaufen die Chinesen Zobel-, Fuchs-, Wolfs- und Eehfelle und führen diese nach China aus. Die Murmelthierfelle kaufen sie nur zum Wiederverkauf an die Mongolen, die sie wieder an russische Händler verkaufen. Die einzige Waare, die die Chinesen bei den Bussen kaufen und nach China ausführen, sind junge Maralhömer, die im Altai gewonnen werden. Diese Hörner sind nur dann hoch im Preise, wenn sie im Frühjahre abgeschnitten werden, wo die Enden der- selben noch rund und behaart und die Homer selbst noch mit Blut gefüllt sind. Die Chinesen sollen aus diesen Hörnern eine sehr kostbare Medizin gewinnen. Die frisch abgeschnittenen Homer werden in Salz abgekocht und getrocknet; sind sie gut erhalten und ohne jeglichen Bruch, so werden sie von den Chi- nesen mit hohen Preisen bezahlt. In meinem Beisein kaufte ein Kaufmann ein Paar Maralhörner für 100 Rubel Silber. Nach Angabe Potanin's müssen die Homer bis zum December in Kuigatschin eintreffen, also im September aus Ulassutai ab- gefertigt werden, sonst sinken sie im Preise. Der Preis der von zahmen Maralen abgeschnittenen Homer ist geringer als der von wilden. Die Chinesen erkennen sie natürlich an den Schä- delstücken, die bei den auf der Jagd erbeuteten Maralen zu- gleich mit den Hörnern abgeschnitten werden. Die russischen Bauern an der Buchtarma und am Uimon halten jetzt zahme Marale, denen sie im Frühlinge die frischen Homer abschneiden. Es wird im Laufe des Jahres eine ganz bedeutende Anzahl von Hörnern ausgeführt, ich selbst sah bei einzelnen russischen Kaufleuten bis 100 Paar, die einen Gesammtwerth von über 3000 Rubel ausmachten. Aus allen hier angeführten Angaben ist deuthch zu er- sehen, dass der Handel der 'Chinesen in der Mongolei eine be- deutende Umsatzziffer repräsentiren muss. Dabei ist zu bedenken, dass der Kreis von Kobdo sich mit dem von Ulassutai an Reich- thum und Produktion nicht messen kann. Hierzu kommen noch — 267 — die zahlreichen Sojonen, Türböten, Kirgisen und die Bewohner des Kreises von Buluntogoi, die jetzt alle dem russischen Handel vollkommen geöffnet sind. Unwillkürlich drängt sich uns nun die Frage auf, welche RoDe kann der russische Handel in der Mongolei einnehmen? Ist es für denselben vortheilhafter, in direkte Beziehungen zu dien Chinesen zu treten oder ist für uns der Handel mit den Mongolen Wünschenswerther, und zuletzt: welche Vortheile kann Hussland aus diesem Handel ziehen? Dass in der westlichen Mongolei ein Bedürfniss nach russi- schen Waaren vorhanden ist, das beweist schon ganz allein die hohe Stufe der Entwickelung, die der Handel an der Tschuja trotz aller Hindemisse der Grenzsperre erreicht hat und davon kann sich jeder die Mongolei Bereisende in den ersten Tagen seines Aufenthaltes überzeugen. In jeder Station hört man die stehende Frage : „Habt Ihr Waaren? und wann kommen, die Kauf- leute?" Von allen Seiten bringt man sogleich nach unserer An- kunft Schaffelle, Lammfelle, Riemen, Stricke, MurmekhierfeUe und versucht zu feilschen, so dass der nicht als Kaufmann Rei- sende sich nur mit Mühe der Kauflustigen erwehren kann. Der weite Weg, den alle chinesischen Waaren geführt wer- den müssen, ehe sie in die westHche Mongolei gelangen, erklärt vollkommen den hohen Preis derselben und giebt uns die feste Zuversicht, dass die Chinesen nicht im Stande sind, hier mit den russischen Kaufleuten zu konkurirren, ausgenommen im Thee- handel. Daher würde das erste Bemühen unserer Kaufleute sein, ihre Waaren zu einem so billig wie möglichen Preise zu verkaufen, um dadurch die chinesische Einfuhr unmögHch zu machen. Der Begehr nach russischem Juchtenleder ist so be- deutend, dass die chinesischen Kaufleute schon im Jahre 1877 zum Piquet Sök gingen, um russisches Juchtenleder in grösseren Massen zu kaufen. Wenn in Westsibirien mehr Gerbereien und Lederfabriken eingerichtet würden und ausserdem die Bearbei- tung rationeller betrieben würde, so wäre es, wie mich die Kauf- leute versicherten, leicht möglich, den Absatz von Leder in der Mongolei um das Zehnfache zu vergrössern. Es wäre aber, wie gesagt, im Interesse der Russen, den Preis herabzusetzen, um jede Vermittelung der Chinesen zurückzudrängen. Dabei macht Herr Potanin noch auf den Umstand aufmerksam, dass ein grosser Theil Mongolenstiefel aus Kuigatschin in die westliche Mongo- l — 268 — lei eingeführt wird, die aus russischem Juchtenleder gefertigt sind. Dieses Leder wird aus Kjachta nach Kuigatschin aus- geführt und dort verarbeitet. Wenn die russischen Händler Stiefel nach mongolischem Muster in Sibirien nähen Hessen, so könnten sie dieselben um den halben Preis liefern, den die Chinesen für diese Stiefel nehmen. Ebenso wichtig wäre es, lederne Tabaksbeutel nach mongolischem Muster nähen zu lassen, dieselben würden hier einen riesigen Absatz finden. Russische Gewebe finden im Allgemeinen schwerer in der Mongolei ihren Absatz als die chinesischen, da die chinesischen Gewebe im grossen Ganzen, wie ich schon oben erwähnt habe, dauerhafter und fester sind und daher von den Mongolen trotz ihrer hohen Preise den russischen vorgezogen werden. Am meisten kaufen die Chinesen Manchester und Halbsammet, da die Mongolen diese Zeuge zum Besatz von Pelzen, zu Hosen, zum Zopfschmuck und zum Besatz von Mützen anwenden. Von baumwollenen Zeugen kaufen die Mongolen dunkelblaue Daba, den Nankin von verschiedenen Farben: gelb, roth, hellgrün, braun und hellblau. Wenn die russischen Fabriken nicht so weit entfernt wären und sich bemühen würden, in ihren Fabrika- ten mehr das Bedürfniss der Asiaten zu berücksichtigen und hier festere Waaren zu liefern, so würden viel mehr baumwollene TextilstofFe in die Mongolei ausgeführt werden können. Wünschens- werth wäre es, die Baumwollengewinnung Turkistans zur Ver- fertigung von Waaren auszunutzen, die für die Asiaten be- stimmt sind. Am Vortheilhaftesten würde es sein, eigene Fabriken zur Herstellung der für die Asiaten nöthigen groben Waaren anzulegen. Doch dies sind fromme Wünsche, deren Erfüllung gewiss in weiter Ferne liegt. Russische Tuche werden jetzt in der Mongolei schon in be- deutenden Quantitäten verkauft, und die Nachfrage nach diesen Tuchen ist stets im Zunehmen begriffen. Es wäre jedoch wünschens- werth, dass auch das Tuch bedeutend im Preise herabgesetzt würde; so dass die Chinesen es auch für die östliche Mongolei aufkauften. Besonders wird hier viel Tuch von grellen Farben gekauft, rothes und gelbes, welches von den Lama sehr gesucht wird, die fast die Hälfte der ganzen mongolischen Bevölkerung ausmachen. Es werden aber hier nur die ordinärsten Sorten von Tuchen gekauft, theueres Tuch findet nirgends in der Mon- golei Absatz. Andere Wollenstoffe, wie : Satin, Pambuk u. a. m. — 269 — werden nur in geringer Menge und zwar von den Stadtbewohnern Kobdos gekauft. Sehr gesucht sind in der Mongolei die so- genannten Tjumenschen Teppiche. Nach Potanins Angaben wer- den diese in Sibirien für 80 Kop. bis l^/g Eubel gekauft und hier für 3 — 7 Rubel verkauft. Ich habe schon vorher bemerkt, dass sich überall in der Mongolei der Mangel an Eisen- und Messingwaaren bemerklich macht. Das schwere Gewicht dieser Waaren macht es begreiflich, dass dieselben nach dem weiten Karawanentransporte aus Kuiga- tschin bis Ulassutai und Kobdo in der westlichen Mongolei zu einem enormen Preise verkauft werden müssen. Daher werden stets die Metallwaaren, die unsere Kaufleute einführen, in kürzester Zeit ausverkauft, obgleich für sie enorme Preise gefordert wer- den. Den Eisen- und Messingwaaren müssten die russischen Kaufleute ihre ganz besondere Aufmerksamkeit zuwenden. In der Nähe der Mongolei im Altai kann ohne jegliche Mühe die nöthige Menge Eisen und Messing gewonnen werden, um alle den Mongolen nöthigen Metallwaaren zu beschaffen, ja sogar, um noch einen Theil des nördlichen China mit dergleichen Waa- ren zu versehen. Es ist vollkommen unverständlich, weshalb bis jetzt alle für die Steppe nöthigen Metallwaaren aus dem Ural über Irbit eingeführt wurden, da der Transport zu Wagen auf mehr als 2000 Werst unbedingt den Preis der Metallwaaren auf das Doppelte erhöht. Für ein Pud Eisen zahlte man im Jahre 1870 3 Rubel Silber. Die Schmiede nehmen für die Arbeit per Pud 50 Kop. bis 1 Rubel, so dass Dreifüsse und andere Eisenwaaren auf 4 Rubel das Pud zu stehen kommen. Etwas billiger sind die Kessel aus Gusseisen, Beile und Spaten, die direkt aus Irbit eingeführt werden. Wenn wir nun annehmen, dass der Transport bis zur Mongolei l^/^ Rubel Silber das Pud beträgt, so kommt das Pud Eisenwaaren ungeßlhr 6 Rubel zu stehen. Und dieser hohe Preis beträgt nur den dritten Theil des Preises von aus China in die westliche Mongolei eingeführ- ten Eisenwaaren. Ebenso theuer im Preise sind die Messing- waaren, wie: Becken, Theekannen, Samovare u. s. w. Sobald die Russen dergleichen Eisenwaaren zu biUigeren Preisen ver- kaufen als bis jetzt, so machen sie den Chinesen nicht nur jedes Konkurriren unmöglich, sondern zwingen diese, russische Metall- waaren weiter nach Osten hin auszuführen. Es scheint mir daher die wichtigste Aufgabe für die sibirischen Metallfabriken, solche — 270 — Waaren herzustellen, deren die Steppenbewohner der Mongolei bedürfen. Dabei wäre es vor allen Dingen nöthig, den Geräthen diejenigen Formen zu geben, an die die Mongolen gewöhnt sind; besonders bei Messern, Agraffen und überhaupt bei allen Schmuck- und Luxusgegenständen wäre dies von der grössten Wichtigkeit. Es würde aber auch nützhch sein, Kessel, Drei- füsse und Theekannen in chinesischen Formen zu arbeiten. Der- gleichen Waaren fänden bald einen reissenden Absatz. In dieser Beziehung ist aber bis heutigen Tages noch nichts geschehen. Einige russische Metallwaaren haben sich schon in der Mongolei ihr Absatzfeld erobert, unter diese sind vor allem die russischen metallenen Präsentirbretter zu rechnen und feines Eisenblech verschiedener Stärke. In letzter Zeit haben russische Oefen hier Eingang gefunden; darüber belehrt uns Potanin. Er erzählt, dass man in früherer Zeit in Kobdo nur Kohlenbecken und Herde zum Heizen der Häuser gekannt habe. Die russischen Händler hätten bei ihrer Ankunft in Kobdo bei sich eiserne Oe- fen eingeführt und später solche auch den Chinesen verkauft. Jetzt hätten die letzteren aber selber gelernt, eiserne Oefen zu verfertigen, und da auf einen Ofen nur für 3 Unzen (6 Eubel) Eisen gehe, so verkaufen die Chinesen die fertigen Oefen sehr billig. Im Anfange hätten die Kaufleute für die Oefen 15 Unzen Silber (30 Rubel) erhalten und sie später zu 9 Unzen (18 Rubel) verkauft. Jetzt hat ein jeder reiche Chinese in Kobdo einen eisernen Ofen. Aber nicht nur in der Stadt Kobdo hätten diese eisernen Oefen Eingang gefunden, sondern auch in den mon- golischen Klöstern und sogar in manchen Jurten. So soll in dem türbötischen Kloster in Ulankom nicht eine Jurte existiren, aus deren Rauchloche nicht ein eiserner Schornstein hervorsehe. Eine bei den Mongolen sehr gesuchte Waare sind die so- genannten Irbitsche Kästen, d. h. Holzkästen, die mit Blech beschlagen und sauber lackirt sind; von diesen werden nach Pötanins Angabe jährlich 1500 — 2000 nach Kobdo verkauft. Eine sehr bedeutende Nachfrage ist in der Mongolei nach russischen Galanteriewaaren: Perlen, Knöpfen, Spiegeln u. s. w., obgleich alle diese Fabrikate nicht dem G^schmacke der Mon- golen angepasst sind; um wie viel grösser würde der Absatz sein, wenn die Fabrikanten aUe diese Gegenstände nach mon- golischen oder chinesischen Mustern anfertigten? Ausser allen diesen Waaren giebt es noch eine grosse Zahl — 271 — anderer, die hierorts einen ganz bedeutenden Absatz finden; auf alle diese hinzuweisen, ist nicht möglich. Es sei nur z. B. des Zinnobers erwähnt, der in meiner Gegenwart mit 400 Prozent Vortheil verkauft wurde, ausserdem viele Apothekerwaaren und officinelle Kräuter, wie die Karandyswurzel, die in der Kirgisen- steppe gesammelt wird und bei den Chinesen sehr geschätzt ist. Der hohe Preis des Getreides in Kobdo und XJlassutai wird wohl bald die Aufmerksamkeit unserer Kaufleute auf sich ziehen, denn den Chinesen ist es nicht möglich, grössere Mengen ein- zuführen, und die Mongolei erlaubt durchaus nicht eine be- deutendere Ausdehnung des Ackerbaues. Es sind nur einige Oasen, in denen es möglich ist, Getreide anzubauen. Potanin nennt in der westlichen Mongolei 4 Punkte: 1) die Niederungen des Bujantu bei der Stadt Kobdo; 2) beim Kloster Ulankom in der Ebene des^ Üpsa-Sees; 3) in den Niederungen des Flusses Bulgun; 4) in den Niederungen des Flusses Ulas. Hier wird überall Gerste und Weizen gesäet, Hirse nur am Flusse Bulgun. Ausser den vier grösseren Oasen giebt es noch viele kleine Flecken Landes in der westlichen Mongolei, wo man Getreide säen könnte, sie liegen aber alle so hoch, dass hier höchstens Gerste gedeihen kann. Alles hier eingeerntete Getreide reicht bei Weitem nicht für den Bedarf des Landes aus, das beweist schon der Umstand, dass man einen Ersatz in wildwachsenden Pflanzen sucht. Nach Potanin' s Angaben drückt man ein Agrio- phyllum und die Teloxis aristata aus und gewinnt aus ihnen eine Art Mehl. Der Getreidemangel ist so fühlbar, dass die Kirgi- sen Getreide in die Mongolensteppe einführen. Gewöhnlicheres Weizenmehl kostet in Kobdo 3 Rubel, hingegen an der Buch- tarma tind am üimon 30 — 40 Kopeken, es Hesse sich also selbst bei den jetzigen Transportkosten wohl für 2 Rubel in Kobdo liefern. Liessen sich billig grössere Massen Mehl . hier einführen, so würde der Ankauf von Mehl bedeutend zunehmen, da die Mongolen sich mehr und mehr an Speisen aus Mehl ge- wöhnen werden. Ich glaube in diesem kurzen Ueberblicke auf die haupt- sächlichsten Waaren hingewiesen zu haben, welche mit Vortheil in der Mongolei abgesetzt werden können, mit der Zeit werden sich noch viele 'andere Gegenstände finden, die es sich lohnen wird, in die Mongolei auszuführen. Der westliche Theil der Mongolei ist vollkommen als russifiches Handelsgebiet anzusehen^ — 272 — sobald hier regelrechte Handelsbeziehungen herrschen und nicht eine Ausbeutung durch einzelne Spekulanten. Was kann aber Russland oder Sibirien aus der Mongolei für die dorthin ein- geführten Waaren erhalten? Natürlich wird stets das Haupt- object der Ausfuhr dasselbe sein, was auch die Chinesen aus- führen, d. h. Vieh: Hammel, Rinder, Sarlyke und Pferde, dann aber auch Felle dieser Vieharten, Kameelhaar, Pferdehaar, Wolle, Rind- und Schaffett, alles Dinge, die die Chinesen gar nicht aufkaufen. Noch ein Ausfuhrartikel wird gewiss, wie mich Herr Kalning versichert, von grosser Bedeutung werden; dies ist das Haar des Sarlyk. Das Sommerhaar dieses Thieres ist dem Pferde- haar ähnlich, ja noch besser als dieses, es ist feiner und elasti- scher imd passt daher jedenfalls besser zum Polstern von Möbeln. Der Hauptvortheil aber ist der, dass ein Sarlyk mehr Haar liefert als zehn Pferde, sein Preis wird sich deshalb viel niedriger stellen als Pferdehaar. Das Haar des Sarlyk kann man nach dreierlei Güte sortiren. Erstens das Schwanzhaar, zweitens das Mähnenhaar, drittens das Bauchhaar. Das Winterhaar der Sar- lyke, wenigstens dasjenige, welches die Mongolen von jungen Thieren sammeln, ist so fein und wollig, dass es kaum der Wolle quarta der Merinoschafe nachsteht und gewiss für ziem- lich feine Gewebe tauglich ist. Dann aber verfilzt es sich äusserst leicht, man kann deshalb annehmen, dass sich aus diesem Haar ein ziemlich feines Tuch verfertigen lässt. Es ist schon von anderen Seiten auf die Wichtigkeit des Sarlykhaares hingewiesen worden. (Vgl. ,,Ueber die Acclimatisation des tibe- tanischen Ochsen. Das Ausland. 1870. Nr. 9.") Nicht weniger vortheilhaft ist die Ausfuhr von Thierfellen: Zobel-, Fuchs-, Wolfs-, Murmelthierfelle u. s. w. Dazu kommen noch die Moschusbeutel, die jetzt schon in bedeutender Zahl an den sojonischen Bergen aufgekauft werden. Alle diese Waaren müssen die Russen direkt von den Mongolen und Sojonen ein- handeln und durch die Billigkeit ihrer Artikel jede Vermittelimg der chinesischen Kaufleute unmöglich machen. Unter solchen Umständen denke ich mir die zukünftige Thätigkeit des russischen Handels in der Mongolei in folgender Weise: 1) In der Nähe der chinesischen Grenze und bei den mongolischen Grenzpiquets wird der Handel hauptsächlich in Händen der russischen Kleinhändler sein und zwar werden sich am besten bestimmte Jahrmärkte bilden, wo die russischen Klein- — 273 — Händler und die Eingeborenen des Altai ihre Produkte gegen mongolische Waaren umtauschen können. Dieser Handel be- isteht schon seit langer Zeit an der Tschuja, am Kara Köl und a.m Bchabin Dabaga. Es ist aber durch das voreilige Zerstö- ren der Jahrmärkte den Kleinhändlern fast unmöglich gemacht, «n diesem Handel theilzunehmen. 2) Die bedeutenderen Kauf- leute werden Niederlagen und Magazine in den Städten Kobdo, ülassutai und Buluntogoi einrichten und von hier aus ihre Waaren in die mongolischen Koschune ausführen. 3) Russische Gross- händler werden mit den chinesischen Handelsgesellschaften in Verbindung treten und durch sie russische Waaren in die fer- neren Gegenden der Mongolei und vielleicht auch nach Nord- china ausführen lassen. Dabei wäre es aber unbedingt wün- schenswerth, dass bei der weiten Entfernung der Mongolei von den Städten Sibiriens in den mongolischen Städten russische Consule eingesetzt würden, einerseits zxim Schutze der russi- schen ünterthanen, andererseits aber auch, um Üebergriffe der Kaufleute zu verhindern. Die Einrichtung von Faktoreien, wie diese früher in Kuldsha und Tschugutschak errichtet waren, scheinen mir nicht im Inter- esse des russischen Handels zu liegen. Ich habe mich selbst da- von überzeugt, dass die russischen Händler sich beim Handeln in den Faktoreien unnütz eingeengt fühlten und es vielfach voi^ zogen, heimlich in Kuldsha als Taschkender zu leben. Es wäre aber wohl möglich, auch bei den Consulaten der Mongolei Nie- derlagen und Läden zu erbauen, man müsste es aber den Kauf- leuten freistellen, überall da zu handeln, wo es ihnen selbst besser erscheint. Jede künstliche Beschränkung der Handels- freiheit wirkt schädlich auf den Handel ein. In dem Tractate zwischen Eussland und China vom Jahre 1869 sind zwei Punkte, die gewiss die Fortentwickelung des Handels nachtheilig beeinflussen; dies ist erstens die Bestim- mung, dass die russischen Kaufleute Pässe in russischer, mon- golischer und chinesischer Sprache erhalten, in denen die Zahl der die Karawane begleitenden Leute, Pferde, Ochsen und Ka- meele und sogar die Waarenballen angegeben werden müssen, die über die chinesische Grenze gehen. Auf dem Wege durch den Altai befördert der Händler aus Biisk seine Waaren zuerst auf Wagen, aber vom Dorfe Schabalina bis zum kleinen Ülgemen auf Karren, von hier bis Radioff, Aus Sibirien. 11. 13 — 274 — zur Tschuja auf Lastpferden, aber von der Tschuja auf Ka- meelen. Auf dieser ganzen Strecke treibt der Kaufmann Han- del mit den Eingeborenen, wie kann daher der Biisker Kauf- mann genau bestimmen, mit welcher Quantität in Waarenballen und Lastthieren er über die Grenze gehen wird? Die chinesischen Beamten haben aber unbedingt den Befehl ihrer Regierung in HAnden, nicht von den Buchstaben des Tractates abzuweichen. Da diese Bestimmung aber vollkommen unnütz ist, so wäre es die Pflicht der Regierung, eine derartige Abänderung des Tracta- tes zu veranlassen. An einer anderen Stelle desselben heisst es femer, das» die chinesischen Kaufleute in Russland nur mit chinesischen, die russischen Kaufleute in China nur mit russischen Waaren handeln dürfen, und dass es den Ausländern nicht erlaubt ist, die Produkte des Landes wieder zu verkaufen. Eine solche Be- stimmung darf nicht in so allgemeinen Ausdrücken abgefasst sein. In Russland selbst ist dieselbe vielleicht durchführbar, da hier überall das vermittelnde Handelsobject, d. h. Geld, in genügender Masse vorhanden ist. Die Bestimmung ist aber auch hier vollkommen zwecklos, da die russische Regierung dem chi- nesischen Kaufmanne in keiner Weise verbieten kann, unter einer russischen Firma zu handeln, was, wie man mich ver- -sichert, ziemhch häufig im Sabaikalschen Kreise geschehen soll. Im Steppenhandel der westlichen Mongolei ist aber eine solche Bestimmung unausführbar. Hier existirt keinerlei Geld, denn das Silber ist ja hier selbst nur Waare. In den Städten sogar gelten Theesteine und baumwollene Gürtel als Geld; hier muss der Händler in den Aulen jede Waare annehmen, die man ihm bietet, indem er darauf rechnet, die für ihn unnützen Waaren wiederum gegen ihm nützliche umzusetzen. Nehmen wir z. B. an, ein Mongole will eine kupferne Thee- kanne kaufen, so bietet er dem russischen Kaufmann alles Das- jenige an, was er in diesem Augenblick weniger nothwendig hat als die Theekanne, z, B. einige Murmelthierfelle. Da aber diese nicht hinreichen, so fügt er einen Theestein und zwei Pfund chinesischen Tabaks hinzu und zuletzt noch ein Stück chinesischer Daba. Wollte der Kaufmann diese Waaren nicht annehmen, so kann er seine Theekanne nicht verkaufen, er nimmt sie aber an, da er für den Tabak und die Daba im nächsten Aule gewiss Abnehmer findet. Wird nun am Tractat — 275 — buchstäblich festgehalten, so müssen die chinesischen Waaren des Kaufmanns confiscirt werden, sobald er sie einem Mongolen zum Verkaufe anbietet. Diese Tractatsbestimmung muss also entweder aufgehoben oder anders redigirt werden. Ebenso nothwendig ist die Aufhebung des Ausfuhrverbots von Pulver und Schiessgewehren, die für die russischen Kauf- leute äusserst vortheilhaft sein würde. Die Mongolen sind eifrige Jäger und haben sich schon allgemein an Schiesswaffen gewöhnt. Dabei haben sie keine Möglichkeit, Gewehre und Pulver von anderer Seite als von den Russen zu erhalten. Weil aber die Produkte ihrer Jagd einer der wichtigsten Handelsartikel zur Ausfuhr nach Russland sind, so ist es gar nicht einzusehen, weshalb die Ausfuhr von Pulver und Schiessgewehren verboten ist. Sicherlich hat das russische Reich nichts zu fürchten, wenn einige Tausend Gewehre und ein paar hundert Pud Pulver in der Mongolensteppe verkauft werden. Das Verbot veranlasst unsere Händler zum heimlichen Verkaufe der verbotenen Gegen- stände. Verkauf von Schiessgewehren und Pulver hat immer stattgefunden und wird immer stattfinden. In jeder mongo- lischen Jurte habe ich russische Gewehre gesehen. Das Ver- bot wirkt aber insofern schädlich, als es die Waare vertheuert und die Grenzbewohner zum Schmuggeln veranlasst, wenn man den heimlichen Handel an einer Grenze, die durch keine Zoll- linie besetzt ist, Schmuggel nennen kann. Meiner Ansicht nach müsste die Regierung an der Grenze eine Pulvemiederlage ein- richten und den Kaufleuten das gewünschte Pulverquantum ab- lassen, sobald sie die Grenzlinie überschreiten. Solche Pulver- niederlagen wären ebenso für die Kalmücken, die sich auch mit der Jagd beschäftigen, von der grössten Wichtigkeit. . Nachdem ich alle diejenigen Nachrichten zusammengestellt habe, die mir in Kobdo über die Handelsverhältnisse der Mon- golei mitgetheilt wurden, will ich den Leser mit den Wegen bekannt machen, die aus dem russischen Gebiete führen. Ich beginne mit demjenigen Wege, den Herr Prinz als den be- quemsten für den künftigen chinesischen Handel vorschlägt. Er führt von der Stadt Biisk über das Dorf Altaiskoje, die Sarassinskaja Uprawa, die Dörfer Tschergi und Schebalina bis zu den Quellen des Sebe-Flusses ; von dort bei dem Kengi-See vorbei zum mittleren Urussul, über die Mission am Angodai und di& Mündung des Ülgemen (kalm. Üelögön) bis zum Passe 18* — 276 — am grossen Ülgemen, von hier aus abwärts an diesem Flusse bis zur Katunja-Fähre (Kurketschü). Von dort erhebt sieh der Weg am Flusse Saldshar aufwärts, passirt den Bergrücken beim Kara-ssu, folgt diesem Flusse bis zur Mündung des In, von dem er bis zur Tschuja-Mündung am rechten Ufer der Katunja entlang führt. An der Tschuja geht nun der Weg am rechten Ufer aufwärts bis zum Kosho-agatsch, wo die Niederlagen der russischen Kaufleute sich befinden. Noir an zwei Stellen beim Flusse Schibit und beim Herabsteigen in die Kurai-Steppe ver- lässt der Weg die Tschuja, um deren Windungen zu vermeiden. Von Saldshar aus führt ein weiter Weg mehr östlich am Schnee- kamme bei den Quellen der Flüsse In, Jailagusch und Aigulak entlang und steigt am letzteren selbst bis zu der Mündung dieses Flusses abwärts, wo er auf den vorhergenannten Weg trifft. Den ersten Weg gehen die Kaufleute im Winter und bei Regenwetter im Sommer; ist im Öofe^mer trockenes Wetter, so ziehen sie den zweiten Weg vor. Beide Wege bieten eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, besonders für den mit Waaren reisenden Kaufmann. Die Waaren müssen, wie ich schon vor- her erwähnt, auf verschiedene Weise transportirt werden. Zu- erst zu Wagen , dann auf Karren oder Schleifen und zuletzt auf Lastpferden. Um das Umpacken zu vermeiden, ziehen die Kaufleute vot, schon in Schebahna die Waaren auf Pferde zu laden. Besonders schwierig sind folgende Stellen zu passiren: die Quelle des Flusses Sehe, wo ein riesiger Steinsumpf ist, der bei schlechtem Wetter sogar gefährlich zu passiren ist; der Uebergang vom kleinen Ülgemen zum grossen; der Böm oder steile Felsabhang am Unken Ufer der Katunja, etwa vier Werst hinter der Kurketschü; der äusserst steile Auf- und Abritt bei den Quellen des Saldshar; der Felsabhang Bitschik Böm am rechten Ufer der Katunja zwischen dem In und der Tschuja- Mündung; dann acht grosse Bergabhänge (böm), die am rech- ten Ufer der Tschuja zwischen Katunja und Aigulak liegen. Einige von diesen Bergabhängen sind für Fussgänger wie Reiter, besonders bei schlechtem Wetter, lebensgeföhrKch zu passiren, so der Sekirtpek, Sadakmanardyng ak Bömy und der Ak-tarylgan. Ebenso beschwerlich und bei schlechtem Wetter vollkommen un- passirbar ist der Abritt am Aigulak. Im Winter ist der Weg viel leichter zu passiren, da dann die Katunja und Tschuja zu- frieren und die Waaren auf den Flüssen transportirt werden, — 277 — so dass man den Saldshar-Pass und die schweren Tschuja-Böme ganz vermeidet. Hier einen Fahrweg durch den Altai zu legen ist, wenn auch nicht unmöglich, dennoch mit so riesigen Kosten verknüpft, dass wohl weder die Regierung noch irgend eine Gesellschaft von Kaufleuten daran denken kann, diese Gredanken des Herrn Prinz auszuführen. Wenn auch die Kaufleute an der Katunja Herrn Prinz versicherten, dass sie hereit seien, ^en Weg aus- zubessern und einen Fahrweg herzustellen, so ist dies nur ein Versprechen gewesen, das die Betreffenden dem damals an der Tsehuja anwesenden Gouverneur machten. Obgleich schon fünf Jahre vergangen waren, als ich zum dritten Male den Tschuja- weg passirte, so waren auf diesem Wege kaum irgend welche Veränderungen zu bemerken. Nur ein grösseres Boot war an der Kurketschü angeschafft, in welchem man die Waaren über die Katunja führt. Die Reisenden benutzen aber immer das frühere kleine Boot. Ausserdem waren an zwei oder drei der gefährlichsten Böme bei den schlimmsten Stellen Balken zwischen die Felszacken geklemmt und mit kleinen Steinen ausgefüllt, auf denen die Passage manchmal gefährlicher war als nebenher auf dem früheren Wege. Diesen Weg irgendwie zu verbessern, verursacht schon so hohe Kosten, dass keiner der Kaufleute sie auf sich nehmen wird, besonders da die Biisker Kaufleute alle im Altai handeln und dort Niederlagen und Pferdeheerden umsonst unterhalten, so dass sie der Transport eigentlich nicht» kostet und es ihnen höchst gleichgültig ist, ob man hier Weg- verbesserungen vornimmt oder nicht. Der Weg vom Dorfe Altaisk bis zum Urussul, dessen Uebergang am Saldshar und der Abritt am Aigulak suid nur durch eine Chaussee zu verbessern, da hier überall ein so weicher, oft sumpfiger Boden ist, das» jede andere Wegverbesserung vom ersten Regen zum Theil fort- gewaschen wird, und der verbesserte Weg schwerer zu passiren sein würde als der natürliche Reitweg, der sich, die Schwierig- keiten möglichst vermeidend, dahinschlängelt. lieber die Tsehuja endlich müssten wenigstens an vier Stellen grosse Brücken ge- baut werden. Ich bezweifle, dass, wie Herr Prinz meint, auf diese Weise sich am Leichtesten der Grund zu festen Ansied- lungen und einem mehr geordneten gesellschaftlichen Ijeben unter den noAadisirenden Kalmücken gewinnen liesse, denn die Unterhaltung des Weges müsste unbedingt, zum Theil auf die — 278 — altajischen Kalmücken fallen und sie vollkommen zu Grunde richten, während es die Pflicht der Kegierung ist, diese Nätur- kinder vor Unbill zu schützen. Die Eingeborenen der Saras- sinskaja Uprawa und die russischen Bauern von Schebalina erkundigten sich ängstlich nach der Ausführung der Wegver- besserung und erklärten mir, der grösste Theil würde augen- blicklich aus dieser Gegend fortziehen, sobald hier ein grösserer Weg angelegt würde, denn die Unterhaltimg des Weges müsse sie vollkommen ruiniren. Andererseits ist es unmöghch, den Weg zu verändern, man könnte nur noch vom grossen Ülgemen sich nach Süden wenden und am Flusse Jelaman und am linken Ufer der Katunja entlang reiten und diesen Fluss bei der Tschuja- Mündung passiren; dieser Weg ist aber nicht weniger schwierig als der vorherbeschriebene, denn es befindet sich auf demselben ein grosser, sehr gefahrlicher Böm, aber der Weg wäre um 15 Werst kürzer als der erstere. Es existirt noch ein zweiter Weg zur Tschuja durch den Altai. Dieser führt von der Uimon-Steppe am linken Ufer der Katunja und dann südlich von der Katunja und Tschuja bis zur Kurai-Steppe ; hier passirt man die Tschuja auf einer Fürth und folgt dann dem gewöhnlichen Tschuja- Wege bis zum Koscha- gatsch. Dieser Weg ist aber in keiner Weise besser als der ge- wöhnliche Tschuja- Weg und dabei noch weiter und geht durch unbewohnte Gegenden. Der Ritt durch die Tschuja und die Abhänge an der Katunja ist äusserst schwierig. An vielen Stellen ist der Boden sumpfig und weich, nicht besser als am Aigulak ; zuletzt ist der Weg zur Uimon-Steppe überall beschwer- lich; der nördliche Weg vom Angodai geht über Schneegebirge, der südliche von der mittleren Buchtarma führt über Schnee- berge und mehrere hohe Pässe; der dritte, von Westen kommende Weg am Flusse Koksu, den ich nicht kenne, wurde mir auch durchaus nicht gelobt. Ein dritter Weg zur chinesischen Grenze über den Altai führt vom Dorfe Maima am rechten Katunja-Ufer über die Flüsse Ishi, Kara-Köptschü, Bija, zur Mission am Kebisen und von dort über den Teletzkischen See zum Tscholyschman. Von hier geht er in einer Fürth über den Tscholyschman, am Karasin aufwärts über die Schneegebirge bis zu den Quellen des Tschül- tschö, dann über den Mön bis zum Kara Köl odöT zum Flusse Alasch zu den Wohnsitzen der Sojonen. Hier geht der Weg — 279 — ztmü Teletzkisclieii See durch dichten Schwarärvrald über Stcmpfe und Waldberge und ist, wenn auch nicht gefährlich, doch sehr beschwerlich. Der Teletzkische See ist nur kurze Zeit schiff- bar und der Weg westlich am See wegen des steilen Abrittes zum Tscholyschman mehr als gefiährKch. Ebenso beschwerlich ist der Aufritt am Kara-ssu, auch hier ist es unmöglich, Wegver- besserungen vorzunehmen. Von der Tschuja-Steppe führt ein Weg zum Tscholyschman über den Baschkaus; diesen Weg bin ich nicht geritten, er ist aber nacji Beschreibung der Reisenden äusserst gefährlich. Von allen diesen Wegen ist also unbedingt der gewöhnliche Weg zur Tschuja vorzuziehen; trotzdem ist derselbe, wie ich schon oben auseinandergesetzt, nur für kleinere Handelsleute und be- sonders für solche geeignet, die im Altai selbst Handel treiben, wie dies alle Biisker und einzelne Bamauler Kaufleute thun. Für siie haben alle Wegschwierigkeiten nichts zu sagen und es ist, so lange kein anderer Weg zur Tschuja-Steppe benutzt wird, der Handel in der Mongolei ein Monopol für diese Altai- Händler. Hier kann Niemand mit ihnen konkurriren, da für jeden russischen Kaufmann, der nicht im Altai handelt und dort Vieh hält, die Transportkosten gewiss über 50 Prozent des Werthes der Waaren betragen, während für die Altai-Händler diese Ausgabe ganz fortfällt. Zum Glück existirt ein Weg, auf dem alle die Schwierig- keiten vermieden werden können, die der Altai in so reichem Maasse darbietet. Dies ist der Weg über die Buchtarma, auf welchem der Consul Pawlinoff im Jahre 1870 sich mit einer Karawane nach Kobdo begeben hat. Dieser Weg führt über die Festung Buchtarma, über den Fluss Tschaldygatai, über das frühere chinesische Piquet Ükök und ülaudaba bis zum Piquet Sök. Der Consul Pawlinoff und der ihn begleitende Topograph Matuschewski lobten diesen Weg sehr. Er ist meist eben und ohne besonders steile Bergpässe; der Grund ist überall fest und steinig. Nach Angabe der obengenannten Herren ist es nicht sehr schwierig, hier einen Fahrweg herzustellen. Für Karawanen mit Kameelen bedarf der Weg keinerlei Verbesserungen. Nach Mittheilung des Herrn Matuschewski bedürfen folgende Punkte bedeutender Ausbesserungen, wenn man den Weg für Wagen herrichten will: 1. Von der Station üryl bis Tabatow muss bei einem — 280 — hohen Bergpasse die Strasse durch Steinbrüche geebnet ui^d müssen grosse Felsblöcke fortgeschafft werden. 2. Es sind Brücken über die Buchtarma und den Tschaldy- gatai zu errichten. 3. Auf dem Wege vom Tschaldygatai bis Ükäk müssen auf einer Länge von 8 Werst mehrere Bergabhänge gesprengt, Fels- stücke fortgeschafft und ausserdem der Weg durch eine Sumpf- stelle chaussirt werden. Bei diesen im Ganzen unbedeutenden Verbesserungen wird es nicht schwer sein, hier einen Fahrweg anzulegen; aber auch diese Wegverbesserungen sind unnütz, bis der Handel hier nicht um ein Bedeutendes zugenommen hat. Fürs Erste ist ein guter Karawanenweg schon vollkommen hinreichend, besonders da die Festung Buchtarminsk am Irtisch liegt und bis zu ihr ein Transport zu Wasser mögUch ist. Was den Weg zwischen Kobdo und Sok betrifft, so genügt es, auf die eine Thatsache hinzuweisen, dass der Amban von Kobdo den Stationsweg ohne jede Schwierigkeit in einem chinesischen Wagen zurücklegt. Der Weg von der Festung Buchtarminsk bis zum Flecken Buluntogoi ist noch vortheilhafter, hier kann man die Waaren zu Wasser transportiren und zwar bis zu einer Stelle, die nur 100 — 150 Werst von Buluntogoi entfernt ist und deren Passi- rung gar keine Schwierigkeiten mit sich führt. Die Chinesen wiesen mich auf Buluntogoi als den aUerpassendsten Ort für den russischen Handel hin, und er ist in der That von grösster Wichtigkeit, nachdem es den Chinesen gelungen ist, den Öst- lichen Theil der Hiprovinz wieder zu erobern. Ueber die Wege aus dem Gouvernement von Jenisseisk zu der Stadt Ulassutai vermag ich keine genauen Angaben zu machen. Wie mir Minussinskische Tataren erzählten, sind die Wege über den Schabin Dabaga und am oberen Jenissei sehr schwierig und für grössere Karawanen ganz untauglich. Somit sind folgende Verbindungsstrassen zwischen dem russischen Ge- biete und der westlichen Mongolei zu erwähnen. Der grosse Handelsweg geht von der Stadt Semipalatinsk am Irtisch aus. Von dort werden die Waaren auf Barken von kleinen Dampfschiffen bis zur Festung Buchtarminsk transpor- tirt. Von hier geht ein Theü der Waaren nach Sök, ein Theü nach Buluntogoi. Vom Piquete Sök führen zwei Wege in die westliche Mongolei, der erste auf dem Stationswege bis Kobdo, — 281 — etwa 240 Werst, die in 8 bis 9 Tagen bequem zurückgelegt werden können; der zweite über das Grenzpiquet Jüstyt direkt bis Ulassutai (vom Sok bis zum Piquet Jüstyt sind auf Ka- meelen 2 Tage Weges und von dort direkt nacb Ulassutai nur 14 Tage Weges). Der Weg von Jystüt nacb Ulassutai ist viel kürzer als der Stationsweg über Kobdo nach Ulassutai, der 23 Tagereisen lang sein soll. Für kleine Handelsleute des Tomskiscben und Jenisseis- kischen Gouvernements, für die in den altajiscben Bergen Vieh- zucht treibenden Kaufleute, wie überhaupt für alle Eingeborenen, die Rjissland unterworfen sind und in der Nähe der chinesischen Grenze im Altai imd im Sojonischen Gebirge wohnen, existiren die altajischen Wege über die Tschuja, den Uimon, den Te- letzkischen See, den Baschkaus und den Tscholyschman, wie auch die Wege durch das Sojonische Gebirge, am Abakan über den Schabin Dabaga und über den oberen Jenissei. Dieses Memoire über den Handel mit der westlichen Mon- golei habe ich gleich nach meiner Rückkunft aus Kobdo ver- fasst. Dass meine Auffassung des mongolischen Handels rich- tiger war als die des Herrn Prinz, beweist uns der 1881 ver- öffentlichte Bericht Potanin^s, der sieben Jahre nach mir die Mongolei bereiste. Sein Bericht über den Handel von Kobdo beweist uns, dass er sich seit dem Jahre 1870 wenig verändert hat. Um mein Bild über den Handel der Mongolei zu vervoll- ständigen, will ich hier Einiges aus dem Berichte Potanin*s mit- theilen. Es giebt jetzt vier russische Läden, die das ganze Jahr hindurch in Kobdo geöfihet sind, drei gehören Kaufleuten aus Biisk und einer einem Kaufmanne aus Bamaul. Im Sommer ist die Zahl der russischen Läden grösser. Die neuen Waarentrans- porte langen in Kobdo im April an und dann kommen auch die Kaufleute selbst dorthin, während im Winter nur Commis den Geschäften vorstehen. Im Oktober kehren die Kaufleute nach Sibirien zurück und dann hört für den ganzen Winter die Ver- bindung zwischen Kobdo und Sibirien auf. Die russischen Läden sind in chinesischen Häusern der Stadtbewohner eingerichtet. Diese Wohnungen sind sehr klein und für den strengen Winter durchaus ungenügend. Die chinesische Regierung erlaubte aber bis jetzt den russischen Kaufleuten nicht, sich eigene Häuser — 282 — zu bauen. Im Winter handeln die Russen nur in den Läden, die sie in der Stadt Kobdo eröffnet haben; im Sommer werden die Waaren von Commis in die mongolischen Koschune aus- geführt. Diese wandernden Magazine werden ,,Palatki" (Zelte) oder ,,Stschoty" (Rechnungen) genannt. Man zählt im Ganzen zwanzig solcher Palatki. Einige derselben werden von den Kob- doer Kaufleuten selbst ausgerüstet, andere gehören selbständigen Kleinhändlern an, die die Waaren aus den Kobdoer Läden oder aus Biisk auf Schuld nehmen. Jede Palatka verkauft im Laufe des Sommers etwa für 2000 Rubel Waaren. Eigene Palatki be- standen im Jahre 1875 am Kalgutti eine, am Boroburgasun zwei, am Ülgöi drei, in Jüstyt eine, am Tschagan-gol (Quelle des Kobdo) eine, am Ulankom fünf, am Kemtschik eine. Ausserdem wer- den von Kobdo aus Handelsdiener ausgeschickt: 1) nach Bulgun (Kobdo-Quelle), 2) zur Quelle der Tschingila, 3) in das Thal des Ulas, 4) zum Koschun Dsachatschin am Flusse Tögürük, 5) an den Tsitsik Nor. Der Handel mit den Mongolen findet hauptsächlich in den Koschunen statt, da die Mongolen nicht gern zur Stadt kommen. Jemehr Handelsdiener in die Koschune gesendet werden, desto mehr nimmt der Absatz russischer Waaren zu. Die Ausrüstung der Palatki kommt aber sehr theuer zu stehen. In dem Berichte Potanin's über den Weg nach Kobdo und über die Einfuhr der russischen Waaren wird wenig Neues ge- boten und habe ich das Wichtigste über die Einfuhrartikel schon meinem Berichte an einigen Stellen einverleibt. Neues wird uns bei der Besprechung der Ausfuhr aus der Mongolei geboten. In Betreff der Murmelthierfelle giebt Herr Potanin die Ziffer der jährlich aus Kobdo-Ulassutai ausgeführten Felle auf 500 000 an. In der letzten Zeit soll die Nachfrage nach Murmelthier- feUen in Irbit bedeutend abgenommen haben. Rohe Häute werden verhältnissmässig wenig ausgeführt, da die Mongolen die Häute schlecht abziehen. Man zahlt jetzt für eine Rindshaut 1 Rubel 50 Kop. bis 2 Rubel (früher 30 bis 50 Kop.). Da diese Felle wieder für die Mongolei gegerbt werden, so wird der Werth durch den Transport sehr erhöht. Herr Potanin giebt den Preis des Transportes bis Biisk auf 2 Rubel und den Rücktransport auf 1 Rubel, das Grerben aber auf 1 Rubel an, was viel zu hoch gegriffen ist. Unter solchen Umständen, meint Herr Potanin, kann die Ausfuhr nur zunehmen, — 283 — wenn ein Fahrweg über die Tschnja eingerichtet sein wird (vergl. meine Ansicht über diesen Fahrweg). Die Wolle-Ausfuhr hatte bedeutend zugenommen. Ein Biisker Kauteann hat im ersten Jahre 100 Pud, im zweiten Jahre 300 Pud und im dritten Jahre 1500 Pud aufgekauft. Schafwolle wird in der Mongolei 100 Pfund für 1 Rubel 50 Kop. bis 2 Rubel bezahlt, in Irbit für 7 Rubel verkauft. Kameel- haare für 2 Rubel 50 Kop. aufgekauft und für 6 Rubel in Irbit verkauft. Jetzt wird keine Wolle ausgeführt, da sie nicht gewaschen und daher verfettet ist, so dass man sie in Irbit nicht annehmen wollte. Es müsstenan der Tschuja oder im Altai Wollwäschen eingerichtet werden. Das bei den Mongolen eingetauschte Rindvieh wird über die Mongolei nach Irkutsk getrieben, die Schafe aber bis zur chinesischen Stadt Gutschen. Nach Irkutsk treibt man nicht nur die in der Mongolei, sondern auch die im Altai aufgekauften Rinder. Der Weg, auf dem die Rinder durch die Mongolei getrieben werden, ist folgender: von Kosch-agatsch an die Tschuja nach Ulankom, von dort nach dem Kloster des Bischirilti-Wan am Tes und zion Karaul Beltis. Von dort geht er über den Fluss Eg nicht weit von Kossogol, dann am linken Ufer des Sees über das russische Dorf Turan in das Thal Tunki und nach Irkutsk. Im Jahre 1877 wurden aus der Mongolei von russi- schen. Kaufleuten nach Irkutsk 5450 Stück Rindvieh ausge- trieben, Hammel und Schafe aber 8800 Stück. Nach Gutschen führten die russischen Kaufieute aus: 80 Pferde, 170 Ochsen und 2600 Schafe. Nach Ansicht Potanin's kann der Handel in der Mongolei nur zur Blüthe gelangen, wenn ein Fahrweg über die Tschuja gelegt wird, und wenn die russischen Kaufleute ihre Handels- verbindung bis Kuigatschin ausdehnen. Ueber das erste Mittel habe ich meine Ansicht schon ausgesprochen, so dass ich hier nicht noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen will. Ueber den letzten Punkt, betreffs dessen ich mir gar kein Urtheil zu bilden erlaube, will ich hier Potanin's Meinung aufführen. Die Anknüpfung einer. direkten Handelsverbindung mit Kui- gatschin ist schon deshalb für die russischen Kaufleute in Kobdo eine Nothwendigkeit, da sie allein im Stande ist, diesen Kauf- leuten ein festes und weites Feld für Importwaaren nach Russ- land zu gewinnen, dessen der Handel der Mongolei jetzt ermangelt. — 284 — Die Kanfleute beklagen sich jetzt liauptsächlicli darüber, dass sie kein festes Ausfuhrobjeet in der Mongolei finden. Vieh wird mit grossem Vortheil von den Mongolen an die chinesischen Kanfleute abgelassen, welche aus jenen Gegenden bis 800000 Schafe forttreiben. Pelzwerk wird wenig gewonnen und auch hierin sind die Chinesen Rivalen der Russen. Die einzige feste Waare sind Murmelthierfelle und diese beginnt jetzt in Russ- land, ihr Absatzfeld zu verlieren. Silber ist im Kreise wenig vorhanden und auch dieses trägt man lieber in die chinesischen Läden als in die russischen. Der Ziegelthee, der hier allgemein als Tauscheinheit existirt, wird in Russland sehr wenig verlangt und hat nur ein kleines Absatzgebiet, den Altai. Vieh kaufen die Russen zwar auf, aber nur einen geringen Theil führen sie nach Lrkutsk aus. Dies beweist genügend nach der Meinung Potanin's, dass die russischen Kaufieute nur indirekt den Handel der Mongolei ausbeuten können, d. h. dass sie russische Waaren für Vieh eintauschen und dieses wiederum nach Kuigatschin treiben müssen, nämlich dass sie dasselbe thun, was jetzt die chinesischen Kaufleute thun. Von Kuigatschin müssten sie dann diejenigen Theesorten ausführen, die in Russland und Sibirien einen guten Absatz finden. Ein solches Handelsunternehmen fordert aber lange Reisen und ist nur bei grossen Kapitalien möglich, die bei den hiesigen russischen Kaufleuten nicht vor- handen sind. In der letzten Zeit sind Versuche in dieser Rich- tung gemacht worden, dies ist die Führung eines Theetrans- portes des Kaufmanns Tokmakoff aus Kaigan über Kobdo nach Biisk. Dieser Versuch ist gelungen, obgleich der Führer der Karawane sich durchaus nicht als umsichtig erwiesen hat und von dem geraden Wege abgekommen war. Dennoch ist der Transport ohne Verlust durchgeführt und der Thee zu ziem- lich hohem Preise in den sibirischen Städten verkauft wor- den. Jetzt haben die Biisker Kaufleute einen andern Versuch gemacht, indem sie in Gemeinschaft eine Karawane mit Maral- hörnern nach Kuigatschin geführt haben. Diese Karawane musste im August 1877 in Kuigatschin eintreffen. Soweit die Ansicht Potanin's. Ich kann mir natürlich kein festes Urtheü über die jetzigen Verhältnisse bilden. Mir will es aber scheinen, als ob diese höchst verwickelte Operation, russische Waaren in der Mongolei zu verkaufen und dann das in der Mongolei aufgekaufte Vieh nach China zu treiben, um — 285 — von dort Thee einzufulireii, durchaus nicht den von Potanin vorausgesetzten Erfolg hahen würde. Die Chinesen werden in den Koschunen jederzeit hilliger und vortheilhafker handeln als die Russen. Der Viehtransport nach China wird den Chinesen stets hilliger zu stehen konmien als den Russen, ebenso wie die Chinesen den Thee hilliger zur russischen Grenze schaffen wer- den, als die russischen Kaufleute es je zu thun vermögen. Viel wichtiger als alle diese Fragen der direkten und indirekten Handelsverhindung scheint mir die Frage über die Erniedrigung des Preises der russischen Waaren und das Entreissen des Handels- monopols aus den Händen der Biisker Händler zu sein. Würde es gelingen, russische Waaren zu einem sehr niedrigen Preise in die Mongolei zu schaffen, so wird sich sehr bald in der Mongolei eine Zone für die russischen und eine andere für die chinesischen Kaufleute bilden, und an den Grenzen dieser Zone würde der Austausch zwischen Russen und Chinesen direkt statt- finden. Ist dann der Preis der Waaren niedrig, so werden die Chinesen sich von selbst bemühen, die nöthigen Theetransporte bis zu der Grenze der Zone zu führen. Ob die russische Handels- zone sich bis Kobdo oder bis Ulassutai ausdehnen wird, ist a priori nicht zu bestimmen, sondern hängt von dem Preise der russischen Waaren ab und wird sich mit der Zeit von selbst flxiren, denn kein Chinese wird die westlichen TheUe der Mon- golei besuchen, wenn er seine Waaren theurer an den russischen Kaufmann verkaufen kann, als in den Koschunen, wo er ausser dem Preise noch den hohen Betrag des Herumführens der Waaren in Betracht ziehen muss. IX. Das Mi-Thal. Reiee von Koksu biB Euldsha im Juli 1863. — Handalsverhältniese zwischen BoBsland and CMna über Semipalatinsk-Kiildsha. — Die Stadt Kuldsha. — Der Zustand des Ili'Thides und seine Bewohner im Jahre IS62. — Aufent- halt im russiscLen Piquet Borochudsir und Ausflug in das Gebiet der 8e- lonen im Jahre 1869. — Geschichte des Anfstandes in den Jahren 1863 bis 186Ö. Auszug ans meinem Beiset^eboche des Sommer« 1862. (Den 23. Juli.) Heute yerli essen vir dit: KoksinskajaStaniza, den der chinesischen Grenze am nächsten lie^nden Punkt der Postßtrasae zwischen Kopal und Wemoje. Das ziemlich umfang- reiche Kosakendorf liegt am Ufer des Koksu, eines Nebenflusses des Karatal, der in den Balkasch fliesst. Im Osten hegen die südlichen Ausläufer des Alatau-Gehirges, das in seinem Hanp^ kämme die Grenze zwischen China und Russland bildet. Unser Weg führt direkt nach Osten in gerader Richtung auf die von Koksinsk aus sichtbaren Schneeberg^e, die mir als Üigön taeeh (Steinhaufen, gewiss wegen der auf dem Passe befindlichen Obö der Kalmücken) bezeichnet wurden. Der Weg geht im AUge- nieineu über die grasbedeckte Hochebene zwischen zahlreichen kirgisischen Aulen hin. Nach etwa 10 Werst steigen wir höher in's Gebirge und übernachten diesseits des Üigön tasch in einer Kirgisen jurte. Hier gelang es mir, einen Kirgisen mit Namen Tutai zu engagiren, der mir schon in Koksu ala Dolmetscher empfohlen war. Er hat lange Zeit in Kuldsha gelebt, spricht nord- und südchinesisch und mongohsch und ist mit den Ver- häJtnissen des Landes gut bekannt. £s scheint mir, als ob die — 287 — hiesigen Kirgisen bis jetzt noch nicht ihre Beziehungen mit China abgebrochen haben und den Mantel auf beiden Schultern tragen y sich den Russen gegenüber als treue russische Unter- thanen geriren, aber auch den Chinesen gegenüber dasselbe thun. Tutai sagte mir sogar im Vertrauen, dass viele Aule auch einen Theil des Jahres auf chinesischem Gebiete zubringen. (Den 24. JuH.) Sehr früh aufgebrochen. Der Weg führt immer höher in's Gebirge, wendet sich aber jetzt in seiner Hauptrichtung nach S.O. Der Uebergang über den Bergpass Üigön iasch bietet keine Schwierigkeiten. Die Ansiedelungen der Kirgisen auf russischem Gebiete erstrecken sich nur bis zum Bergrücken Kvsch-murun (Vogelschnabel). Weiter nach Osten ist das Land steinig und öde; schwacher Graswuchs und dicht an den Ufern der Bäche auch nur einzelne Bäume; die Berg- rücken alle felsig; häufige Bergstürze. Das Passiren dieser Gegend soll nicht ohne Gefahr sein. Kirgisische und kal- mückische Räuber machen den Weg unsicher, da sie sich leicht ungestraft in den öden Grenzgebirgen verstecken können. Da unsere kleine Karawane aus sieben Mann bestand, von denen drei gut bewaffnet waren, so hatten wir wenig zu fürchten. Die Kaufleute sollen aber der Sicherheit halber den Weg über den Bergpass Altyn Ämäl und am Ufer des Ili durch das Gebiet der Solonen vorziehen. Die Landschaft, östlich von dem sehr malerisch gelegenen Koksu-Thale, hatte bis zum Kusch-murun den eintönigen St^ppencharakter angenommen; weite, mit Gras bedeckte Ebenen und Hügel, über denen sich meist kahle Berg- riegel erheben. Hier ist aber in der Niederung selbst Alles mit Steingeröll und Felsblöcken bedeckt. Kahle Bergriegel dehnen sich nur nach Norden hin aus, das Land geht allmählich in ein sich nach Süden geneigtes Plateau über, das die Quellbäche des Borochudsir-Flusses in oft 20 — 30 Faden unter dem Niveau der Ebetie liegenden Thalfurchen durchschneiden. Diese Thal- furchen sind von der Ebene aus gar nicht zu bemerken, erst wenn man den Rand derselben erreicht hat, sieht man das Thal mit dem rauschenden Flusse und die mit dichtem Gestrüpp be- wachsenen Ufer, zwischen dem hohe Pappeln hervorragen. Diese Thaleinschnitte sollen prächtige Wintersitze für die Kirgisen bieten und daher im Winter dicht mit Jurten besetzt L^^^.. — 288 — sein. Das Flussbett des Borochudsir gilt als Grenze des chine- sischen Ili-Thales. In ihm liegt auch das Borochudsir genannte chinesische Grenzpiquet; es besteht aus von Lehm und Stein gebauten Häusern. Wir durften uns dem Piquet nur auf fünfzig Schritte nähern, dann wurden wir von einem chinesischen Solda- ten, der mit Köcher, Pfeil und Bogen bewaffnet uns entgegen- ritt, angehalten. Ich schickte mit meinem Kosaken und dem Dolmetscher meine Papiere zum Piquet und wurde nun erst bei demselben vorgelassen. Meine Leute und Packpferde durften sich aber dem Piquet nicht nähern; hinter diesem waren einige Bäume und ein Gebäude,' das mir als Tempel bezeichnet wurde, zu sehen. Der Befehlshaber des Piquets bat mich, Platz zu nehmen und Hess mir eine Schale Thee reichen. Er fragte mich nach meinem Namen und dem Zwecke meiner Reise, der Zahl meiner Begleiter und Packpferde und händigte nach einer um- ständlichen Unterhandlung einem Soldaten zwei Schriftstücke ein; dann belehrte er mich, dass ich den Soldaten nicht verlassen dürfe, immer auf dem Wege zu bleiben habe und nichts Ver- dächtiges vornehmen dürfe. Der Befehlshaber des Piquets sprach chinesisch; trotzdem hätte ich hier keines Dolmetschers bedurft, denn die 10 — 12 ziemlich zerlumpten Soldaten des Piquets, die uns neugierig umstanden, waren Solonen imd sprachen fliessend kirgisisch. Der Befehlshaber ist ein Mandschu im Range eines Boschko, wie mir der messingene Mützenknopf bewies. Nach etwa einer Stunde Aufenthalt erschien der mit Bogen und Pfeilen bewaffnete Grenzsoldat, der uns als Convoi oder vielmehr als Wächter zu begleiten hatte ; derselbe war ziemlich kurz angebun- den, ritt vor uns her und Hess sich mit Niemand in ein Gespräch ein; von Zeit zu Zeit blickte er sich nur um und sah zu, ob wir ihm AUe folgten. Da wir in ziemHch scharfem Trabe ritten, so erreichten wir bei Eintritt der Nacht den dritten Quellfluss des Borochudsir und übernachteten im Thaleinschnitte desselben, nicht weit von einer kleinen Kirgisen-Jurte. Der Convoi-Soldat verliess uns hier und ritt zu dem einige hundert Schritte weiter am Flusse gelegenen Wachthause. Sehr unbequem war das Nacht- quartier in der räucherigen Jurte; in der Nacht wurde ich durch grossen Lärm geweckt, der durch eine Jagd auf Wild- schweine, die hier in grosser Zahl leben sollen, veranlasst war. Die Kirgisen hatten das Thier mit Knitteln vom Pferde herab erschlagen, rührten es aber nicht an, da sie die Berührung des — 289 — iinheiligen Thieres selbst fürchteten. Die Soldaten des Piquets holten sieh das Thier am Morgen ab. (Den 25. Jtdi.) Am Morgen früh stellte sich bei uns der neue Convoi-Soldat ein, er war ganz wie der gestrige bewaffnet, machte aber einen so erbärmlichen Eindruck, dass der Gedanke, dieser Krieger solle uns bewachen, uns alle in eine wahrhaft komische Stimmtmg versetzte. Er war ein ganz kleines, über 60 Jahre altes Männchen mit schneeweissem Zopfe, so dürr und wackelig, dass er nnr mit Mühe gehen konnte ; er ritt auf einer kaum dreijährigen, scheckigen Füllenstnte, die ebenso schwach schien wie der Reiter. Dabei hatte er sich einen dicken, ganz neuen, riesigen Schafpelz als Unterlage auf den Sattel ge- legt, so dass er fast ^/g Fuss über dem Rücken seines Pferdes sass. Mein Kosak, wie auch die Kirgisen, Hessen ihren Witzen freien Lauf. Der Solone befahl aber kurz und brummig, man solle schnell satteln und ihm folgen, was auch erfüllt wurde, da ich selbst zur Eile trieb. Ohne Aufenthalt ritten wir in ziemlich scharfem Trabe bis zum Ufer des Ösök, eines sehr breiten und reissenden Flusses, der nach einem Regenwetter fast unpassirbar ist, so dass die Reisenden hier oft mehrere Tage das Fallen des Wassers abwarten müssen. Das Durchreiten der Furt des ösök gehört zu den schwierigsten Flusspassagen, die ich gesehen habe. Man muss sich mit untergeschlagenen Füssen auf den Sattel setzen oder knieen, denn das Wasser reicht bis über das Sattelkissen; dabei hat der Fluss eine so starke Strö- mung, dass es scheint, das Wasser reisse das Pferd mit sich fort, obgleich man in einem Winkel von 45 Grad gegen die Strömung reitet. Während der Passage erhoben die Reiter ein lautes Geschrei, einerseits um die Pferde anzutreiben, andererseits um sich selbst zu ermuthigen. Unser Convoi-Soldat war etwas zu- rückgeblieben und langte erst am jenseitigen Ufer des Ösök an, als wir den Fluss schon passirt hatten. Wir riefen ihm zu, wir wollten ihm ein besseres Pferd hinübersenden; er schien aber dadurch in seiner Würde beleidigt und sprengte, ohne auf uns zu achten, in den Fluss. Hier geschah, was wir Alle vor- ausgesehen hatten : der Strom erfasste das Pferdchen und riss es mit sich und bald sahen wir Reiter, Pferd und Pelz an drei verschiedenen Stellen des Flusses. Ich schickte sogleich zwei Kirgisen in den Strom; dieselben ritten aber auf Pferd und Radi off, Aus Sibirien. II. 19 ».-•tMml^\»m 1 — 290 — Pelz zu,, ohne sich um den schreienden Reiter zu bekümmern. Erst nach wiederholtem Eufen meinerseits wandten sie sich diesem zu. Mein Dolmetsch Tutai packte den Alten unbarm- herzig am Zopfe und zog ihn aus der Strömung, dann erst nahm er ihn hinter sich aufs Pferd. Als ich meine Leute ihrer Kohheit halber zur Eede stellte, meinten sie, der Pelz und das Pferd seien doch viel mehr werth als der Kerl. Gar erbärmKch sah das Männchen aus, als es so von Wasser triefeftd vor uns stand. Meine Kirgisen zogen ihm Hemd und Kaftan ab und rangen sie aus, dann breiteten sie Beides ein wenig in der Sonne aus. Dabei zeigte sich, dass unsere Pässe ganz durchnässt waren. Ich übergab sie daher Tutai, der sie vorsichtig auf der Handfläche hielt, bis sie trocken geworden waren. Nachdem das Wasser aus Stiefeln, Bogentasche und Köcher gegossen war und die Kleider ein wenig trocken geworden, stiegen wir wieder zu Pferde und setzten unseren Weg fort. Jetzt waren auch die Pässe bald getrocknet, sie sind aber so zusammen- geklebt, dass ich nicht weiss, wie man sie wieder öffnen wird. Einige Werst jenseits des Osök wurde das Land fruchtbarer und wir trafen schon Felder an, die mit Hirse oder Weizen besäet waren. Das Getreide war schon zum grössten Theile ab- gemäht und in hohen Schobern aufgeschichtet. Plötzlich hiess uns unser Convoi-Soldat den Weg verlassen und etwa 1 Werst nach Süden reiten, dann hielten wir vor einer Jurte, in der sich der hiesige Befehlshaber, ein Pundu-Boschko, aufhielt. Man forderte mich auf, in die Jurte zu treten, und hier fand ich einen Mann in Arbeitskleidung sitzen, der einen der Pässe öffnete und las und uns dann sehr stolz mit den Augen musterte. Plötz- lich fing er an, uns auf kirgisisch zu schimpfen: was wir hier wollten, wir seien gewiss Spione und wollten das Land des grossen Kaisers ausspioniren. Wüthend über dieses imwürdige Betragen, erklärte ich, ich würde direkt nach Süden zu dem nächsten Orte, der einige Werst vor uns lag, reiten und mich bei den dortigen Behörden beschweren; ich leide ein solches Betragen nicht, der Consul müsse mir Recht schaffen. Darauf verliess ich die Jurte und stieg zu Pferde. Der Boschko zog nun an- dere Saiten auf, er habe nur gescherzt, ich solle doch bei ihm eine Schale Thee trinken. Ich kümmerte mich aber nicht weiter um ihn, sondern stieg zu Pferde, hiess meine Begleiter dasselbe thun und setzte ruhig meinen Weg fort. Unser kleiner Convoi- — 291 — Soldat kam bald hinter uns hergeritten und bat, den Boschko zu entschuldigen, er habe nicht gewusst, dass ich ein Offizier sei u. s. w. (Was ich über den Ackerbau der Solonen zu be- obachten Gelegenheit hatte, ist hier übergangen und später bei der Beschreibung derselben zusammengestellt.) Jenseits des Ösök wendet sich der Weg noch mehr nach Süden. Die Ebene des Ili-Thales dehnt sieh o£fen vor unseren Blicken aus. Die Felder werden häufiger, auf den Wegen be- gegnet man vielen Arbeitern, die mit Harken und Sicheln ver- sehen sind, Männer und Weiber, alle in grossen, flachen Stroh- hüten und in einer der kalmückischen oder chinesischen ähn- lichen Tracht: die Männer in kurzen Jacken oder langen Kaftanen, die Weiber in einfachen, langen Hemden. Nach der Aussage Tutai's sollen dies alles Sojonen sein, die hier oben ihre Felder haben. Die nach Süden liegenden schwarzen Flecke, die sich in weiter Feme wie dunkle Nebelwolken ausnehmen, sollen die Städte der Sojonen sein, während die kleineren dunklen Stellen, die sich in der Ebene überall zeigen, einzelne Gehöfte und Meierhöfe sind, die von Fruchtgärten und künstlichen Baum- pflanzungen umgeben sein sollen. Je weiter wir nach Südwesten vordrangen, desto dichter wurden die Aecker und um so häufiger die Strohhütten, Garbenschober und die Feldarbeiter. Ziemlich spät am Abend langten wir bei dem nächsten Piquet an, das sich nicht weit von der Thalsenkung des Kor- gos-Flusses befindet. Es besteht aus zwei kleinen Lehmhütte^, von denen die eine halb zerfallen ist und weder Thür . noch Fenster hat. Dicht bei diesen Häusern ist ein kleiner Garten, der mit einer Lehmmauer umgeben ist, und in diesem soll sich ein kleiner Tempel befinden. In dem Piquet fanden wir keinen Menschen. Unser Convoi-Soldat sagte mir, ich möchte in dem einen Lehmhause mein Bett aufstellen lassen, da es unbewohnt sei. Meine Leute lagerten dicht neben dem Hause und machten die Kessel zurecht. Die Pferde wurden gekoppelt und, da hier viel Diebstahl vorkommen soll, die ganze Nacht hindurch be- wacht. Als wir uns schon an's Essen gemacht hatten, traf end- lich ein chinesischer Soldat ein. Er entschuldigte sich, dass seine Leute bei der Feldarbeit beschäftigt seien, er sei jetzt allein im Piquet und Wolle uns bis zum nächsten Karaul be- gleiten. Es sei besser, wenn wir die Stadt Korgos vermeiden würden. Tutai widersprach ilmi und bestand darauf, dass wir 19* — 292 — Korgos passiren müssten. Er theilte mir naclilier die Gründe seiner Forderung mit. Es sei immer gefährlich , die grosse Strasse zu verlassen und besonders in der Nähe einer Stadt wie Korgos, ausserdem sei es ein grosser Umweg. Der Solone dieses Piquets war viel freundlicher als die früheren Convoi-Sol- daten. Tutai, den ich darüber befragte, meinte, dass man vor mir Ke^ect bekommen habe, nachdem ich den Boschko abge- trumpft hätte. Der hiesige Soldat hätte ihn schon gefragt, ob ich ein Amban (General) sei, und er habe dies bestätigt. Da sich unser alter Gonvoi- Soldat auch freundlich gezeigt hatte, hiess ich ihn mit meinen Leuten zu Abend essen und gab ihm ein kleines Geschenk, wofür er sich unter vielen Vemeigungen bedankte. (Den 26. Juli.) Etwa 6 Uhr Morgens verliessen wir das Piquet und durchritten das Korgosthal, das nur wenige Faden unter dem Niveau der Steppe liegt; es ist sehr breit, da der Fluss sich wohl in zehn Arme theilt, die aber alle sehr seicht sind. Das ganze Flussbett ist mit kleinen und grossen Steinen bedeckt. Im Frühjahr soll das ganze Thal mit Wasser angefüllt sein imd dann der Passage Schwierigkeiten bereiten. Etwa nach 5 Werst erreichten wir die Stadt Korgos; der Reisende bemerkt kaum, dass er das Stadtgebiet betritt. Zuerst gewahrt man dichte Aecker und zwischen diesen einzelne mit Lehmmauem umgebene Gehöfte, Wäldchen, Gärten und Fruchtbäume ; dann sieht man auf dem Wege Arbeiter, Fussgänger und reitet allmähHch in eine von ziemlich hohen Lehmmauem begrenzte Strasse, auf der' auch noch ein sehr geringer Verkehr bemerkbar ist. Plötzlich macht die letztere eine Biegung und wir erblicken hohe Bäume ; nachdem wir nun durch eine schmale Gasse etwa noch fünf- zig Schritte geritten, sehen wir wie mit einem Zauberschlage sich die ganze Scenerie verändern. Wir befinden uns plötzlich auf einer ziemlich breiten Marktstrasse, auf der sich ein dichter Menschenknäuel bewegt; zu beiden Seiten eine dichte Reihe von offenen Läden und Werkstätten. Schuster und Schneider, Schmiede und Tischler, alle arbeiten fast auf offener Strasse, dazwischen sind allerlei Läden mit Esswaaren, Gefössen und Holz- waaren; überall grosse Aushängeschilder mit mächtigen chine- sischen Inschriften. Dazwischen Speisehäuser, die durch als Schild aushängende riesige Fische schon von Weitem kenntlich sind. In o — 293 — der Mitte ist ein etwas erhöhter Fahrweg, auf dem sich grosse zweiräderige Wagen (Arba), kleine Karren, sowie Reiter und Packpferde bewegen. Auf der Strasse gehen allerlei Händler umher, die ihre Waaren auf Brettern tragen und durch lautes Ausrufen die Käufer aufmerksam machen; zerlumpte und ver- kommene Bettler, Frauen mit schön frisirten Haaren und Blumen auf dem Kopfe, gut gekleidete Spaziergänger mit riesigen Brillen und Sonnenschirmen; Kalmücken, zahlreiche Tataren und Kirgisen strömen an uns vorüber, kurz, ein ungemein buntes Gewühl, an dem sich das an die einsame Steppe gewöhnte Auge gar nicht satt sehen konnte. Trotz der Fremdheit des Bildes muss ich ge- stehen, dass ich mich hier ordentlich augeheimelt fühlte. Man sah sich hier wenigstens von Leben und Arbeit umgeben, gerade wie in einer europäischen Stadt, wenn auch das Kolorit ein fremdartiges war. Ich fühlte mich aus der öden, eintönigen Steppe wiiederum in ein Kulturleben versetzt, das Civilisirte erst dann richtig schätzen lernen, wenn sie dasselbe entbehren müssen. Da unsere kleine Karawane viele Neugierige herbeizog, so waren wir bald von einer dichten Menschenmasse umgeben, so dass wir nicht vor- und rückwärts konnten. Vergebens sah ich mich nach unserem Convoi-Soldaten um, er war verschwunden; auch Tutai war etwas abseits geblieben und sprach mit einem Kir- gisen. Kaum hatte er aber unsere Noth gesehen, als er uns zu Hilfe eilte und ohne weitere Umstände mit seiner Knute auf die Umstehenden loshieb, indem er ausrief: „Orus Amban!*' Dieser sehr energische Eingriff schaffte uns bald Luft, der Haiufe zertheilte sich, die Leute gaben uns Raum, wenn auch unter heftigem Schreien und Fluchen, wobei sich recht deutlich ein echt russisches Kraftwort, wenn auch chinesisch entstellt, doch noch verständlich genug vernehmen liess. Tutai hatte uns schon vorher darauf auftnerksam gemacht, dass man sich in chinesischen Städten sehr vor Diebstahl in Acht zu nehmen habe, und ich hatte daher Allen befohlen, sich dicht zusammenzuhalten. Die Vorsicht erwies sich als recht nöthig, beinahe hätte ein diebi- scher Mitbürger des himmlischen Reiches meinen Mantel vom Sattel geschnallt; zwei Riemen waren schon gelöst als ich die Sache bemerkte, ich folgte daher Tutai* s energischem Beispiele und liess, ohne ein Wort zu sagen, meine Knute auf den Rücken des Frechen herabsausen. Erschrocken sprang er seitwärts und rief mir zu, er habe den Rock festschnallen wollen; trotzdem / — 294 — aber drängte er sich doch schnell unter die Menge und erhob keinen weiteren Protest. Da wir uns bis Kuldsha nicht mehr aufhalten wollten, beschloss ich, hier in Korgos zu frühstücken und be- fahl Tutai, uns zu einem anständigen Wirthshause zu bringen. Auf sein Geheiss öffnete sich der Thorweg neben einem ziem- lich ansehnlichen Gasthause, und unsere Pferde wurden dort von einigen Dienern in Empfang genommen. Ein Chinese führte mich in die Gaststube und hier wurde mir Thee und ungesäuertes Weissbrot, süsses Gebäck, dann Bier in einer Kanne und ein süsslicher Branntwein vorgesetzt; darauf ein gebratenes Huhn und eine Art Eagout, alles sehr fein geschnitten und sauber servirt. Der Branntwein war warm und sehr stark und wurde in ganz , kleinen Schalen gereicht. Das Essen mit den Elfen- beinstäben machte mir freihch nicht geringe Mühe. Auch den Pferden wurde Futter vorgeworfen und meine Leute beköstigt. Für die ganze Zeche hatte ich 2 Rubel 45 Kopeken zu zahlen; der Wirth nahm russisches Geld an. Tutai behauptete, ich wäre bedeutend übervortheilt worden ; er drängte jetzt zum Aufbruche, der Weg sei noch sehr weit und wir hätten ausserdem noch einen Convoiwechsel, was immer einen kleinen Aufenthalt mache. So traten wir wieder auf den Hof, stiegen unter vielen Bück- lingen der Diener des Gasthauses zu Pferde imd ritten wieder in das Menschengewirr der Strasse. Bald bogen wir in eine Seitengasse, da es besser war, einen Umweg zu machen, als über den Markt dem geraderen Wege zu folgen. Im Ganzen hatte ich den Eindruck empfangen, als ob die Menge durchaus nicht liebenswürdig auf den Fremdling sähe, ich hatte wenige Gesichter gesehen, in denen nicht ein Zug von Abneigung und vielleicht Hass oder Verachtung zu entdecken gewesen wäre. Dies kann ich aber in Betreff der Wirthsleute nicht sagen, bei ihnen war das Interesse für das Geschäft vorwiegend. Ich glaube, die Abneigung der Menge wird durch die Abgeschlossen- heit, in der sie die Regierung principmässig von allem Fremden fernhält, künstlich geweckt, denn alles selten Gesehene erscheint ihnen fremd und unheimlich. Kaum 'hatten wir die Stadt verlassen, als sich unser Convoi- Soldat wieder zu uns gesellte; er hatte sich von uns nur des- wegen getrennt, weil er seine Gläubiger zu Korgos fürchtete; dieselben, meinte er, hätten ihn unbarmherzig festgehalten, ob- gleich er im Dienste wäre; wie hätte er sich dann vor seinen • > — 295 — Vorgesetzten verantworten sollen. Ich erwähne die Sache nur, da sie uns beweist, wie wenig die chinesischen Kaufleute sich vor der Soldatesca fürchten; ich höre, sie sollen auch vor den niedrigen Beamten sehr wenig Respect haben. Von Korgos aus ging unser Weg durch eine fast ununter- brochene Reihe von Gärten, Aeckem, Gehöften und kleineren Dörfern. Die Strasse war fast überall schlecht, aber recht be- lebt. Fussgänger, Packträger, belastete Esel, Arben (Karren) und Kameele begegneten uns aller Orten. Ueberall ist künstliche Bewaldung. Häufig passirten wir Gasthäuser, die alle voll von Besuchern waren. Reiter, Beamte und Soldaten ritten bei uns vorüber, ohne uns auch nur die geringste Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Kinder liefen entweder schreiend fort* oder sie stellten sich neben den Weg und riefen uns nicht sehr freundlich klingende Worte zu. Ueberall fröhliches, bewegtes Treiben. Die Aecker schienen aUe in vortrefflichem Zustande ; die Gärten sind voU von Obstbäumen, die voller Früchte hängen: meist Aepfel, Aprikosen und Pfirsiche. Die Gehöfte sind von sehr verschiedener Grösse, einige von so bedeutendem Umfange , dass man die Wohlhabenheit des Besitzers leicht erkennen kann. An einzelnen Stellen trafen wir ganz nackte Arbeiter, diese wurden mir von Tutai als Tschämpän bezeichnet. Ich fange auch schon jetzt an, mich an die Kostüme zu gewöhnen und kann bereits chinesische Kaufleute von Solonen - Soldaten sehr wohl unterscheiden. Von den chinesischen Frauen haben die meisten kleine Füsse, auch selbst in den mittleren Ständen und Frauen von Landbauem. Alle haben sorgfilltig frisirte Köpfe und Blumen im Haar, wenn sie auch sonst abgerissen gekleidet sind. Einen grösseren Ort durchritten wir am Nachmittag, dies war die Stadt Tardschi, die die Chinesen Talki nennen sollen. Dicht vor Tardschi war das letzte Piquet, in diesem befanden sich Mandschu-Soldaten. Wir wurden hier nicht lange aufgehalten und erhielten einen neuen Convoi-Soldaten, der ganz so gekleidet war wie die Solonen-Soldaten. Einige Werst vor Kuldsha verliessen wir die mit Gehöften eingefasste Strasse und näherten uns dem Hi-Ufer, einer meist sandigen, nur mit langem Steppengrase bewachsenen Wüstenei. Schon nach eingebrochener Dunkelheit erreichten wir Kuldsha und stiegen in der vor der Stadt gelegenen russischen Factorei ab. — — / — 296 — (Den 27. Juli bis 3. August.) Ich bin in dem Kaufhof'e abgestiegen und habe ein recht fi^undliches Stimmer. Der Kaof- hof besteht aus zwei Gebäuden, in denen sich eine Beihe von Zim- mern für die zureisenden Kauflente befinden, sowie Yersehiedenen Speichern und ^lagazinen für die Waaren. Ich wurde von den sich hier aufhaltenden Kaufleuten recht freundlich begrüsst; es waren nur Tataren, theils Vertreter russischer Häuser, theils Andere, welche auf eigene Rechnung hier handeln. Während auf russischem Gebiete die Tataren sich sonst sehr scharf von der christlichen Bevölkerung absondern, benahmen sie sich hier in der Fremde vollkommen als Landsleute. Nur der gütigen Vermitt- lung der hiesigen Kaufleute imd der Unterstützung des Secretärs beim Consulate habe ich es zu danken, wenn es mir gelungen ist, ziemlich eingehende Nachrichten über die hiesigen Verhält- nisse zu erhalten und Land und Leute kennen zu lernen. Die Factorei nimmt ein ziemlich umfangreiches Terrain am linken Ufer des Kuitun- (oder Yklyk) Flusses ein und liegt etwa ^V« Werst von der Stadt Kuldsha entfernt; sie ist mit einer recht hohen Mauer umgeben. Alle Gebäude der Factorei sind aus Ziegelsteinen gebaut; der innere Raum derselben ist in drei Theile getheilt: den Kaufhof, den Platz für die Kirche, das Dienstgebäude und das Haus und die Gärten des General-Consuls. Die Beamten der Factorei sind eigentlich nur der General-Con- sul und sein Secretär, jedoch befindet sich zum Schutze der- selben ein Detachement von 10 — 12 Kosaken hierselbst unter dem Befehle eines Offiziers und zweier Unteroffiziere (Urjadnik). Am Tage ist der Kauf hof für die Bewohner Kuldsha's geöffnet, wie denn auch Einwohner der Factorei den Tag in Kuldsha zubringen dürfen; in der Nacht ist ersterer aber geschlossen und die russischen Kaufieute dürfen auch nicht in der Stadt über- nachten. Kleinhandel wird nur wenig in der Factorei getrieben; wenn sich auch den ganzen Tag über Käufer und Verkäufer einstellen, so ist der Umsatz des Kleinhandels doch nur ein sehr geringer. Die Hauptgeschäfte sind En- gros -Geschäfte, welche von hiesigen Kaufleuten mit den chinesischen Gross- händlern abgeschlossen werden. Durch die Güte des Herrn Secretärs des Consulats habe ich einen Einblick in die Handelsberichte des hiesigen Consulats thun können und auch in die Berichte des Semipalatinsker Zollamtes. "-«^ — 297 — So lange die Kirgisen der dsungarißchen Steppe der russi- schen Krone nicht unterworfen waren, konnte von regelmässiger Handelsverbindung zwischen Russland und China auf dem Wege durch das Ili-Thal gar nicht die Rede sein. Zwar gingen schon viel früher russische Waaren zum Ili-Thale, aber meist auf Um- wegen über die mittelasiatischen Chanate, besonders über Kokand sowie über Orenburg und Buchara. Je weiter sich aber die russische Herrschaft südlich vom Irtisch ausbreitete, umsomehr nahmen die direkten Handelsverbindungen zwischen Semipalatinsk und dem Ili-Thale zu. Der gesteigerte Handelsverkehr veranlasste Russland, zwei Factoreien in Kuldsha und Tschugutschak zu errichten, um dem Handel dadurch eine sichere Stütze ^u schaffen. Der Haupthandels-Artikel, der aus China über das Ili-Thal eingeführt wird, ist Thee; daher musste der Handel über Tschugutschak den Handel von Kuldsha überflügeln, weil die Route aus den Theedistrikten Chinas über Kuldsha mehr Schwie- rigkeiten darbietet als über Tschugutschak. Ausserdem muss noch berücksichtigt werden, dass dem Handel des Ili-Gebietes überhaupt enge Grenzen gesteckt waren, da er der weiten Ent- fernung dieses Gebietes voijj eigentlichen China wegen überhaupt nur ein örtlicher Handel sein konnte, dessen Höhe durch den Ver- brauch russischer Produkte im Ili-Gebiete selbst geregelt wurde und die Masse des ausgeführten Thees hier nur als Tausch- produkt für die importirten Waaren zu betrachten ist. Hier möge eine Uebersicht der Handelsbilanz vom Jahre 1860 — 1861 folgen. 1850. 8 russische Kaufleute, 23 Taschkender, 1 Buchare, 1 Kosak führen über Semipalatinsk nach Kuldsha Waaren aus im Betrage von 45,691 R. Hingegen wird aus Kuldsha über Semipalatinsk ein- geführt für 44,348 R. 1851. 6 russische Kaufleute und 17 Taschkender führen über Semipalatinsk nach Kuldsha Waaren aus im Betrage von . 39,037 R. Eingeführt werden nach Semipalatinsk aus Kuldsha • • Waaren für 48,444 R. / — 298 — Im Jahre 1850 wurden nach Kuldsha ausgeführt: Nanking, Plüsch, Halhkatun, Futterkatun, Tücher, Tüll, Kasten, Spiegel, Leder, Tatarenstiefel, Kupfer-, Eisen-, Gusseisenwaaren, Ottern- feile, Turiak, Theemaschinen, Zucker, Halbseide und Tuch. Im Jahre 1850 wurden aus Kuldsha eingeführt: Daba, Bäs, Fächer, Silber (29 Pfund), Rosinen, Aepfel, Reis, Baichu- Thee (647 Pud), grüner Thee (6 Pud), Ziegelthee (1333 Pud) und Seidenzeuge. Im Jahre 1851 wurden nach Kuldsha ausgeführt: Baum- wollenzeuge, Manchester, Spezereien, Spieldosen, Ziehharmo- nikas, tatarische Bücher, Schaffelle, Korallen, lackirte Thee- bretter, Kupfervitriol, Gold (24 Pfund), buntes Glas, Gläser und Kamelotte. Im Jahre 1851 wurden aus Kuldsha eingeführt: Silber (3 Pud 91/2 Pfund), Baichu-Thee (665 Pud), Ziegelthee (1146 Pud). 1852. Das Consulat wird im Juni eröffnet, vom Juni bis 31. December betrug die Ausftihr über Se- mipalatinsk nach Kuldsha 50,938 R. Die Ausfuhr aus der Kirgisensteppe nach Kuldsha 12,228 ,, Gesammtausfuhr 63,166 R. Die Einfuhr nach Russland betrug: Baichu-Thee (1332 Pud 19 Pfund) .... 32,938 R. Ziegelthee (1442 Pud) 12,293 „ Andere Waaren 34,345 ,, Gesammteinfuhr 79,576 R. Davon gingen Waaren über Semipalatinsk nach Si- birien für 63,871 R. Nach der Kirgisensteppe 15,605 ,, 1853. Ausfuhr aus Russland v 100,587 R. Ausfuhr aus der Steppe 5,526 „ Gesammtausfuhr 106,113 R. — 299 — Die Einfuhr nach Hussland belief sich auf: Baichu-Thee (1805 Pud) 47,657 R. Ziegelthee (I22OV2 Pud) 11,182 „ Andere Waaren 16,207 „ Gesammteinfuhr 75,046 R. Die Abnahme der Ziegeltheeeinfuhr war durch den hohen Preis desselben bedingt. Er war gegen das vorige Jahr fast um 2 Rubel das Pud theurer geworden. Von den übrigen Waaren wurde hauptsächlich Daba eingeführt, nämlich für 7447 Rubel. 1854, Die Ausfuhr aus Russland betrug . . . . . 229,600 R. Die Ausfuhr aus der Steppe betrug . . . . 11,424,, Gesammtausfuhr 241,024 R. Die Einfuhr nach Russland belief sich auf: Baichu-Thee (1196 Pud) 31,200 R. Ziegelthee (1426 Pud) 14,741 „ Daba 21,296 „ Einfuhr in die Steppe 12,946 „ Gesammteinfuhr 80,183 R. Es blieben in der Factorei Waaren im Werthe von 2000 Silberrubel und in den Händen der Chinesen für 16000 Silber- rubel. Die diesmalige Ausfuhr war sehr bedeutend, besonders von Vieh, darunter 36,000 Schafe, die aUe nach Kaschkar verkauft wurden. Ottemfelle wurden für 12000 Rubel nach Kuldsha gebracht. 1855. Der Preis des Theees hatte sich in diesem Jahre bedeu- tend geändert: Die Kiste Baichu-Thee kostete 1854 26 R., 1855 28^2 R- ,, ,, kleiner Ziegelthee „ 10 ,, „ 10,70 „ „ „ Fu-Thee „ 15 „ „ 12,75 „ „ Tsaulau „ 12,45 „ 10,20 „ ,, ,, grosser Ziegelthee „ — ,, 6,40 ,, Die Ausfuhr aus Russland betrug 60,388 R. / r^ — 300 — Die Einfuhr nach Russland: Baichu-Thee (576 Pud) 16,397 R. kleiner Ziegelthee (541 Pud) 5,803 „ Fu-Thee (151 Pud) 1,928 „ Tsaulau (341 Pud) 3,476 „ grosser Ziegelthee (100 Pud) ...... 0,640 ,, Im Ganzen 28,244 R. Daba 42,190 Andere Waaren 30,661 Die ganze Ausfuhr 101,095 R. Die Steppe verbrauchte von dieser Einfuhr für 2000 Rubel mehr als im vorigen Jahre. Es blieben sonach in Händen der russischen Kaufleute für 13,470 Rubel Waaren für das nächste Jahr. Der Thee wurde in diesem Jahre meist nur gegen Silber gekauft. 1856. Neu ausgeführt wurden nach Kuldsha für . . 87,225 R. Unter dieser Ausfuhr befanden sich für 2700 Rubel Nan- king, gegen 1300 Schafe, auch viele Silberbarren in Form von Löffeln. Die Einfuhr dieses Jahres betrug: Baichu-Thee (1361 Pud) 40,825 R- kleiner Ziegelthee (148 Pud) 1,598 „ grosser Ziegelthee (185 Pud) 1,180 „ Fu-Thee (I86V2 Pnd) 3,093 „ Tsaulau (156 Pud) 2,032 „ Der gesammte Thee 48,728 R. Daba 17,811 „ Andere Waaren 13,778 „ Gesammteinfuhr nach Russland 80,317 R. Von dieser Einfuhr wurden Waaren für 69,620 Rubel nach Semipalatinsk und für 10,697 Rubel in die Kirgisensteppe ein- geführt. /^ — 301 — 1857. Die Ausfuhr nach Kuldsha war in diesem Jahre bedeutend geringer als in den vorigen Jahren, da Unruhen in Tschugu- tschak Hemmungen im Handel hervorgebracht hatten. Sie betrug 51,743 Rubel, darunter waren für 15,200 Rubel Nanking und für 7500 Rubel Katun. Auch die Einfuhr nach Russland hatte wegen der Unterbrechung des Weges in China abgenommen. Sie betrug: Baichu-Thee (1380 Pud) 35,887 R. kleiner Ziegelthee (120 Pud) 1,893 „ Fu-Thee (58 Pud) 0,920 „ Tsaulau (91 Pud) 1,149 „ Im Ganzen 39,849 R. 417 Stück Rinder . 2,786 „ Andere Waaren 6,125 ,, Gesammteinfuhr 48,760 R. 1858. Die Ausfuhr nach Kuldsha betrug 54,925 Rubel, darunter befanden sich 7 Pud und ^/g Pfund silberne Löffel im Werthe von 6732 Rubel. Trotz dieser geringen Ausfuhr war die Ein- fuhr nach Russland dennoch geringer. Sie betrug: Baichu-Thee. . 23,170 R. grüner Thee 1,022 „ Tsaulau 5,550 „ Fu-Thee 2,517 „ Ziegelthee 9,607 „ Im Ganzen 41,866 R. Seidenzeug 543 ,, Daba 1,972 „ Andere Waaren 1,415 ,, Gesammteinfuhr 45,796 R. 1859. Die Ausfuhr nach Kuldsha betrug: aus Russland 30,959 R. aus der Kirgisensteppe 5,109 „ Gesammtausfuhr 36,068 R. / — 302 — Die Einfuhr betrug aber: nach der nach Bussland Kirgisensteppe Baichu-Thee 11,018 R, 625 R. grüner Thee 27 „ 141 „ Fu-Thee ....... 0,366 „ 570 „ Tsaulau 2,075 „ — Ziegelthee 0,735 „ 14 14,221 R. 1350 R. Summa 15,571 R. Daba 2,653 R. 1,332 R. Seidenzeug 0,211 „ — „ Rinder 1,158 „ 1,020 „ Pferde 0,174 „ 40 „ _ 18,417 R. 3,742 R. Gesammteinfulir 22,159 R. Wir sehen hier deutlich, dass das Ausfuhr-Quantum vom Verbrauche des Ili -Thaies abhänget; es wird, da der Preis des Thees im Jahre 1859 gestiegen war, durch eingeführtes Vieh bezahlt. 1860. Die russische Ausfuhr nach Kuldsha betrug in diesem Jahre 35,784 Rubel, wovon für 25,718 Rubel aus Russland und für 10,066 Rubel aus der Kirgisen-Steppe ausgeführt wur- den. Unter diesen befanden sich 2 Pud 27 Pfund Silber im Werthe von 3103 Rubel und 12 Kameele im Werthe von 588 Rubel. Diese geringe Ausfuhr und überhaupt die Abnahme des Handelsumsatzes in den letzten Jahren hat zum Theil ihren Grund darin, dass es den russischen Unterthanen verboten wurde, Silbermünzen nach China auszuführen. Da das Silber in Clüna «in sehr gesuchter Handelsartikel ist und dies Verbot der Münz- ausfuhr sich nicht auf Kokand erstreckte, so ging das Silbergeld, das leichter zu beschaffen war als Silberbarren, über Kokand nach China. Um frei mit Silber handeln zu können, gingen viele kir- gisische und tatarische Handelsleute nicht in die Factorei, son- dern zu den Taschkendem, die weiter östlich bei der Stadt eine kleine Handelskolonie haben. — 303 - Wegen Mangels, an Silber war auch der Absatz der russi- schen Waaren sehr schlecht, ddnn die ganze Einfuhr war in die- sem Jahre noch bedeutend geringer als die Ausfuhr. Ein Beweis, wie leicht Zollbeschränkungen dem Handel Schaden bringen. Die Einfuhr betrug: nach nach der Semipalatinsk Kirgisensteppe Baichu-Thee 9,352 R. 410 R. grüner Thee 2,660 „ — „ Fu-Thee 453 „ 67 „ Ziegelthee 545 „ 215 „ 13,010 R. 692 R. Zusammen 13,702 R. Rmdvieh . . . (368 Stück) 3,312 R. (394 St.) 3,197 R. Pferde .... (156 „ ) 1,560 „ (145 „ ) 1,271 „ Kameele ... (7 „ ) 294 „ (3 „ ) 150 „ Schafe .... — — (2 „ ) 10 „ 5,166 R. 4,628 R. 22,636 R. 7,800 R. Die ganze Einfuhr betrug: 30,436 R. 1861. Im Jahre 1861 begann die Ausfuhr wieder zuzunehmen, ebenso wurden bedeutend mehr Waaren nach Russland einge- führt. Die Ausfuhr aus Russland betrug 56,649 Rubel, aus der Kirgisensteppe 25,456 Rubel, d. h. im Ganzen 82,105 Rubel. Von den ausgeführten Gegenständen sind zu erwähnen: aus aus der Semipalatinsk Kirgisensteppe Nanking 8,057 R. 2,179 R. Goldmünzen 360 „ — ,, Silbermünzen 7,890 „ 1,150 „ Silberbarren 3,779 „ — „ Kameele — ,, 80 ,, Auf Vorstellung des Consuls ist nämhch das Verbot der Gold- und Silber-Ausfuhr nach China aufgehoben worden. Diese für den hiesigen Handel höchst segensreiche Erlaubniss der Metall- Ausfuhr wird bald ihre Früchte tragen, denn wir sehen, wie — 304 schon im ersten Jahre 12,719 Rubel Silber und 360 Rubel Gold hier auf dem Markte erscheinen. Auch die Einfuhr nach Russland war grösser als in den. früheren Jahren, sie betrug ebensoviel als der ganze Umsatz des Jahres 1860. i^'ingefuhrt wurden aus Kuldsha: nach nach der Semipalatinsk Kirgisensteppe Baichu-Thee . 11,562 R. 1,125 R. Grüner Thee 3,811 „ 24 „ Sobet . . >» 868 „ i^'u-Thee 243,, 492 „ Ziegelthee . 2,367 „ 228 „ Ak-Basch Summ 140 „ 134,, la 18,123 ß. 2,871 E. Seidenzeug . • • 383 R. 963 R. Daba . • • 21 „ 1,195 „ Pferde . . (163 St) 1,266 „ (433 St.) 3,891 „ Rindvieh . (1,004 „ ) 7,551 „ ( [1358 „) 10,675,, Kameele . • • ft (4 „ ) 174 „ 27,344 E. 19,769 E. Daher die ganze Einfuhr: 47,113 R. Wie ich von den Kaufleuten hörte, soll sich der Handel im letzten Jahre noch gehoben haben; aber mit der Zeit scheint er, wie man mir mittheilt, einen ganz anderen Charakter an- nehmen zu wollen. Der Thee steigt von Jahr zu Jahr im Preise, so dass er gegenwärtig hier nur gegen Silber eingetauscht wer- den kann, wenn der Kaufmann nicht geradezu Schaden erleiden will. Je mehr aber der Theehandel in Verfall geräth, desto mehr hebt sich der Viehhandel von Jahr zu Jahr. Schon im Jahre 1861 übersteigt' die Vieh-Einfuhr die Thee-Einfuhr um 2561 Rubel; in diesem Jahre soll sich der Viehhandel nach Angabe der hiesigen Kaufleute geradezu verdoppelt haben. Es scheint aber, als ob die chinesische Regierung jeden Fortschritt im Handel hemmen woUe, sie hat vor einigen Wochen verboten, den Russen Vieh zu verkaufen und zwar unter dem Verwände, dass die Armee im Kriegsfalle Vieh nöthig haben — 305 — werde. Der Consul hat gegen diese Massregel beim Dsan-dsün Protest eingelegt, und es lieisst, sie «oll schon rückgängig ge- macht worden sein. Die Stadt KuMsha, von den Tarantschi- Tataren zum Unter- schiede von dem tatarischen Kuldsha Tachong Kuldsha (das grosse Kuldsha), von den Solonen aber Kürä genannt, liegt dicht am rechten Ufer des Ili, nicht weit von der Mündung des Uklyk. Die Stadt besteht 1) aus der Festung, die natürlich fast aus- schliesslich von Mandschu und Beamten bewohnt und durch eine gezackte, mit Schiessscharten versehene Lehmmauer um- geben ist; 2) aus der Chinesen-Stadt, die sich nördlich an die Festung anlehnt; 3) aus dem Weichbilde, d. h. den Gehöften der sich mit Ackerbau und Gartenkultur beschäftigenden Ein- wohner, welche die innere Stadt gleichsam wie mit einem Kranze von Waldungen umgeben. Der Eintritt in die Festung war mir deswegen nicht ge- stattet, weil ich hier nicht in officiellem Auftrage anwesend war. Bei Anwesenheit des russischen Consuls wäre eine Vorstellung wohl möglich geworden; der Secretär, der damals den Consul ver- trat, konnte aber nur mit untergeordneten Beamten sprechen, denn die Mandschu halten streng auf Kangordnung. In jedem Ver- trage heisst es, dass nur Beamte gleichen Eanges miteinander verkehren können. Aus diesem Grunde musste auch der Consul in Kuldsha den Titel eines General -Consuls. erhalten, da der Dsan-dsün (der Oberbefehlshaber von Kuldsha) sich weigerte, ihn zu empfangen, weil er kein General sei (der Ausdruck General ist den Chinesen sehr wohl bekannt). So musste ich mich leider begnügen, das breite steinerne, mit geschweiften Ziegeldächern in mehreren Absätzen verzierte Festungsthor zu betrachten. Die Chinesen -Stadt ist von bedeutender Ausdehnung; die Haupt- Lebensader derselben bildet der Markt, eine in vielerlei Win- dungen sich wohl über ein Werst lang hinziehende Strasse. In die Marktstrasse mündet eine grosse Anzahl von meist engen Querstrassen, die sich nach allen Seiten in allerlei Windungen ausdehnen und ihrerseits durch ein Spinnennetz von kleinen, oft nur wenige Faden breiten Quergässchen verbunden werden. Dieses Strassengewirr ist so verwickelt, dass der neue Ankömm- ling sich gar kein Bild der Lage der Stadt entwerfen kann. Ich konnte mich in den acht Tagen meines hiesigen Aufent- haltes durchaus nicht zurechtfinden. Dazu kommt noch, dass Radioff, Aus Sibirien. IL 20 — 306 — man längs allen Strassen, ausser dem Markte, nur Lehmmauem tind Thorwege sieht, die einander genau gleichen, denn die Häuser der Chinesen liegen im hinteren Theile der Gehöfte und sind da- her von den schmalen Strassen aus nicht sichthar. In dem Weich- bilde sind die Strassen breiter, aber auch hier nur von Lehm- mauem begrenzt, über welche sich aber ein Wald von Frucht- bäumen erhebt. Wenn man sich von der Stadt entfernt, so wechseln die menschlichen Wohnungen mit offenen Aeckem ab imd gehen zuletzt in einzelne, zerstreut liegende Gehöfte über, so dass die Dichtigkeit der Bevölkerung Kuldsha's gleichsam einem lichtausstrahlenden Kerne gleicht, dessen Intensität sich im Verhältniss zur Entfernung vom Kerne ausbreitet und daher in seiner Lichtwirkung schwächer wird. Das Weichbild der Stadt Kuldsha bildet einen Halbkreis mit einem Durchmesser von etwa 5 — 6 Werst und wird von dem Flusse Uklyk durchschnitten. Ich habe nur den westlichen Theil des Weichbildes der Stadt passirt, der nicht weit vom Flecken Tardshi beginnt. Was ich bei dieser Gelegenheit von den An- lagen der chinesischen Feldbauer gesehen, hat mir eine grosse Achtung vor ihrem Fleisse und ihren Kenntnissen eingeflösst. Leider war es mir nicht gestattet, auch nur auf hundert Schritte den Weg zu verlassen und ich kann daher nur nach dem ersten oberflächlichen Eindrucke urtheilen. UeberaU waren die Felder äusserst sauber angelegt, sie bildeten meist Quadrate oder Recht- ecke, die, unter verschiedenes Niveau gebracht, sich in regel- mässigen ^Figuren aneinander reihten. Jedes Feld war von einem Graben umgeben, der in schnurgeraden Linien ausgestochen und in musterhafter Ordnung gehalten war. Diese Gräben stehen miteinander in Verbindung und bilden ein künstliches Bewässe- rungssystem, das von einem grösseren Kanäle mit Wasser ver- sehen wird. Durch Absperren des Hauptkanals an einer Stelle und Oeffnung eines Seitenkanals vermag der Besitzer zu jeder Zeit jedes Feld zu bewässern und zwar gerade soviel, wie er für nöthig hält. Ohne ein so künstliches Bewässerungssystem ist bei dem hiesigen Regenmangel der Landbau undenkbar. Man kann aber dreist behaupten, dass hier einerseits die Be- völkerungsziffer von der Durchführung des künstHchen Bewässe- rungssystems abhängt, andererseits sich durch Abnahme der Be- völkerungsziffer auch die Unmöglichkeit der Unterhaltung der künstlichen Bewässerung vergrössert und dadurch auch die Kultur -^ 307 -^ des Landes verringert wird. Dieser enge Zusammenhang der Be- völkenmgsmenge mit der Kiütnrhöhe des Landes erklärt uns z. B. den Unterschied zwischen der schwachen Ausnutzung des russi- schen Hi-Thales bei Wernoje und der reichen Ausbeute seitens der Chinesen. Ja, noch mehr: auch klimatische Verhältnisse ändern sich gemäss der Bevölkerung, welche kahle Grassteppen in ein baumreiches Land zu verwandeln vermag, denn auch der Baum gedeiht hier meist nur mit Hülfe der künstlichen Bewässerung. Als ich das Weichbild Kuldsha's passirte, waren die Ge* treidef eider schon abgeerntet, an verschiedenen Stellen sah ich hohe Garbenhaufen aufgeschichtet. Die langen Stoppeln bewiesen, dass hier überall das Getreide mit kurzen Handsicheln abge- schnitten war. Zwischen den gelben Stoppelfeldern lagen, wie grüne und bunte Sammetteppiche , die Gemüse-, Tabaks- und Mohnfelder. Bei den näher an der Strasse hegenden Feldstücken konnte ich beobachten, wie sauber und regelmässig die einzelnen Gemüse-, Tabaks- und Mohnpflanzen gesteckt waren, kein Halm von Unkraut war zwischen ihnen hervorgesprossen. Ueberall sah man auf den Feldern Arbeiter dieselben reinigen und jäten. Auch die tatarischen Kaufleute in Kuldsha sprachen mit Be^ wunderung von der Sorgfalt der Chinesen beim Bebauen der Felder. In der Mitte jedes Felder- Areals liegen die Wirthschafts- gebäude und die Wohnhäuser des Eigenthümers, alle aus Lehm- steinen sauber aufgeführt, die Mauern der Thorwege alle in grösster Ordnung. Dicht bei den Häusern sind die Frucht- gärten, aus denen ein dichter Wald von Apfel-, Pfirsich- und Aprikosenbäumen hervorragt und ausserdem ist vor dem Hause ein kleines schattiges Pappelwäldchen angelegt, von einem künst- lichen Bache durchrieselt, in dessen Schatten die Bewohner, vor der Sonnenhitze sich bergend, Siesta halten, und den ganzen Tag über die Kinder sich umhertununeln. Verschiedene Male habe ich den süssen Schatten genossen, wenn wir uns nach mehr- stündigem Ritte in glühender Sonne auf ein Viertelstündchen in einem am Wege hegenden Pappelwäldchen lagerten. Hier will ich erwähnen, dass mir unter den hiesigen Bäumen recht häufig eine der lombardischen Pappel sehr ähnliche Silberpappel auffiel. Sie wird vielfach an Wegen und vor den Häusern als Zierbaum gepflanzt und erinnert mich an die heimathlichen Pappeln, welche man in Russland nicht kennt. Diese Baumpflan- zungen können auch als ein gutes Zeugniss für die Tüchtigkeit 20* . jU1iJ|Ä>».'-T. ..j» . -_ •iS ^.. ..^-_.^. »^j_i- . 't-m^ ... ^^ ._ - ..-.-> ._».. — 308 — der Chinesen gelten. Ihre Anlage ist mit bedeutenden Schwierig- keiten verknüpft, da die Trockenheit des Bodens und die Sonnen- hitze keinen natürlichen Baumwuchs gestatten und die Setzlinge in den ersten Jahren vieler Pflege bedürfen. Die Obstkultur der Chinesen ist weniger zu loben. Ihre Aepfel sind meist unschmackhaft süsslich; säuerliche Aepfel habe ich nirgends gefunden. Ausser den Aprikosen bauen die Chi- nesen noch den Schaptala- Strauch (über dessen Kultur ich lei- der nichts Genaueres erfahren konnte), dessen Früchte von der Grösse unserer Pflaumen sind und einen höchst angenehmen Geschmack haben. Die Pfirsiche sind sehr saftig, die Aprikosen schmecken aber trocken. Dabei ist zu bemerken, dass hier nur wenige Obstsorten gebaut werden; von Pfirsichen und Aprikosen habe ich auf dem Markte in Kuldsha nur je eine Sorte ge- sehen, Aepfel in zwei oder drei Sorten. Müssige Menschen sieht man bei den Gehöften selten umher- stehen, auch die Kinder werden schon sehr früh zum Arbeiten angehalten. Weiber und Kinder sind, soviel ich beobachten konnte, meist mit dem Reinigen der Felder beschäftigt, während die Männer, unter ihnen auch viele Tataren, auf den Tennen und Mohnfeldern arbeiten. ■ Wenn ich den chinesischen Ackerbauer loben muss, so kann ich dies nicht von der Land -Verwaltung sagen. Es muss sehr schlecht mit der Gemeinde-Verwaltung und der Landpolizei be- stellt sein, sonst könnte bei dem Fleisse der einzelnen Landbauem unmöglich eine so geringe Aufinerksamkeit den Verkehrsstrassen gewidmet sein, deren Instandhaltung doch für jeden einzelnen Landbauer von der grössten Wichtigkeit ist. Alle Wege und Strassen, die sich zwischen den Gehöf- ten hindurchschlängeln, sind in einem wahrhaft jämmerlichen Zustande und nirgends sieht man eine Spur von Ausbesserung. Die schweren chinesischen, zweiräderigen Lastwagen mit ihren Eisenschienen, die mittelst vieler Nägel mit ^/g Zoll dicken Köpfen an den Radkranz geschlagen sind, reissen fusstiefe Furchen in den Lehmboden, so dass jeder folgende Wagen ge- zwungen ist, genau der Spur des vorhergehenden zu folgen. Da- bei sind die Wege sehr schmal, höchstens 2 Faden breit, so dass die breiten Wagen, deren riesige Räder wohl einen Faden weit auseinanderstehen^ nur einen schmalen Zwischenraum zu beiden Seiten freilassen. Begegnen sich zwei Fuhrwerke, so ist es auf — 309 — der Strasse eine beschwerliche Arbeit, sie an einander vorbeizu- bringen; auf den Feldwegen muss der eine Wagen ganz vom Wege gebracht werden, damit der andere passiren kann. Man kann sich denken, wie sehr die Wege durch ein solches Auswei- chen verdorben werden. In Folge eines solchen Zustandes der Wege ist es selbstverständlich, dass nur Lastwagen dieselben benutzen, jeder irgendwie Wohlhabende legt weitere Strecken zu Pferde zurück. Ich habe aber nur Männer reiten sehen, reichere Frauen werden in Sänften getragen. Ich bin jedoch keiner Sänfte begegnet. Tritt man aus dem Weichbilde durch eine Nebenstrasse in die eigentliche Stadt, so glaubt man in eine Einöde zu treten, selten begegnet man einem menschlichen Wesen, und ohne Führer ist es unmöghch, sich in dem Labyrinthe von engen Gässchen zurecht zu finden. Nur in gewissen Theilen der Stadt herrscht ein regeres Leben, da sitzen bei den Thorwegen junge, sehr aufgeputzte Frauen und laden die Vorübergehenden mit den Worten „sshau shin na lai!^' ein, in den Hof zu treten. Ein tatarischer Kaufmann brachte mich einst bei einer dieser Gassen vorbei. Es herrscht hier mehr Sitt« als an ähnlichen Orten euro- päischer Städte, der Vorübergehende wird höchstens ein- oder zweimal durch den Anruf belästigt. Sehen die Mädchen, dass maii die Gasse nur zu^Uig und ohne Absicht passirt, so achten sie; nicht weiter auf den Vorübergehenden. Die Lebensader der Stadt, die Marktstrasse, ist im Ganzen 10 — 12 Faden breit, bil- det aber an einzelnen Stellen etwas breitere Plätze. D^rch die Mitte zieht sich ein etwa ^g Arschin hoher und bis 3 Faden breiter Lehmdamm. Dies ist der Fahrweg ; wenn sich auf diesem zwei Wagen begegnen, so kostet es viele Geschicklichkeit,^ aus- zuweichen, denn bei der geringsten Unvorsichtigkeit würden die Wagen von der Erhöhung herabstürzen. Auf diesem Fahrdamme sieht man nun eine ununterbrochene Reihe von Wagen und Reitern vorbeiziehen, alle im langsamsten Schritt; wie sollte es auch sonst möglich sein, den ausgefahrenen, von Löchern und Gräben unterbrochenen Damm zu passiren? Da fahren breite Arben und blaue Passagierkutschen, welche auch auf zwei Räder gestellt sind; sie haben die Form der Arben, sind aber viel kleiner und statt des riesigen Verdeckes steht in der Mitte ein Bienenkorb, in dem kaum eine Person Platz hat, sich hinzu- kauern. Vorn auf dem Querholz sitzt der Kutscher. An schwie- — 310 — rigen Stellen steigt er ab und führt das Pferd am Zügel. Alle diese Wagen sind blau angestrichen, sie sollen sämmtlich MietK- kutschem angehören. Zwischen diesen Fuhrwerken hindurch winden sich mit Mühe und Noth Reiter, meist Soldaten und Be- amte, dann aber auch viele der im Gebirge wohnenden Noma- den, Kalmücken, Kirgisen und Buruten (schwarze Kirgisen), die man an ihren Trachten wohl unterscheiden kann. Den Wagen- zug unterbrechen Züge von Kameelen, Karawanen, die aus Mittel- asien hier eintreffen und ihre Waaren bei den hiesigen Kauf- leuten abzuliefern haben. Es tönt ein wildes Geschrei vom Fahr- damme her, besonders wenn durch die Ungeschicklichkeit eines Passirenden der ganze Zug in's Stocken gerathen ist. Dafür aber hat man nicht von dem unerträglichen Wagengerassel zu leiden, das die belebten Strassen europäischer Grossstädte charakterisirt. Die beiden Häuserreihen, welche die Marktstrasse einfassen, bieten den merkwürdigsten Anblick dar. Hier ist Alles bunt, unregelmässig, in seinen Linien barock, und das Auge des Hin- schauenden verwirrend. Die Häuser sind von den verschieden- artigsten Formen, aber alle einstöckig, dabei jedoch nicht gleich- hoch. Alle Häuser sind mit Holzschnitzwerk verziert und die ganzen W^nde mit buntem Papier, Inschriften, 'Laternen, bun- ten Zeugfetzen und Aushängeschildern behängt oder gleichsam überschüttet. Die Läden stehen fast ohne Ausnahme offen, das heisst, GS fehlt der untere Theil der Aussenwand des Hauses und an seiner Stelle sind einzelne Stützpfosten, die zur Nacht- zeit mit Brettern versetzt und geschlossen werden. Hier reiht sich buchstäblich Laden an Laden, denn die Werkstätten der Handwerker, die sich ebenfalls am Markte befinden, sind eben- sowohl Läden mit offenen Vorderwänden, nur mit dem Unter- schiede, dass in diesen der Handwerker mit seinen Gesellen arbeitet. Die Läden sind meist schmutzig und das Holzwerk ist mit schwarzem Russ überzogen. Nur selten sieht man einen neuen Laden, der mit neuem Schnitzwerke versehen und mit Oelfarbe gestrichen ist. Die Strasse selbst ist voll von Unrath und Schmutz, denn Jeder- mann wii^ft Kehricht und Küchenabfalle direkt auf die Strasse, wo sie liegen bleiben und faulen; da die Strasse niemals gereinigt wird, so ist die ganze Atmosphäre verpestet. Besonders stark riecht es überall nach Zwiebeln, dem Hauptgenussmittel der Chinesen und deren AbföUe überall auf dem Erdboden umherliegen. Auf — 311 — der Strasse herrscht eiii wilder Lärm: die Kaufleute in den Läden laden den Vorübergehenden ein, einzutreten, indem sie ihm ihre Waaren mit lauter Stimme anpreisen 5 die Handwerker hämmern und feilen, Hunderte von ambulirenden Händlern bieten mit starker Lunge Fleisch, Früchte, Medizin u. s. w. feil und schreien, dass Einem die Ohren gellen. Dazu die dichte Volksmasse, die gleich einem Bienenschwärme in der Strasse wimmelt: Beamte, Soldaten, reiche Privatleute mit Sonnenschirm und der mächtigen Brille auf der Nase, meist in dunklen Obergewändem, Kalmücken, Tataren, halbnackte Bettler, welche mit lautem Gezeter die Vor- überschreitenden belästigen; geputzte Frauenzimmer, alte Weiber in Lumpen gehüllt, nichtsdestoweniger aber mit schönen Rosen in den sehr zierlich frisirten Haaren: Alles wälzt und wogt im bunten Durcheinander an uns vorüber. Worte reichen nicht hin, das Bild zu beschreiben und davon nur eine irgendwie richtige Vorstellung zu geben. Stundenlang bin ich auf dem Markte umhergewandelt und habe mich mit dem Anschauen des Strassen- bildes ergötzt; trotz aller Unbequemlichkeiten, der Hitze, des Stossens und Drängens konnte ich mich gar nicht satt sehen an der Fülle der Bilder. Die Zeit flieht für den auf der Strasse Weilenden unmerklich hin. Auf der ganzen Ausdehnung des Marktes befindet sich zwischen den Läden und Werkstätten eine grosse Anzahl von Gasthäusern und Schenken. Die letzteren sind, ebenso wie die Läden, nach der Strasse hin offen. Es sind wahre Diebeshöhlen, die vor Schmutz starren; sie sind immer dicht gefüllt und man hört unablässig schreien, singen und fluchen, wenn man an ihnen vorübergeht. Nach den Erzählungen meiner Begleiter zu urtheilen, beherbergen diese Schenken viele Gau- ner und Diebesgesindel. Fast jeden Tag soll es Mord und Todtschlag in diesen Spelunken geben. Wenn Jemand erstochen worden, so wird er ganz einfach auf die Strasse geworfen, der Schuldige aber, wenn man ihn ergreift, wandert in's Gefang- niss. Der Prozentsatz von Gaunern, Dieben und Schwindlern soll hier in Kuldsha ein verhältnissmässig grosser sein; das kann auch nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, dass das Di- Thal ein Verbannungsort für die Spitzbuben des eigentlichen China, besonders für die schweren Verbrecher von Südchina ist. Diese Verbrecher werden hier losgelassen und Niemand beküm- mert sich um dieselben, bis sie abermals wegen neuer Verbrechen in die Hände der Polizei fallen. — 312 — Ueber die löbliche Polizei in Kuldsha habe ich von den Kaufleuten Wunderbares erzählen hören; man versicherte mich, dass die Polizeibeamten hier die Strassen streckenweise an pri- vüegirte Diebe verpachten; der biedere Pächter soll, wenn er auf seiner Strecke stiehlt und abgefasst wird, von der Polizei stets geschützt und nie dem Gerichte überliefert werden. Er übernimmt aber dafür die Pflicht, aufzupassen, dass andere Diebe auf seiner Strecke nicht stehlen, und hierfür giebt es keine besseren Aufpasser, da der Pächter sich zu diesem Zwecke Helfershelfer, besonders Knaben, hält, die ihm von jedem sich in seinem Distrikte aufhaltenden Diebe Kenntniss geben. Für die Polizei ist das Geschäft sehr vortheilhaft, da sie von jedem angezeigten Diebstahl des Hauptdiebes noch einen besonderen Antheil erhält. Um die Reinlichkeit und Ordnung auf den Strassen kümmert sich die Polizei durchaus nicht, und nur etwa, wenn schwere Verbrechen, Räubereien, Mord und Todtschlag verübt worden sind, werden die Diener der Polizei oder des Gerichts herbeigerufen. Wie weit die Fahrlässigkeit geht, da- von giebt folgende Begebenheit ein treffendes Zeugniss, welche mir von verschiedenen Seiten als wahr bezeichnet wurde. Ist ein Mensch in der Schenke erschlagen worden oder vor Hunger oder Kälte auf der Strasse gestorben, so gilt es als Gesetz, dass derjenige Hauswirth den Todten zu beerdigen hat, vor dessen Thür der Todte gefunden wird. Ist nun irgend Jemand auf der Strasse gestorben, so. ist es allgemein Sitte, dass der Hauswirth den Leichnam, um ihn nicht beerdigen zu müssen, bis zur Nacht auf der Strasse liegen lässt, ihn dann aber ein paar Häuser weiter schafft. Der Hauswirth, vor dessen Thür jetzt der Todte liegt, verföhrt vollkommen in gleicher Weise und so wandert der Todte oft eine Woche lang auf den Strassen Kuldsha' s umhei*, bis eine barmherzige Seele den vollkommen in Verwesung übergegangenen Leichnam, dem die Gauner längst den letzten Fetzen vom Leibe gestohlen haben, aufs Feld transportiren lässt und dort den Hunden zum Frasse hinwirft. Dasselbe würde mit gefallenen Thieren geschehen, wenn diese nicht für den Finder von Nutzen wären, denn es gäbe kein Thier, so versicherte mich Tutai, stinkend genug, dessen Fleisch nicht einen Liebhaber unter den Halunken der Tschämpän fönde; ebenso hänge kein Fetzen an einem Verstorbenen, den irgend Einer dieser Bande sich anzu- eignen verschmähe. *.-. __.» i-.rf. i_ J^ - — 313 — Die Bettler bilden in Knldsha eine Zunft, die ihre eigenen Gesetze und Vorgesetzten hat; sie theilen sich in gewisse Distrikte der Stadt und erheben direkt von den Hauswirthen eine be- stimmte Steuer; weigert sich der Hausherr, diese zu zahlen, so wird er von den Bettlern unaufhörlich belästigt, man wirft ihm gestorbene Gheder der Zunft und todte Thiere vor seine Haus- thür u. s. w. Es soll sogar Gesetz sein, dass jedem Bettler Etwas dargereicht werden muss; die Chinesen erfüllen dies sehr häufig wörtlich, indem sie dem Bettler einen Strohhalm, ein Stückchen Holz oder etwas anderes Werthloses überreichen. Ich habe während meines Aufenthaltes in Kuldsha drei grössere Gasthäuser besucht, zwei derselben waren chinesische, das dritte ein dumgenisches. (Dungenen beissen die mohamme- danischen Chinesen, die hier sehr zahlreich vertreten sind.) Das Innere der chinesischen Gasthäulser bestand aus einer Reihe von grossen Sälen, deren Decken auf mit Schnitzwerk verzierten hölzernen Säulen ruhten. Die Wände waren überall mit bunten Bildern beklebt und von der Decke herab hingen Papierlatemen von sehr phantastischen Formen. In den Sälen standen, wie in unseren Kaffeehäusern, Tische, Bänke und Sessel, alle von po- lirtem Holze, aber ohne irgend ein weiches Kissen oder Polster. Im Hintergrunde des Hauses waren einige geheime Cabinete. Der allgemeine Eindruck, den ein solches Gasthaus macht, ist ein freundlicher, wenn auch nicht ganz sauberer. Im ganzen Hause herrscht ein übler Geruch, den man vergebens durch Wohlgerüche zu verdrängen sucht. Am Tage sind die grossen Gasthäuser ziemlich leer, nur des Abends, wenn man Tänzerinnen oder Damen der Halbwelt hierherbringt, füllt sich das Haus, dann soll es die ganze Nacht hindurch lustig hergehen, da die Polizei hier keine Verordnung über die Schliessstunde der Kaffee- häuser erlässt. Das dungenische Gasthaus, das ich besuchte, war zweistöckig gebaut; der untere Kaum war für das arme Volk bestimmt; hier sah es sehr schmutzig aus; das obere Stockwerk enthielt nur einen sehr grossen Saal, dessen Decke auf ganzen Reihen von Holzpfeilem ruhte. Die Gastzimmer waren voll von Menschen, welche Thee tranken oder zu Mittag assen; Wein und hitzige Getränke wurden nicht verabreicht. Ich ass hier zu Mittag und bekam gewöhnliche tatarische Küche: Pelmeni, Nudelsuppe, Hammelfleisch und Pilaw aus Reis mit Rosinen. Dieses Gasthaus — 314 — soll den ganzen Tag über stark besucht sein, des Nachts ist es dagegen geschlossen. Da mich die chinesischen Grosshändler so frenndlich auf- genommen hatten, so lud ich dieselben ein, mit mir in einem Speisehause zu speisen. Ich hatte den Wirth aufgefordert, mir ein gutes Essen herrichten zu lassen und er hatte mir verspro- chen, Alles so zuzurichten, dass ich mit seiner Küche zufrieden sein sollte , und in der That er hielt Wort. Zuerst kamen acht kalte Gerichte mit Compot und Saucen, dann siebzehn warme Speisen, darunter achterlei Braten und zuletzt fünf verschiedene Gebäcke mit Füllung. Die Speisen wurden so aufgetragen, dass jedesmal die Tischplatte abgenommen und eine neue mit Speisen sowie frischen Schüsseln mit Essgeräthen besetzte Platte an ihre Stelle trat. Während des Essens wurde süsses Bier xmd sehr starker Branntwein gereicht; die Chinesen tranken aber sehr massig, obgleich ich sie ununterbrochen zum Trinken aufforderte. Für das ganze Mahl, von dem wir bei Weitem nicht die Hälfte verzehren konnten, hatte ich etwa 5 Rubel Silber zu zahlen, den Branntwein und das Bier mit eingerechnet. Dies ist gewiss ein deutlicher Beweis für die BiDigkeit der Nahrungsmittel in Kuldsha. Bei Gelegenheit der Bezahlung will ich bemerken, dass die einzige hier gangbare Münze der durchlöcherte Jarmak ist, deren sieben auf einen russischen Kopeken gehen. Es kann nichts Unbequemeres geben als diese Münze, denn um* für zehn Rubel zu transportiren, hat man wenigstens ein Pferd nöthig. Die einzigen Häuser, welche am Markte liegen und doch nach der Strasse zu keine Läden haben, sind die Häuser der chinesischen Grosshändler Hoa-ör-dan (Blumenläden). Dieselben sind so gebaut, dass sie mit dem Giebel der Strasse zu schauen. Ein Thorweg mit eisernem Gitter, der stets geschlossen ist, führt zu einem schmalen, langen Hofe, an dem zu beiden Seiten sich ein langes Gebäude hinzieht. Da wir die Factorei stets zu Pferde verliessen, so begaben wir uns, wenn wir Kuldsha besuchten, direkt zu den Hoa-ör-dan imd stellten bei ihnen unsere Pferde ein, die hier in den im Hintergrunde des Ho- fes liegenden Ställen untergebracht wurden. Auf der einen Seite des Hofes sind die Läden und das Hauptthor und im Hintergrunde die Speicher; auf der anderen Seite befinden sich die Wohnxmgen der Commis. Die Herren dieser Geschäfte wohnen — 315 — in China, hier sieht man nur ihre Vertreter und Gehülfen, die aber alle Theilhaber der Geschäfte sein sollen. Von den Conunis selbst ist keiner ein Hiesiger, alle kommen aus dem eigentlichen China. Der Laden der Hoa-ör-dan besteht aus einem geräumigen, sehr sauber gehaltenen Zimmer, dasselbe ist sehr hell, da die eine Wand fast nur aus Papierfenstem besteht, die bei schönem Wetter aufgehoben werden. In den Zimmern stehen mehrere Sessel aus roth polirtenl Holze und einige Schemel. Längs der einen Wand zieht sich eine Erhöhung hin, die so breit ist, dass ein Mensch bequem darauf liegen kann, und vor dieser steht auf einem Postamente ein viereckiges messingenes Becken, in dem ein grosses Stück Steinkohle glüht; über diesem Feuerbeeken steht stets eine schmale, lange, messingene Theekanne. lieber die höl- zerne Erhöhung sind Teppiche gebreitet. Im Winter, wenn es kalt ist, soUen auf die Bänke Becken mit durchglühten Stein- kohlen gestellt werden, da keine Oefen vorhanden sind. An der einen Seite des Zimmers führt eine Thür zum Waarenlager und vor dieser Thür steht ein langer Ladentisch, der die ganze eine Wand des Zimmers einnimmt. Waaren sind in dem Laden nirgends ausgestellt; verlangt irgend ein Käufer eine Waare zu sehen, so bezeichnet er sie mit Worten und die Waare wird sogleich vom Lager geholt und ihm vorgelegt. Beim Abschliessen des Handels reichen sich Käufer und Ver- käufer die Hand, die sie mit den langen Aermeln verdecken, und theilen sich durch einen Conventionellen Druck der Finger Preis- forderung und Kaufgebot mit. So handeln sie miteinander, ohne ein Wort zu sprechen, und nur aus den Mienen kann man die Missbiüigung oder die Annahme des Angebotes der beiden Betheihgten erkennen. Ist man so übereingekommen, so wird der Pakt durch Händedurchschlagen von einem dritten Anwesen- den festgemacht. Auf diese Weise kann man in Gegenwart von vielen Zeugen einen Handel abschliessen, ohne dass die An- wesenden die Bedingungen und den Umfang des abgeschlossenen Kaufvertrages erfahren. Auf diese Weise werden Handelsver- träge über Tausende von Rubeln abgeschlossen, nur auf Hand- schlag, nie eine Zeile eines geschriebenen Contractes. Die Hoa- ör-dan sollen so sichere Kaufleute sein, dass sie nie einen ab- geschlossenen Handelsvertrag brechen; die russischen Kaufleute vertrauen ihnen Tausende von Rubeln auf Handschlag an, und sollen noch nie von ihnen nur um Etwas betrogen worden sein. — 316 — Die Einrichtung des Comptoirs, wie auch die der Zimmer der Commis, unterscheidet sich wenig von der des Ladens. Ueberall dieselben Sessel, dieselben Erhöhungen, die ihnen als Bettstellen dienen, dieselben Kohlenbecken; nur stehen im Comptoir eine Reihe von Pulten, an denen Leute schreiben. Die chinesischen Rechnungsbücher sind etwa einen Fuss lang und drei Zoll breit und auf der einen Schmalseite zusammengeheftet. Quittungen, Rechnungen und Wechsel sind lange, zwei bis drei Zoll breite Streifen. Beim Schreiben wenden die chinesischen Commis die chinesische Schnellschrift an, complicirtere Zeichen schreiben sie aber mit gewöhnlicher Schrift. Als ich fragte, ob sie Mandchu- risch zu schreiben verständen, lachte man mich aus. Zu Hause im Comptoir sind die chinesischen Kaufleute stets mit weissen Unterhosen, weissem langem baumwollenem Hemd, über den Unterhosen mit blauen, bis übers Knie reichenden, anschliessenden Hosenbeinen, die am Unterhosengürtel befestigt werden, weissen Strümpfen und schwarzen Schuhen mit Filzsohlen bekleidet. Ist es kühl, so tragen sie über dem Hemd eine Weste ohne Aermel; gehen sie auf die Strasse, so ziehen sie über die Weste noch ein dunkles Oberkleid und bei girösserer Kälte noch eine Jacke mit Aermeln, die im Winter mit Pelz gefüttert ist. Frauen bringen die Hoa-ör-dan-Kaufleute nicht mit. In jedem Magazine der Hoa- ör-dan dienen wohl 10 — 15 Commis. Sämmtliche Dienenden speis- ten an einer gemeinschaftlichen Tafel und zwar wurde diese im Hofe aufgerichtet. Fast alle oder wenigstens die meisten sind dem Opiumrauchen ergeben. Man kann die. Opiumraucher leicht erkennen, sie haben meist ein gespensterhaft bleiches Aussehen, sehr schlechte, schwarze Zähne und gelbe Flecken im Gesicht. Ich habe mehrmals die Commis der Hoa-ör-dan beim Opiumrauchen beobachtet. Die Opiumpfeifen bestehen aus einem anderthalb Fuss langen, geraden Rohre, an dessen einer Seite sich ein Metallcylinder mit einer feinen Oeffnung befindet. Der Raucher legt sich auf das Bett, stellt neben sich eine Lampe, legt vor die Pfeifenöffiiung eine kleine Opiumkugel von der Grösse einer Erbse, dann setzt er die Pfeife an den Mund, hält mit der linken Hand das andere Ende derselben, so dass die Flamme der Lampe die Opiumkugel trifft; in der rechten Hand hält er eine Nadel und durchsticht jedesmal, wenn er die Luft aus dem Rohre einzieht, die Opiumkugel mit der Nadel, bis sie ganz verbrannt ist. Den ganzen Dampf zieht er ein und lässt ihn — 317 — nur nach Absetzen der Pfeife durch Mund und Nase heraus; nachdem er zwei oder drei Pfeifen geraucht hat, pflegt ihm die- selbe zu entsinken; der Eaucher liegt mit offenen Augen eine Weile wie besinnungslos da, schläft ein und erwacht erst nach einer Stunde. Starke Raucher sollen sechs bis acht Pfeifen nach- einander ausrauchen können. Diejenigen, welche sich dem Opium vollkommen ergeben haben, vermögen kaum drei Stunden ohne denselben zu leben; dergleichen Leute gehen sehr bald zu Grunde. Tabakraucher sind alle Chinesen, sie schmauchen ununter- brochen aus ihren kleinen Pfeifen ; zu Hause gebrauchen sie Wasserpfeifen; ebenso sind sie unersätthche Theetrinker, die Kanne steht stets am Feuer. Sie trinken meist nur Fu-Thee, der in lose gepressten Blöcken zu 1 ^/g Pud verkauft wird. Dieser Thee muss wie der Ziegelthee gekocht werden. Die Chinesen geniessen ihn ohne jeglichen Zusatz und lauwarm. Wollen sie einen Fremden mit gutem Thee bewirthen, so geben sie diesen in eine feine Porzellanschale, übergiessen ihn mit kochendem Wasser und decken die Schale mit einem Porzellandeckel zu; so überreicht man das Gefilss. Der Trinkende schiebt den Deckel ein wenig bei Seite und schlürft durch den freigelassenen Eaum, er muss die Tasse vorsichtig aufheben, damit der Theesatz in der Schale verbleibt. Für jede neue Schale wird frischer Thee eingelegt, derselbe ist äusserst wohlschmeckend. An den Fu- Thee muss man sich erst gewöhnen und dazu hat man hier Gelegenheit, denn er wird überall gereicht. . lieber das Familienleben vermag ich weiter nichts SelbstT gesehenes mitzutheilen, da ich nur in die Wohnungen der Hoa- ör-dan Einlass gefunden habe und auch für diese Besuche nur wenig Zeit übrig hatte. Ebensowenig war ich im Stande, hier Erfahrungen über den Charakter und die Denkweise der Chinesen zu sammeln. Der Hauptzug des chinesischen Charakters scheint mir, soweit ich erfahren konnte, Selbstsucht und Habgier zu sein. Jeder scheint nur an sich zu denken und nur die eigenen Interessen zu verfolgen. Ein solcher Gedanke muss sich einem Jeden aufdrängen, der auch nur ein paar Stunden auf einer chinesischen Strasse verweilt hat. Man sieht die Leute hier an- einander vorbeieilen und absolut nicht die geringste Aufmerk- samkeit auf den Nachbar wenden. Ich glaube, wenn ein Leich- nam auf der Strasse läge, würde nicht ein einziger Mensch an ihn herantreten, dafem es nicht Jemanden gäbe, der sich einen — 318 — Vortheil davon verspräche. Sonst seheint mir der Chinese noch grosssprecherisch und feige zu sein,' dahei unverschämt und anmassend, wenn er sich nur irgendwie beeinträchtigt fühlt. Andere Gharakterzüge konnte ich natürlich während meines so kurzen AufenthaHes nicht bemerken. Mit dem Fremdenhass ist es nicht weit her, das zeigte mir vor Allem das Uebenswürdige Betragen der Grosshändler, die doch echte Chinesen sind und mich so freundlich aufnahmen, ohne dass sie von mir auch den geringsten Vortheil gehabt hätten. In Betreff des Handels will ich noch Folgendes erwähnen; Die Hoa-ör-dan handeln zwar mit allerlei chinesischen Waaren: Zeugen, Papier, Porzellan, Tusche, Schmucksachen, allerlei Ma- nufakturwaaren; ihr Haupthandelsartikel ist aber doch Thee imd zwar werden hierher nur die geringen Sorten Baichu-Thee, Fu-Thee, Tsau-lau, grüner Thee, kleiner und grosser Ziegel- thee eingeführt. Mit den Bewohnern Kuldshas handeln sie gegen baares Geld (Scheidemünze Jarmak oder Silberbarren), mit den russischen Kaufleuten gegen Silber, Gold oder russische Waaren. lieber den Preis chinesischer Stoffe erfuhr ich Folgendes: Tabar (schweres Seidenzeug) kostet die Breite 3 R. Molun (schweres Seidenzeug mit runden Blumen) die Breite 6 — 25 „ Durdun (schweres Seidenzeug) ein Tschi . Hoang-tschu (dünnes Seidenzeug) ein Stück Djän-däu (Baumwollenzeug) eine Lage . Tschi-tschän-tschän (Baumwollenzeug) ein Rock Djän-tschu (Baumwolle) ein Tschi .... Män-tschu (Baumwollenzeug) ein Tschi ... 30 ,, Die Hoa-ör-dan sind die Vermittler der Handelsbeziehungen Chinas mit dem Bi-Thale, durch sie werden die meisten Klein- händler Kuldshas mit chinesischen Produkten versorgt, ebenso führen sie die Produkte des Bi-Thales: Hom, Opium, Eier (zer- schlagen in Kesseln) und Pferde nach Urumtschi und China aus. Auf dem Kuldshaer Markte sind viele Läden der Kasch- garen, welche die Produkte des Ally-Schähär oder der kleinen Bucharei und aus Mittelasien (Kokand und Buchara) hier an- kaufen. Durch meine tatarischen Bekannten wurde ich auch hier bekannt. Da die Tataren ihre Waaren im Laden auslegen, 6- -8 )j 3 >> 2 >> 8 j> 20 K. i^M^MK^MU .WU -»*r_Ä*-*^. 319 so war es mir leicht, einen Ueberblick über diejenigen Produkte, die von den oben genannten Orten in das Hi-Thal eingeführt werden, zu gewinnen und mir auch ihre Preise zu notiren. Es sind dies hauptsächlich Schnittwaaren, die grösstentheils von der tatarischen Bevölkerung gekauft werden. Aus Kaschgar. 1. Baumwollenzeuge. Schang ein Stück Karima Törtwak Kökübasch ,, Tscholak ,„ Süpäti (geglättet) ein Stück Chasä (bunt) ,, Mäschrü (geglättet) ,, Dälämbü (gestreift) „ Simavi (gestreift) ,, — R. 90 K. 80 jy )> yy __ y ^-' V ) « , 75 „ — , 60 „ , 40 „ 1 , y n 1 , , 50 „ ^ , , 50 „ 2 , , 50 „ 4 , , 80 „ 2. Teppiche. Giläm, grosse, aus Seide von . Siltsdiä, kleine, aus Seide von . Märosa, aus Wolle Tschärosa, aus Wolle .... 10 bis 100 E. 3 ,, 6 ,, 2 „ 3 n yy Bettdecken waren aus Seide, Wolle und BaumwoUe, auch mit reichen Stickereien, zu den verschiedensten Preisen vorhanden. Aus Buchara und Taschkend. 1. Seidenzeuge. Kimkat (Seidenzeug mit Goldblumen) ein Eock . 100 R. Tätula (Seidenzeug mit reicher Stickerei) ,, ,, . 150 ,, Schajä (bucharische Seide) ,, ,, .8 — 10 „ Durja (buntes Seidenzeug mit baumwollenem Unter- schlage) ein Rock 6 — 7 „ 2. Baumwollenzeuge. Täibu, ein Tschi 9 Kop. Tschuibu, ein Tschi . . . . 6 ,, — 320 — Täidshibu, ein Tschi .... 9 Kop. Gämbu, ein Tschi 10 „ Basma (bedruckt), ein Stück . 60 ,, 3. Wollenzeug. Chosa, ein Rock 10 Rub. Es muss wohl keinem Volke so schwer werden, eine fremde Sprache zu erlernen, wie den Chinesen. Die hiesigen grossen Kaufleute sprechen alle tatarisch; aber gleich wie in Kanton sich eine eigene Sprache, das Pitschen- Englisch, gebildet hat, und in Kjachta das berühmte Kjachtaer Russisch, so ist auch die hiesige chinesisch-tatarische Sprache, die man erst erlernen muss, ein in chinesische Syntax uimgesetztes Tatarisch. In den ersten Tagen meines Aufenthaltes konnte ich nicht unterschei- den, ob man mich chinesisch oder tatarisch anredete. Nach einigen Tagen lernte auch ich zum Theil die Chinesen ver- stehen. Den 4. August verliess ich Kuldsha in Begleitung dreier Kosaken, die sich mit der Post nach Koksa begaben. Wir waren »jetzt ohne chinesischen Convoi, durften aber auch nur auf demselben Wege zurückkehren. Da Regenwetter eintrat, so ritten wir, ohne uns aufzuhalten, und erreichten schon am sechsten Tage die Koksinskaja Stanitza. Der ganze Weg wurde ohne jeden Unfall zurückgelegt, nur der Uebergang über den ösök war sehr schwierig, das Wasser war gestiegen und wir kamen fast mit Lebensgefahr und ganz durchnässt über den Fluss. Schon in Kuldsha hatte ich Gelegenheit, von eingeborenen Tarantschi über die Verhältnisse des Ili-Thales Erkundigungen einzuziehen. Dann traf ich mehrere Tarantschi in Kopal und verbrachte mit ihnen einige Tage und einer derselben beglei- tete mich nach Bamaul; so gelang es mir, aus diesen Aufzeich- nungen ein ziemlich genaues Bild von dem Ili-Thale und seinen Bewohnern zu erhalten. Besiedelung des Ili-Thales. Das Hi-Thal ist gewiss schon seit vielen Jahrhunderten seiner günstigen Lage und Fruchtbarkeit wegen ein Sitz von Kulturvölkern gewesen, denn Hulaga Kan, der Mongolenfürst, — 321 — nennt schon auf seinßn\^Erobenmgszage 1253 die Uiguren''Stadt Almalik, (die heutige russisclie Stadt Wemoje wird noch jetzt von den Kirgisen Almaty genannt), die während der Mongolen- herrschaft auch später mehrmals als der Sitz von Mohamme- danern und Nestorianischen Christen erwähnt wird. Nehen Al- maty war noch eine zweite Stadt, das tatarische Kuldsha, ent- standen. Zur Zeit der Herrschaft der Kalmücken-Kane, die im XVn. und im Anfang des XVIII. Jahrhunderts ihre Residenz im Hi-Thale hatten, waren schon viele hucharische Ansiedler im Ili-Thale, ja, am Korgos soll nach russischen Aussagen vom. Kan der Kalmücken schon im Anfange des vorigen Jahrhunderts ein schöner Garten mit Fruchthäumen angelegt worden sein. Hier sollen zu derselhen Zeit schon angesiedelte Chinesen den Acker behaut, und femer in dieser Gegend Kalmückenklöster sich befunden haben. Als das Dsungaren- Reich nun um die Mitte des vorigen Jahrhunderts vernichtet wurde und sich der Kaiser Kien-lung das östliche Turkistan unterworfen hatte, Hess es sich die chinesische Regierung besonders angelegen sein, in diesem neuen Gebiete, das schon 1755 zur chinesischen Pro- vinz erhoben war, an einem Punkte besonders festen Fuss zu fassen. Zu diesem Zwecke wählte man als den passendsten Ort den östlichen Theil des Ili-Thales aus, da es sich am Besten zu grösseren Ansiedelungen eignete und gleichsam in dem. Mittel- punkte der neueroberten Länder befand. Dazu kam noch, dass die früheren Bewohner dieses Landstriches nicht nur besiegt, sondern mit Ausnahme der Bewohner der Tatarenstadt Kuldsha vollständig aus ihren Wohnsitzen verdrängt waren, so dass man bei neu anzulegenden Colonieen in keiner Weise auf Schwierig- keiten stiess. So wurden denn westlich von der Tatarenstadt Kuldsha sieben Festungen angelegt, von denen zwei die jetzt allgemein unter dem Namen Kuldsha genannte Stadt Kära und das weiter nach Osten liegende Fort Bajandai Mand schuhe- Satzungen erhielten. Die übrigen fünf Forts: Korgos ^ Tsching- di'Cho-dy Sü'ding, Da-losi-^ng und Tschim-pän-si wurden mit Cham -hing oder chinesischen Soldaten besetzt. Dann siedelte man zum Schutze der Grenze Militär-Colonieen aus Daurien an^ und führte zur besseren Betreibung des Ackerbaues aus der kleinen Bucharei (Alty-schähär, das Sechs -Städte -Gebiet, wie es die Kuldshaer Tataren nennen) 6000 TatarenfamiHen zum Ili über ; zuletzt errichtete man hier eine Verbrecher-Colonie von Radi off, Aus Sibirien. II. 21 — 322 — Verbannten aus dem eigentlichen China. Durch diese Ueber- siedelungen erhielt das ganz verödete Hi-Thal im Verlaufe weni- ger Jahre eine ziemHch starke Bevölkerung, die eben, weil sie aus so verschiedenen Elementen bestand, ein Bollwerk der Mandschu-Herrschaft im Westen wurde. Seitdem sich die Kirgisen der grossen Horde und die schwarzen Kirgisen (Burut) nördlich vom Issyk-köl und am Karkara den Russen unterworfen, Letztere aber grössere Ko- sakenansiedelungen am oberen Ili gegründet hatten, erstreckte sich nach dem Pekinger Tractat die chinesische Herrschaft am Hi nur bis zur Mündung des Borochudsir. Die Grenze ist nicht genau bestimmt, da vom Borochudsir westHch bis zum Schilik zu beiden Seiten des Ili grosse Sandflächen liegen und die Ufer d.ieses Flusses hier nur wenigen Kirgisen- Aulen ein Winterasyl gewähren können. Im Jahre 1862 war eine Kommission mit der Grenzregulirung zwischen Russland und China beschäftigt. Der dicht bevölkerte Theil des chinesischen Ili-Thales erstreckte sieh vom Flusse Türgän östlich bis zum Flusse Kasch, einem rechten Nebenflusse des Hi, über eine Strecke von etwa 20 bis 25 Meilen. Weiter aufwärts am IH waren Ansiedelimgen von Ackerbauern unmöglich, da hier die Gebirge bis dicht an den Ili treten, westlich vom Kasch hingegen ist das Bi-Thal 4 bis 7 Meilen breit. Bodenbeschaffenheit und Klima. Die Bodenbeschaffenheit der hier bezeichneten Strecke des Ili-Thales ist für den Ackerbau sehr günstig. Mit Ausnahme weniger Sandstrecken dicht am Ufer des Ili sind das Hauptthal dieses Flusses und die Thalrinnen der zahlreichen Nebenflüsse meist mit einem fetten, trockenen Lehmboden bedeckt, der bei rationeller, künstlicher Bewässerung ohne viel Dung einen reichen Ernteertrag liefert, aber eben nur bei gehöriger Bewässerung, denn ohne dieselbe kann bei der Trockenheit des Ellimas ab- solut Nichts gedeihen. In den Sommermonaten gehört Regen hier zu den grössten Seltenheiten, und ein noch so starker Regen verschwindet bei der Trockenheit des Bodens und der grossen Hitze nach wenigen Stunden, ohne auch nur die ge- ringste Spur zurückzulassen; hier kann eben nur eine künstliche Bewässerung die gewünschten Erfolge erzielen, denn Gegenden, deren Lage eine solche unmöglich macht, liegen, wie ich selbst — 323 — zu beobachten Gelegenheit hatte, trotz der Fruchtbarkeit des Bodens, vollkommen wie Sandwüsten da, ohne selbst den ge- ringsten Graswuchs zu erzeugen. In den Thalrinnen der Neben- flüsse ist das Land theilweise steinig, aber trotzdem, wie man mich vielfach versicherte, nicht weniger fruchtbar, nur ist die Arbeit viel schwieriger. Das Klima des Ili-Thales ist wie das der östlichen Dsun- garen- Steppe überhaupt eine Uebergangsstufe zwischen dem rauhen Klima Sibiriens und dem fast tropischen Klima jenseits des Thianschan. Im Winter, der eigentlich nur drei Monate dauert, föUt das Thermometer bis 25® und die sehr hohe Kälte hält meist drei Wochen an. Zu Anfang und Ende des Winters ist das Wetter veränderlich. Der Schneefall ist bisweilen ziem- lich bedeutend, gute Schlittenbahn aber im Thale selten. Der Sommer hingegen ist furchtbar heiss, und ich selbst hatte Ge- legenheit, im August eine Hitze bis 36* R6aumur im Schatten anzutreffen. Der Monat April soll häufig regnerisch sein; für die Bewohner ist das Klima sehr gesund und daher gehören Epi- demieen zu den Seltenheiten; wenn sie aber vorkommen, so sind sie durch die ungesunde Luft in den chinesischen Städten ver- anlasst. Eine Ausnahme machen die Pocken, die hier schon mehrmals in diesem Jahrhundert die grössten Verheerungen an- gerichtet haben. Seinem Klima verdankt das Ili-Thal den Vorzug, dass hier schon viele Früchte reifen, die das Klima der nördlicheren Gegen- den nicht vertragen. Von Baumfrüchten reifen Aepfel, Pfirsiche, Aprikosen, Schaptala, Granatäpfel, auf den Feldern gewinnt man Wein, Melonen, Arbusen (von ausserordentlicher Grösse), alle Getreidearten, Mais, Reis, Baumwolle und Tabak. ■v. Die Flüsse und Kanäle. Besondere günstig für den Anbau des Landes sind die vielen kleineren und grösseren Flüsse und Bäche, die hier aus den Grenzgebirgen in das Hi-Thal herabströmen, der grösste Theil dieser Flüsschen wird durch Kanäle auf die Aecker ge- leitet und ihr Wasser hier vollständig verbraucht. Nur die be- deutenderen gelangen bis zum Ili. Wenn ich in Folgendem eine kurze Uebersicht der Neben- flüsse des Ili zwischen dem Kasch und Ösök gebe, so muss ich mich, da mir eine Rundreise nicht gestattet war, darauf 21* — 324 — beschränken, die mir genannten Flüsse der Reihe nach aufzu- zählen, wobei mancherlei Irrthümer unvermeidlich sind. Betrachten wir zuerst die Flüsse, die sich von Norden aus in den Ili ergiessen. Der östlichste dieser rechten Nebenflüsse ist der eben genannte Kasch; er entspringt auf den südlichen Ausläufern des Alatau und strömt in seiner Hauptrichtung nach Südwesten. lieber seinen oberen Lauf habe ich keine Kunde einziehen können, in seinem unteren Laufe ist er von bedeu- tender Breite und sehr reissend. Seine Ufer sollen sehr bergig sein und am linken Ufer die Felsen oft bis dicht an den Fluss treten. Bis zu seiner Mündung in den Ili wird er von Berg- zügen begleitet, die mit Ausnahme eines kleinen Plateaus am linken Ufer etwa 10—12 Werst von der Mündung nicht zum Ackerbau geeignet sind. Von Nebenflüssen, die der Kasch an seinem unteren Laufe auf nimmt, ^wurden mir nur zwei genannt, die Nilka und der Olatai, beide strömen ihm von rechts zu. Der nächste grössere Fluss, der westlich vom Kasch zum Ili fliesst, ist der PSitschi, Er mündet nicht weit von der Ta- tarenstadt Kuldsha in den Ili. Zu erwähnen ist, dass der Pi- htschi einige Werst nördlich von der Stadt Tschim-pän-si von einem grossen Kanal (Ostäng), der vom Kasch nach dem chi- nesischen Kuldsha geleitet ist, durchschnitten wird. Bei seiner Mündung ist der Pihtschi nicht viel mehr als ein Bach, weil der grösste Theil seines Wassers durch die Ackerbewässerung verbraucht wird. Zwischen Pilitschi und Kasch wurden mir vier Flüsschen genannt: Boroburgasun , Büakäi, Tschulhurgai und Jirgalang. Ich vermag nicht anzugeben, ob diese Flüsse ur- sprünghch Nebenflüsse des Pilitschi sind, oder ob sich einer oder der andere von ihnen früher in den Ili ergoss. Gegen- wärtig wird ihr ganzer Wasservorrath auf den Aeckern ver- braucht. Der Jirgalang, der dem Pilitschi am nächsten liegt, ist grösser als die übrigen drei Flüsschen. Der nächste grössere Fluss, der den Ili erreicht, ist der Yklyk. Er fliesst dicht bei dem chinesischen Kuldsha in den Bi. Hier, wo ich ihn selbst durchritten, ist er ein ganz unbedeutender Bach, sein Bett aber, das eine bedeutende Breite hat, beweist, dass der grösste Theil seines Wassers auf den Aeckern verbraucht wird. Am oberen Laufe des Yklyk liegt das Fort Da-lo-si-gung und weiter nach Süden das Fort Süding. Bei der Stadt Da-lo-si-gung soll er viel bedeutender sein. Zwischen Yklyk und Pilitschi wurden ■ — ■ — 325 — mir die Flüsschen Mogai und Almuta genannt. Letzteres Flüss- clien führt also denselhen Namen wie der Fluss, an dem die russische Stadt Wernoje liegt, es könnte* sich also auch hier die alte Stadt Almalig hefunden hahen. Bedeutender als alle bis jetzt nach dem Kasch genannten Flüsse ist der etwa 20 bis 30 Werst sich westlicher in den Ili ergiessende Fluss Kw^gos, Nordwestlich von der Stadt Korgos, wo ich ihn durchritt, ist er schon in mehrere Arme getheilt. Bei der Stadt Korgos sind die Ufer flach, jedoch konnte ich deutlich erkennen, dass sich nur wenige Werst nördlicher das linke Ufer zu einer steilen Wand erhob. Zwischen Yklyk und Korgos habe ich mehrere Bäche durchritten, kann aber nur den Namen des bedeutend- sten derselben, den Tülki, auflFühren. Am Tülki liegt das Fort Tsching-di-cho-si . Der westlichste der rechten Nebenflüsse des Hi ist der Osökj dessen ich schon in meinem Tagebuche erwähnt habe. In seinem oberen Laufe, wo ich ihn nicht weit vom zweiten Piquet passirte, ist das Flussthal etwa 2 — 3 Werst breit. Die Uferberge sind sehr steil und steinig und erheben sich zu bei- den Seiten wie das Flussthal begrenzende Mauern. Während das Hochplateau zu beiden Seiten des Flusses steinig ist, ist das Thal dicht bewaldet. Hier im Gebirge dient es einigen wenigen Kirgisenfamilien der grossen Horde zum Aufenthalt. Der Fluss selbst ist wohl 50 Faden breit. Zwischen Ösök und Korgos traf ich mehrere Flüsschen, kann aber deren Namen nicht nennen, da der uns begleitende Solone jegliche Auskunft über die Gegend versagte. Der Ösök bewässert den grössten Theil des nach Süden liegenden Solonengebietes. Von Süden her fliessen viel weniger Flüsse zum Ili herab, als von Norden; daher kommt es auch, dass das linke Ufer,* d. h. der südliche Theil des Hi-Thales, viel weniger bevölkert ist als das rechte. Südlich vom chinesischen und tatarischen Kuldsha wurden mir fünf Flüsschen in folgender Ordnung von Osten nach Westen genannt: Tarksyl, Koguschi, Jagastai, Kai- nak und Bugra. Alle diese Flüsschen können nur unbedeutend öein, dies ist schon daraus zu erkennen, dass ihr Wasser dicht beim südlichen Grenzgebirge auf den Aeckem vollständig ver-' braucht wird. Für die geringe Bedeutung dieser Wasserläufe spricht ferner der Umstand, dass an keinem derselben mehr als zweihundert Ackerbauer-Familien angesiedelt sind. In viel grosse- — 326 — rer Entfernung vom Di und viel weiter nach Westen, als die eben genannten fünf Flüsse, wurden mir femer noch vier Flüsse als Ackerplätze für Tataren -Ansiedlungen genannt: Chonokai, Dolaty, Galdshang und Dadamty. Dies^ Flüsse waren meinen Berichterstattern nur dem Namen nach bekannt. Das Wasser der kleinen Nebenflüsse reicht aber bei weitem nicht hin, um alles angebaute Land des Di-Thaies zu bewässern. Zu diesem Zwecke wurden, sowohl aus dem Kasch wie auch ans dem Di selbst, einige bedeutende Canäle (östäng) zu den trockneren Landstrichen geführt. Für das rechte Ufer, das höher ist als das linke, wurden die Canäle aus dem Flusse Kasch ge- leitet, für das linke Ufer musste der Ili allein das nothwendige Wasser liefern. Aus dem Kasch sind vier Canäle nach Westen geführt; der bedeutendste derselben ist der Üluk Östäng (der grosse Canal), er nimmt seinen Anfang etwa 25 Werst von der Mündung de» Kasch und ist 60 — 70 Werst weit geleitet. Seine Hauptrichtung ist südwestlich, bis zum Fort Bajandai und dann westlich bis fast zum chinesischen Kuldsha. Seine Aufgabe besteht darin, die Aecker östlich vom chinesischen Kuldsha zu bewässern, da das Wasser des PiÜtschi und Yklyk zu diesem Zwecke nicht ausreichend ist. Einige Werst südlicher als der Uluk Östäng führt ein kleiner Canal, der Kösün genannt wird, das Wasser des Kasch auf die Aecker der Tataren-Beamten, die auf einem Plateau am rechten Ufer des Kasch liegen. SüdHch vom Kösün sind noch zwei ziemlich bedeutende Canäle aus dem Kasch ge- führt, der Baitukai und der Ari östäng (der hintere Canal) > die die tatarischen Aecker zwischen dem Di und dem Uluk Östäng zu bewässern haben; der letztere führt sein Wasser dicht bis zum tatarischen Kuldsha. Am Hnken Ufer finden sich nur zwei sehr bedeutende aus dem Di selbst geführte Canäle; der eine Beginnt tmterhalb der Kaschmündung und bewässert die Aecker der Schibä, die südlich von den beiden Kuldsha wohnen. Der zweite Canal wird von den Tataren Tohi8 Tara östäng genannt (der Neun- Aecker-Canal) und hat seinen Anfang oberhalb der Kaschmün- dung; er soll ein wahres Kiesenwerk sein, denn in seinem obem Laufe führt er wohl 20 Werst durch die felsigen Uferberge des Di. Der Zeit nach ist er der zuletzt angelegte Canal, er — 327 — \ wurde im 14. Jahre der Regierung des Kaisers Tau-Kuang (1834) angelegt. Die Bevölkerung des Ili-Tliales. Nachdem ich so in kurzen Zügen die Lage und geogra- phischen Verhältnisse des Ili-Thales zu schildern versucht habe, will ich jetzt 'meine Aufmerksamkeit den Völkerstämmen zu- wenden, die dasselbe bewohnen. Die Vorgeschichte und die chinesische Eegierung haben auf einem, dem Umfange nach so kleinen Gebiete, ein buntes Gewirr der verschiedenartigsten Völkerelemente zusammengeführt. Der Abstammung und der Sprache nach verschieden, durch Religion, Sitten, Lebensweise und Verwaltung streng von einander getrennt, haben diese Stämme über ein Jahrhundert dicht nebeneinander, ja sogar untereinander gelebt, ohne sich zu vermischen oder auch nur im Geringsten einander näher zu treten. Jeder Stamm steht dem andern feindlich gegenüber, aber in diesem gegenseitigen Hasse sind sie gerade die Stütze der Mandschu, die sie selbst nicht weniger hassen, als ihre mitbeherrschten Stammfeinde. Aber wehe den Mandschu, wenn der Hass gegen sie einmal stärker wird, als der Hass der Stämme untereinander; wenn sich nur zwei derselben verbinden, so ist die Macht der Man- dschu für immer vernichtet. Die ältesten Bewohner des Bi- Thaies, die noch in com- pakteren Massen in der Nähe wohnen, sind die West-Mongolen oder Kalmücken. Als der Kaiser Kien-lung die Macht der Kal- mückenkane gebrochen hatte, wurden die Unterthanen der- selben zum grössten Theile nach Westen und Nordwesten ge- drängt. Erst 20 Jahre später kehrten sie zum Theil in ihre früheren Wohnsitze zurück. Die chinesische Regierung hatte aber damals die neue Kolbnisation des Hi- Thaies zum Theil schon in' s Werk gesetzt und gestattete ihnen daher nicht, ihre Wohnsitze im Thale selbst zu nehmen, sondern wies ihnen die Grenzgebirge zum Wohnsitze an. Hier finden wir sie noch heute; in einem Halbkreise umschliessen sie das Thal. Nach den Angaben meiner Berichterstatter beträgt die Gesammtzahl der Abgaben zahlenden Kalmücken, die hier in den Grenzge- birgen nomadisiren, etwa 18 — 20000 Familien; sie zerfallen in 40 Sumul, je von 4 — 500 Familien. Diese 40 Sumul sollen ungefähr folgendermassen vertheilt sein: — 328 ^ 1. In dem südlichen Grenzgebirge: a) Durgan Sumul (6 S.) am oberen Tekes; b) Arban Sumul (10 S.) am unteren Tekes; c) Dörbün Sumul (4 S.) südlieh und östlich vom Canal Tokus Tara. 2. In den nördlichen Grenzgebirgen: Chorum Sumul (20 S.) vom Osök bis zum Kasch. Ausser diesen vierzig Sumul leben noch ebensoviele Kal- mücken weiter nach Osten und Nordosten, sie wurden mir mit dem Gesammtnamen Tschakor bezeichnet. In ihrer Lebensweise unterscheiden sich die Kalmücken nur wenig von den Kirgisen; sie sind wie diese Nomaden, die sich hauptsächlich mit der Viehzucht beschäftigen. Sie leben in Filzjurten und wechseln ihre Wohfisitze nach der Jahreszeit, d. h. den Sommer bringen sie auf den Kämmen der Gebirge zu und ziehen zum Winter allmählig wieder zu den Thälem hinab. Ihr Reichthum an Vieh soll dem der Kirgisen gleich- kommen, nur halten sie mehr Pferde als diese. Der Ackerbau wird bei ihnen in weit geringerem Maasse getrieben als bei den Kirgisen, mit Ausnahme von wenigen Hundert Kalmücken, die sich am Flusse Nilka mit den tatarischen Ackerbauern vermischt haben und wie diese ausschliesslich vom Ackerbau leben. Ich selbst habe im Jahre 1862 wenige Kalmücken gesehen und nur zwei Jurten derselben besucht; die Einrichtung der letzteren glich wohl im Ganzen der der kirgisischen Jurten, nur waren sie viel schmutziger, wie auch die Kalmücken selbst viel schmutziger und zerlumpter umhergehen als die Kirgisen. Alle Kalmücken sind Buddhisten; ihr oberster Priester im Ili-Thale ist ein Chamba Lama, der vom vierten bis neunten Monat seinen Sitz im Tempel am Tekes hat. Ein zweiter Buddha- Tempel der Kalmücken steht am rechten Ufer des Ili, zwischen dem tatarischen und chinesischen Kuldsha; hier lebt der Chamba Lama im Winter, vom neunten bis vierten Monat. Zugleich mit dem Chamba Lama ziehen etwa 200 Kalmücken im Winter zum Ufer des Ili; der grösste Theil derselben besteht aus Priestern, die ja bei allen Buddhisten so äusserst zahlreich vertreten sind, und jungen Leuten, welche hier den Unterricht im Lesen und Schreiben erhalten. Wie man mich allgemein versichert, soU die Kenntniss der Schrift bei den Kalmücken sehr verbreitet sein. — 329 — Ein Mal im Jahre kommt ßogar der oberste Mandschu-Be- amte, der Dsan-dsün, zum Gebete nach dem Buddha-Tempel am Ili. Da er hier im Namen des Kaisers erscheint, ist sein Einzug mit vielen Ceremonieen und Feierlichkeiten verknüpft. Ueberhaupt herrscht während der Wintermonate im kalmücki- schen Buddhatempel am Ili ein buntes Treiben, denn zu den frommen kalmückischen Ansieälem und Wallfahrern gesellen sich noch viele Hunderte chinesischer Handelsleute, die rund um den Tempel ihre Läden aufschlagen, so dass sich der ganze Platz in eine kleine Stadt verwandelt. Vor dem Tempel, der aus drei Gebäuden besteht, befindet sich ein Vorhof , in dem täglich zwei Mal eine grosse Speisung stattfindet. Zu jeder Mahlzeit sollen 6 Ochsen und 10 Schafe geschlachtet werden. Die innere Verwaltung der Kalmücken liegt in den Händen ' ihrer Stammfürsten (Jaisang) und kalmückischer Unterbeamten, die von den Mandschu verschiedene Mützenknöpfe als Rang- ' zeichen ihrer Würde erhalten. Die höchsten Stami&fürsten er- halten sogar den Generalsrang, d. h. den rothen Mützenknopf. Diese kalmückischen Würdenträger stehen aber unter einem Mandschu-Generale, einem Mejen-Amban, der einerseits die Mit- telsperson ist zwischen der Regierung und dem kalmückischen Seif -Government, d. h. die Befehle des Dsan-dsün den Kal- mückenfürsten und die Wünsche derselben dem Dsan-dsün über- mittelt, andererseits aber die Aufgabe hat, die Kalmücken-Be- amten und alle Vorgänge im Kalmücken -Volke genau zu be-^ obachten und durch seine Berichte die Regierung in den Stand zu setzen, jeden Lostrennungsbestrebungen oder Widersetzlich- keiten vorzubeugen. Zu letzterem Zwecke steht ihm ein kleines Kommando Mandschu- Soldaten zur Seite, die unter den Kal- mücken zerstreut leben. Die Kalmücken-Beamten haben einer- seits alle Streitigkeiten zwischen ihren eigenen Unterthanen zu schlichten und auf Ruhe und Ordnung derselben zu sehen, an- dererseits dafür zu sorgen, dass alle eiligen Abgaben und ge- setzlichen Dienstleistungen der chinesischen Regierung pünkt- lich erstattet werden. Die Abgäben und Dienstleistungen der Kalmücken bestehen ungefilhr in Folgendem: 1. Die Abgaben: Viehlieferungen an die Ackerbauer und Militär -Colonieen des Bi-Thales und zwar jährlich 2000 Stück Rindvieh und 500 Pferde. 2. Persönliche Dienstleistungen: a) Transport des in den Bergwerken gewonnenen Kupfers und Bleies aus dem Ore- — 330 — birge nach Kuldslia; b) die Stellung der fär die Grenzpiquets nothwendigen Anzahl von Soldaten; c) im Falle des Krieges miifls jeder Sumul 100 Soldaten stellen; d) in Kxiegszeiten müssen sie einen Theil des Proviant-Transportes übernehmen. Von den Soldaten im Kriege wie auch beim Piquetdienst soll der Mann monatlich ^j^ Unze Silber (etwa 4^/2 Mark) Löhnung erhalten; die Regierung hat aber schon längst auf- gehört, diese Gelder auszuzahlen. Auf den Piquets werden die Soldaten jeden Monat abgelöst. Obgleich die Kalmücken einst den Chinesen feindlicher gegenüberstanden als den Kirgisen, so stehen sie doch durch ihre religiösen Anschauungen und durch ihre Sitten und Lebensanschauungen der Regierung jetzt näher als die Kirgisen. Wenn die Kalmücken auch keiae beson- dere Hinneigung zu den Mandschu haben, so sind sie ihnen doch nicht gerade feindlich gesinnt, da diese es verstanden haben, durch die vollkommene Freigabe der inneren Verwaltung und Vermeidung- jeglicher Einmischung in die Angelegenheiten, Sitten und Anschauungen der Kalmücken (was, beiläufig gesagt, bei den Chinesen nicht aus politischer Toleranz und Humanität, sondern aus der Verachtung aller wai-gu-shin [äusseren Leute] entspringt); auch der Umstand, dass sie zum Kriegsdienste und Landesschutze herangezogen wurden, hat in den Kalmücken ein Gefühl von Zugehörigkeit zum chinesischen Reiche erweckt. Im Falle eines Aufstandes werden die Kalmücken nicht ^n den Machthabem abfallen, aber auch zu ihrem Schutze keine besonderen Opfer bringen. Die mohammedanischen Nomaden, Kirgisen und Buruten (schwarze Kirgisen), die officiell zum Ili-Tale gehören, sind nicht sehr zahlreich. Zu den ersteren gehört nur ein ganz kleiner Theil der grossen Horde, der den Winter in dem i^ordwestlichen Theile des Ili- Thaies zubringt. Es sind dies zum grössten Theil Aule des Geschlechtes Suan und ganz vereinzelte Jurten der Aidschan. Die grosse Horde zahlt für das Recht des Niess- brauches chinesischen Gebietes 40 Pferde an die chinesische Regierung, die bis jetzt den Stamm Suan als chinesische Unter* thanen betrachtet. Die Solonen stehen mit den Suan in naher Verbindung, indem sie vielfach mit ihnen Handel treiben imd viele Suan zur Bewachung ihrer Heerden in Dienst nehmen. In der That das beste Mittel, sich vor den Viehdiebstählen der Kirgisen zu schützen. Die Buruten (schwarzen Eargisen) ziehen L^>^-»>. — 331 — nie bis zum Ili-Thale hinab, sondern wohnen jenseits der süd- lichen Grenzgebirge in der Nachbarschaft der Kalmücken am Tekes; nur ein ganz geringer Theil des Stammes Bugu hat sich bis jetzt den Russen nicht unterworfen. Die chinesische Regierung betrachtet noch den ganzen Stamm Bugu als seine Unterthanen imd erhebt noch von ihm Abgaben. Gehen wir jetzt zu den angesiedelten, ackerbautreibenden Stämmen des Ili -Thaies über, so sehen wir in allen Städten und an den verschiedensten Punkten des Bi-Thales angesiedelte tatarische Ackerbauer, die sich «7ärZ%^ (Einheimische) nennen, aber von allen anderen Nachbaren mit dem mongolischen Namen TaranUchi genannt werden, d. h. Ackerbauer. Ich habe schon erwähnt, dass zur Zeit der kalmückischen Kane tatarische Kriegs- gefangene aus Kaschgar im Ili-Thale angesiedelt wurden. Als nun die Chinesen das Ili-Thal eroberten, folgten sie dem Bei- spiele der Kalmücken und gründeten am Ili zahlreiche Ansie- delimgen von Tataren des Sechsstädtegebietes. Im Ganzen wurden aus den Städten Kaschgar, Jarkänd, Chotan, Turfan, Aksu und Usch 6000 Tataren-Familien zum Ili übergesiedelt. Jetzt ist die Zahl dieser Familien auf 8000 angewachsen. Die Uebersiedelung dieser Tataren hatte einen doppelten Grund: erstens wollte man die gefährHchsten Individuen aus jenen tatarischen Provinzen entfernen und dadurch ihren Widerstand brechen, andererseits sollten die neuen Ansiedler den Feldbau im Ili-Thale einrichten und als jährliche Abgabe die für die Armee nöthigen Getreidevorräthe, deren Herschaffung aus China grosse Unkosten verursacht hätte, liefern. Jeder dieser Acker- bauer-FamiUen wurden 12 Desjätinen angewiesen, und hatte das Oberhaupt der Familie für. diesen Landbesitz jährlich 32.Cho (chinesische Centner) Getreide und zwar je 8 Cho Weizen, Gerste, Roggen und Hirse in die Kxonsmagazine zu liefern. Bei den jetzigen Getreidepreisen beträgt diese Natural- abgabe etwa 8 — 10 Sär-Jarmak oder 8 — 9 Rubel Silber, was bei dem hohen Geldwerthe im Ili-Thale bei uns ungefähr das Doppelte ausmachen würde. Die 6000 Familien wurden in folgenden Orten im Ili- Thale angesiedelt: 1. Am rechten Hi-Ufer. a) jenseits des Kasch .... 500 FamiHen b) am Canal Ari östäng . . . 600 „ — 332 — c) am Canal Baitukai . . . 500 Familien d) am Flusse Nilka .... 400 „ e) am Flusse Olatai . . . . 600 ,, f) an den Flüssen Boroburgasun, Biläkäi und Tschulburkai . 500 „ g) am Flusse Jirgalang . . . 1000 „ Im Ganzen 4100 Familien 2. Am linken Ili-Ufer. a) am Tarksyl 100 Familien b) am Koguschi 200 „ e) am Jagystai . . . . . . 200 „ d) am Kainak 200 ,, e) am Bugra 200 „ f) am Cbonokai 400 ,, g) am Dolaty, Galdshang und Dadamty 600 ,, Im Ganzen 1900 Familien. - Bei einer Zahl von 6000 Familien betrug die Naturalab- gabe der tatarischen Ackerbauer jährlich 192000 Cho Getreide, vom Jahre 1834 an, wo eine Zählung 8000 Familieif ergab, aber 256000 Cho, also über zwei Millionen Rubel. Trotz dieser verhältnissmässig schweren Abgaben war, wie man mich ver- sicherte, das Loos der Tarantschi bis zum Ausbruche des Auf- standes in Kaschgar im Jahre 1826 ein ganz erträgliches ge- wesen. Sie waren im Stande, ihre Abgaben pünktlich zu zahlen, und ies war ihnen möglich, einen recht bedeutenden Viehstand zu halten. Besonders rühmend erwähnte mein Berichterstatter die- Milde und Behilflichkeit der Chinesen vor dieser Epoche; dieselben hätten sowohl durch freundliches Erlassen der Abgaben und durch Geldunterstützung zur Zeit der Noth und des Miss- wachses den Wohlstand der Ackerbauer gefördert. Doch mit dem Aufstande im Sechs-Städte-Gebiete brach das Unglück über das Bi-Thal herein und ganz besonders über die tatarischen Ackerbauer. Während der Dauer der militärischen Operationen im Sechs- Städte-Gebiete mussten die Tarantschi des Ili-Thales nicht nur doppelte Proviantlieferungen machen, sondern dieselben auch — 333 — mit ihrem eigenen Zugvieh bis zum Kriegsschauplatze führen, was bei dem schwierigen Uebergange über den Thianschan eine höchst kostspielige Sache war. Im zweiten Jahre des Krieges erreichte die Noth und Plage der Tataren den höchsten Gipfel. Der Winter war anhaltend und ungewöhnlich kalt und Hunderte von Tarantschi sollen auf dem Wege nach Kaschgar erfroren . sein; das Zugvieh fiel zu Tausenden, und was an Vieh nicht auf dem Wege umgekommen war, nahmen die nothleidenden Truppen in Beschlag. Selbst die nichtchinesischen Unterthanen in der . Stadt Kuldsha (Handelsleute aus den Ghanaten) mussten 500 Pferde zum Transport der Vorräthe stellen und bekamen nicht eins derselben wieder zu Gesicht. So ging es mehrere Jahre hindurch, bis es endlich den Chinesen gelungen war, Herren des Aufstandes zu werden und die Ruhe der Provinz wiederher- zustellen. Da die hiesige Verwaltung jetzt ein doppelt starkes Heer unterhalten musste, dabei aber keine Geldzuschüsse aus China erhielt, so trat bei ihr eine schreckliche Finanznoth ein. Beim Suchen nach neuen Hilfsquellen ermittelte einer' der Dsan- dsüne, dass die Zahl der Tarantschi-FamiUen im Ili-Thale auf 8000 gestiegen sei, und Hess im Jahre 1834 den Canal Tokus- Tara-Ostäng anlegen, um nach Landanweisung an die überzäh- ligen Tarantschi-Familien auch von diesen die gesetzlichen Ab- gaben einfordern zu können. Da dieser Canal durch südlich vom Ili gelegene Felspartieen geführt werden musste, so dauerte die Arbeit volle zwei Jahre, und während dieser ganzen Zeit mussten die Tarantschi 3000 Arbeiter unentgeltlich stellen. Femer zeigte sich bei der Ackervertheilung, dass das Land nur für 1500 Familien hinreichte, während man unvorsichtiger Weise schon nach Peking über den Zuwachs von 2000 Familien be- richtet hatte, und die tatarischen Beamten mussten ihre Aecker am Boroburgasun hergeben und die Tarantschi auf eigene Kosten neue Canäle am Boroburgasun und Biläkäi herstellen. Im Som- mer des Jahres 1836 zeigte sich, dass der Tokus-Tara-Canal nicht tief genug angelegt war und dass das von ihm herbeigeführte Wasser nicht für die neuangelegten Aecker ausreichte ; in Folge dessen verdorrten alle Aecker der neuangesiedelten 1500 Fa- milien, und diese Unglücklichen konnten weder Abgaben zahlen noch sich selbst ernähren. Dieses Elend dauerte drei volle Jahre, während welcher die übrigen 6000 Tarantschi-Familien nicht nur die Abgaben für die 1500 Familien zahlen mussten, — 334 — sondern auch angewiesen wurden, 3000 Arbeiter zur Canaler- weiterung zu stellen und die Hungerleidenden am Tokus Tara? zu unterhalten. Schon im Jahre 1836 waren am Chonokai unter den ta- tarischen Ackerbauern Unruhen ausgebrochen. Ein Perser, Namens Schangmosi, gab sich hier als Ghodsha aus und versprach, das Volk von dem unerträglichen Drucke der Chinesen zu befreien. Die zehnjährige Noth hatte die Leute fast zur Verzweiflung gebracht, und in der Sehnsucht nach Errettung aus ihren fürch- terlichen Leiden schlössen sie sich dem falschen Chodsha an. Wer sich weigerte, den Chodsha anzuerkennen, wurde auf des- sen Befehl niedergemacht. Die Chinesen hatten jedoch Nachrieht von den Vorgängen erhalten, ehe der Aufstand sich in den übrigen Tarantschi-Ansiedlungen verbreitet hatte, und so war es ihnen denn ein Leichtes, die unbedeutende, planlos angefangene Revolte zu unterdrücken. Der Perser wie auch die übrigen Rädelsführer, des Aufstandes wurden gefangen genommen und nach Kuldsha geschleppt; dort wurde der Perser unter scheuss- liehen Qualen öffentlich gefoltert, dann wurde ihm, wie den 16 gefangenen Anführern, der Kopf abgeschnitten und ihre Häupter als Wamungszeichen an den Hauptwegen der Taran- tschi-Ansiedlungen auf Stangen gesteckt. Wohl hundert Per- sonen wurden nach China verbannt und viele Tataren-Ansied- lungen von den Soldaten geplündert. In den Jahren 1840 bis 1844 brachen abermals Aufstände in Kaschgar aus und in beiden Jahren hatten die Tarantschi abermals viel vom Proviant- Transport zu leiden. Alle diese Unglücksfalle hatten zwar den Wohlstand der Tarantschi vernichtet, dennoch hätte ihnen die Vortrefflichkeit des Bodens unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit ge- geben, durch Fleiss sich wieder heraufzuarbeiten, wenn nicht der Argwohn der chinesischen Herrscher ihnen einen Krebsscha- den eingeimpft hätte, der mit der Zeit das Volk gänzlich zu Grunde richten wird. Dieser Krebsschaden sind die von den Chi- nesen eingesetzten Tarantschi-Beamten; diese letzteren, die wie ein Netz die ganze tatarische Bevölkerung umstricken, sind die blinden Werkzeuge der Regierung; Selbstsucht und Eigennutz haben sie ihrem eigenen Volke entfremdet und zu Sklaven der fremden Race gemacht, unter deren Schutz sie jeden Frevel ungestraft ausführen können. Die Mandschu handeln hier sehr — 335 — klug, denn unter den jetzigen Verhältnissen haben sie durch diesen Beamtendruck den Hass des Volkes von sich kuf die Beamten gewälzt. Die Tarantschi-Bureaukratie hat ihren Höhepunkt in dem im tatarischen Kuldsha residirenden Hekim und seinem Gehilfen, dem Schaga. Beide tragen als Kangahzeichen den blauen durch- sichtigen Mützenknopf, d. h. sie stehen im Eange eines Obersten (Ugeri-da). Der Hekim kann aber als Auszeichnung auch den rothen Mützenknopf (die Amban- oder Generals-Würde) erhalten, wie sie auch wirklich der jetzige Hekim erhalten hat. Diese beiden Beamten haben die Verwaltung der gesammten Tataren- Bevölkerung, sowohl der Ackerbauer wie auch der Stadtbe- wohner, in Händen. Ueber ihre Thätigkeit haben sie nur dem. Dsaif-dsün oder seinem Stellvertreter Eechenschaft abzulegen, und dieser lässt wiederum durch sie seine Befehle an die ta- tarische BevÖlkening ergehen. Ausser der Polizei und Verwal- tungsgewalt sind sie sogar die höchste richterliche Instanz, wenn der Rechtsstreit oder Griminalfall nur Tataren betrifft. Der Verwaltung nach zerfallen die Tarantschi in acht Kreise, von denen, sechs unter einem Schang Bäk und einem Mirap, zwei aber unter einem Räsnitschi und einem Mirap stehen. Die ersten siechs Kreise sind: 1) Jyrgalang, 2) Borbogasun, Tschulburkai, Biläkäi, 3) Nilka und Olatai, 4) Jenseits des Kasch, 5) Bugra, Kainak, Jagustai, Koguschi, 6) Dadamty, Dolatai, Chonokai. Die beiden letzten Kreise sind: 1) Tokus Tara, 2) Ari-östän, Baitukai. Sowohl der Räsnitschi wie auch der Schang Bäk führen als Rangabzeichen den weissen durchsichtigen Mützenknopf (Dshergi Janggin == Capitäns-Rang), auch die Mirap tragen dieses Rang- abzeichen. Die Räsnitschi können als Auszeichnung den blauen Mützenknopf erhalten. Jeder dieser Kreise zerfallt in zwei Unterabtheilungen, von denen jede wiederum unter einem Ming Bäki (Tausend-Herrn) — 336 — steht*, derselbe trägt den kupfernen Mützenknopf (TunduBoschko s= Lieutenant). Ueber je hundert Ackerbauer-Familien steht ein Jus Bäki (Hundert-Herr) und ein Ellig Beschi (ein Fünfzig- Kopf). Die ältesten zwölf Jus Bäki haben ebenfalls kupferne Mützenknöpfe. Ueber je zehn Familien steht endlich als Auf- seher ein On Beschi (Zehn-Kopf). Die ganze Bureaukratie be- steht aber aus: 1 Hekim, 1 Schaga, 2. Eäsnitschi, 6 Schang Bäk, 8 Mirap, 16 Ming Bäki, 80 Jus Bäki, 80 Ellig Beschi und 800 On Beschi, zusammen 994 Beamte. Mit Ausnahme der On Bes.chi inüssen alle Beamten vom Mandschu-Gouvemeur be- stätigt werden; die On Beschi ernennt der Hekim selbst und wechselt sie nach Belieben. Alle diese Beamten leben auf Kosten . der Ackerbauer, da die Regierung schon seit vielen Jahren auf- gehört hat, die Besoldungen zu zahlen; ausser der Besoldung müssen die Ackerbauer noch ihren Beamten die nöthige Diener- schaft stellen. Auch viele Mandschu-Beamte erhalten Dienerschaft . und Arbeiter durch Vermittlung des Hekim von den Ackerbauern. Auf diese Weise kosten die Beamten den Ackerbauern fast noch mehr als ihre Abgaben an die Krone. „Unter allen Völkern des Bi", sagte einer meiner Bericht- erstatter, „hat kein Volk so schwere Abgaben und so bittere Tage zu erdulden wie wir Ackerbauer. Wenn wir tms bei unseren Be- amten beklagen, wird uns keine Hilfe; wer es auch sei, ein Mandschu-Beamter oder ein Tatar, Jeder nimmt das, was ihm gut dünkt. In den letzten Jahren ist uns nicht einmal mehr das Vieh von den Kalmücken geliefert worden, das haben unsere Beamten mit den Manschu verzehrt; aber die Strafe wird die Beamten schon erreichen, denn es steht geschrieben: Bu alämning bägläri, Kiamätning sägläri. Ja, die Herren dieser "Welt Werden Hunde sein im Jenseits ! Unser Wohlstand nimmt von Tag zu Tag ab, wenn es so fort- geht, werden wir alle Hungers sterben." Zu der tatarischen Bevölkerung des Di -Thaies gehören ausser den bis jetzt besprochenen Tarantschi die Bewohner der Tatarenstadt Kuldsha oder, wie sie von den hiesigen Tataren genannt wird, Guldsha (Elennthier). Die Stadt Kuldsha ist, wie ich schon vorher erwähnt habe, viel älter als die chinesische Herrschaft. Die Bevölkerung besteht zum grössten Theil aus — 837 — den alten tatarischen Insassen des Ili- Thaies (früher war das Ili-Thal ausschliesslich von Tataren hewohnt und es wurde hier- selbst der dshagataische Dialect gesprochen (siehe Baber Nameh pag. 2), ausserdem aus Verbannten, aus dem Sechs-Städte-Ge- biete und aus Kaufleuten von Kaschgar, Kokand, Taschkend und Buchara, die seit vielen Jahren hier Handel treiben und jetzt als naturalisirte Unterthanen betrachtet werden. Die Zahl der Einwohnerschaft vermag ich nicht genau anzugeben, sie soll sich aber wenigstens auf 80 000 Köpfe belaufen. Die Stadt Kuldsha liegt nicht weit von der Mündung des Pilitschi in den Ili. Die eigentliche Stadt ist in einem Rechtecke ge- baut und mit einer Lehmmauer umgeben; durch diese gelangt man in die Stadt mittelst vierer Thore, die in der Mitte der Seiten liegen; die Strassen sind gerade und durchschneiden sich meist rechtwinklig. Zwar liegt die Verwaltung der Stadt ebenfalls in den Hän- den des Hekim und Schaga, aber dennoch ist sie von der der Tarantschi getrennt, unter eigenen Beamten, eigenen Institu- tionen und besonderen Abgaben. Unter den Beamten der Stadt wurden mir der Kasy und der Ischkal als Gerichtsbeamte, der Paschtap (Gefangnissdirector), der Sädäri und Ming Bäki (Polizei- meister und Commandant) genannt. Die Abgaben der Stadt- bewohner sind theils Grundsteuern, theils Gewerbesteuern, ganz wie sie die Bewohner der chinesischen Städte zahlen. Der Hekim kann mit Bewilligung des Mandschu-Gouvemeurs tafarische Stadt- bewohner zur Strafe zu den Ackerbauern üßerführen. Bei den Bewohnern von Kuldsha herrscht durchaus nicht dieselbe Noth und Armuth wie bei den Tarantschi. Die auf einem Punkte zusammengedrängte Volksmasse, unter der schon eine gewisse Bildung herrscht und deren Vertreter Kapitalisten, Handelsleute und Geistliche sind, Leute, deren Stimmen schon mehr in's Gewicht fallen, vermochte der Bureaukratie zu trotzen und jede unbillige Forderung zurückzuweisen; so dass sie selbst unter den jetzigen Verhältnissen noch eine ziemlich autonome Stellung einnimmt. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte bietet mehrfache Beispiele des Widerstandes der Städtbewohner gegen ungerechte -Forderungen der Beamten. So z. B. lieferten die Bewohner der Stadt Kuldsha zur Zeit des ersten Aufstandes Kaschgars 500 Pferde; als man zum zweiten Male eine gleiche Anzahl Radioff, Aus Sibirien. II. 22 — 338 — forderte, weigerte sich die Stadtgem^nde, diese zu stellen. Nach Beendigung des Aufstandes wurden deswegen mehrere Kokander Kaufleute ausgewiesen, den chinesischen Unterthanen konnte man Nichts anhahen. Ebenso weigerte sich die Stadtgemeinde im Jahre 1862, 5000 Rubel zu einer Expedition nach dem Issi- köl zu liefern, während von den Ackerbauern 8000 Rubel ein- getrieben wurden. Obgleich sich die Stadt durch Abstammung der Einwohner, durch eigene Verwaltung und selbständige Institutionen scharf von der Tarantschi-Bevölkerung abscheidet, ist sie doch der eigenthche Kern und Mittelpunkt der gesammten Tataren-Bevöl- kerung des Ili -Thaies. Schon die Verkehrs Verhältnisse machen Kuldsha zu diesem Mittelpunkte. Alle Handelsartikel, die vom tatarischen Mittelasien (Buchara, Kokand, Alty-schähär) nach dem Ili geführt werden, werden von der Stadt Kuldsha aus unter die tatarische Bevölkerung des IH -Thaies verbreitet. Hier ist der Getreidemarkt, wo der Ackerbauer seine Produkte absetzt, von hier aus holt er seine Bedürfnisse. Hier sind ja die Hand- werke zu einer gewissen Blüthe gelangt und zwar selbst in den Händen von Tataren. Was aber mit unzerreissbaren Banden die Stadt Kuldsha mit der Tarantschi-Bevölkerung verknüpft und sie eigentlich ganz zum Mittelpunkt der tatarischen Ein- wohner des Ili-Thales erhebt, ist der allen Tataren gemeinsame Glaube des Islam, der überall da die Gemüther der Moham- medaner in seiner schroffsten Form erfasst, wo sie zerstreut unter Ungläubigen leben und unter dem JochQ derselben seuf- zen. Instinctiv fühlt das Volk, dass die strengste Rechtgläubig- keit und das eiserne Festhalten an den Religionsvorschriften die einzigen Mittel sind, welche den schädlichen, zersetzenden Einfluss der herrschenden Race abwenden können. Um wie viel mehr muss sich dieses Gefühl in den unter chinesischer Herr- schaft befindlichen Mohammedanern regen, wenn sie den ihnen so verabscheuungswürdigen rohen Bilderdienst und die Anbe- tung der Buddhagötzen ihrer Herren mit ansehen, wenn sie sich vor Leuten beugen müssen, deren Hauptnahrung das verruchte Schweinefleisch ist, dessen Genuss der rechtgläubige Moham- medaner für eine Todsünde hält. Neben der von der Regierung eingesetzten bureaukrati- schen Verwaltung hat sich unter so bewandten Umstäiiden eine nationale Verwaltung, eine weit verzweigte mohammedanische — 839 — Hierarchie entwickelt, die durch das religiöse Bewusstsein des Volkes* getragen wird und deren Aufgabe es ist, das nationale Princip zu schützen sowie den schädlichen Einfluss der Umwohner abzuhalten. Der Knotenpunkt und die Spitze dieser Hierarchie liegen aber in der Stadt Ruldsha. In jeder noch so kleinen Ansiedelung der Tarantschi be- finden sich zwei geistliche Führer, ein Priester (Imam) und ein Lehrer (Mulla), auch ist überall eine Moschee und ein Schul- haus errichtet. Der Priester hat aufs Strengste die Gemeinde- glieder zur Erfüllung der religiösen Vorschriften anzuhalten. Vernachlässigungen oder Verletzungen derselben berichtet er an das OberpriestercoUegium (Achunlar), das durch den Hekim die Bestrafung der betreflFenden Person veranlasst. Der Lehrer hat im Sommer wenig zu thun, denn der Unterricht findet nur im Winter statt, dann aber auch täglich und fast den ganzen Tag hindurch, natürlich machen Feier- und Festtage eine Ausnahme. Zwar steht es Jedem frei, seine Kinder unterrichten zu lassen, und mancher Vater schickt seine Kinder nicht zur Schule, da der Lehrer für jedes Kind eine kleine Bezahlung erhält, aber dennoch sucht es der Priester theils durch Ueberredung, theils durch Gewalt dahin zu bringen, dass wenigstens ein Kind jeder Familie am Unterrichte theilnimmt. In diesen Schulen wird meist nur das Lesen gelehrt. Man beginnt das Lesen von Ge- beten, des Heftijak und Koran in arabischer Sprache. Die Ge- bete müssen die Kinder so lange lesen, bis sie diese auswen- dig wissen. Nachdem die Kinder das mechanische Lesen ara- bischer Texte erlernt haben , giebt man denselben tatarische Texte : Erläuterungen von Glaubenssätzen und heilige Legenden. Schreiben lernt nur der kleinste Theil der Kinder und man muss den Lehrer für den Unterricht besonders honoriren. Daher kommt es, dass, obgleich 30 — 40 ^/^ der Bevölkerung zu lesen verstehen, kaum lO^/o schreiben können. Priester und Lehrer werden von den geistlichen Abgaben der Mohammedaner (dem Seket) erhalten. In der Stadt Kuldsha sind viele Imame und Mulla, die zum grössten Theil, wie auch die Geistlichen und Lehrer bei den Landbewohnern, Eingeborene der Stadt selbst sind und auch hier ihre Ausbildung genossen haben. Oeffentliche Schulen giebt es hier durchaus nicht, sondern die Mulla geben in den Häusern Privatunterricht, an dem sich eine kleinere oder grössere 99* — 330 — birge nach Kuldslia; b) die Stellung der für die Grenzpiquets nothwendigen Anzahl von Soldaten; c) im Falle des Krieges miiss jeder Sumul 100 Soldaten stellen; d) in Kriegszeiten müssen sie einen Theil des Proviant-Transportes übernehmen. Von den Soldaten im Kriege wie auch beim Fiquetdienst soU der Mann monatlich '/^ Unze Silber (etwa 4^2 Mark) Löhnung erhalten; die Regierung hat aber schon längst auf- gehört, diese Gelder auszuzahlen. Auf den Fiquets werden die Soldaten jeden Monat abgelöst. Obgleich die Kalmücken einst den Chinesen feindlicher gegenüberstanden als den Kirgisen, so stehen sie doch durch ihre religiösen Anschauungen und durch ihre Sitten und Lebensanschauungen der Regierung jetzt näher als die Kirgisen. Wenn die Kalmücken auch keine beson- dere Hinneigung zu den Mandschu haben, so sind sie ihnen doch nicht gerade feindlich gesinnt, da diese es verstanden haben, durch die vollkommene Freigabe der inneren Verwaltung und Vermeidung- jeglicher Einmischung in die Angelegenheiten, Sitten und Anschauungen der Kalmücken (was, beiläufig gesagt, bei den Chinesen nicht aus politischer Toleranz und Humanität, sondern aus der Verachtung aller wai-gu-shin [äusseren Leute] entspringt); auch der Umstand, dass sie zum Kriegsdienste und Landesschutze herangezogen wurden, hat in den Kalmücken ein Gefühl von Zugehörigkeit zum chinesischen Reiche erweckt. Im Falle eines Aufstandes werden die Kalmücken nicht ^n den Machthabem abfallen, aber auch zu ihrem Schutze keine besonderen Opfer bringen. Die mohammedanischen Nomaden, Kirgisen und Buruten (schwarze Kirgisen), die officiell zum Ili-Tale gehören, sind nicht sehr zahlreich. Zu den ersteren gehört nur ein ganz kleiner Theil der grossen Horde, der den Winter in dem i^ordwestlichen Theile des Ili -Thaies zubringt. Es sind dies zum grössten Theil Aule des Geschlechtes Sua,n und ganz vereinzelte Jurten der Aidschan. Die grosse Horde zahlt für das Recht des Niess- brauches chinesischen Gebietes 40 Pferde an die chinesische Regierung, die bis jetzt den Stamm Suan als chinesische Unter- thanen betrachtet. Die Solonen stehen mit den Suan in naher Verbindung, indem sie vielfach mit ihnen Handel treiben und viele Suan zur Bewachung ihrer Heerden in Dienst nehmen. In der That das beste Mittel, sich vor den Viehdiebstählen der Kirgisen zu schützen. Die Buruten (schwarzen Kirgisen) ziehen — 331 — nie bis zum Ili-Thale hinab, sondern wohnen jenseits der süd- lichen Grenzgebirge in der Nachbarschaft der Kalmücken am Tekes; nur ein ganz geringer Theil des Stammes Bugu hat sich bis jetzt den Russen nicht unterworfen. Die chinesische Regierung betrachtet noch den ganzen Stamm Bugu als seine Unterthanen und erhebt noch von ihm Abgaben. Gehen wir jetzt zu den angesiedelten, ackerbautreibenden Stämmen des Ili- Thaies über, so sehen wir in allen Städten und an den verschiedensten Funkten des Bi-Thales angesiedelte tatarische Ackerbauer, die sich JaWiX; (Einheimische) nennen, aber von allen anderen Nachbaren mit dem mongolischen Namen Tarantschi genannt werden, d. h. Ackerbauer. Ich habe schon erwähnt, dass zur Zeit der kalmückischen Kane tatarische Kriegs- gefangene aus Kaschgar im Ili-Thale angesiedelt wurden. Als nun die Chinesen das Ili-Thal eroberten, folgten sie dem Bei- spiele der Kalmücken und gründeten am Ili zahlreiche Ansie- delungen von Tataren des Sechsstädtegebietes. Im Ganzen wurden aus den Städten Kaschgar, Jarkänd, Chotan, Turfan, Aksu und Usch 6000 Tataren-Familien zum Ili übergesiedelt. Jetzt ist die Zahl dieser Familien auf 8000 angewachsen. Die Uebersiedelung dieser Tataren hatte einen doppelten Grund: erstens wollte man die gefährlichsten Individuen aus jenen tatarischen Provinzen entfernen und dadurch ihren Widerstand brechen, andererseits sollten die neuen Ansiedler den Feldbau im Ili-Thale einrichten imd als jährliche Abgabe die für die Armee nöthigen Getreidevorräthe, deren Herschaffung aus China grosse Unkosten verursacht hätte, liefern. Jeder dieser Acker- bauer-Familien wurden 12 Desjätinen angewiesen, und hatte das Oberhaupt der Familie für . diesen Landbesitz jährlich 32 . Cho (chinesische Centner) Getreide imd zwar je 8 Cho Weizen, Gerste, Roggen und Hirse in die Kronsmagazine zu liefern. Bei den jetzigen Getreidepreisen beträgt diese Natural- abgabe etwa 8 — 10 Sär-Jarmak oder 8 — 9 Rubel Silber, was bei dem hohen Geldwerthe im Hi-Thale bei uns ungefähr das Doppelte ausmachen würde. Die 6000 Familien wurden in folgenden Orten im Hi- Thale angesiedelt: 1. Am rechten Hi-Üfer. a) jenseits des Kasch .... 500 Familien b) am CanaJ Ari östäng . . . 600 „ — 332 — c) am Canal Baitukai . . . 500 Familien d) am Flusse Nilka .... 400 „ e) am Flusse Olatai . . . . 600 ,, f) an den Flüssen Boroburgasun, Biläkäi und Tschulburkai . 500 „ g) am Flusse Jirgalang . . . 1000 „ Im Ganzen 4100 Familien 2. Am linken Ili-Ufer. a) am Tarksyl 100 Familien b) am Koguschi . . ... . 200 ,, c) am Jagystai 200 „ d) am Kainak 200 ,, e) am Bugra 200 „ f) am Cbonokai 400 ,, g) am Dolaty, Galdshang und Dadamty 600 ,, Im Ganzen 1900 Familien. ' Bei einer Zahl von 6000 Familien betrug die Naturalab- gabe der tatarischen Ackerbauer jährlich 192000 Cho Getreide, vom Jahre 1834 an, wo eine Zählung 8000 Familieif ergab, aber 256000 Cho, also über zwei Millionen Rubel. Trotz dieser verhältnissmässig schweren Abgaben war, wie man mich ver- sicherte, das Loos der Tarantschi bis zum Ausbruche des Auf- standes in Kaschgar im Jahre 1826 ein ganz erträgliches ge- wesen'. Sie waren im Stande, ihre Abgaben pünktlich zu zahlen, und iCS war ihnen möglich, einen recht bedeutenden Viehstand zu halten. Besonders rühmend erwähnte mein Berichterstatter die- Milde und Behilflichkeit der Chinesen vor dieser Epoche; dieselben hätten sowohl durch freundliches Erlassen der Abgaben und durch Geldunterstützung zur Zeit der Noth und des Miss- wachses den Wohlstand der Ackerbauer gefordert. Doch mit dem Aufstande im Sechs-Städte-Gebiete brach das Unglück über das Ili-Thal herein und ganz besonders über die tatarischen Ackerbauer. Während der Dauer der militärischen Operationen im Sechs- Städte-Gebiete mussten die Tarantschi des Ili-Thales nicht nur doppelte Proviantlieferungen machen, sondern dieselben auch — 333 — mit ihrem eigenen Zugvieh bis zum Elriegsschauplatze führen, wajs bei dem schwierigen Uebergange über den Thianschan eine höchst kostspieUge Sache war. Im zweiten Jahre des Krieges erreichte die Noth und Plage der Tataren den höchsten Gipfel. Der Winter war anhaltend und ungewöhnlich kalt und Hunderte von Tarantschi sollen auf dem Wege nach Kaschgar erfroren sein; das Zugvieh fiel zu Tausenden, und was an Vieh nicht auf dem Wege umgekommen war, nahmen die nothleidenden Truppen in Beschlag. Selbst die nichtchinesischen ünterthanen in der Stadt Kuldsha (Handelsleute aus den Chanaten) mussten 500 Pferde zum Transport der Vorräthe stellen und bekamen nicht eins derselben wieder zu Gesicht. So ging es mehrere Jahre hindurch, bis es endlich den Chinesen gelungen war, Herren des Aufstandes zu werden und die Ruhe der Provinz wiederher- zustellen. Da die hiesige Verwaltung jetzt ein doppelt starkes Heer unterhalten musste, dabei aber keine Geldzuschüsse aus China erhielt, so trat bei ihr eine schreckliche Finanznoth ein. Beim Suchen nach neuen Hilfsquellen ermittelte einer* der Dsan- dsüne, dasa die Zahl der Tarantschi-Familien im Hi-Thale auf 8000 gestiegen sei, und Hess im Jahre 1834 den Canal Tokus- Tara-Östäng anlegen, um nach Landanweisung an die überzäh- ligen Tarantschi-Familien auch von diesen die gesetzlichen Ab- gaben einfordern zu können. Da dieser Canal durch südlich vom Ili gelegene Felspartieen geführt werden musste, so dauerte die Arbeit volle zwei Jahre, und während dieser ganzen Zeit mussten die Tarantschi 3000 Arbeiter unentgeltlich stellen. Femer zeigte sich bei der Ackervertheilung, dass das Land nur für 1500 FamiHen hinreichte, während man unvorsichtiger Weise schon nach Peking über den Zuwachs von 2000 Familien be- richtet hatte, und die tatarischen Beamten mussten ihre Aecker am Boroburgasun hergeben und die Tarantschi auf eigene Kosten neue Canäle am Boroburgasun und Büäkäi herstellen. Im Som- mer des Jahres 1836 zeigte sich, dass der Tokus-Tara-Canal nicht tief genug angelegt war und dass das von ihm herbeigeführte Wasser nicht für die neuangelegten Aecker ausreichte ; in Folge dessen verdorrten alle Aecker der neuangesiedelten 1500 Fa- milien, und diese Unglücklichen konnten weder Abgaben zahlen noch sich selbst ernähren. Dieses Elend dauerte drei volle Jahre, während welcher die übrigen 6000 Tarantschi-Familien nicht nur die Abgaben für die 1500 Familien zahlen mussten, — 384 — sondern auch angewiesen wurden, 3000 Arbeiter zur Canaler- weiterung zu stellen und die Hungerleidenden am Tokus Tara? zu unterhalten. Schon im Jahre 1836 waren am Chonokai imter den ta- tarischen Ackerbauern Unruhen ausgebrochen. Ein Perser, Namens Schangmosi, gab sich hier als Chodsha aus und versprach, das Volk von dem unerträglichen Drucke der Chinesen zu befreien. Die zehnjährige Noth hatte die Leute fast zur Verzweiflung gebracht, und in der Sehnsucht nach Errettung aus ihren fürch- terlichen Leiden schlössen sie sich dem falschen Chodsha an. Wer sich weigerte, den Chodsha anzuerkennen, wurde auf des- sen Befehl niedergemacht. Die Chinesen hatten jedoch Nachricht von den Vorgängen erhalten, ehe der Aufstand sich in den übrigen Tarantschi-Ansiedlungen verbreitet hatte, und so war es ihnen denn ein Leichtes, die unbedeutende, planlos angefangene Revolte zu unterdrücken. Der Perser wie auch die übrigen Rädelsführer des Aufstandes wurden gefangen genommen und nach Kuldsha geschleppt; dort wurde der Perser unter scheuss- lichen Qualen öffentlich gefoltert, dann wurde ihm, wie den 16 gefangenen Anführern, der Kopf abgeschnitten und ihre Häupter als Wamungszeichen an den Hauptwegen der Taran- tschi-Ansiedlungen auf Stangen gesteckt. Wohl .hundert Per- sonen wurden nach China verbannt und viele Tataren-Ansied- lungen von den Soldaten geplündert. In den Jahren 1840 bis 1844 brachen abermals Aufstände in Kaschgar aus und in beiden Jahren hatten die Tarantschi abermals viel vom Proviant- Transport zu leiden. Alle diese Unglücksfälle hatten zwar den Wohlstand der Tarantschi vernichtet, dennoch hätte ihnen die Vortrefflichkeit des Bodens unter normalen Verhältnissen die Möghchkeit ge- geben, durch Fleiss sich wieder heraufzuarbeiten, wenn nicht der Argwohn der chinesischen Herrscher ihnen einen Krebsscha- den eingeimpft hätte, der mit der Zeit das Volk gänzlich zu Grrunde richten wird. Dieser Krebsschaden sind die von den Chi- nesen eingesetzten Tarantschi-Beamten ; diese letzteren, die wie ein Netz die ganze tatarische Bevölkerung umstricken, sind die blinden Werkzeuge der Regierung; Selbstsucht und Eigennutz haben sie ihrem eigenen Volke entfremdet und zu Sklaven der fremden Race gemacht, unter deren Schutz sie jeden Frevel ungestraft ansführen können. Die Mandschu handeln hier sehr — 335 — klug, denn unter den jetzigen Verhältnissen haben sie durch diesen Beamtendruck den Hass des Volkes von sich %iuf die Beamten gewälzt. Die Tarantschi-Bureaukratie hat ihren Höhepunkt in dem im tatarischen Kuldsha residirenden Hekim und seinem Gehilfen, dem Schaga. Beide tragen als Rangabzeichen den blauen durch- sichtigen Mützenknopf, d. h. sie stehen im Range eines Obersten (Ugeri-da). Der Hekim kann aber als Auszeichnung auch den rothen Mützenknopf (die Amban- oder Generals- Würde) erhalten, wie sie auch wirklich der jetzige Hekim erhalten hat. Diese beiden Beamten haben die Verwaltung der gesammten Tataren- Bevölkerung, sowohl der Ackerbauer wie auch der Stadtbe- wohner, in Händen. Ueber ihre Thätigkeit haben sie nur dem. Dsaii-dsün oder seinem Stellvertreter Rechenschaft abzulegen, und dieser lässt wiederum durch sie seine Befehle an die ta- tarische Bevölkerung ergehen. Ausser der Polizei und Verwal- tungsgewalt sind sie sogar die höchste richterliche Instanz, wenn der Rechtsstreit oder Gnminalfall nur Tataren betrifft. Der Verwaltung nach zerfallen die Tarantschi in acht Kreise, von denen sechs unter einem Schang Bäk und einem Mirap, zwei aber unter einem Räsnitschi und einem Mirap stehen. Die ersten sechs Kreise sind: 1) Jyrgalang, 2) Borbogasun, Tschulburkai, Biläkäi, 3) Nilka und Olatai, 4) Jehseits des Kasch, 5) Bugra, Kainak, Jagustai, Koguschi, 6) Dadamty, Dolatai, Chonokai. Die beiden letzten Kreise sind: 1) Tokus Tara, 2) Ari-östän, Baitukai. Sowohl der Räsnitschi wie auch der Schang Bäk führen als Rangabzeichen den weissen durchsichtigen Mützenknopf (Dshergi Janggin =3 Capitäns-Rang), auch die Mirap tragen dieses Rang- abzeichen. Die Räsnitschi können als Auszeichnung den blauen Mützenknopf erhalten. Jeder dieser Kreise zerfallt in zwei ünterabtheilungen, von denen jede wiederum unter einem Ming Bäki (Tausend-Herrn) — 336 — steht; derselbe trägt den kupfernen Mützenknopf (TunduBoschko = Lieutenant), lieber je hundert Ackerbauer-Familien steht ein Jus Bäki (Hundert-Herr) und ein Ellig Beschi (ein Fünfzig- Kopf). Die ältesten zwölf Jus Bäki haben ebenfalls kupferne Mützenknöpfe. Ueber je zehn Familien steht endlich als Auf- seher ein On Beschi (Zehn-Kopf). Die ganze Bureaukratie be- steht aber iius: 1 Hekim, 1 Schaga^ 2 Bäsnitschi, 6 Behang Bäk, 8 Mirap, 16 Ming Bäki, 80 Jus Bäki, 80 Ellig Beschi und 800 On Beschi, zusammen 994 Beamte. Mit Ausnahme der On Besichi inüssen alle Beamten vom Mandschu-Gouvemeur be- stätigt werden; die On Beschi ernennt der Hekim selbst und wechselt sie nach Belieben. Alle diese Beamten leben auf Kosten . der Ackerbauer, da die Regierung schon seit vielen Jahren auf- gehört hat, die Besoldungen zu zahlen; aussec der Besoldung müssen die Ackerbauer noch ihren Beamten die nöthige Diener- schaft stellen. Auch viele Mandschu-Beamte erhalten Dienerschaft . und Arbeiter durch Vermittlung des Hekim von den Ackerbauern. Auf diese Weise kosten die Beamten den Ackerbauern fast noch . mehr als ihre Abgaben an die Krone. ,, Unter allen Völkern des Ili", sagte einer meiner Bericht- erstatter, „hat kein Volk so schwere Abgaben und so bittere Tage zu erdulden wie wir Ackerbauer. Wenn wir uns bei unseren Be- amten beklagen, wird uns keine Hilfe; wer es auch sei, ein Mandschu-Beamter oder ein Tatar, Jeder nimmt das, was ihm gut dünkt. In den letzten Jahren ist uns nicht einmal mehr das Vieh von den Kalmücken geliefert worden, das haben unsere Beamten mit den Manschu verzehrt; aber die Strafe wird die Beamten schon erreichen, denn es steht geschrieben: äu alämning bägläri, Kiamätning sägläri. Ja, die Herren dieser Welt Werden Hunde sein im Jenseits ! Unser Wohlstand nimmt von Tag zu Tag ab, wenn es so fort- geht, werden wir alle Hungers sterben." Zu der tatarischen Bevölkerung des Hi- Thaies gehören ausser den bis jetzt besprochenen Tarantschi die Bewohner der Tatarenstadt Kuldsha oder, wie sie von den hiesigen Tataren ' genannt wird, Guldsha (Elennthier). Die Stadt Kuldsha ist, wie ich schon vorher erwähnt habe, viel älter als die chinesische Herrschaft. Die Bevölkerung besteht zum grössten Theil aus — 337 — den alten tatarischen Insassen des Ili- Thaies (früher war das Ili-Thal ausschliesslich von Tataren bewohnt und es wurde hier- selbst der dshagataische Dialect gesprochen (siehe Baber Nameh pag. 2), ausserdem aus Verbannten, aus dem Sechs-Städte-Ge- biete und aus Kaufleuten von Kaschgar, Kokand, Taschkend und Buchara, die seit vielen Jahren hier Handel treiben und jetzt als naturalisirte Unterthanen betrachtet werden. Die Zahl der Einwohnerschaft vermag ich nicht genau anzugeben, sie soll sich aber wenigstens auf 80 000 Köpfe belaufen. Die Stadt Kuldsha liegt nicht weit von der Mündung des Pilitschi in den Ili. Die eigentliche Stadt ist in einem Rechtecke ge- baut und mit einer Lehmmauer umgeben; durch diese gelangt man in die Stadt mittelst vierer Thore, die in der Mitte der Seiten liegen; die Strassen sind gerade und durchschneiden sich meist rechtwinklig. Zwar liegt die Verwaltung der Stadt ebenfalls in den Hän- den des Hekim und Schaga, aber dennoch ist sie von der der Tarantschi getrennt, unter eigenen Beamten, eigenen Institu- tionen und besonderen Abgaben. Unter den Beamten der Stadt wurden mir der Kasy und der Ischkal als Gerichtsbeamte, der Paschtap (Gefängnissdirector), der Sädäri und Ming Bäki (Polizei- meister und Gommandant) genannt. Die Abgaben der Stadt- bewohner sind theils Grundsteuern, theils Gewerbesteuern, ganz Avie sie die Bewohner der chinesischen Städte zahlen. Der Hekim kann mit Bewilligung des Mandschu-Gouvemeurs taiarische Stadt- bewohner zw Strafe zu den Ackerbauern überführen. Bei den Bewohnern von Kuldsha herrscht durchaus nicht dieselbe Noth und Armuth wie bei den Tarantschi. Die auf einem Punkte zusammengedrängte Volksmasse, unter der schon eine gewisse Bildung herrscht und deren Vertreter Kapitalisten, Handelsleute und Geistliche sind, Leute, deren Stimmen schon mehr in's Gewicht fallen, vermochte der Bureaukratie zu trotzen und jede unbillige Forderung zurückzuweisen; so dass sie selbst unter den jetzigen Verhältnissen noch eine ziemlich autonome Stellung einnimmt. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte bietet mehrfache Beispiele des Widerstandes der Städtbewohner gegen ungerechte .Forderungen der Beamten. So z. B. lieferten die Bewohner der Stadt Kuldsha zur Zeit des ersten Aufstandes Kaschgars 500 Pferde; als man zum zweiten Male eine gleiche Anzahl Radioff, Aus Sibirien. II. 99 — 338 — forderte, weigerte sich die Stadtgem^nde, diese zu stellen. Nach Beendigung des Aufstandes wurden deswegen mehrere Kokander Kaufleute ausgewiesen, den chinesischen Unterthanen konnte man Nichts anhahen. Ehenso weigerte sich die Stadtgemeinde im Jahre 1862, 5000 Ruhel zu einer Expedition nach dem Issi- köl zu liefern, während von den Ackerbauern 8000 Rubel ein- getrieben wurden. Obgleich sich die Stadt durch Abstammung der Einwohner, durch eigene Verwaltung und selbständige Institutionen scharf von der Tarantschi-Bevölkerung abscheidet, ist sie doch der eigentliche Kern und Mittelpunkt der gesammten Tataren-Bevöl- kerung des Ili -Thaies. Schon die Verkehrs Verhältnisse machen Kuldsha zu diesem Mittelpunkte. Alle Handelsartikel, die vom tatarischen Mittelasien (Buchara, Kokand, Alty-schähär) nach dem IK geführt werden, werd^in von der Stadt Kuldsha aus unter die tatarische Bevölkerung des Ili -Thaies verbreitet. Hier ist der Getreidemarkt, wo der Ackerbauer seine Produkte absetzt, von hier aus holt er seine Bedürfnisse. Hier sind ja die Hand- werke zu einer gewissen Blüthe gelangt und zwar selbst in den Händen von Tataren. Was aber mit unzerr eissbaren Banden die Stadt Kuldsha mit der Tarantschi-Bevölkerung verknüpft und sie eigentlich ganz zum Mittelpunkt der tatarischen Ein- wohner des Ili-Thales erhebt, ist der allen Tataren gemeinsame Glaube des Islam, der überall da die Gemüther der Moham- medaner in seiner schroffsten Form erfasst, wo sie zerstreut unter Ungläubigen leben und unter dem Jochej derselben seuf- zen. Instinctiv fühlt das Volk, dass die strengste Rechtgläubig- keit und das eiserne Festhalten an den Religionsvorschriften die einzigen Mittel sind, welche den schädlichen, zersetzenden Einfluss der herrschenden Race abwenden können. Um wie viel mehr muss sich dieses Gefühl in den unter chinesischer Herr- schaft befindlichen Mohammedanern regen, wenn sie den ihnen so verabscheuungswürdigen rohen Bilderdienst und die Anbe- tung der Buddhagötzen ihrer Herren mit ansehen, wenn sie sich vor Leuten beugen müssen, deren Hauptnahrung das verruchte Schweinefleisch ist, dessen Genuss der rechtgläubige Moham- medaner für eine Todsünde hält. Neben der von der Regierung eingesetzten bureaukrati- sehen Verwaltung hat sich unter so bewandten Umständen eine nationale Verwaltung, eine weit verzweigte mohammedanische — 339 — Hierarchie entwickelt, die durch das religiöse Bewusstsein des Volkes' getragen wird und deren Aufgabe es ist, das nationale Princip zu schützen sowie den schädlichen Einfluss der Umwohner abzuhalten. Der Knotenpunkt und die Spitze dieser Hierarchie liegen aber in der Stadt Kuldsha. In jeder noch so kleinen Ansiedelung der Tarantschi be- finden sich zwei geistliche Führer, ein Priester (Imam) und ein Lehrer (Mulla), auch ist überall eine Moschee und ein Schul- haus errichtet. Der Priester hat aufs Strengste die Gemeinde- glieder zur Erfüllung der religiösen Vorschriften anzuhalten. Vernachlässigungen oder Verletzungen derselben berichtet er an das Oberpriestercollegium (Achunlar), das durch den Hekim die Bestrafung der betreffenden Person veranlasst. Der Lehrer hat im Sommer wenig zu thun, denn der Unterricht ' findet nur im Winter statt, dann aber auch täglich und fast den ganzen Tag hindurch, natürlich machen Feier- und Festtage eine Ausnahme. Zwar steht es Jedem frei, seine Kinder unterrichten zu lassen, und mancher Vater schickt seine Kinder nicht zur Schule, da der Lehrer für jedes Kind eine kleine Bezahlung erhält, aber dennoch sucht es der Priester theils durch Ueberredung, theils durch Gewalt dahin zu bringen, dass wenigstens ein Kind jeder Familie am Unterrichte theilnimmt. In diesen Schulen wird meist nur das Lesen gelehrt. Man beginnt das Lesen von Ge- beten, des Heftijak und Koran in arabischer Sprache. Die Ge- bete müssen die Kinder so lange lesen, bis sie diese auswen- dig wissen. Nachdem die Kinder das mechanische Lesen ara- bischer Texte erlernt haben, giebt man denselben tatarische Texte : Erläuterungen von Glaubenssätzen und heilige Legenden. Schreiben lernt nur der kleinste Theil der Kinder und man muss den Lehrer für den Unterricht besonders honoriren. Daher kommt es, dass, obgleich 30 — 40 ^/q der Bevölkerung zu lesen verstehen, kaum 10 ^/o schreiben können. Priester und Lehrer werden von den geistlichen Abgaben der Mohammedaner (dem Seket) erhalten. In der Stadt Kuldsha sind viele Imame und Mulla, die zum grössten Theil, wie auch die Geistlichen und Lehrer bei den Landbewohnern, Eingeborene der Stadt selbst sind und auch hier ihre Ausbildung genossen haben. Oeff entliche Schulen giebt es hier durchaus nicht, sondern die Mulla geben in den Häusern Privatunterricht, an dem sich eine kleinere oder grössere 22* — 330 — birge nach Kuldsha; b) die Stellung der für die Grenzpiquets nothwendigen Anzahl von Soldaten; c) im Falle des Krieges miiss jeder Sumul 100 Soldaten stellen; d) in Kriegszeiten müssen sie einen Theil des Proviant-Transportes übernehmen. Von den Soldaten im Kriege wie auch beim Fiquetdienst soD der Mann monatlich ^/j Unze Silber (etwa 4^2 Mark) Löhnung erhalten; die Regierung hat aber schon längst auf- gehört, diese Gelder auszuzahlen. Auf den Piquets werden die Soldaten jeden Monat abgelöst. Obgleich die Kalmücken einst den Chinesen feindlicher gegenüberstanden als den Kirgisen, so stehen sie doch durch ihre religiösen Anschauungen und durch ihre Sitten und Lebensanschauungen der Regierung jetzt näher als die Kirgisen. Wenn die Kalmücken auch keine beson- dere Hinneigung zu den Mandschu haben, so sind sie ihnen doch nicht gerade feindlich gesinnt, da diese es verstanden haben, durch die vollkommene Freigabe der inneren Verwaltung und Vermeidung- jeglicher Einmischung in die Angelegenheiten, Sitten und Anschauungen der Kalmücken (was, beiläufig gesagt, bei den Chinesen nicht aus politischer Toleranz und Humanität, sondern aus der Verachtung aller wai-gu-shin [äusseren Leute] entspringt); auch der Umstand, dass sie zum Kriegsdienste und Landesschutze herangezogen wurden, hat in den Kalmücken ein Gefühl von Zugehörigkeit zum chinesischen Reiche erweckt. Im Falle eines Aufstandes werden die Kalmücken nicht ^n den Machthabem abfallen, aber auch zu ihrem Schutze keine besonderen Opfer bringen. Die mohammedanischen Nomaden, Kirgisen und Buruten (schwarze Kirgisen), die officiell zum Ili-Tale gehören, sind nicht sehr zahlreich. Zu den ersteren gehört nur ein ganz kleiner Theil der grossen Horde, der den Winter in dem i^ordwestlichen Theile des Ili- Thaies zubringt. Es sind dies zum grössten Theil Aule des Geschlechtes Suan und ganz vereinzelte Jurten der Aidschan. Die grosse Horde zahlt für das Recht des Niess- brauches chinesischen Gebietes 40 Pferde an die chinesische Regierung, die bis jetzt den Stamm Suan als chinesische Unter* thanen betrachtet. Die Solonen stehen mit den Suan in naher Verbindung, indem sie vielfach mit ihnen Handel treiben und viele Suan zur Bewachung ihrer Heerden in Dienst nehmen. In der That das beste Mittel, sich vor den Viehdiebstählen der Kirgisen zu schützen. Die Buruten (schwarzen Kirgisen) ziehen — 331 — nie bis zum Ili-Thale hinab, sondern wohnen jenseits der süd- lichen Grenzgebirge in der Nachbarschaft der Kalmücken am Tekes; nur ein ganz geringer Theil des Stammes Bugu hat sich bis jetzt den Russen nicht imterworfen. Die chinesische Regierung betrachtet noch den ganzen Stamm Bugu als seine Unterthanen und erhebt noch von ihm Abgaben. Gehen wir jetzt zu den angesiedelten, ackerbautreibenden Stammen des Ili- Thaies über, so sehen wir in allen Städten und an den verschiedensten Punkten des Ili-Thales angesiedelte tatarische Ackerbauer, die sich JarZtfc (Einheimische) nennen, aber von aUen anderen Nachbaren mit dem mongolischen Namen Tarantschi genannt werden, d. h. Ackerbauer. Ich habe schon erwähnt, dass zur Zeit der kalmückischen Kane tatarische Kriegs- gefangene aus Kaschgar im Ili-Thale angesiedelt wurden. Als nun die Chinesen das Hi-Thal eroberten, folgten sie dem Bei- spiele der Kalmücken und gründeten am Ili zahlreiche Ansie- delungen von Tataren des Sechsstädtegebietes. Im Ganzen wurden aus den Städten Kaschgar, Jarkänd, Chotan, Turfan, Aksu und Usch 6000 Tataren-Familien zimi Hi übergesiedelt. Jetzt ist die Zahl dieser Familien auf 8000 angewachsen. Die Uebersiedelung dieser Tataren hatte einen doppelten Grund: erstens woDte man die gefahrlichsten Individuen aus jenen tatarischen Provinzen entfernen und dadurch ihren Widerstand brechen, andererseits sollten die neuen Ansiedler den Feldbau im Ili-Thale einrichten und als jährliche Abgabe die für die Armee nöthigen Getreidevorräthe, deren HerschaflFung aus China grosse Unkosten verursacht hätte, liefern. Jeder dieser Acker- bauer-Familien wurden 12 Desjätinen angewiesen, und hatte das Oberhaupt der Familie für . diesen Landbesitz jährlich 32 . Cho (chinesische Centner) Getreide und zwar je 8 Cho Weizen, Gerste, Roggen und Hirse in die Kronsmagazine zu liefern. Bei den jetzigen Getreidepreisen beträgt diese Natural- abgabe etwa. 8 — 10 Sär-Jarmak oder 8 — 9 Rubel Silber, was bei dem hohen Geldwerthe im Ili-Thale bei uns ungefähr das Doppelte ausmachen würde. Die 6000 Familien wurden in folgenden Orten im Hi- Thale angesiedelt: 1. Am rechten Ili-Üfer. a) jenseits des Kasch .... 500 Familien b) am Canal Ari östäng . . . 600 „ ^ I — 332 — c) am Canal Baitukai . . . 500 Familien d) am Flusse Nilka .... 400 „ e) am Flusse Olatai . . . . 600 ,, f) an den Flüssen Boroburgasun, Biläkäi und Tschulburkai . 500 „ g) am Flusse Jirgalang . . . 1000 „ Im Ganzen 4100 Familien 2. Am linken Ili-Ufer. a) am Tarksyl 100 Familien b) am Koguschi . . .... 200 „ e) am Jagystai . . . . . . 200 d) am Kainak 200 e) am Bugra 200 „ f) am Chonokai 400 ,, g) am Dolaty, Galdshang und Dadamty 600 „ 71 77 Im Ganzen 1900 Familien. • Bei einer Zahl von 6000 Familien betrug die Naturalab- gabe der tatarischen Ackerbauer jährlich 192000 Cho Getreide, vom Jahre 1834 an, wo eine Zählung 8000 Familieif ergab, aber 256000 Cho, also über zwei Millionen Rubel. Trotz dieser verhältnissmässig schweren Abgaben war, wie man mich ver- sicherte, das Loos der Tarantschi bis zum Ausbruche des Auf- standes in Kaschgar im Jahre 1826 ein ganz erträgliches ge- wesen. Sie waren im Stande, ihre Abgaben pünktlich zu zahlen, und ^es war ihnen möglich, einen recht bedeutenden Viehstand zu halten. Besonders rühmend erwähnte mein Berichterstatter die Milde und Behilflichkeit der Chinesen vor dieser Epoche; dieselben hätten sowohl durch freundliches Erlassen der Abgaben und durch Geldunterstützung zur Zeit der Noth und des Miss- wachses den Wohlstand der Ackerbauer gefordert. Doch mit dem Aufstande im Sechs-Städte-Gebiete brach das Unglück über das Hi-Thal herein und ganz besonders über die tatarischen Ackerbauer. Während der Dauer der militärischen Operationen im Sechs- Städte-Gebiete mussten die Tarantschi des Ili-Thales nicht nur doppelte Proviantlieferungen machen, sondern dieselben auch — 333 — mit ihrem eigenen Zugvieh bis zum Kriegsschauplatze führen, was bei dem schwierigen üebergange über den Thianschftn eine höchst kostspielige Sache war. Im zweiten Jahre des Krieges erreichte die Noth und Plage der Tataren den höchsten Gipfel. Der Winter war anhaltend und ungewöhnlich kalt und Hunderte von Tarantschi sollen auf dem Wege nach Kaschgar erfroren sein; das Zugvieh fiel zu Tausenden, und was an Vieh nicht auf dem Wege umgekommen war, nahmen die nothleidenden Truppen in Beschlag. Selbst die nichtchinesischen ünterthanen in der Stadt Kuldsha (Handelsleute aus den Chanaten) mussten 500 Pferde zum Transport der Vorräthe stellen und bekamen nicht eins derselben wieder zu Gesicht. So ging es mehrere Jahre hindurch, bis es endlich den Chinesen gelungen war, Herren des Aufstandes zu werden und die Ruhe der Provinz wiederher- zustellen. Da die hiesige Verwaltung jetzt ein doppelt starkes Heer unterhalten musste, dabei aber keine Geldzuschüsse aus China erhielt, so trat bei ihr eine schreckliche Finanznoth ein. Beim Suchen nach neuen Hilfsquellen ermittelte einer* der Dsan- dsüne, dasR die Zahl der Tarantschi-Familien im Hi-Thale auf 8000 gestiegen sei, und Hess im Jahre 1834 den Canal Tokus- Tara-Ostäng anlegen, um nach Landanweisung an die überzäh- ligen Tarantschi-Familien auch von diesen die gesetzlichen Ab- gaben einfordern zu können. Da dieser Canal durch südlich vom Hi gelegene Felspartieen geführt werden musste, so dauerte die Arbeit volle zwei Jahre, und während dieser ganzen Zeit mussten die Tarantschi 3000 Arbeiter unentgeltlich stellen. Femer zeigte sich bei der Ackervertheilung, dass das Land nur für 1500 Familien hinreichte, während man unvorsichtiger Weise schon nach Peking über den Zuwachs von 2000 Familien be- richtet hatte, und die tatarischen Beamten mussten ihre Aecker am Boroburgasun hergeben und die Tarantschi auf eigene Kosten neue Canäle am Boroburgasun und BUäkäi herstellen. Im Som- mer des Jahres 1836 zeigte sich, dass der Tokus-Tara-Canal nicht tief genug angelegt war und dass das von ihm herbeigeführte Wasser nicht für die neuangelegten Aecker ausreichte; in Folge dessen verdorrten alle Aecker der neuangesiedelten 1500 Fa- milien, und diese Unglücklichen konnten weder Abgaben zahlen noch sich selbst ernähren. Dieses Elend dauerte drei volle Jahre, während welcher die übrigen 6000 Tarantschi-Familien nicht nur die Abgaben für die 1500 Familien zahlen mussten, — 384 — sondern auch angewiesen wurden, 3000 Arbeiter zur Canaler- weiterung zu stellen und die Hungerleidenden am Tokus Tara^ zu unterhalten. Schon im Jahre 1836 waren am Chonokai unter den ta- tarischen Ackerbauern Unruhen ausgebrochen. Ein Perser, Namens Schangmosi, gab sich hier als Ohodsha aus und versprach, das Volk von dem unerträglichen Drucke der Chinesen zu befreien. Die zehnjährige Noth hatte die Leute fast zur Verzweiflung gebracht, und in der Sehnsucht nach Errettung aus ihren fürch- terlichen Leiden schlössen sie sich dem falschen Chodsha an. Wer sich weigerte, den Chodsha anzuerkennen, wurde auf des- sen Befehl niedergemacht. Die Chinesen hatten jedoch Nachricht von den Vorgängen erhalten, ehe der Aufstand sich in den übrigen Tarantschi-Ansiedlungen verbreitet hatte, und sd war es ihnen denn ein ^Leichtes, die unbedeutende, planlos angefangene Revolte zu unterdrücken. Der Perser wie auch die übrigen Rädelsführer des Aufstandes wurden gefangen genommen und nach Kuldsha geschleppt; dort wurde der Perser unter scheuss- lichen Qualen öffentlich gefoltert, dann wurde ihm, wie den 16 gefangenen Anführern, der Kopf abgeschnitten und ihre Häupter als Wamungszeichen an den Hauptwegen der Taran- tschi-Ansiedlungen auf Stangen gesteckt. Wohl hundert Per- sonen wurden nach China verbannt und viele Tataren-Ansied- lungen von den Soldaten geplündert. In den Jahren 1840 bis 1844 brachen abermals Aufstände in Kaschgar aus und in beiden Jahren hatten die Tarantschi abermals viel vom Proviant- Transport zu leiden. Alle diese Unglücksfillle hatten zwar den Wohlstand der Tarantschi vernichtet, dennoch hätte ihnen die Vortrefflichkeit des Bodens unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit ge- geben, durch Fleiss sich wieder heraufzuarbeiten, wenn nicht der Argwohn der chinesischen Herrscher ihnen einen Krebsscha- den eingeimpft hätte, der mit der Zeit das Volk gänzlich zu Grunde richten wird. Dieser Krebsschaden sind die von den Chi- nesen eingesetzten Tarantschi-Beamten ; diese letzteren, die wie ein Netz die ganze tatarische Bevölkerung umstricken, sind die blinden Werkzeuge der Regierung ; Selbstsucht und Eigennutz haben sie ihrem eigenen Volke entfremdet und zu Sklaven der fremden Race gemacht, unter deren Schutz sie jeden Frevel ungestraft ausführen können. Die Mandschu handeln hier sehr — 335 — klug, denn unter den jetzigen Verhältnissen haben sie durch diesen Beamtendruck den Hass des Volkes von sich liuf die Beamten gewälzt. Die Tarantschi-Bureaukratie hat ihren Höhepunkt in dem im tatarischen Kuldsha residirenden Hekim und seinem Gehilfen, dem Schaga. Beide tragen als Bangabzeichen den blauen durch- sichtigen Mützenknopf, d. h. sie stehen im Bange eines Obersten (Ugeri-da). Der Hekim kann aber als Auszeichnung auch den rothen Mützenknopf (die Amban- oder Generals-Würde) erhalten, wie sie auch wirklich der jetzige Hekim erhalten hat. Diese beiden Beamten haben die Verwaltung der gesammten Tataren- Bevölkerung, sowohl der Ackerbauer wie auch der Stadtbe- wohner, in Händen, lieber ihre Thätigkeit haben sie nur dem. Dsai^-dsün oder seinem Stellvertreter Bechenschafb abzulegen, und dieser lässt wiederum durch sie seine Befehle an die ta- tarische Bevölkerung ergehen. Ausser der Polizei und Verwal- tungsgewalt sind sie sogar die höchste richterliche Instanz, wenn der Kechtsstreit oder Criminalfall nur Tataren betriflFt. Der Verwaltung nach zerfallen die Tarantschi in acht Kreise, von denen sechs unter einem Schang Bäk und einem Mirap, zwei aber unter einem Käsnitschi und einem Mirap stehen. Die ersten sechs Kreise sind: 1) Jyrgalang, 2) Borbogasun, Tschulburkai, Biläkäi, 3) Nilka und Olatai, 4) Jekiseits des Kasch, 5) Bugra, Kainak, Jagustai, Kogusclii, 6) Dadamty, Dolatai, Chonokai. Die beiden letzten Kreise sind: 1) Tokus Tara, 2) Ari-östän, Baitukai. Sowohl der Bäsnitschi wie auch der Schang Bäk führen als Bangabzeichen den weissen durchsichtigen Mützenknopf (Dshergi Janggin =3 Capitäns-Bang), auch die Mirap tragen dieses Bang- abzeichen. Die Bäsnitschi können als Auszeichnung den blauen Mützenknopf erhalten. Jeder dieser Kreise zerfilllt in zwei Unterabtheilungen, von denen jede Aviederum unter einem Ming Bäki (Tausend-Herrn) — 336 — steht; derselbe trägt den kupfernen Mützenknopf (TunduBoschko «= Lieutenant), lieber je hundert Ackerbauer-Familien steht ein Jus Bäki (Hundert-Herr) und ein Ellig Beschi (ein Fünfzig- Kopf). Die ältesten zwölf Jus Bäki haben ebenfalls kupferne Mützenknöpfe. Ueber je zehn Familien steht endlich als Auf- seher ein On Beschi (Zehn-Kopf). Die ganze Bureaukratie be- steht aber aus: 1 Hekim, 1 Schaga^ 2 Bäsnitschi, 6 Schang Bäk, 8 Mirap, 16 Ming Bäki, 80 Jus Bäki, 80 Ellig Beschi und 800 On Beschi, zusammen 994 Beamte. Mit Ausnahme der On Bes.chi inüssen alle Beamten vom Mandschu-Gouvemeur be- stätigt werden; die On Beschi ernennt der Hekim selbst und wechselt sie nach Belieben. Alle diese Beamten leben auf Kosten der Ackerbauer, da die Regierung schon seit vielen Jahren auf- gehört hat, die Besoldungen zu zahlen; ausser der Besoldung müssen die Ackerbauer noch ihren Beamten die nöthige Diener- schaft stellen. Auch viele Mandschu-Beamte erhalten Dienerschaft und Arbeiter durch Vermittlung des Hekim von den Ackerbauern. Auf diese Weise kosten die Beamten den Ackerbauern fast noch mehr als ihre Abgaben an die Krone. ,, Unter aUen Völkern des Ili", sagte einer meiner Bericht- erj3tatter, „hat kein Volk so schwere Abgaben und so bittere Tage zu erdulden wie wir Ackerbauer. Wenn wir uns bei unseren Be- amten beklagen, wird uns keine Hilfe; wer es auch sei, ein Mandschu-Beamter oder ein Tatar, Jeder nimmt das, was ihm gut dünkt. In den letzten Jahren ist uns nicht einmal mehr das Vieh von den Kalmücken geliefert worden, das haben unsere Beamten mit den Manschu verzehrt; aber die Strafe wird die Beamten schon erreichen, denn es steht geschrieben: ]Öu alänining bägläri, KiamätniDg sägläri. Ja, die Herren dieser Welt Werden Hunde sein im Jenseits ! Unser Wohlstand nimmt von Tag zu Tag ab, wenn es so fort- geht, werden wir alle Hungers sterben." Zu der tatarischen Bevölkerung des Ili- Thaies gehören ausser den bis jetzt besprochenen Tarantschi die Bewohner der Tatarenstadt Kuldsha oder, wie sie von den hiesigen Tataren genannt wird, Guldsha (Elennthier). Die Stadt Kuldsha ist, wie ich schon vorher erwähnt habe, viel älter als die chinesische Herrschaft. Die Bevölkerung besteht zum grössten Theil aus — 337 — den alten tatarischen Insassen des Ili- Thaies (früher war das Ili-Thal ausschliesslich von Tataren bewohnt und es wurde hier- selbst der dshagataische Dialect gesprochen (siehe Baber Nameh pag. 2), ausserdem aus Verbannten, aus dem Sechs-Städte-Ge- biete und aus Kaufleuten von Kaschgar, Kokand, Taschkend und Buchara, die seit vielen Jahren hier Handel treiben und jetzt als naturalisirte Unterthanen betrachtet werden. Die Zahl der Einwohnerschaft vermag ich nicht genau anzugeben, sie soll sich aber wenigstens auf 80 000 Köpfe belaufen. Die Stadt Kuldsha liegt nicht weit von der Mündung des Pilitschi in den Ili. Die eigentliche Stadt ist in einem Rechtecke ge- baut und mit einer Lehmmauer umgeben; durch diese gelangt man in die Stadt mittelst vierer Thore, die in der Mitte der Seiten liegen; die Strassen sind gerade und durchschneiden sich meist rechtwinklig. Zwar liegt die Verwaltung der Stadt ebenfalls in den Hän- den des Hekim und Schaga, aber dennoch ist sie von der der Tarantschi getrennt, unter eigenen Beamten, eigenen Institu- tionen und besonderen Abgaben. Unter den Beamten der Stadt wurden mir der Kasy und der Ischkal als Gerichtsbeamte, der Paschtap (Geßlngnissdirector), der Sädäri und Ming Bäki (Polizei- meister und Commandant) genannt. Die Abgaben der Stadt- bewohner sind theils Grundsteuern, theils Gewerbesteuern, ganz wie sie die Bewohner der chinesischen Städte zahlen. Der Hekim kann mit Bewilligung des Mandschu-Gouvemeurs tafarische Stadt- bewohner zi*r Strafe zu den Ackerbauern überführen. Bei den Bewohnern von Kuldsha herrscht durchaus nicht dieselbe Noth und Armuth wie bei den Tarantschi. Die auf einem Punkte zusammengedrängte Volksmasse, unter der schon eine gewisse Bildung herrscht und deren Vertreter Kapitalisten, Handelsleute und Geistliche sind, Leute, deren Stimmen schon mehr in's Gewicht fallen, vermochte der Bureaukratie zu trotzen und jede unbillige Forderung zurückzuweisen; so dass sie selbst unter den jetzigen Verhältnissen noch eine ziemlich autonome Stellung einnimmt. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte bietet mehrfache Beispiele des Widerstandes der Städtbewohner gegen ungerechte .Forderungen der Beamten. So z. B. lieferten die Bewohner der Stadt Kuldsha zur Zeit des ersten Aufstandes Kaschgars 500 Pferde; als man zum zweiten Male eine gleiche Anzahl Radioff, Aus Sibirien. IL 22 — 338 — forderte, weigerte sieh die Stadtgemejnde, diese zu stellen. Nach Beendigung des Aufstandes wurden deswegen mehrere Kokander Kaufleute ausgewiesen, den chinesischen Unterthanen konnte man Nichts anhaben. Ebenso weigerte sich die Stadtgemeinde im Jahre 1862, 5000 Rubel zu einer Expedition nach dem Issi- köl zu liefern, während von den Ackerbauern 8000 Rubel ein- getrieben wurden. Obgleich sich die Stadt durch Abstammung der Einwohner, durch eigene Verwaltung und selbständige Institutionen scharf von der Tarantschi-Bevölkerung abscheidet, ist sie doch der eigentliche Kern und Mittelpunkt der gesammten Tataren-Bevöl- kerung des Ili -Thaies. Schon die Verkehrs Verhältnisse machen Kuldsha zu diesem Mittelpunkte. Alle Handelsartikel, die vom tatarischen Mittelasien (Buchara, Kokand, Alty-schähär) nach dem Ili geführt werden, werden von der Stadt Kuldsha aus unter die tatarische Bevölkerung des Ili -Thaies verbreitet. Hier ist der Getreidemarkt, wo der Ackerbauer seine Produkte absetzt, von hier aus holt er seine Bedürfnisse. Hier sind ja die Hand- werke zu einer gewissen Blüthe gelangt und zwar selbst in den Händen von Tataren. Was aber mit unzerreissbaren Banden die Stadt Kuldsha mit der Tarantschi-Bevölkerung verknüpft und sie eigentlich ganz zum Mittelpunkt der tatarischen Ein- wohner des Ili-Thales erhebt, ist der allen Tataren gemeinsame Glaube des Islam, der überall da die Gemüther der Moham- medaner in seiner schroffsten Form erfasst, wo sie zerstreut unter Ungläubigen leben und unter dem Jochej derselben seuf- zen. Instinctiv fühlt das Volk, dass die strengste Rechtgläubig- keit und das eiserne Festhalten an den Religionsvorschriften die einzigen Mittel sind, welche den schädlichen, zersetzenden Einfluss der herrschenden Race abwenden können. Um wie viel mehr muss sich dieses Gefühl in den unter chinesischer Herr- schaft befindlichen Mohammedanern regen, wenn sie den ihnen so verabscheuungswürdigen rohen Bilderdienst und die Anbe- tung der Buddhagötzen ihrer Herren mit ansehen, wenn sie sich vor Leuten beugen müssen, deren Hauptnahrung das verruchte Schweinefleisch ist, dessen Genuss der rechtgläubige Moham- medaner für eine Todsünde hält. Neben der von der Regierung eingesetzten bureaukrati- sclien Verwaltung hat sich unter so bewandten Umstäijden eine nationale Verwaltung, eine weit verzweigte mohammedanische — 339 — Hierarchie entwickelt, die durch das religiöse Bewnsstsein des Volkes' getragen wird und deren Aufgabe es ist, das nationale Princip zu schützen sowie den schädlichen Einfluss der Umwohner abzuhalten. Der Knotenpunkt und die Spitze dieser Hierarchie liegen aber in der Stadt Kuldsha. In jeder noch so kleinen Ansiedelung der Tarantschi be- finden sich zwei geistliche Führer, ein Priester (Imam) und ein Lehrer (Mulla), auch ist überall eine Moschee und ein Schul- haus errichtet. Der Priester hat aufs Strengste die Gemeinde- glieder zur Erfüllung der religiösen Vorschriften anzuhalten. Vernachlässigungen oder Verletzungen derselben berichtet er an das Oberpriestercollegium (Achunlar), das durch den Hekim die Bestrafung der betreffenden Person veranlasst. Der Lehrer hat im Sommer wenig zu thun, denn der Unterricht ' findet nur im Winter statt, dann aber auch täglich und fast den ganzen Tag hindurch, natürlich machen Feier- und Festtage eine Ausnahme. Zwar steht es Jedem frei, seine Kinder unterrichten zu lassen, und mancher Vater schickt seine Kinder nicht zur Schule, da der Lehrer für jedes Kind eine kleine Bezahlung erhält, aber dennoch sucht es der Priester theils durch Ueberredung, theils durch Gewalt dahin zu bringen, dass wenigstens ein Kind jeder Familie am Unterrichte theilnimmt. In diesen Schulen wird meist nur das Lesen gelehrt. Man beginnt das Lesen von Ge- beten, des Heftijak und Koran in arabischer Sprache. Die Ge- bete müssen die Kinder so lange lesen, bis sie diese auswen- dig wissen. Nachdem die Kinder das mechanische Lesen ara- bischer Texte erlernt haben, giebt man denselben tatarische Texte : Erläuterungen von Glaubenssätzen und heilige Legenden. Schreiben lernt nur der kleinste Theil der Kinder und man muss den Lehrer für den Unterricht besonders honoriren. Daher kommt es, dass, obgleich 30 — 40 ^/^ der Bevölkerung zu lesen verstehen, kaum 10 ^/o schreiben können. Priester und Lehrer werden von den geistlichen Abgaben der Mohammedaner (dem Seket) erhalten. In der Stadt Kuldsha sind viele Imame und Mulla, die zum grössten Theil, wie auch die Geistlichen und Lehrer bei den Landbewohnern, Eingeborene der Stadt selbst sind und auch hier ihre Ausbildung genossen haben. Oeffentliche Schulen giebt es hier durchaus nicht, sondern die Mulla geben in den Häusern Privatunterricht, an dem sich eine kleinere oder grössere 22* — 338 — forderte, weigerte sich die Stadtgem^nde, diese zu stellen. Nach Beendigung des Aufstandes wurden deswegen mehrere Kokander Kaufleute ausgewiesen, den chinesischen Unterthanen konnte man Nichts anhaben. Ebenso weigerte sich die Stadtgemeinde im Jahre 1862, 5000 Rubel zu einer Expedition nach dem Issi- köl zu liefern, während von den Ackerbauern 8000 Rubel ein- getrieben wurden. Obgleich sich die Stadt durch Abstammung der Einwohner, durch eigene Verwaltung und selbständige Institutionen scharf von der Tarantschi-Bevölkerung abscheidet, ist sie doch der eigentliche Kern und Mittelpunkt der gesammten Tataren-Bevöl- kerung des Ili -Thaies. Schon die Verkehrsverhältnisse machen Kuldsha zu diesem Mittelpunkte. Alle Handelsartikel, die vom tatarischen Mittelasien (Buchara, Kokand, Alty-schähär) nach dem Ili geführt werden, werden von der Stadt Kuldsha aus unter die tatarische Bevölkerung des Ili -Thaies verbreitet. Hier ist der Getreidemarkt, wo der Ackerbauer seine Produkte absetzt, von hier aus holt er seine Bedürfnisse. Hier sind ja die Hand- werke zu einer gewissen Blüthe gelangt und zwar selbst in den Händen von Tataren. Was aber mit unzerreissbaren Banden die Stadt Kuldsha mit der Tarantschi-Bevölkerung verknüpft und sie eigentlich ganz zum Mittelpunkt der tatarischen Ein- wohner des Ili-Thales erhebt, ist der allen Tataren gemeinsame Glaube des Islam, der überall da die Gemüther der Moham- medaner in seiner schroffsten Form erfasst, wo sie zerstreut unter Ungläubigen leben und unter dem Joche derselben seuf- zen. Instinctiv fühlt das Volk, dass die strengste Rechtgläubig- keit und das eiserne Festhalten an den Religionsvorschriften die einzigen Mittel sind, welche den schädlichen, zersetzenden Einfluss der herrschenden Race abwenden können. Um wie viel mehr muss sich dieses Gefühl in den unter chinesischer Herr- schaft befindlichen Mohammedanern regen, wenn sie den ihnen so verabscheuungswürdigen rohen Bilderdienst und die Anbe- tung der Buddhagötzen ihrer Herren mit ansehen, wenn sie sich vor Leuten beugen müssen, deren Hauptnahrung das verruchte Schweinefleisch ist, dessen Genuss der rechtgläubige Moham- medaner für eine Todsünde hält. Neben der von der Regierung eingesetzten bureaukrati- sclien Verwaltung hat sich unter so bewandten Umstäiiden eine nationale Verwaltung, eine weit verzweigte mohammedanische — 339 — Hierarchie entwickelt, die durch das religiöse Bewusstsem des Volkes* getragen wird und deren Aufgabe es ist, das nationale Princip zu schützen sowie den schädlichen Einfluss der Umwohner abzuhalten. Der Knotenpunkt und die Spitze dieser Hierarchie liegen aber in der Stadt Kuldsha. In jeder noch so kleinen Ansiedelung der Tarantschi be- finden sich zwei geistliche Führer, ein Priester (Imam) und ein Lehrer (Mulla), auch ist überall eine Moschee und ein Schul- haus errichtet. Der Priester hat aufs Strengste die Gemeinde- glieder zur Erfüllung der religiösen Vorschriften anzuhalten. Vernachlässigungen oder Verletzungen derselben berichtet er an das Oberpriestercollegium (Achunlar), das durch den Hekim die Bestrafung der betreffenden Person veranlasst. Der Lehrer hat im Sommer wenig zu thun, denn der Unterricht * findet nur im Winter statt, dann aber auch täglich und fast den ganzen Tag hindurch, natürlich machen Feier- und Festtage eine Ausnahme. Zwar steht es Jedem frei, seine Kinder unterrichten zu lassen, und mancher Vater schickt seine Kinder nicht zur Schule, da der Lehrer für jedes Kind eine kleine Bezahlung erhält, aber dennoch sucht es der Priester theils durch Ueberredung, theils durch Gewalt dahin zu bringen, dass wenigstens ein Kind jeder Familie am Unterrichte theilnimmt. In diesen Schulen wird meist nur das Lesen gelehrt. Man beginnt das Lesen von Ge- beten, des Heftijak und Koran in arabischer Sprache. Die Ge- bete müssen die Kinder so lange lesen, bis sie diese auswen- dig wissen. Nachdem die Kinder das mechanische Lesen ara- bischer Texte erlernt haben, giebt man denselben tatarische Texte : Erläuterungen von Glaubenssätzen und heihge Legenden. Schreiben lernt nur der kleinste Theil der Kinder und man muss den Lehrer für den Unterricht besonders honoriren. Daher kommt es, dass, obgleich 30 — 40 ^/^ der Bevölkerung zu lesen verstehen, kaum 10 ^/q schreiben können. Priester und Lehrer werden von den geistlichen Abgaben der Mohammedaner (dem Seket) erhalten. In der Stadt Kuldsha sind viele Imame und Mulla, die zum grössten Theil, wie auch die Geistlichen und Lehrer bei den Landbewohnern, Eingeborene der Stadt selbst sind und auch hier ihre Ausbildung genossen haben. Oeffentliche Schulen giebt es hier durchaus nicht, sondern die Mulla geben in den Häusern Privatunterricht, an dem sich eine kleinere oder grössere 22* — 340 — Zahl von Kindern betheiligt. An diesem Unterrichte nehmen Knaben und Mädchen von verschiedenem Alter TheiK Auch hier dauert der Unterricht fast den ganzen Tag über. Der Mulla erhält für den Unterricht von jedem Schüler eine monat- liche Bezahlung, die nach dem Ansehen des Lehrers eine sehr verschiedene ist. Im Allgemeinen zahlt man für den niederen Unterricht einen Sar Kupfer (80 — 90 Kopeken) monatlich, reiche Leute halten für die Kinder eigene Lehre^. Gelehrte Mulla ver- sammeln ältere Schüler um sich, die sie in die mohammedani- schen Wissenschaften einweihen. Ausser den Imamen in den kleinen Moscheen Kuldshas giebt es noch ein Collegium aus den gelehrten Oberpriestem (Achune), die das oberste Gericht iir geistlichen Angelegenheiten bilden. Diese Achune haben ihre Bildung meist in Kaschgar oder Buchara empfangen und sind der arabischen und persischen Sprache vollkommen mächtig. Das Collegium der Achune, die eigentlichen Schriftgelehrten des Landes, ist der Beamtenbureau- kratie durchaus nicht untergeordnet. Das Collegium wird zwar in keiner Weise von der Regierung unterstützt, aber das reli- giöse Bewusstsein des ganzen Volkes giebt ihnen eine derartige Macht, dass nicht nur die tatarischen Beamten, sondern auch die Mandschu auf ihre Stimme hören, da sie leicht im Stande sind, den Fanatismus der Massen zu erregen. Als Beispiel ihres Einflusses möge folgende Begebenheit dienen: Der Hekim Halisat, der zur Zeit der Anlegung des Tokus- Tara-Canales (1834) die Verwaltung der Tataren in Händen hatte, war durch jene für die Chinesen so vortheilhafte Anlage neuer Aecker ein Liebling der Mandschu -Beamten geworden und hatte zur Belohnung den Generalsrang erhalten. Ueber- müthig geworden durch die Gunst des Dsan-dsün, bedrückte er seine Stammgenossen auf jede Weise. Er kleidete sich chi- nesisch und sagte sich von allen mohammedanischen Vorschriften los. Die Achune, die ihn darüber zur Rede stellen wollten, liess er mehrmals abweisen. Da schickten diese eine Deputation zu dem Dsan-dsün und forderten die Bestrafung des Schuldigen. Obgleich der Dsan-dsün das Betragen des Hekim billigte, nahm er dennoch die Achune sehr freundlich an und liess ein Ge- richt von fünf hohen tatarischen Beamten einsetzen, die diese Angelegenheit untersuchen sollten. Als Halisat von diesem Ge- richte für strafbar befunden wurde, überliess der Dsan-dsün — 341 — den Priestern die Bestimmung der Strafe. Diese behaupteten zwar, der Hekim habe nach dem Scharijat die Strafe der Steini- gung verdient, baten aber selbst um Milderung. Hierauf wurde Halisat aller seiner Würden beraubt und nach Turfan verbannt. In Erfüllung der äusseren Vorschriften der Religion sind die Tarantschi besonders streng, die Gebete und Fasten werden mit der grössten Pünktlichkeit abgehalten und nur reine Speise (halal asch) wird von ihnen genossen. Besonders verachtet ist bei ihnen das Schweinefleisch, die Lieblingsspeise der Chinesen. Wie weit so schroffe Gegensätze führen, beweist die Antwort,^ die mir ein Tarantschi auf die Frage, was die unreinste Speise sei, gab. ,,Es giebt", sagte er, ,, sieben unreine Speisen (haram asch): Schweinefleisch und andere durch den Koran verbotene Thierspeise, geraubte Speise, den Waisen entwendete Speise, aus anvertrautem Gute entwendete Speise, durch Prostitution der eigenen Frau erworbene Speise, gestohlene Speise, durch Betrügerei erworbene Speise; aber alle sechs zuletzt genannten Speisen kommen der ersten an Strafbarkeit nicht gleich. Wer Schweinefleisch genossen hat, hat die grösste aller Sünden be- gangen." Dem Islam allein haben es die Ili-Tataren zu danken, das» sie so wenig dem Einflüsse der Chinesen und der übrigen Ein- wohner erlegen sind, während der Einfluss der herrschenden Race bei den Kalmücken und Dauriern ein ganz bedeutender gewesen ist. Die ganze Masse der Tataren steht nach einem Jahrhundert den Chinesen und ihrer Cultur ebenso fremd gegen- über, wie beim Anfange der üebersiedelung ; nur ganz verein- zelte Individuen, die stets in chinesischen Städten und Dörfern gelebt haben, schliessen sich näher an die Chinesen an, aber auch hier beginnt der Einfluss der fremden Cultur zuerst mit den Lastern; daher kommt es, dass solche Individuen sich selten eines guten Rufes erfreuen. Das zeigt uns schon das oben an- geführte Beispiel des Halisat Hekim, der sich dem Trünke er- gab und sich in ein lüderliches Leben mit der chinesischen De- mimonde einliess. Die Ansiedelungen der Ackerbauer bilden kleine Aule von 10 — 30 Gehöften, die gewöhnlich ohne Ordnung ziemlich nahe nebeneinander liegen, ohne regelmässige Strassen zu bilden; eine solche Anordnung ist einerseits vielleicht eine Reminiscenz des alten türkischen Nomadenlebens, andererseits aber gewiss — 342 — auch durch die Bewässerungsverhältiiisse geboten. Die Häuser der Tarantschi sind alle aus an der Luft getrockneten Lehm- steinen gebaut, in Form eines Reckteckes angelegt, sind von geringer .Höhe und haben ohne Ausnahme flache Dächer. Das Haus besteht immer aus zwei Theilen, dem Vorhause und dem Wohnhause. Das Vorhaus nimmt die Hälfte des Gebäudes ein und dient im Sommer zum Aufenthaltsort der Familie. Von diesem führt eine Thür zur Küche, neben welcher die Vorraths- kammer liegt, und eine andere zum Wohnzimmer. In letzterem steht gewöhnlich ein ganz niedriger, runder Esstisch und an den Wänden Kasten mit Kleidungsstücken und allerlei beweg- licher Habe, der Fussboden ist mit Teppichen oder Filzdecken belegt. In der Küche ist links von der Eingangsthür die Feuer- stätte, bei der die Wand mit Lehm ausgeschlagen ist, oberhalb derselben befindet sich an Stelle des Rauchfanges eine Oeff- nung in der Decke. Rings um das Wohnhaus liegen die Wirthschaftsgebäude und die Ställe für das Vieh. Die Ackerbauer haben fast ohne Ausnahme nur eine Frau, obgleich das Gesetz ihnen mehrere gestattet, ebenso ist in der Stadt Kuldsha die Vielweiberei ziemlich selten und nur wenige reiche Leute haben zwei Frauen. Nur von einem einzigen Ta- taren wurde gesprochen, dass er vier Weiber habe. Auf den Frauen liegt die Besorgung des ganzen Hauswesens, ebenso die Sorge für Rinder und Schafe; für die Pferde sorgen die Männer. Bei der Bearbeitung der Felder zur Saat- und Ernte- zeit müssen auch die Frauen mithelfen. Die Nahrung der Landbewohner ist sehr einfach, sie be- steht aus Ziegelthee, Hammelfleisch, Gersten- und Roggenmehl, das theils in Brühe gekocht, theils zu Bi'ot gebacken wird, aus Grütze, Reis und Hirse. Von Früchten und Gemüsen ziehen sie Aepfel, Schaptala, Pfirsiche, Aprikosen, Melonen, Wasser- melonen und Gurken. Die Kleidung der Tarantschi ist im Ganzen dieselbe wie bei allen mohammedanischen Tataren. Die Männer haben ein vorn offenes Hemd mit einem Shawlkragen, das aus weisser, selbstgewebter Leinwand genäht ist, weite Hosen von demselben Zeuge, die in den Stiefeln getragen werden, bis zur Wade rei- chende weiche Tatarenstiefel mit Galoschen. Ueber dem Hemd tragen sie gewöhnlich im Sommer einen Rock aus grobem chine- — 343 — sischem Stoffe von derselben Form wie das Hemd; im Winter tragen sie mehrere dergleichen Röcke übereinander, von denen der oberste wattirt. ist, oder auch einen weiten Schaf- oder Ziegenpelz. An Feiertagen sieht man bei Vornehmeren Röcke von Durja (Kokander Halbseide). Die Frauen unterscheiden sich in der Kleidung nur dadurch von den Männern, dass sie längere Hemden und Röcke tragen und die Hemden, vorn nicht offen sind. Die Männer tragen auf dem glatt rasirten Kopfe gewöhn- lich Kapsel nach mohammedanischem Schnitte. Die Mädchen tragen Zöpfe, die Frauen aber Kopftücher ; beide gehen mit un- bedecktem Gesichte. Die Festtagskleidung der Frauen ist aus Kimchat, einem mit Metallfaden durchwirkten bucharischen Stoffe gefertigt. Wie bei allen Mohammedanern, nehmen auch hier die Frauen den Männern gegenüber eine sehr untergeordnete Stellung ein, dies bringt schon das mohammedanische Gesetz zum Thfeil mit sich; die Frauen werden meist sehr roh behandelt. Kalym wird für die Frau dem Schwiegervater nicht entrichtet, sondern es wird nur von den Vertretern beider Theile ein Schätzgeld ver- einbart, das der Mann dem Vater entrichten muss, falls er diese wieder zurückschicken wollte. Gutmüthigkeit, Treuherzigkeit und Arbeitsamkeit sind die Hauptzüge des Charakters der Tarantschi und diese sind schon auf den Gesichtern der meisten Individuen ausgeprägt. Aber die lange Unterdrückung und die furchtbare Noth haben ihrer ganzen Erscheinung Gedrücktheit, Scheu und Misstrauen ver- liehen, dennoch ist ihre Kraft keinesiwegs gebrochen, im Innern glüht die Flamme des Hasses gegen ihre Unterdrücker. Was die innere Kraft dieses Völkchens aufrecht erhalten, sind schwere Arbeit, körperliche Anstrengungen und Entbehrungen, unter denen sie ihr Leben fristen mussten, und in der That sind ihr Fleiss und ihre Ausdauer bewundemswerth. Der Ackerbau, die einzige Beschäftigung der Tarantschi, kost^ hier doppelte Anstrengung, sie müssen nicht nur den Acker mit ihren pri- mitiven Ackergeräthen bearbeiten, sondern jedes Feld muss ausserdem mit zwei bis drei Fuss tiefen Gräben durchfurcht und die Verbindung dieser Gräben mit dem Hauptcanale oder Flusse hergestellt und unterhalten werden. Diese Arbeit muss alljährlich mehrmals erneuert werden, da ein starker Wasser- andrang die im fetten Lehmboden befindlichen Gräben leicht — 344 — zerstört. Bei der jedesmaligen Unterwassersetzung sind ausser- efcem die kleinen Canäle zu reinigen. Da der Preis des Getreides im Ili-Thale so ausserordent- lich niedrig ist, lohnt der Ertrag des Bodens kaum die mühe- volle Arheit. So sind denn die Tarantschi gezwungen, ihre Söhne meist in die verschiedenen Städte zu schicken, um sie dort durch Lohnarbeit sich Geld verdienen zu lassen. Dies ist der Grund, dass sich in allen Städten des Ili-Thales tatarische Handwerker und Arbeiter in grosser Zahl vorfinden; diese be- schäftigen sich hauptsächlich mit denjenigen Handwerken und Arbeiten, die körperliche Kraft erfordern, weil diese ihnen gern von den schwächlichen, meist entnervten Chinesen über- lassen werden. So sind sie meist Schmiede, Tischler, Zimmer- leute, Lastträger, Fuhrleute u. s. w. Mit dem Handel beschäftigen sich diese Tataren sehr wenig; der liegt fast ausschliesslich in den Händen der Eingeborenen der Stadt Kuldsha und der aus dem Alty-Schähär übergesiedelten Tataren. Die Sprache der Tarantschi ist, wie unter den obwaltenden Verhältnissen natürlich, vielfach mit fremden Elementen versetzt. Die Religion und der durch sie veranlasste Einfluss der Bücher- sprache, sowie die Nähe Bucharas brachten ihnen persische und arabische Fremdwörter in grosser Menge, ebenso bereicherten die anwohnenden Kalmücken, Daurier und Chinesen ihren Sprachschatz bedeutend; am meisten leistete in dieser Beziehung das Chinesische, welches nicht nur viele technische Ausdrücke und Benennungen chinesischer Kulturprodukte, sondern auch alle Ausdrücke der Verwaltung, des Gerichtswesens und des poli- tischen Lebens einführte. Diese Eindringlinge haben zwar dem Tarantschi-Dialecte eine ganz eigenthümliche Färbung gegeben, aber dennoch hat sich das türkische Idiom rein und unverfölscht erhalten. Der Tarantschi-Dialect steht den Dialecten des Sechs- Städte-Gebietes sehr nahe ; ich glaube, dass man diese Dialectgruppe mit Recht die uigurische nennen könnte, die in ihrer Gesammtheit als ein Theil der mittelasiatischen Dialecte zu bezeichnen ist. Mir scheint es unbestreitbar, dass die Tarantschi und die Tataren des Sechs-Städte-Gebietes als Nachkommen der alten Uiguren zu be- trachten sind. Die Chinesen nennen noch heute die hier erwähn- ten Tataren Chui-sa und unterscheiden sie durch diese Benennung scharf von den Tataren Mittelasiens (die Kokander, Taschkender und Bucharen), die sie nur mit dem Namen Schan-tu (Turban) — 345 — bezeichnen. Wenn sie von Zeit zu Zeit auch anderen Chinesen den Namen Schan-tu beilegen, so geschieht das nur, um diese als Mohammedaner zu kennzeichnen. Die mohammedanischen Chine- sen West -Chinas, die hier in Kuldsha Dungan genannt werden, heissen bei den Chinesen Clmi-Chui, werden also dadurch auch als Uiguren und als Stammgenossen der Chui-sa bezeichnet. Dass aber die Uiguren beide chinesische Benennungen schon seit vielen Jahrhunderten führen, beweist eine Stelle der chine- sischen Geschichte Sü-chung-kian-lu : „Der ursprüngliche Name der Chui-chu war Chui-sche bis in die Mitte der Jahre Juan- cho unter der Dynastie Thang (also zwischen 806 und 820), da man anfing, sie Chui-chu zu nennen; gewöhnlich spricht man diesen Namen Chui-chui aus. Zur Zeit der Mongolen in China hiessen sie Ui-gu-ör (Uiguren)." Der eigenthche Ili-Dialect wird in der Stadt Kuldsha gesprochen, wo eine Verschmelzung der verschiedenen Elemente stattgefunden hat; in den Ansiedlungen der Ackerbauer haben sich, da die zusammenwohnenden Familien gewöhnlich aus einem Orte des Alty-schähär übergesiedelt wur- den, die ursprünglichen Dialectnüancen länger erhalten, so dass einige Orte jetzt den Kaschkarischen, andere den Turfanischen Dialect sprechen. Dass die Noth und Zwangherrschaft die Tarantschi noch nicht ganz herabgedrückt und jeglicher geistigen Kraft beraubt habt, dafür spricht eine frische, kräftige Volkspoesie, die in Lie- dern und Erzählungen im Volke fortlebt; als eine Probe der- selben möge hier ein kleines Lied folgen, mit dem ich meine Nachrichten über die Tarantschi schliesse. Dieses Lied wurde mir von einem der Schrift unkundigen Tarantschi-Sänger dictirt. Die fast wörtliche Uebersetzung lautet: Schwarze Biber, deine Brauen! Soll ich Abends, soll am Tag* ich kommen ? Komm' ich Nadits, so schweigen Alle, Komm am Tag' ich, giebt's Verlemndung. Mädchen, du liegst mir am Herzen, Hast mein Herz entzündet, Mädchen, Deine Brauen lieb' ich, Mädchen, Auch dein Haar, Suleiman-Mädchen. Weizen säete ich im Garten, Reicht zum Gürtel jetzt der Weizen, Als wir kennen uns gelernt kaum. Trennte Gott, der Herr, uns wieder. — 346 — Schilf und Schilf zusammendrehend, Macht man Bänder für den Weizen ; Wer sich kürzlich erst verliebt, Gleicht dem wahnsinnkranken Manne. Kommt der schwafze Sturm geflogen, Bringt Verderben er den Blumen, Zweige wirft er gegen Zweige Und vernichtet alle Blumen. Ach,* ein Leben ohne Liebchen, Wär's auch tausend Jahr, kein Tag ist's! Stärker als der Hölle Flammen Bremit die Liebesgluth ün Herzen. Kommt zu tlir auch heut' der Böse, Morgen schon vergisst er's Liebchen, Nie jedoch vergisst der Gute Liebchen, das er früher küsste. IVeundlich spielen dunkle Brauen, Bis zum Gürtel reicht das Haar dir; Geh^ nicht aus des Hauses Thüre. Die dich lieben, lockst zum Kampf du. • Liebchens Seele gleicht dem Falken, Mich macht sie zur Gans, zur Beute, Macht zur Lockspeis' meine Wimper, Meine Brust zur Locketrommel. Der letzte Vers ist nur verständlich, wenn man sieh die Falkenjagd in Mittelasien vorstellt. Dem auf der Hand des Jägers sitzenden Falken wird die Kappe abgenommen, wenn die wilde Gans sichtbar ist; der Falke erhebt sich und stürzt der Gans nach. Um den Stösser, der die Gans nicht gefangen, zurückzurufen, schwingt der Jäger eine Locktrommel, die ihm am rechten Arme hängt, und hält in der Hand ein Stück Fleisch als Lockspeise für den Falken, der zurückkehrt und sich dann auf die linke Hand setzt, wo ihm sogleich die Lockspeise ver- abreicht wird. Die Daurier, die die chinesische Regierung in der Mitte des vorigen Jahrhunderts zum Schutz des Di-Thales hier an- siedelte, gehören zu zwei tungusischen Volksstämmen, den Schibä und den Solon, dieselben wurden mitsammt ihren Familien, auf Kosten der Regierung, hier übergeführt und ihnen nach — 347 — ihrer Ankunft hierselbst sehr reiche Ländereien angewiesen, den letzteren zwischen den Flüssen Türgän und Korgos (am rechten Ili-Ufer), den ersteren am linken Ili-Ufer, gegenüber dem tatarischen Kuldsha. Die verliehenen Landstriche wurden den Militärkolonisten ohne jegliche Abgabe überlassen, dafür aber gehörten alle waffenfähigen Männer zur Armee und mussten zu Kriegszeiten alle in den activen Dienst eintreten. Alle diese Kolonisten waren in 14 Banner, Sumul, eingetheilt, von denen sechs Sumul aus Solonen und acht Sumul aus Schibä bestan- den. In diesem Jahrhundert hat man noch aus überzähligen Mannschaften der Schibä zwei neue Sumul gebildet und sie den Solonen zugezählt, so dass jetzt acht Sumul Schibä und acht Sumul Solonen bestehen. Jedem dieser Sumul sind für 500 Familien Aecker angewiesen, so dass man alle daurischen Familien etwa auf 8000 schätzen kann, also ebensoviel wie Tarantschi Familien; da jeder Familie ein bedeutendes Areal angewiesen ist, so kann man etwa drei waffenfähige Männer auf jedes Familien- Areal rechnen, so dass nach den Angaben meines Berichterstatters für den Fall eines Krieges die daurischen Kolonieen 20 — 25000 Mann stellen können. Meiner Meinung nach ist die Ziffer viel zu hoch gegriffen, da man aus einem Volke wohl nie mehr als den dritten Theil der Mannschaft ausheben kann, so dass das Heer, das die Militärkolonieen stellen, wohl kaum mehr als 10 000 Mann betragen wird. Die Dienstpflicht der Schibä und Solonen beginnt mit dem neunzehnten Jahre ; von dieser Zeit an betreiben sie alle militärischen Uebungen unter Führung ihrer eigenen Offiziere in jeder Ansiedlung. In Friedenszeiten sind von ihnen kaum 1000 Mann im activen Dienöt und diese werden dfcr Reihe nach von jeder Ansiedlung ausgehoben. Diejenigen Soldaten, wel- che in die südlichen /Theile der Provinz geschickt werden, haben dort zwei Jahre zu dienen, diejenigen aber, welche den Posten- dienst auf den Grenzwachen im Hi-Thal versehen, haben nur einen Monat Dienstzeit. Da aber nicht jeder Dienstpflichtige selbst zu erscheinen braucht, sondern auch einen Stellvertreter schicken kann, so besteht die Fried«nsarmee meist aus gemiethe- ten Stellvertretern, die Besatzung der Piquets aber aus Schwäch- lingen und Greisen, die' nicht zur Feldarbeit fähig sind, oder aus lüderlichem, abgerissenem Gesindel, dessen Anblick* dem Durch- reisenden Mitleid und Abscheu erregt. Die Krone nämlich hat der schlechten Finanzverhältnisse halber längst aufgehört, die — 348 — gesetzliche Löhnung von 3 Rubel monatlich den Piquet-Soldaten zu bezahlen, und so sucht Jeder entweder ein zur Arbeit untaug- liches Glied der Familie den Piquetdienst verrichten zu' lassen, oder einen Stellvertreter recht billig zu miethen; da nimmt er dann nun irgend einen Taugenichts als Stellvertreter, der es natürlich für seine Pflicht hält, die erhaltene Summe sogleich zu vertrinken und dann während des Piquetdienstes fast vor Hunger zu sterben. Ich selbst hatte Gelegenheit, diese Schibä und Solonen auf den Piquets zu beobachten, es sind jämmerliche Gestalten, die, durch schlechte Nahrung und Opium-Genuss zu Grunde gerichtet, mehr einer Horde von Bettlern als Grenz- wächtem gleichen. Diese Vernachlässigung des Postendienstes mid des Militär- dienstes überhaupt, die die Oberbeamten gewiss aus eigenem Interesse zulassen, hat die Militär-Kolonieen zwar wirthschaft- lich heraufgebracht, aber den kriegerischen Geist in ihnen voll- kommen vernichtet, so dass sie in der Stunde der Gefahr eine schlechte Stütze für die Regierung sein werden. In der Verwaltung steht jeder der zwei Stämme unter einem Mandschu-Amban, die unter diesem stehenden Offiziere und Unter- beamten sind Daurier. Wenn der daurische Beamte den Generals- rang (rothen Mützenknopf) erhält, so wird er den Mandschu- Beamten gleich gerechnet und kann auch andere Aemter, gerade wie der Mandschu-General, einnehmen. Sowohl die Schibä wie auch die Solonen haben einen scharf ausgeprägten Gesichtstypus; sie sind von mittlerer Grösse, aber nicht sehr kräftigem Körperbau. Den Genuss des Opiums haben sie von den Chinesen angenommen, in Folge dessen haben sehr viele Individuen ein krankhaftes Aussehen. Die Kleidung der Männer ist die der chinesischen Soldaten: ein langes weisses Hemd aus Baumwollenzeug, ebensolche Hose, blaue, bis übers Knie reichende Hosenbeine, kurze chihesische Weste, welche entweder über einem langen Kaftan oder über dem Hemd ge- tragen wird, chinesische Tuchschuhe mit Filzsohlen oder bis zum Knie reichende Stiefel und die chinesische Mütze mit auf- rechtstehendem Sammetrande und einem Mützenknopfe. Bei der Arbeit tragen sie im Sommer meist kurze Hemden und runde Strohhüte; nach Art der Chinesen rasiren sie das Kinn und lassen nur den Schnurrbart wachsen. Frauen habe ich nur bei der Feldarbeit gesehen, wo sie lange blaue Hemden und — 349 — Strohhüte trugen. Die Daurier sind ebenso wie die Mandschu und der grösste Theil der Chinesen Buddhisten und zugleich Confucianer. Die Sprache der Schibä ist vollkommen mit der Mandschu- Schriftsprache übereinstimmend, und zwar ist ^hre Aussprache genau so, wie die Mandschuren schreiben, aber nicht wie die Letzteren sprechen. So sprechen sie ,,gisu?i^^ (das Wort) ebenso wie es in der Mandschusprache geschrieben wird, während die Mandschu zwar „gisun" schreiben, aber ,,dsisun** aussprechen. Sie müssen somit von demselben Stamme sein, zu dem die Mandschu gehörten, die im XV. Jahrhundert nach China aus- wanderten. Da nun die ungebildeten Mandschu ihre Sprache ganz vergessen haben und nur Chinesisch verstehen, die Ge- bildeten sie aber wie eine fremde Sprache aus Büchern er- lernen und die Mandschusprache die officielle Kanzleisprache ist, so sind in allen Kanzleien der Mandschu-Beamten die Schibä als Schreiber angestellt. Da nun solche Stellen als Schreiber der Mandschu-Beamten sehr vortheilhaft sind, so erlernen fast alle Schibä die Mandschuschrift. Die Sprache der Solonen ist nicht bei allen dieselbe, einige sprechen einen rein tungusischen 'Dialect, bei anderen muss die Sprache stark mit mongolischen Wörtewi gemischt sein, dies ersehe ich aus einer Reihe von Solonenwörtern, die ich mir aufzeichnete. Von Charakter sind die Solonen und Schibä herrisch und prahlerisch, dabei sehr heftig und jähzornig. Als Soldaten des Kaisers und als Stammverwandte der herrschenden Race dünken sie sich hoch erhaben über Tataren und Chinesen. Die Ersteren müssen besonders viel von ihnen leiden; die Letzteren fürchten diese Soldaten nicht sehr, schimpfen sie oft wai-gu-shin (äussere Leute = Barbaren), weshalb auch täglich Raufereien vorkom- men. Die Hauptbeschäftigung der Schibä und Solonen ist der Ackerbau, den sie ganz nach Art der Tarantschi treiben, ausser- dem aber halten sie noch einen sehr bedeutenden Viehstand, den sie im Sommer von den Kirgisen bis in die nördlichen Grenzgebirge treiben lassen, besonders ziehen sie viele Schafe und Pferde. Da mir der Weg nach Kuldsha nur auf der oberen Piquet- strasse gestattet war, so konnte ich leider die südlich liegen- den Solonendörfer nicht besuchen. Diese Dörfer wurden von meinem Berichterstatter Städte genannt, was schon zeigt, dass — 350 — sie ganz anders angelegt sein müssen als die Dörfer der Ta- rantschi. Zwei derselben wurden mir als sehr gross bezeichnet: Akkent (die weisse Stadt) und Jarkent (die Uferstadt). Auf meinem Wege traf ich, wie meine Tagebuchblätter [beweisen, nur an einer Stelle solonische Felder und zwar zwischen dem zweiten und dritten Piquet. In der Mitte eines bedeutenden Felderareals befanden sich einige grössere Schuppen und zwei Jurten, in denen die Arbeiter während der Erntezeit wohnen; ausser den Solonen fand ich daselbst drei Tarantschi-Arbeiter. Nicht weit von den Jurten waren drei riesige Garbenhaufen unter freiem Himmel aufgeschichtet und zwar unbedeckt, da man in dieser Zeit (Juli) hier keinen Regen zu fürchten hat. Neben jedem Garbenhaufen war durch Feststampfen des Bodens eine runde Tenne zum Ausdreschen des Kornes hergestellt. Das Dreschen des Getreides geschieht mit grossen Steinwalzen; diese sind etwa 2 Arschin lang und halten 6 — 8 Werschok im Durch- messer, sind achtseitig behauen und der Länge nach durchbohrt. Durch das in der Mitte befindliche Loch wird eine etwa 5 Fuss lange Stange gesteckt, an deren aus dem Steine hervorstehen- den Enden Stricke befestigt werden, an denen ein Pferd die Walze fortzieht. Beim Fortbewegen rollt die achteckige Walze um ihre eigene Achse und stösst durch ihr Gewicht die Kömer aus den Aehren des in einer dünnen Schicht auf der Tenne ausgebreiteten Getreides. Von anderen Ackergeräthen sah ich hier Sicheln und kurze Sensen, letztere mit einem etwa 1 Arschin langen Stiele; das Eisen derselben ist etwa l^/g Werschok breit, spitz und nur sehr wenig gekrümmt und steht fast rechtwinkelig gegen den Stiel. Auch befanden sich hier einige Pflüge, diese sind ausser- ordentlich roh und unbeholfen. An einer langen Stange ist an einem Ende ein Querholz befestigt, an welches zwei Zugthiere gespannt sind^ an dem unteren Ende der Stange ist die Pflug- schar befestigt und einige Zoll oberhalb derselben ist in die Stange ein nach oben gebogenes Holz gefügt, an dem der Pflug geleitet wird. Das eingeerntete Getreide war nur Weizen und Gerste, die Hirsefelder waren noch nicht abgemäht. Wie ich hier erfuhr, geniessen die Solonen nur Weizen, die Gerste wird als Pferde- futter benutzt. Hafer wird nicht gebaut. Hier hatte ich auch Gelegenheit, die künstlichen Wiesen zu sehen, welche ebenfalls — 351 — durch künstliche Bewässerung erhalten werden. Man säet auf diesen Wiesen eine von den Chinesen Moi-schi, von den Ta- taren Bädä genannte Pflanze, den sogenannten chinesischen Klee. Diese Pflanze hat feine, lanzettförmige Blätter und lila- farbige Blüthen. Der Wuchs des Bädä ist so üppig, dass er in jedem Sommer drei- bis viermal abgemäht werden kann und doch jedesmal eine Höhe von 1 Arschin hat. Er' ist eine Dauer- pflanze, die, einmal ausgesäet, 8 — 10 Jahre fortlebt; die Pferde sollen sie über alles andere Futter lieben und dabei so wohl be- kommen, dass mit ihr gefütterte Pferde ohne Getreidefutter zur schwersten Arbeit fähig sind. Während sich die Solonen hauptsächUch mit Getreidebau beschäftigen, sollen die Schibä meist Tabak und Baumwolle bauen. Dieser Tabak ist im Ili-Thale und bei den Kirgisen hoch berühmt, er soll sehr stark sein und angenehm riechen. Nach dem Einsammeln sollen die Schibä den Tabak in einer Sauce tränken. Die Baumwolle der Schibä ist viel schlechter als die mittelasiatische und wird nur zum Wattiren gebraucht. Interessant ist das Factum, dass überhaupt im Ili-Thale Baum- wolle gewonnen werden kann. Gehen wir jetzt zu den chinesisch sprechenden Völkern des Bi-Thales über. Der mittlere* und schönste Theil des Hi- Thales, am rechten Ufer zwischen den Flüssen Korgos und Mogai, heisst der Dan und wird von Stämmen chinesischer Zunge bewohnt, ich sage nur chinesischer Zunge, da die hier woh- nenden Stämme der Abstammung nach sehr verschieden sind: 1) Dungenen (frühere Uiguren), 2) Chinesen, 3) Tschämpän (Süd-Chinesen), 4) Mandschuren. Die mit 1, 2, 4 genannten Stämme sprechen den nord- chinesischen Dialect, während die Tschämpän unter sich einen den übrigen Chinesen unverständlichen Dialect reden, aber auch ohne Ausnahme das Nordchinesische verstehen. Die Dungenen und Chinesen unterscheiden sich weder in Sprache noch in Klei- dung, auch wohnen sie bunt durcheinander. Das Einzige, was den Dungenen von ihren türkischen Voreltern zurückgeblieben ist und was sie trotz aller Vermischung scharf von den Chinesen — 352 — scheidet, ist der Islam, zu dem sich alle Chinesen ohne Aus- nahme bekennen. Zwar ist hei vielen türkischen Stämmen, wie hei den Kirgisen, der Islam zur reinen Aeusserlichkeit herab- gesunken, aher hei keinem dieser Stämme ist dies in so hohem Grade der Fall, als bei den Dungenen. (Ich wiederhole hier die Worte eines Mohammedaners , der sich längere Zeit tmter den Dungenen ' aufgehalten hat). Was sie von den Lehren des Islam wissen, ist so wenig, dass man sie fast nicht Mohamme- daner nennen darf, denn ihre ganze Kenntniss der Rehgion beschränkt sich darauf: die Buddha-Götzen darf man nicht an- beten, darf kein Schweinefleisch essen, muss das Vieh nach den Vorschriften des Korans schlachten, und nur Fleisch von so ge- schlachtetem Vieh darf man zu sich nehmen, soll keinen Brannt- wein trinken, muss einen Monat fasten und von Zeit zu Zeit im Hause und in der Moschee beten. Von allen diesen ihnen wohlbekannten Vorschriften wird nur die die Fleischspeise be- treffende streng beobachtet, die Fasten halten sie zum grössten Theil nicht und besuchen höchst selten die Moschee. Die Dogmen und Lehren des Islams liegen ihnen ganz fem, imd selbst ihre Imame , wenn sie nicht Tataren sind , können nur die noth- wendigen Gebete ohne jegliches Verständniss hersagen. Ein Dungenen-Priester, der bei den Tataren-Lehrern im alten Kul- dsha seinen Unterricht genossen hatte, sagte mir einige Koran- Verse her, und ich muss in der That gestehen, es war nicht zu unterscheiden, ob dies Chinesisch oder Arabisch war. Manche Dungenen sprechen tatarisch, aber ebenso wie die chinesischen Kaufleute; selbst in ihrem Aeusseren halten sie die Vorschriften des Scharijat nicht. Sie scheeren nur den halben Kopf und tragen, gleich den Chinesen, einen Zopf; ihre Kleidung ist cliine- sisch, nur auf dem Kopfe tragen sie, wie alle Mohammedaner, ein Chinesen -Kapsel, während die Chinesen meist im Hause mit unbedecktem Haupte gehen. Das Verbot des Branntwein- trinkens und des Genusses gewisser Fleischspeisen trennt sie am Schärfsten von den Chinesen, denn die Befolgung dieser Vor- schriften hält sie fern von den öffentlichen Lustbarkeiten und Gasthäusern derselben. Ich habe schon vorher erwähnt, dass die Dungenen von den Chinesen Chui-Chui genannt werden, die Tataren nennen sie Dungan. lieber den Ursprung dieses Namens kann ich lei- der Nichts angeben, denn die Etymologie der tatarischen Sagen, — 353 — ^^Dungan^' käme von ,yDurgan^' oder ,,Turgan^' her und be- deute ,,GebliebepLe", d. h. Solche, die ihre Wohnsitze trotz des Eindringens der Mongolenhorden nicht verüessen, ist schon aus sprachlichen Gründen zu verwerfen. Es ist diese Volksetymo- logie, ein ,,post hoc ergo propter hoc". Man vergleiche damit den Namen ,,Kalmak'^, der auch „geblieben" bedeuten soll, ebenso den Namen ,,Baraba", den die Barabiner deshalb er- halten haben sollen, weil sie nicht mitgingen, als Kütschüm Kan sie aufforderte, ihm zu folgen (barba-dylar). Die Dungenen sind theils verbannte , theils freiwillige Ansiedler aus Urumtschi und den Nordprovinzen des eigenthchen China, Kansu und Schänsi, den früheren Wohnsitzen der Uiguren ; keineswegs sind sie aber hier im Ei-Thale chinesirt, sondern schon als vollkom- mene Chinesen hierher eingewandert. Die ersten Dungenen kamen schon im vorigen Jahrhundert nach dem IH und noch jetzt vermehrt sich die dungenische Bevölkerung durch neue Zuzügler. Von den eigentlichen Chinesen, die jetzt hier im Üi-Thale wohnen, sind wohl nur einige Kaufleute freiwillig hier übergesie- delt, die grosse Masse der Chinesen sind Verbannte aus den ver- schiedenen Nordprovinzen des Reiches oder deren Nachkommen. Sowohl die Chinesen wie auch die Dungenen leben theils in den Städten, theils auf dem Lande. Die Landbewohner bauen Getreide, Keis, Opium, Baumwolle und Tabak, die Städtebewohner leben von Handel, Handwerken, Fabriken und Gartenbau. Eine genaue statistische Uebersicht der Gesanuntbevölke- rung der Chinesen und Dungenen würde wohl selbst den Man- dschu- Beamten ziemlich schwer fallen, da dieselben nicht in Dienstlisten, wie die Militär-Colonisten, eingetragen werden und ausserdem keine Kopfsteuer, wohl aber Grund- und Gewerbe- steuer bezahlen; ich muss mich natürlich auch darauf beschrän- ken, das Wenige, was ich über die chinesischen und dimge- nischen Landbauer erfahren habe, hier mitzutheilen. Im östlichen Theile des Dun leben chinesische und dunge- nische Ackerbauer an den Flüssen PiHtschi, Mogai imd Almutu und zwar 1000 Familien am Pilitschi, 300 Familien am Mogai und 500 Familien am Almutu, also im Ganzen 1800 Familien. Diese sind in Abtheilungen zu je 100 Familien, Jajig genannt, getheilt und es zahlt jeder Jang seine Abgaben gemeinschaftlich. Radi off, Aus Sibirien. D. 23 — 354 — Im nördlichen Theil des Gebietes zwischen Korgos und Da- lo-ssi-gung leben etwa 8000 Familien und im Süden zwischen Korgos und Kuldsha treiben 5000 Familien Reisbau und 300 Familien gewöhnlichen Feldbau. Die Abgaben aller dieser Ackerbauer sind sehr gering und bestehen in Folgendem: Die 5000 Reisbauer liefern für jedes Land- areal von 10 Cho Aussaat 8 Cho Weizen = 40,000 Che Die 8000 nördlichen Ackerbauer für die- selbe Landmenge ebenfalls 8 Cho Weizen = 64,000 „ Ebenso die 1800 Familien im Osten . . = 14,400 „ Zusammen ^118,400 Cho. Die 3000 südlichen Ackerbauer haben erst vor einigen Jahrzehnten ihre Felder eingerichtet. Dieselben zahlen ihre Ab- gaben in Geld (3^/^ Unze Silber, etwa 8 — 9 Rubel), also im Ganzen eine Abgabe von 25 — 30,000 Rubel Silber. Aber nur ein kleiner Theil der Chinesen und Dungenen beschäftigt sich mit dem Ackerbau, die bei weitem grössere Zahl derselben bewohnt die 8 Städte des Dan: Kürä (das chi- nesische Kuldsha), Korgos, Tardshi, Tsching -di- cho -si, Da-lo- ssi-gung, Sü-ding, Bajandai und Tschim-pän-si. lieber die Zahl der chinesischen Einwohner dieser Städte vermag ich Nichts an- zugeben. Kuldsha ist bei Weitem die grösste Stadt und soll über 80000 Einwohner haben, von denen wenigstens zwei Drittel Dungenen und Chinesen sind; die Zahl der dungenischen und chinesischen Städtebewohner soll sich weit über 100 000 be- laufen. Was die Abgaben derselben betrifft, so sind diese nach dem Gewerbe sehr verschiedenartig, sie bestehen aus ZoUgel- dem, Grund- und Gewerbesteuern. Die Chinesen sowohl wie die Dungenen sondern sich sehr scharf von den übrigen Bewohnern des Ili-Thales ab, man sieht ihnen ein gewisses Selbstgefühl an, und dass sie sich über die übrigen Bewohner erhaben fühlen; selbst die herrschende Kaste, die Mandschu, betrachten sie als tief unter sich stehend, und nur das Bewusstsein ihrer politischen Schwäche hält sie unter der Herrschaft derselben. In diesem Selbstgefühle berechtigt sie in der That die Culturstufe, die sie erreicht haben. Li Gewerben, Ackerbau und Handel sind sie allen übrigen Bi-Bewohnem weit überlegen, dies gestehen ihnen selbst die Tataren zu, die die — 355 — Cbinesen nicht weniger hassen als ihre gemeinsamen Unter- drücker, die Mandschu. Dieser gegenseitige Hass macht aber allein die Herrschaft der Mandschu möglich, denn sobald sich Tataren und Chinesen oder Tataren und Dungenen gemeinsam erheben, ist die Macht der Mandschu gebrochen. Von Charakter sollen die Dungenen und Chinesen listig, zänkisch und stolz sein, weshalb sie auch bei den übrigen Völ- kern im Ili nicht beliebt sind; aber ihrer Arbeitsamkeit, ihrer Ausdauer und ihrem praktischen Sinne lassen Alle Gerechtigkeit wiederfahren. Da die Chinesen im Hi zum grössten Theile ver- bannte Verbrecher sind, so ist es natürlich, dass unter ihnen an Dieben, Gaunern, Trinkern und Spielern kein Mangel ist. Wegen des Mangels an Frauen ist es bei ihnen mit der Sittlichkeit übel bestellt. Gleich nach der Eroberung des Ili-Thales wurden von den Dungenen und Chinesen 3000 Mann ausgehoben und in die Armee eingereiht. Die Nachkommen derselben bilden unter dem Namen ^^Chambing^^ noch heute einen Theil der aktiven Armee, 1500 Mann wurden als stehende Besatzung zu je 100 Mann in fünf Forts kantonirt. Diese Forts sind: Korgos, Tsching- di- cho-si, Sü-ding, Da-lo-ssi-gung, Tschim-pän-si. Neben jedem dieser Forts hat sich eine Stadt gleichen Namens gebildet. Die Forts sind kleine Festungen, welche durch eine mit Schiessscharten versehene Mauer und einen Graben von den [Städten getrennt sind. Die andere Hälfte der Chambing, ebenfalls 1500 Mann, wurde unter denselben Bedingungen wie die Tarantschi als Militär -Colonieen angesiedelt. Tardshi ist ein von den Cham- bing-Colonisten bewohnter Flecken. Der oberste Befehlshaber der Chambing ist ein Mandschu-Offizier, der Dshin-tai genannt wird und im Fort Sü-ding seinen Sitz hat. Die übrigen Beamten sind selbst Chambing. Die Chambing haben sowohl als Soldaten wie auch als Colonisten einen sehr schweren Dienst; die Ersteren haben nicht nur den Gamisondienst in den oben bezeichneten Forts, sondern sie müssen auch noch bei den hohen Mandschu -Beamten und bei den Kronsmagazinen den Wachtdienst versehen ; die Letzteren haben die Abgaben an Getreide wie die Tarantschi zu bezahlen und ausserdem im Kriegsfalle Soldaten zu stellen. Die Nachkom- men der Chambing sind verpflichtet, dieselben Dienste zu leisten wie ihre Väter. Neue Aushebungen von Soldaten sind seit dem • 23* — 356 — vorigen Jahrhundert bei den Chinesen und Dungenen nicht vor- genommen worden. Die im Ih-Thale wohnenden Dungenen, Chinesen und Cham- bing unterscheiden sich weder in der Kleidung noch in der Lebensweise von den Bewohnern des eigentlichen China. Daher halte ich es für überflüssig, die sehr unvollkommenen Nachrichten, die ich über dieselben eingezogen habe, hier mitzutheilen. Die Tschämvpän sind derjenige Volksstamm des Ili -Thaies, der von allen übrigen gleichmässig verachtet imd gehasst wird. Die Tschämpän scheinen verbannte Verbrecher aus dem süd- hchen China (den Provinzen Guän-dung, Dschung-nän und Schi- nän) zu sein, die hierher in das entfernte Ili -Thal geschickt werden und die ersten drei Jahre der Krone Dienste zu leisten haben. AlljährHch langen 100 Tschämpän hier an und werden ÄU den schwersten Arbeiten verwendet. Sie müssen hauptsäch- hch in den Eisen-, Kupfer- und Silbergruben arbeiten und ausser- dem bei den hohen Beamten die niedrigsten Dienstleistungen verrichten. Sie scheinen also ungefähr den sibirischen Zwangs- bergarbeitern zu entsprechen. Nach Ablauf der dreijährigen Dienstzeit können sie frei im Ili-Thale wohnen, stehen aber dennoch unter einer eigenen Verwaltung und müssen in Kriegs- zeiten als Fusstruppen in der Armee dienen imd zwar alle ohne Ausnahme, so lange sie noch Waffen zu tragen im Stande sind. Die frei im. Ih-Thale wohnenden Tschämpän, über deren Zahl ich keine Angabe zu machen vermag, leben theils auf dem Lande als Knechte, Fischen, Fuhrleute , theils in den Städten als Arbeiter, Lastträger, Händler und theils als Diebe, Oauner, Kuppler und Spieler von Profession. Ich führe diese letzteren Beschäftigungen als Gewerbe auf, weil sie zur Aus- führung derselben, wie man mich selbst vielfach versicherte, aiisdrückhche Concessionen in gewissen Bezirken von Seiten der Mandschu- Beamten erhielten und dafür eine Abgabe zu zahlen hätten. Von den ackerbautreibenden Tschämpän sollen sich etwa 5000 Mann dicht an den Ufern des IH mit der Opium- gewinnung beschäftigen. Diese zahlen für den chinesischen Morgen (Mo) etwa 40 Kopeken. Manche von ihnen sollen bis 100 Morgen mit Mohn bebauen und bei dem grossen Opium- verbrauche der Provinz soll diese Opiumgewinnung eine der vortheilhaftesten Unternehmungen sein. Viele Opiumbauer haben — 357 - daher einen bedeutenden Wohlstand erworben. Einige- Hundert Mann beschäftigen sich mit dem Fischfang und halten Fähren an den verschiedenen Punkten des Di; diese zahlen ein Zehntel ihres Einkommens als Abgabe. Als Fischer und Taucher sind die Tschämpän sehr berühmt. Von den in den Städten wohnen- den Tschämpän haben sich besonders die Schankwirthe oft ein bedeutendes Vermögen erworben. Im Aeusseren unterscheiden sich die Tschämpän fast gar nicht von den Chinesen, ihre Sprache soll aber so abweichend sein, dass sie sich auf keine Weise mit den Chinesen verstän- digen können. Nicht nur die im Dienste stehenden Tschämpän werden von den Mandschu auf das Fürchterlichste bedrückt, sondern auch die frei im Di-Thale wohnenden. Es scheint daher, als ob die Tschämpän nach unseren Begritfen der bürgerlichen Rechte verlustig erklärt sind^ und die Ausübung derselben gleichsam von der Gnade der Beamten abhängt. Nur so kann ich mir dieses unnatürliche Verhältniss und die Bedrückung erklären. Die Bedrückungen der Beamten hätten vor 15 Jahren beinahe zu einem Aufstande der Tschämpän geführt, der nicht nur die Vernichtung der Mandschu -Beamten, sondern auch noch ein schrecklicheres allgemeines Blutbad hätte bewirken können. Es hatten sich nämlich fast äUe Tschämpän verschworen, die hohen Mandschu -Beamten umzubringen und die Mandschu- Besatzungen in Bajandai und Kürä zu überrumpeln. Eine der- artige Verschwörung konnte sehr leicht ihr Ziel erreichen, da fast bei allen Mandschu-Beamten Tschämpän im Dienste standen. Die Frau eines Tschämpän, welche durch Zufall Mitwisserin der Verschwörung geworden, verrieth den ganzen Plan ihrer Herrin, der Frau eines Galdai, und auf diese Weise gelang es, die Namens- verzeichnisse der Verschworenen aufzufangen und die heimlich in die Städte geführten Waffen zu confisciren. Die Mandschu hielten ein schreckliches Gericht; über 100 Menschen wurden hingerichtet und ihre Köpfe auf den Wegen als Wamungs- zeichen aufgesteckt. Diese schreckliche Strafe hat aber nur äusserlich die Ruhe hergestellt, im Geheimen sinnen die Tschäm- pän mehr als. früher auf Rache. Auch sie werden sich an jedem Aufstande gegen die Mandschu betheiligen. „Die Tschämpän", sagte einer meiner tatarischen Bericht- erstatter, „sind wohl der verrufenste und verachtetste Stamm — 358 — des Ili-Thales, wie viele auch von ihnen getödtet und gemar- tert werden, ihre Schlechtigkeit hat nicht nachgelassen, deshalb hat man sie auch ,Tschämpän* genannt. Wenn die Kinder den Eltemi nicht gehorchen, so ruft man ihnen, um sie zu erschrecken, zu: ,ein Tschämpän kommt*. Der Tschämpän isst Alles, was sein Auge erblickt: Schweinefleisch, Hunde, Katzen, Ratten, Frösche und Schlangen. Nirgends giebt es mehr Diebe, Spieler, Säufer und Opiumraucher als bei den Tschämpän, darum giebt es auch bei keinem Volke des Ili mehr herumtreiberisches Ge- sindel, das im Winter weder Kleidung und Speise, noch Woh- nung hat und das vor Noth, Hunger und Kälte auf den Strassen umkommt. Aber alle Noth hat ihre Schlechtigkeit nicht verringert. Trotz alledem lässt sich nicht leugnen, dass den Tschäm- pän eine Kraft innewohnt, die wir vergebens bei den Chinesen suchen; was ein Tschämpän unternimmt, führt er durch. Kein Hinderniss, keine Gefahr ist im Stande, ihn von seinem Vor- haben abzuhalten; so ist er auch zu den schwersten Arbeiten tauglich und ein Tschämpän arbeitet so viel wie drei Chinesen oder zwei Tataren.** Jetzt gehe ich zu dem letzten Volksstamme chinesischer Zunge über, den wir im Ili-Thale antreflfen, zu dem herrschen- den Volke der Mandschu, Trotz der strengen Scheidewand, durch die das Landesgesetz die Mandschu von den Chinesen trennt, um denselben ihre frühere Thatkraft und Stärke zu er- halten, ist der Mandschu-Stamm dennoch vollkommen dem chi- nesischen Einflüsse erlegen. Sprache, Sitten und Rehgion, die theuersten Besitzthümer jedes Volkes, an die sich jedes Volk klammert, so lange es noch einen Funken Selbständigkeit in sich fühlt, sind den Mandschu vollständig verloren gegangen; sie , die Herren , • haben durch die Unterjochten ihre Selbstän- digkeit eingebüsst, ohne auch nur eine Spur von Einwirkung auf das unterworfene Volk ausgeübt zu haben. Nichts ist den Mandschu übrig gebheben von ihrer früheren Kraft und ihrem kriegerischen Sinne als der Stolz und Hochmuth der herrschen- den Race, und dieser Stolz, man möchte sagen diese Ueberhebung, ist es auch allein, die sie von allen anderen Stämmen scheidet. Jeder Mandschu -Soldat dünkt sich bei Weitem höher als der höchste Beamte der Mongolen oder Tataren , der sich seiner- seits auch wohl in Acht nimmt, einen Mandschu zu beleidigen. — 359 — Die Mandschu- Dynastie suchte sich v.on jeher hauptsäch- lich auf ihre Stammesgenossen zu stützen, deshalh strebte sie diesen Stamm rein zu halten und nur ihrem Interesse zu wid- men. Sie verbot einem Mandschu jedes bürgerliche Gewerbe, jeder derselben war zum Kriegs- oder Staatsdienste bestimmt, und die Mandschu-Truppen bildeten den Kern und die Elite ihrer Armeen. Daher wurde den vornehmen Mandschu die Oberver- waltung im ganzen Reiche anvertraut und die Mandschu-Truppen wurden über das ganze Reich yertheilt. Somit wurden auch im Ili-Thale gleich nach der Eroberung 6000 Mandschu-Soldaten stationirt und für sie zwei Festungen erbaut, die das Bollwerk der Mandschu -Gewalt bilden sollten. Die erste ist die von den Tataren Kürä genannte Festung, die auch die Hauptstadt der ganzen Provinz und der Sitz der Re- gierung wurde; die zweite ist die Festung Bajandai, die sich nicht weit vom Ili zwischen dem neuen und dem alten Kuldsha befindet. In Kürä sollen 5000 Mandschu-Soldaten in Garnison liegen, in Bajandai 1000. Von diesen Mandschu-Truppen hatte die Re- gierung in Peking keinen Abfall zu fürchten, da sie in jeder Beziehung eine bevorzugte Stelle einnahmen und von einem Regierungswechsel nur hätten Schaden haben können. Sie hatten also bei jedem Kampfe nur für den eigenen Vortheil zu streiten und waren am Besten geeignet, den Kern der Armee zu bilden. Den hohen Mandschu-Offizieren aber schenkte die Pekinger Re- gierung von Anfang an nicht dasselbe Vertrauen, da bei der weiten Entfernung der Central-Regierungsorgane ein Ungehor- sam oder Abfall nicht leicht zu bestrafen war. Daher wurden von den hier angesiedelten Mandschu nur die niedrigen Rangklassen der Offiziere und Beamten besetzt, während die Leitung der MiHtär- und Civilgewalt stets in Händen von Leuten war, deren Familien der Regierung von Peking als Geiseln verblieben. Alle hohen Beamten wurden daher stets von Peking geschickt und hier nur drei Jahre im Amte belassen. Wie zu Anfang der Ansiedelimg, so leben die Mandschu- Soldaten noch jetzt in den beiden oben genannten Festungen, ihre Zahl soll sich eher bedeutend vermehrt haben. Ihr krie- gerischer Sinn ist aber vollkommen gewichen, und sie sind noch verweichhchter als selbst die Chinesen. Die Dienstleistung der Mandschu im Frieden besteht nur — 360 — im Gamisondienste und in militärischen Uebungen, die aber nur sehr wenig ausgeführt werden. Etwa 1000 Mann sind in verschiedenen Piquets theils als Befehlshaber, theils bei den Pferdeheerden stationirt und ausserdem zur Dienstleistung der höheren Mandschu-Offiziere bei den Kalmücken, Schibä, Solonen und Chambing bestimmt. So lange die Finanzlage der Regierung eine erträgliche war, lebten auch die Mandschu in Wohlstand, da die Regierung sie mit Allem reichlich versorgte, und mit Neid betrachteten alle unterjochten Völker den Wohlstand und das Wohlleben die- ser Schmarotzer. Seitdem aber die Finanznoth der Regierung eingetreten ist, sind die Mandschu in eine schlechtere Lage ge- rathen als alle übrigen Völker. Der Sold wird ihnen schon seit Jahren nicht gezahlt, der Proviant wird unregelmässig geliefert, so dass sie, da ihnen das Gesetz die bürgerlichen Gewerbe ver- bietet, sich oft in der grössten Noth befinden und nicht selten Hunger und Elend zu leiden haben. Meine Berichterstatter konnten mir das Elend der Mandschu, sowohl der gemeinen Sol- daten wie auch der niederen Offiziere, gar nicht schrecklich genug schildern und es wurden mir in Kuldsha Mandschu-Sol- daten gezeigt, deren Aeusseres sich nicht von dem des soloni- schen Gesindels auf den Piquets unterschied. Besser geht es nur denjenigen Mandschu-Soldaten, die in ihrer dienstlichen Stellung die Möglichkeit haben, das Volk zu drücken und sich durch ihr Dienstverhältniss eine selbständige Einnahmequelle zu schaffen und dergleichen Stellungen giebt es nicht wenige. Die Verwaltung der ganzen Provinz liegt natürlich in den Händen von Mandschu-Offizieren. Sie zerfällt in die Militär- und die Civil-Verwaltung. Die Armee ist in Divisionen getheilt und über jede Di- vision ist ein Darin gesetzt; die Divisionen zerfallen in Brigaden, welche Galdai und Mejen Ambane kommandiren. Die Offiziere in den Regimentern sind Ugerida (Oberste), Hchida (Majore), Dshergi Janggin (Capitäne), Fundu Boschko (Lieutenants) und Boschko (Unteroffiziere). Die Stabsoffiziere werden Daloja ge- nannt, die Oberoffiziere hingegen nur Loja. Die Truppen der Schibä, Solonen und Kalmücken stehen unter dem Befehle von Mejen Ambanen, denen auch die oberste Aufsicht und das Rich- teramt über die Militär-Colonieen zusteht. — 361 — Die Civil- Verwaltung, die natürlich alle Einwohner ximfasst, zerfallt in vier Abtheiltmgen : 1) den Schi-Jamiin (das Gericht und die Polizei -Ver- waltung der Chinesen und Dungenen); 2) den Dung-Jamun (das Gericht für alle anderen Stämme) ; \ 3) die Proviant -Verwaltung; 4) die Münze. •» Die Oberbeamten der beiden Gerichtshöfe sind zwei Da- loja, von denen jeder einen Gehülfen (Schün Jang) hat. Die Proviant -Verwaltung steht auch unter einem Daloja, die Münze aber unter einem Schün Jang. Die oberste Verwaltung der ganzen Provinz steht unter dem Oberkommandirenden des in der Provinz Hi stehenden Armeecorps, dem Dsan-dsün, der in sich die höchste Spitze der Militär- und Civil -Verwaltung vereinigt. Diesem steht als Ge- hülfe und Stellvertreter der Chebei Amban zur Seite. Der Chef des Dsan-dsün ist der Statthalter Westchinas*, der Sunda, der in Län-dsho seinen Sitz hat. Alle Regierungsgebäude und die Wohnungen der hohen Mandschu-Beamten, wie auch der Mandschu-Besatzung sind in der Festung Kürä, die von dem chinesischen Theile der Stadt durch eine hohe Mauer getrennt ist. Am 1. und 15. jedes Monats müssen sich alle hohen Be- amten des Ili-Thales in Kuldsha einfinden, um sich dem Dsan- dsün vorzustellen und ihm über die Verhältnisse des Landes Bericht zu erstatten. Dieser grosse Empfang der Beamten ist von vielen Ceremonieen begleitet. Am frühen Morgen nach Sonnenaufgang steigen der Dsan- dsün und der Chebei Amban zu Pferde und begeben sich zum Tempel, dabei sind beide Beamte nur von einer kleinen Suite begleitet. Die hohen Beamten • des Kreises, die sich schon am Abend vorher hier eingefunden haben, stellen sich zwischen dem Palaste und dem Tempel in zwei Reihen auf und der Dsan-dsün reitet langsam an ihnen vorüber; nach Beendigung des Gebets Im begiebt er sich durch die Reihen der noch immer harrenden Beamten zu seinem Palaste zurück. Darauf begeben sich die Beamten zum Palaste des Dsan-dsün, wo ihnen im ersten Hofe Zimmer angewiesen werden; nach eingenommenem Frühmahle — 362 — wird ihnen durch einen Jassaul verkündigt, dass der Dsan-dsün zur Audienz bereit sei. Zuerst treten nun beim Dsan-dsün die hohen mandschurischen Militär-Beamten, die Darin und Galdai, ein. Nachdem sie die pflichtschuldige Verbeugung gemacht, fordert der Dsan-dsün sie auf, sich zu setzen und bespricht mit ihnen die nöthigen Ge- schäfte. Darauf treten die niederen Mandschu-Offiziere ein, die nach denselben Ceremonieen Platz nehmen. Nach Beendigung der Geschäfte verlassen Alle den Empfangssaal ; hierauf werden die Ambane der Schibä, Solonen und Kalmücken vorgelassen. Die kommandirenden Mandschu-Beamten setzen sich, die Offiziere der Militär-Colonisten stellen sich direkt hinter dieselben nach dreimaligem Kniebeugen, Nachdem diese entlassen, treten die Daloja der beiden Gerichtshöfe ein, denen der Dsan-dsün bis zur Thür entgegengeht; zuletzt empfangt er die Beamten der Tataren, den Hekim und den Schaga; diese werfen sich auf die Erde nieder und stehen nicht eher auf, als bis der Dsan- dsün sie dazu auffordert. Nach beendigter Audienz begeben sich alle Beamten in genau derselben Reihenfolge zum Chebei Amban. Wenn auch hier die Audienzen beendigt sind, verfügt sich der Chebei Am- ban zum Dsan-dsün, der ihm bis zur Thür entgegenkommt und ihn zum Sitzen nöthigt; nach vielen Complimenten setzt sich nun zuerst der Dsan-dsün und dann der Chebei Amban. Nach beendigter Audienz begleitet der Dsan-dsün den Chebei Amban bis zu seinem Pferde; hierauf macht der Erstere dem Letzteren seinen Gegenbesuch; dieser empfangt jenen bei dem Thorwege, ist ihm beim Absteigen behülflich und geleitet ihn beim Weg- gehen wieder bis zur Strasse. Ausser an diesen bestimmten Audienztagen empfilngt der Dsan-dsün die Beamten nur bei sehr wichtigen und dringenden Geschäften. Alle Befehle, die vom Sunda oder vom Kaiser aus Peking eintreffen, werden mit grossen Ceremonieen empfangen. Der Dsan-dsün selbst reitet dem kaiserlichen Boten bis vor die Stadt entgegen, hierauf reitet er hinter dem Boten her bis zu seinem Palaste. Hier angelangt, wird der Bote in den grossen Empfangs- saal geführt, in dem ein rother Teppich ausgebreitet ist, und nimmt auf diesem Platz. Nunmehr nimmt der Dsan-dsün das Papier in Empfang, übergiebt es einem hohen Beamten und — 363 — macht neun Kniebeugung-en, wobei er neun Mal mit der Stirn auf die Erde schlägt. Nun erst öfinet er das Siegel und liest den versammelten Beamten, nachdem auch diese neun Fussfalle gethan, den Befehl des Kaisers vor. Der Dsan-dsün ist der Oberbefehlshaber der Trjippen und auch die höchste richterliche Instanz der ganzen Provinz. Jeder Verurtheilte hat das Recht, bei dem Dsan-dsün Klage zu er- heben ; zu diesem Zwecke steht im grossen Vorhofe des Palastes des Dsan-dsün ein grosses chinesisches Becken (Dumbak), gegen das der Bittsteller mit einem daneben liegenden Klöpfel zu schla- gen hat. Hat der Dumbak ertönt, so.öflPnen sich ohne Verzug die Thore des Palastes, der Dsan-dsün muss sich sogleich in das Gerichtszimmer begeben, die hohen Beamten zusammenbe- rufen und die Klage in Empfang nehmen, lieber jeden solchen Fall muss sogleich nach Peking Bericht erstattet werden, und jda das Gesetz in dieser Beziehung sehr streng ist, würde es kein Gouverneur wagen, in solchem Falle dem Bittsteller nicht volles Recht wiederfahren zu lassen. Weil ihnen, dieses Appel- liren viele Unbequemhchkeiten macht, so haben die Dsan-dsüne ein Mittel gefunden, das Gesetz zu umgehen. Jeder hat näm- lich bei dem Dumbak vier Mann angestellt, welche Niemandem das Schlagen des Dumbak gestatten. In den letzten 20 Jahren hat der Dumbak nur ein Mal ertönt, und zwar gelang es einem Tarantschi, einen Stein gegen denselben zu werfen. Dem Kläger wurde auch gebührend Recht gesprochen und der angeklagte Beamte bestraft. Nach Erle- digung der Angelegenheit Hess der Dsan-dsün den Kläger sechs Monate ins Geföngniss setzen und ihm viötzig Hiebe geben, da- mit Niemand wage, sein Beispiel nachzuahmen. Wenn sich daher jetzt Jemand beim Dsan-dsün beklagen will, so muss er diesen entweder auf der Strasse anrufen, oder sich in's Haus schleichen und ihn dort irgendwo erwarten. Von Vorftlllen und Angelegenheiten des übrigen Theiles der Provinz wird der Dsan-dsün durch Boten benachrichtigt, in sehr schwierigen Angelegenheiten schickt er den Chebei Amban nach dem betreffenden Ort ab. Das Gerichtswesen. Was die Stellung und- Dienstpflich- ten der unter dem Dsan-dsün dienenden Beamten betrifft, so vermochte ich genaue Nachrichten nur über die Gerichtsbeamten einzuziehen, weil diese in ihrem Wirkungskreise meinen Bericht- - 364 — erstatten! näherstanden. Da das Gerichtsverfahren von bedeu- tendem Interesse ist, so lasse ich den Bericht über dasselbe, den mir ein Tarantschi machte, welcher zwanzig Jahre beim He- kim in Diensten gestanden und oft Gerichtsverhandlungen beige- wohnt hatte, in fast wörtlicher Uebersetzung folgen. In der Festung Kürä sind zwei Gerichtshöfe, der Dung Jamun und der Schi Jamun (der östliche und der westliche Palast). Die höchsten Beamten derselben sind zwei Daloja; diese sind anerkannt kluge und "gelehrte Männer, welche auf drei Jahre von Peking hierher geschickt werden. Sie haben über alles Gute und Böse, was bei den Völkern des Hi geschieht, zu richten. • Wenn Jemand getödtet oder verbannt werden muss, so haben sie darüber dem Dsan-dsün zu berichten; die letzte Be- stimmung über dergleichen Strafen steht diesem zu. Alle übrigen Strafen vollziehen sie selbst und statten nur nachträglich Be- richt ab. Wenn der Daloja Jemanden zum Tode verurtheilt, so bringt er ihn nach dem letzten Verhör zu dem Dsan-dsün; dieser fordert nun vom Verbrecher noch einmal das Geständ- niss der That, und nachdem derselbe dieses abgelegt hat, lässt ihm der Dsan-dsün reichlich Speise und Branntwein reichen; dann wird der Verbrecher von Soldaten und einem Offiziere fortgeführt und hingerichtet. Hinrichtungen, welche die Chine- sen Gau-tung-lä nennen, finden nur zwei Mal im Jahre statt; über dieselben wird dem Kaiser sofort Bericht erstattet. Hierbei will ich erwähnen, dass mir der Secretär des russi- schen Consulats in Kuldsha erzählte, der Dsan-dsün könne die Todesstrafe ohne Bestätigung des Kaisers nicht vollziehen lassen. Welche von diesen beiden Nachrichten die richtige ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Die Schibä, Solonen, Kalmücken und Tarantschi gehören in Gerichtssachen zum Dung Jamun; die Chinesen und Dungenen zum Schi Jamun. Streitigkeiten zwischen Chinesen, Dungenen und den übrigen Stämmen gehören ebenfalls vor den Dung Jamun. Verbrecher, denen Hinrichtung oder Verbannung be- schieden ist, werden zur Urtheilföllung, wenn sie auch nicht Chinesen oder Dungenen sind, dem Schi Jamun überliefert. Sowohl im Schi Jamun, wie auch im Dung Jamun sind je zwei Oberbeamte, der Daloja (Oberbeamte) und derSchün Jang. Jeder von diesen Beamten hat zur Dienstleistung 500 Gerichts- — 365 — diener, von denen nur ein Theil in Kürä lebt, der dort in der Stadt und im Gerichtsgebäude den Dienst hat, der Eest ist im ganzen Ili-Thal«, besonders aber im Dan stationirt. Dort haben sie in den verschiedenen Städten und Ortschaften Wachthäuser, um über Ruhe und Ordnung zu wachen. Geschieht nun ir- gendwo ein Diebstahl, ein Einbruch oder eine Rauferei, so werden die Schuldigen von den Gerichtsdienem aufgegriffen. Diese suchen zuerst die Angelegenheit beizulegen und fordern Geschenke von der schuldigen Partei; können sie die Sache nicht beendigen, so überliefern sie die Verbrecher dem Gerichts- hofe. Die meisten Sachen werden von den Gerichtsdienem bei- gelegt, weil diese sich mit geringeren Geschenken begnügen als die Oberbeamten des Gerichtshofes; daher kommen von hun- dert Fällen kaum zehn zum Jamun. Bei wichtigen Vorfallen und schweren Verbrechen, wie Todtschlag, Mord, Brandstiftung, Falschmünzerei, wird der That- bestand an Ort und Stelle von den Daloja oder Schün Jang selbst untersucht und die Schuldigen werden unbedingt in's Ge- fö^ngniss abgeführt. Der Dung Jamun liegt in der Festung Kuldsha. Er ist mit einer Mauer in Gestalt eines Rechteckes umgeben. Nach der Strasse zu liegt das grosse Thor (da-ming). Wenn man durch dasselbe eintritt, so gelangt man in einen grossen Hof. An der östlichen Seite des ersten Hofes befindet sich ein Haus, das den Gerichtsdienem zum Aufenthalt dient; an der westlichen Seite des Hofes ist das Geföngniss, welches aus drei Abtheilungen besteht: 1) dem Gefangniss für schwere Verbrecher; 2) dem Gefilngniss für Angeklagte während der Untersuchungshaft; 3) dem Geföngniss für Beamte, angesehene Personen und Frauen. Hat man den ersten Hof durchschritten, so kommt man an das zweite Thor (ör-ming). Hinter diesem liegt wiederum ein Hof. In diesem Hofe sind Häuser, in denen sich die Kanzleien des Daloja befinden. Dort sind viele Schreiber und Uebersetzer von allen Stämmen des Ili -Thaies. Der oberste Beamte der- selben ist der Or-Loja (zweite Herr). An dem Thore selbst halten zwei Gerichtsdiener Wache. Hierauf kommt ein drittes Thor und ein dritter Hof, auf dem sich die Wohnungen der Unterbeamten und der Hausbedienimg des Daloja befinden. Hinter diesem folgt ein viertes Thor und ein vierter Hof. Hier — 366 — sind die Häuser, in denen das Verhör der Angeklagten abge- halten wird. In dem fünften und letzten Hofe endlich befin- det sich die Privatwohnung des Daloja und seiner Familie. Wenn ein Bittsteller zum Daloja will, so geht er zuerst zu dem Gerichtsdiener, der sich bei dem Da-ming befindet, dieser bringt ihn zu den Schreibern im zweiten Hofe; dort muss er mittheilen, was er von dem Daloja wünscht, und wird ihm eine Bittschrift aufgesetzt, für die er einen halben Sär Jarmak (etwa 40 Kopeken) zu zahlen hat. Diese Bittschrift bringt er zu dem Jassol des Daloja und bittet ihn, die Bittschrift dem Letzteren zukommen zu lassen, er wolle sich ^nach Beendigung seiner Angelegenheit gern erkenntlich zeigen. Der Jassol ver- langt darauf für sich eine ganz bestimmte Summe und ebenfalls eine solche für den Or-Loja. Nachdem Bittsteller und Jassol sich über die zu zahlende Summe geeinigt haben, begiebt sich Letzterer zum Or-Loja und bespricht mit ihm die Angelegen- heit. Der Or-Loja verspricht die Sache zu betreiben, wenn man ihm das versprochene Geschenk vorausbezahle. Darauf kehrt der Jassol zum Bittsteller zurück und theilt ihm mit, dass der Daloja jetzt zu beschäftigt sei und keine Bittschrift annehmen könne, er müsse also ein andermal wiederkommen; wolle er aber die versprochenen Geschenke im Voraus geben, so würde er zusehen, ob sich die Sache nicht irgendwie sogleich arran- giren lasse. Da bleibt denn dem Bittsteller nichts Anderes übrig, als die Geschenke im Voraus zu machen j denn er weiss wohl, dass er ohne Geschenke nie vorgelassen werden wird. Nachdem dies geschehen, trägt der Or-Loja die Angelegenheit dem Da- loja vor und weiss diesen schon zu überreden, dass die Sache zu Gunsten des BittsteHers ausfallt, sollte dieser auch vollkom- men im Unrecht sein. Wenn irgend Jemand zum Gerichtshofe geht, so kann er seine Angelegenheit nur durch Geschenke günstig zu Ende bringen, ohne solche richtet er Nichts aus; daher fürchtet man allgemein, zum Jamun zu gehen und sucht mit kleinen Abgaben durch die Gerichtsdiener seine Angelegenheit zu erledigen, denn bei ihnen kommt man vielleicht mit 3 Rubel zum Ziele, wäh- rend man im Jamun 30 Rubel zahlen müsste, denn der Da- loja theilt sich mit seinen Unterbeamten in die dargebrachten Gelder. Die Haupteinnahmen des Daloja kommen aber von den reichen Kaufleuten, denen er behülflich ist, ihre Gelder ein- — 367 — zutreiben. Der Daloja weiss selbst vom schlechtesten Bezahler das Geld zu erpressen, wofür er natürlich emen guten Theil des- selben erhält. Bei Mord oder Todtschlag begiebt sich, wie schon ferwähnt, der Daloja selbst an Ort und Stelle des Verbrechens, dann erhält er von den Leuten, die dort wohnen, eine Abgabe (Wän-ssi). Früher betrug dieser Wän-ssi 60 Sär, jetzt beträgt er 300—400 Sär (etwa 240—320 Rubel). Zum Verhör der Verbrecher begiebt sich der Daloja am Abend und setzt dasselbe bis tief in die Nacht (bis zum dritten Dshing) fort. Zur Zeit, wo das Verhör beginnen soll, sagt der Daloja zu seinem Begleiter, er wolle das Verhör beginnen, man möge die Gerichtsdiener versammeln. Der Begleiter schlägt mit einem Stück Holz auf den Boden und ruft mit lauter Stimme: ,, Daloja ssau-tang-lä!" (,,Der Daloja will das Verhör beginnen**). Dieser Zuruf tönt von Zimmer zu Zimmer, von Hof zu Hof bis zum Da-ming. Die Gerichtsdiener treten hierauf auf die Strasse und rufen mit lauter Stimme: ,, Daloja ssau-tang-lä!** Da versammeln sich alle Gerichtsdiener im Jamun und der Da- loja begiebt sich in Begleitung derselben in das Verhörzimmer; hierauf bringen die Gerichtsdiener die Strafinstrumente : Stöcke, die Sü-wä-sa (ein mit Leder bespanntes Holz, um den Verbrecher damit ins Gesicht zu schlagen), Ketten und allerlei Marter-In- strumente und breiten sie vor dem Daloja am Boden aus. Dieser nimmt auf einem Lehnstuhl vor dem Tische Platz, zu beiden Seiten desselben sitzen zwei Schreiber, welche das Verhör zu Protokoll nehmen. Hierauf führt man die Angeklagten vor; diese knieen vor dem Daloja mit entblösstem Haupte nieder. Nun beginnt das Verhör, wie es sich gebührt. Vor dem Daloja steht ein Becher mit Stäbchen, auf jedem derselben steht eine Zahl geschrieben, von 1 bis 100. Wenn der Daloja über die Verstocktheit des Verbrechers in Zorn geräth, so nimmt er eins der Stäbchen aus dem Becher und wirft es auf die Erde. Die Gerichtsdiener heben das Hölzchen auf und sehen nach, welche Zahl darauf geschrieben ist; der Verhörte erhält so viele Stockschläge als die daraufstehende Zahl besagt. Geräth der Daloja sehr in Zorn, so schleudert er den ganzen Becher zur Erde, dann muss der Verbrecher genau die Zahl der Stockschläge aushalten und sollte er seinen Geist auf der Stelle aufgeben, wenn nicht der Daloja vorher Halt gebietet. Giebt der Schul- — 368, — dige dem Gerichtsdiener für jeden Schlag einen Miskal (10 Ko- peken), so schlägt er über ihn weg, dass der Schlag nur die Erde trifft; er thut es aber so geschickt, dass es der Daloja nicht bemerken kann. Die beiden Schreiber notiren genau jede Aussage des Angeklagten. Zeugen, die der Angeklagte nennt, werden vor Gericht gezogen und auch sie genau über den Sachverhalt be- fragt. Am ersten Tage fordert der Daloja nur den Verbrecher auf, die Wahrheit zu sagen, es wird aber Eer Beschuldigte an diesem Tage nicht geschlagen, nicht einmal geängstigt, sondern sehr freundlich behandelt. Beim zweiten Verhör wird strenger gefragt, ebenso auch beim dritten, worauf man alle Aussagen der drei Verhöre vergleicht. Stimmen alle Aussagen überein, so ist die Sache leicht geendigt, hat sich aber der Verbrecher widersprochen, so wird die Folter angewendet. Am ersten Tage der Folter schlägt man den Gefangenen mit der Sü-wä-sa in's Gesicht, oder lässt ihn auf Ketten knieen, bis er die Besinnung verliert. Hat er Nichts gestanden, so wird er nach vier bis fünf Tagen wieder vorgeführt, wo dann die Folterqualen stärker sind. Man schlägt ihn auf die Fusssohlen oder dreht ihm einen Strick aus Pferdehaaren vermittelst eines Knebels um die Schenkel, bis sich der Strick tief ins Fleisch zwängt; hat er noch Nichts gestanden, so wird er abermals in's Gefängniss geführt. Nach einigen Tagen hat er die dritte Folterprobe zu bestehen, welche darin besteht, dass man ihm ein kupfernes Becken mit concavem Boden auf den Kopf setzt und in dieses glühende Kohlen legt, oder in sehr wichtigen Fällen, bei schweren Verbrechern, indem man ihnen ein Pferde- haar durch das Fleisch zieht und dieses herumdreht oder hin und her zieht. Diese letzte Folter soll die furchtbarsten Schmer- zen vertirsachen und viele Verbrecher auf der Stelle zum Wahn- sinne gebracht haben, daher wird sie nur selten angewendet. Hat der Angeklagte alle drei Proben überstanden und sich nicht zur Schuld bekannt, so wird er freigelassen, hat er aber Aussagen gemacht, so werden diese mit den früheren verglichen, damit man ihn nicht etwa verurtheile, wenn der Schmerz ihm ein falsches Geständniss erpresst hat; daher wird der Gefol- terte zwischen den drei Folterproben jedesmal in einem gewöhn- lichen Verhör vernommen. Die seitens des Daloja verhängte Strafe lautet, entweder auf's — 369 — • Gefängniss oder auf Kobak (ein Halsblock, den der Gefangene nicht ablegen kann), oder man schmiedet ihm eine Eisenstange an, die der arme Sünder jahrelang mit sich herumschleppen muss. Die letzten beiden Strafen werden am häufigsten verhängt, weil sie dem Staate durchaus keine Unkosten verursachen, der Verbrecher wird mit dem bezeichneten Zierath den Beamten seines Stammes übergeben, die ihn zu beaufsichtigen haben. In jeder grösseren Stadt kann man eine ganze Anzahl dergleichen frei herumgehen- der Verbrecher sehen, die ihren Halsblock mit aufgehobenen Hän- den wie eine Last tragen, damit derselbe ihnen nicht den Hals beschädige. Ich habe in Kuldsha einen Verbrecher gesehen, dem eine 2 Arschin lange Eisenstange und eine Kugel ange- schmiedet waren , die Stange hing an einer etwa 1 Arschin langen Kette am Halse, die Kugel aber an einer etwa 2 Ar- schin langen Fessel am linken Knöchel. Der Unglückliche be- wegte sich fort, indem er der Kugel mit dem Fusse einen Stoss gab, dass sie etwa 1 Arschin weit roUte, dann erfasste er die Stange mit beiden Händen, stemmte sie so weit er konnte von sich ab und machte darauf einen oder zwei Schritte. Wenn der Be- treffende etwa fünfzig Schritte gegangen, ist er natürlich so müde, dass er sich setzen muss; beim Sitzen und Liegen hindert ihn sein Eisenschmuck wenig. Allen diesen Verurtheilten bleibt natürlich nichts übrig, als sich ihren Unterhalt durch Betteln zu erwer- ben; giebt man ihnen nichts und sterben sie Hungers, so kümmert sich die Regierung wenig darum. Ist es ein schweres Verbrechen, dessen der Angeklagte be- schuldigt wird, so übergiebt der Daloja des Dung-Jamun den Verbrecher sammt aUen Protokollen der bis dahin abgehaltenen Verhöre dem Schi-Jamun, wo die Sache noch einmal unter- sucht wird. Wenn nun der Verbrecher für schuldig befunden wird, so wird dem Dsan-dsün über den Fall Bericht erstattet, der dann das Todes- oder Verbannungsurtheil ausspricht. Ist es ein sehr schweres Verbrechen, so wird der Verbrecher jen- seits Peking, in die heissen Provinzen Jang-nän, Schi-nän, Jü- nän verbannt; ist es ein leichteres Verbrechen, so schickt man ihn nur nach BaikÖl oder Lan-dsho. Die weithin Verbannten kommen von dort nie wieder zurück, die nicht weit Verbannten kehren gewöhnlich nach einigen Jahren wieder in die Heimath; leben sie dann ruhig, so lässt man sie in Frieden, führen sie sich aber wiederum schlecht auf, so verbannt man sie abermals. Radi off, Aus Sibirien. II. 24 — 370 — • Kommen sie ein zweites Mal zurück, ohne sich gebessert zu haben, so werden sie zum Tode verurtheilt. Wer einen Menschen getödtet hat, wird stets zum Tode ver- urtheilt; diesem Urtheil Verfallene richtet man aber nicht gleich hin, sondern hält sie oft zwei bis drei Jahre im Geföngniss. Niemand unter den sieben Völkern des Ili, schliesst mein Berichterstatter seinen Bericht, versteht so gut Verbrecher zu verhören, wie die Mandschu, und sie sind in diesen Verhören gerechter als die Beamten der übrigen Völker; wenn sie nicht die Menschen bedrückten und viele Geschenke verlangten, so könnte man sich keine besseren Richter wünschen. Die Finanzlage des Hi-Thales bietet jetzt ein ziemlich trauriges Bild. Die Central-Regierung hat seit vielen Jahrzehn- ten alle Zuschüsse zur Erhaltung des Heeres und der Verwal- tung verweigert und fordert sogar noch ein bedeutendes Quan- tum von Steuern aus der Provinz. Die Mandschu-Soldaten sterben fast vor Hunger, die Soldaten der Mihtär-Kolonieen erhalten keinen Sold und sind dadurch der Regierung entfremdet, die Ta- taren werden bis aufs Blut ausgesogen und zu Grunde gerichtet. Um ihr Leben fristen zu können, müssen alle Beamten, die seit langer Zeit keinen Sold erhalten, das Volk bedrücken. Die hohen Beamten sind gezwungen, die Stellen der niederen Beamten den Meistbietenden zu überlassen, um durch diese Einnahmen ein ir- gendwie ihrem Range entsprechendes Leben führen zu können. Nur mühselig schleppt sich die Regierungsmaschine vorwärts und droht jede Minute stille zu stehen und in Trümmer zu fallen. Die Macht der Mandschu, die noch vor 100 Jahren der Schrecken Asiens war, nähert sich ihrem Ende, wenigstens hier in den westlichen Provinzen des chinesischen Reiches. Und doch sind gerade diese Provinzen so unendlich reich an inneren Hülfsquellen, dass sie bei einer nur irgendwie geregelten Ver- waltung durch sich selbst bestehen könnten. Aber nichts thaten die Mandschu in den letzten Jahrzehnten zur Hebung des Lan- des; Nehmen und Nehmen war und ist ihr einziger Gedanke. Das unverhältnissmässig grosse Heer, das man im Hi-Thale hält, kann natürlich nicht von dem kleinen Landstriche erhalten wer- den, sondern bedurfte zu seiner Unterhaltung bedeutender Zu- schüsse aus China; als diese Zuschüsse nach den Aufständen im eigentlichen China, nach dem Tode des Kaisers Dau-Wang, ausblieben, wäre das einzige Mittel zum Gedeihen der Provinz •-* — 371 — eine Verringerung des Heeres gewesen. Anstatt diese vorzu- nehmen, Hess sich die Regierung in Finanzspeculationen ein, die den letzten Bodensatz ihrer Kasse erschöpften, die unter- worfenen Völker bedrückten und der Regierung entfremdeten. Ich will hier einige dieser Finanzspeculationen, die mir zu Ohren gekommen, näher erörtern. In den ersten Jahren der Regierung des Kaisers Schän- fung beschloss die Regierung, der kupfernen Scheidemünze einen höheren Werth zu geben, um dadurch ihre Ausgaben bestreiten zu können. Man goss, um dies zu bewerkstelligen, grosse Jar- mak von einem Normalwerthe von 15 kleinen (also von einem Werthe von 2 Kopeken) und gab sie zu einem Werthe von 100 Jarmak (etwa 12 Kopeken) aus. Da die Jarmak gegossen werden, so war es eine Kleinigkeit, nach den angegebenen Mün- zen Formen zu modelliren, und was konnte vorth eilhafter sein, ahs die früheren kleinen Jarmak in grosse umzugiessen , durch welche Arbeit man sein Kapital versechsfachte? Es dauerte auch gar nicht lange, so war im ganzen Ili-Thale fast kein kleiner Jarmak mehr zu sehen. Alle Drohungen des Dsan-dsün halfen nichts, vergebens verbot man das Giessen der grossen Jarmak bei Todesstrafe, das Volk goss immer mehr neue Jarmak. Viele Falschmünzer wurden eingefangen und unter Qualen hingerichtet, aber doch goss man neue Jarmak. Nichts half, nicht einmal die schauderhafte Strafe der Chochandshan, die darin besteht, dass man den Verbrecher in einen Käfig steckt, in dem er nicht sitzen und nicht stehen kann, da der Hals zwischen zwei Bret- tern fast festgeklemmt ist; in einem solchen Käfig kann Niemand länger als drei Tage leben. Wie vorauszusehen war, entstand eine furchtbare Theue- rung, und Handel und Wandel fingen an zu stocken. Da erliess der Dsan-dsün den Befehl, dass von nun an die grossen Jar- mak 2 Fun, d. h. 15 Jarmak (ihren wirklichen Werth) gelten sollten. Diese Gewaltmassregel erregte einen neuen Sturm, und da die Massregel nur die Unschuldigen traf, so drohte ein offener Aufruhr auszubrechen. In grossen Haufen zog das Volk vor den Palast des Dsan-dsün und forderte die Zurücknahme dieses Befehls. Da die Kaufmannschaft sich an die Spitze des Volkes stellte, so sah der Dsan-dsün bald die Unklugheit seines Be- fehls ein und änderte ihn insofern ab, als er befahl, der Schi- Jamun solle während eines Monates jeden grossen Jarmak zum 24* — 372 — IVerthe von 40 kleinen Jarmak annehmen; wer dieselben aber in dieser Zeit nicht abliefere, erhalte nur 15 Jarmak. Während dieses Monats wurden wenigstens zwanzigmal so viel grosse Jarmak eingeliefert, als die Krone ausgegeben hatte, so dass sie bei <üeser Operation einen ungeheuren Verlust erlitt. Ebenso ver- loren alle ehrliehen Leute, die keine Falschmünzerei getrieben, und nur die Spitzbuben und Gauner hatten Vortheil. Seit jener Finanzoperation soll der Handelsverkehr im Ili-Thale bedeutend abgenommen haben; von dieser Zeit an ist auch das Wiegen der Jarmak in Gebrauch gekommen. Als so die Eegierungskasse noch leerer geworden, gedachte man durch Aufsuchung von Silbererzen und durch Silberge- winnung die Finanzen zu verbessern. Grosse Bergwerksarbeiten wurden bei dem Berge Köngäs vorgenommen; man arbeitete hier drei Jahre, legte Hüttenwerke an und beschäftigte gegen 1000 Arbeiter, aber leider wurde keine Spur von Silber gefunden. Hierauf begann man ebensolche Arbeiten am Berge Schärbu- gutschi, wo ein Tatar Silbergruben entdeckt haben sollte. Auch hier arbeitete man mit Aufwand aller Kräfte mehrere Jahre lang, gewann aber nur etwas Kupfer, Silber ist auch dort nicht gefunden worden; diese Arbeiten blieben ebenfalls liegen. Zu- letzt legte man Gruben am Berge Bai-Jangu an, der etwa 400 Werst von Kuldsha entfernt ist. Auch hier arbeiteten 600 — 800 Menschen zwei Jahre lang, ohne Etwas zu finden. Hundert- tausende von Unzen wurden dabei geopfert; die Regierung ver- lor ihre letzten Hülfsmittel und machte Hunderte von Tataren- und Kalmücken-Familien zu Bettlern. Zuletzt legte man sich aufs Schätze-Suchen. Die Sage ging im Volke, dass im Kasch ungeheure Reichthümer versenkt lägen, und diese suchte man aus dem Flusse zu heben. Aber auch diese Hoffnung wurde zu nichte , und alle Mühen und Kosten, diese Schätze herauszuschaffen, wurden unnütz ver- schwendet. Seit dieser Zeit hat die Regierung aufgehört, zu speculiren, stumpf hat sie sich in ihr Schicksal ergeben, und mühselig schleppt sich die Mandschu-Herrschaft hier im Westen fort, bis sie in Trümmer zerfällt. — 373 — Dies sind die Nachrichten über das Ili-Thal, wie ich sie im Jahre 1862 gesammelt, sie sind insofern besonders interessant^ als es die einzige genaue Beschreibung der früheren Zustände dieses Landes ist. Schon im Jahre 1863 brachen die Unruhen, wie ich vorausgesehen hatte, aus, und den verbundenen Taran- tschi und DuÄgenen gelang es zuletzt, die Mandschu-Herrschaft im Ili-Thale zu vernichten. An Stelle der Ili- Provinz ent- standen drei selbständige Reiche, das Dungenen -Reich von Urumtschi, das Chodshalik von Kaschgar und das Tarantschi- Reich der Kuldsha-Tataren. Während diese Umwälzungen am ni vor sich gingen, bereiste ich das Abakan-Thal, den Altai und das Gebiet des mittleren Irtisch. Erst im Jahre 1868 passirte ich den nördlichen Theil des Semiretschinskaja Oblast (das Sieben-Flüsse-Gebiet) und traf daselbst zahlreiche Flüchtlinge der Kalmücken, Chinesen, Schibä und Solonen, die hier küm- merlich ihr Leben fristeten. Aber erst im folgenden Jahre, im Sommer 1869, hatte ich Gelegenheit, den Semiretschinskaja Oblast zu besuchen und mich vom 1. bis 16. Juni an der Grenze des früheren chinesischen Hi-Thales im russischen Grenzposten am Borochudsir aufzuhalten. Hier mögen die Tagebuchblätter aus meinem damaligen Aufenthalte folgen. (Den 1. Juni 1869.) Gestern verliessen wir die Poststrasse beim Piquet Altyn Emelski (der dritten Station südlich von der Koksinskaja Stanitza) und passirten den Bergpass des Altyn Emel (goldener Sattel). Weites Thal mit sehr steinigem Grunde. Wir folgen dem kleinen Flüsschen Tülkü Bulak und dem Flusse TögörÖk bis zu dem Piquet dieses Namens (Entfernung etwa 40 Werst). Grund überall steinig und unfruchtbar. Der Weg geht jetzt am Alna Bulak und Ssassyk Köl entlang; wir erreichen spät Abends das Piquet Kongyr Ölöng (40 Werst). Nach Süden liegt vor uns der Begrücken Katu, der uns vom Ili -Flusse trennt. Am Morgen früh aufgebrochen. Der Weg führt zuerst am Nordrande des Katu -Gebirges entlang. Die Landschaft ändert sich in keiner Weise, überall dieselbe steinige Ebene, die manchmal von Sumpfpartieen unter- brochen wird. Nach etwa 15 Werst gelangen wir zum Thale des Flusses Kuibun. Hier sieht man deuthch, dass das Land zum Ili in zwei Terrassen abfUUt. Vom Bergrücken des Altyn Emel senkt sich das Land in einer schiefen Ebene bis zum Berg- — 374 - rücken des Katu; diese Ebene wird im Süden von dem nicht bedeutenden Berglande begrenzt, durch das mehrere Flüsse, wie der Kök Täräk und Kuibun, in breiten, flachen Thälern zu der zweiten Terrasse der eigenthchen Thalebene des Hi führen. Nach etwa 25 Werst erreichen wir das Piquet Kuibun. Die Thalschlucht ist zuerst sehr enge und zwischen zackige Fels- blöcke eingeengt. Dicht am Flusse selbst ist eine recht üppige Vegetation; nach Süden wird das Thal breiter und ist meist mit Steingeröll bedeckt. Viel Gesträuch am Flusse, rothe Dschigdä- Sträucher, wilde Mandelsträucher, bunte Blumen am Flusse ; üppi- ger Graswuchs beim Piquet. Vom Kuibun aus wendet sich der Weg nach Osten, parallel mit dem Ili. Die Ausläufer des Kuibun- Gebirges überschritten. Der Weg geht etwa 15 Werst über mehr oder weniger bedeutende Bergwellen; dann passirt man eine recht tiefe Schlucht. Merkwürdiger Anbhck der Berg- wände: die salzhaltigen Lehmwände bestehen aus sehr ver- schiedenfarbigen Schichten in wunderlich geformten Kuppeln und Horizontalflächen, schichtenweise mit dichter Salzkruste überzogen, die wie Schneestreifen an den Bergwänden weiss glänzen. Bis zur Thalebene des Flusses Türgän ist die Niede- rung meist mit Geröll, Sand und Lehm bedeckt. Vegetation un- bedeutend; an vielen Stellen dichtes Gestrüpp, viele Säksäül- Sträucher. Erst wenige Werst westlich vom Türgän hört das steinige Land auf, an seine Stelle tritt fetter, schöner Lehm- boden und Graswuchs. Dicht am Ufer des Türgän liegt das russische Piquet Borochudsir, das aus mehreren langgestreckten einstöckigen Gebäuden besteht, in denen zwei Compagnieen Li- fanterie und ein halbes Hundert Kosaken stationirt sind. Die Häuser sind theils Kasernen, theils Magazine, theils Wohnungen für die Offiziere. Mir wurde vom Befehlshaber des Detache- ments, dem Herrn Major P., freundhchst ein Quartier ange- wiesen. Dieser Herr versprach mir auch, mich in Allem zu unterstützen. In einem Halbkreise um das Piquet liegen zer- streut die Häuser von etwa 800 Flüchtlingen aus dem chine- sischen Hi-Thale, die sich hier an der Grenze ihres früheren Gebietes niedergelassen haben. Die Häuser der Flüchtlinge sind zum grössten Theile noth- dürftig aufgerichtete Lehmhütten; auf den ersten Blick sieht man, dass die Ansiedler durchaus nicht die Absicht haben, hier bleibende Wohnsitze zu gründen. Die Hütten sind sehr klein. — 375 — aus Lehmziegeln aufgeführt und mit einem Zaune von Schilf umgeben. Dicht bei den Hütten befinden sich die Gemüse- gärten, in denen Mais, Tabak und besonders viel Mohn ange- pflanzt ist, ausserdem Gemüse, Kadieschen, Rettig, Schnittlauch und Zwiebeln. Diese Gemüsegärten bilden kleine, regelmässige Vierecke, die eine gleichmässige Bewässerung zulassen, üeberall scheint äusserste Armuth zu herrschen, man sieht, dass die An- siedler nur das nackte Leben aus dem Aufstande gerettet haben. Da sich in meiner Begleitung ein Schibä (Bitä) befindet, der bei mir den ganzen Winter zugebracht hatte und von Wemoje aus die Verwandten am Borochudsir von seiner bevorstehenden Ankunft benachrichtigt hatte, so war mein Zimmer sehr bald nach unserer Ankunft von Schibä-Ansiedlern, Verwandten des Bitä, angefüllt. Ich machte während dieser Besuche den stillen Beobachter. Die Begrüssungen gehen streng nach Ordnung und Sitte vor sich. Vor älteren Verwandten beugt man das Knie, jüngere Verwandte erweisen sich dieselbe Ehrfurcht, Altersgenossen machen sich gegenseitig Knixe. Diese ceremo- niellen Begrüssungen machen auf den Beobachter einen höchst komischen Eindruck. Am Abend machte ich mit Bitä noch einen Spaziergang durch einen Theil der Schibä-Colonie und wurde als ein die Mandschusprache sprechender Russe allgemein ange- staunt. Wir besuchten Bitä's Bruder, der in einem geräumigen und ziemlich wohlhabend eingerichteten Hause wohnt, da es ihm gelungen, einen Theil seiner Habe aus dem Kampfe zu retten. Interessant war es für mich, zu beobachten, eine wie enge Zusammengehörigkeit der Faniilienglieder bei den Schibä besteht. Die scharfe Scheidung zwischen älteren und jüngeren Verwandten manifestirt sich in jeder Handlungsweise, beim Be- grüssen, beim Sitzen, beim Reichen irgend eines Gegenstan- des, beim Sprechen ; überall sieht man den Unterschied zwischen Aelteren und Jüngeren. Hier begreift man, warum bei allen Völkern, die chinesischer Kultur unterlegen sind, eine Namens- scheidung zwischen älteren und jüngeren Verwandten jeden Grades der Verwandtschaft besteht. Die Kulturverhältnisse er- klären uns oft unverständliche sprachHche Erscheinungen. (Den 2. Juni.) Heute war ich viel von den russischen Offizieren in Anspruch genommen. Ich habe da manches In- teressante erfahren. Man hat an die Ansiedler Gewehre aus- — 376 — getheilt, dieselben sind aber durchaus nicht von dieser Mass- regel erbautrfgewesen. Sie furchten die Tarantschi so sehr, dass kein Einziger wagen würde, auf sie zu feuern. Aus Allem ersieht man, dass die armen Leute furchtbar gelitten haben. Um einige Ordnung in die Colonie zu bringen, hat der Kommandant des Detachements vorgeschlagen, die Leute möchten sich einen Dorf- ältesten wählen. Die Massregel ist sehr verständlich, man wollte die Leute von der Abhängigkeit von zwei Schibä-Offizieren be- freien, deren Befehle jetzt, wo sie ohne Zusammengehörigkeit mit der chinesischen Regierung sind, Glicht nur nichts nützen, sondern sogar schaden. Die Massregel ist aber nicht ausgeführt worden. Es fehlte den Leuten jedes Verständniss für das Wäh- len eines Beamten; sie staunten den Kommandanten an und sagten ihm kurz: ,,Wir haben ja den Ugeri-da (den Schibä-Be- amten); wenn der dir nicht gefallt, so setze ihn ab und be- fiehl einem Anderen, seine Stelle einzunehmen. Dein ist der Befehl, wir haben zu gehorchen.'* Man sieht daraus, wie schwer es einem Volke ist, sich in etwas Anderes als sein Gewohnheits- recht hineinzudenken. Ich erfahre ausserdem, dass die Leute sich hier gegen den Willen der chinesischen Regierung nieder- gelassen haben. Ein chinesischer Beamter hat sie mehrmals aufgefordert, nach Tschugutschak überzusiedeln. Der Ugeri-da hat sich geweigert, und die Leute hören auf ihn. Die An- siedler erwarten, dass die Tarantschi-Herrschaft bald aufhören wird und dann werden sie die ersten sein, die in die Heimath zurückkehren. Dem Ugeri-da würde es schlecht ergehen, wenn er wieder unter chinesische Botmässigkeit käme. Vom Türgän aus bis hinter Kürä soll alles Land brach liegen, die Städte sind verwüstet und die Felder verdorrt. Die ganz westliche , Hälfte des Ili-Thales ist eine Wüstenei ; kein Mensch wohnt hier, da sich auch die Dungenen weiter nach Osten gezogen haben. Nur vereinzelte Kirgisen treiben sich manchmal in diesen Ge- genden umher. Ein Theil der Kirgisen des Stammes Suan, die früher russische Unterthanen waren , sollen zu den Tarantschi übergegangen sein. Bitä lud mich ein, im Hause seines Bruders, der abwesend war, zu Mittag zu essen. Wir begaben uns dorthin. Die Speisen wurden auf einem kleinen Tische mit niedrigen Füssen servirt, den man auf die der Thür gegenüberliegende Erhöhung ge- stellt hatte. Rechts und links vom Tische setzten sich die Gäste, — 377 — d. h. Bitä und ich. Ein älterer Verwandter kauerte hinter dem Tische. Die Frau trug die Speisen in Porzellannäpfen auf: Pel- meni (in Teig gewickeltes, fein gehacktes Fleisch, in Brühe gekocht), gebratenes Fleisch, Eadieschen, Salat, Reis, gekochtes Schaffleisch. Das Essen war reinlich servirt und schmeckte recht gut, nur zu viel Zwiebeln und Pfeffer. Wirth und Wirthin waren äusserst zuvorkommend und höflich; man bat, vorlieb zu nehmen, da man fast auf offenem Felde wohne. Die Kleidung der Frauen des Hauses war recht satTber; langes blaues Hemd mit Auf- schlägen aus Seide. Die Frauen tragen das Haar^ sauber fri- sirt und mit Haarleim getränkt, ganz nach chinesischer Art, mit einem silbernen Pfeile. Die Mädchen tragen lange, herab- hängende Zöpfe. Typus im Allgemeinen rein mongolisch. Alle Frauen und Mädchen haben gelb gefärbte Nägel und viele Ringe an den Fingern. Drei Paar Ohrringe sind an den verschie- denen Stellen des Ohres befestigt. Man sieht im ganzen Be- nehmen der Frauen eine gewisse Coquetterie, sie möchten ge- fallen. Das Rauchen ist sehr verbreitet, selbst die Kinder rauchen. Die grösste Anzahl der hiesigen Ansiedler sind Schibä, die früher in den solonischen Städten gelebt haben, dann sind hier viele Solonen-Familien und einige Chinesen. (Den 3. Juni.) Am Morgen stattete mir der frühere Be- fehlshaber der Solonen- Städte, der Ugeri-da De, wie er sich chinesisch nennt (sein Name ist eigentlich Detschin) einen Be- such ab; von ihm erfuhr ich Manches von dem Zustande der Solonen-Colonieen vor dem Aufstande, was also , gleichsam als Ergänzung zu meiner Beschreibung des Ili -Thaies von 1862 gelten kann. Die daurischen Militär - Colonisten waren in 16 Städten oder Flecken zu beiden Seiten des Ili-Stromes angesiedelt. Die üebersiedelung aus der eigentlichen Mandschurei geschah etwa vor 90 — 100 Jahren. Die Völkerschaften tungusischer Zunge wurden hierher übergeführt: die Schibä, Dachor-Solonen und Ongkor-Solonen. Die Schibä sind eines Stammes mit den Man- dschu, sie sprechen die Mandschu-Schriftsprache. Die Ongkor- Solonen sprechen einen sehr abweichenden tungusischen Dialekt, der dem Maniagir-Dialekte sehr nahe steht, die Dachor-Solonen endlich sprechen einen stark mit tungusischen Wörtern ver- setzten mongolischen Dialekt. — 378 — Während die Schibä-Colonisten sich sehr bald im Ili-Thale acclimatisirten und die Bevölkerung von Jahr zu Jahr im Steigen begriffen war, nahm die Zahl der solonischen Ansiedler von Jahr zu Jahr ab, so dass die Regierung schon in den dreissiger Jahren eine grosse Anzahl von Colonisten der süd- lichen Schibä-Colonieen zur Vervollständigung der zusammen- geschrumpften Solonen-Banner auf dem rechten Ili-Ufer ansie- deln musste, so dass mehrere Tausend Schibä-Ansiedler officiell als Solonen, d. h. als zu den solonischen Bannern gehörig, be- zeichnet werden. Jede der beiden Colonieen bestand aus 8 Städten oder Bannern, die zusammen eine Heeresabtheilung ausmachten. Jede dieser Abtheilungen wurde von einem Mejen Amban (Bri- gadegeneral) kommandirt, welcher seinen Sitz im chinesischen Kuldsha (Kürä von den Tataren, Ili von den Schibä) genannt. Der Mejen Amban war gewöhnlich ein Mandschu, obgleich auch oft Schibä und Solonen zu dieser Würde gelangten. Ueberhaupt rechneten sich die Schibä-Solonen durchaus als den Mandschu ebenbürtig, als herrschende Klasse, und ihre Offiziere sollen oft Mandschu- Abtheilungen befehligt haben. Jeder der Mejen Am- bane hatte in Kuldsha ein Regierungsgebäude (Jamun) zu seiner Verfügung, der Sitz der Oberbehörde über die acht dem Mejen Amban untergeordneten Ansiedelungen, sowohl in Militär-, wie auch in Civilangelegenheiten. Die Verwaltung der Colonisten war folgende: Jede der Heeresabtheilungen wurde von einem Ugeri-da (Oberst) verwaltet, dem ein Ilchi-da (Oberstlieute- nant) und ein Niru Dshangin (Major) als Gehülfe zur Seite standen. Je zwei Ansiedelungen befehligte ein Dshergi Jang- gin (Kapitän) und jede einzelne Ansiedelung ein Fundu Boschko (Lieutenant). Alle Beamten, ausser dem Mejen, mussten Schibä oder Solonen sein. Die Ansiedelungen der Solonen waren folgende: 1) Tur- gen, die westlichste, am Flusse Borochudsir (der hier von den Russen auch Turgen genannt wird) gelegen, war mit einer Festungsmauer umgeben und bestand aus etwa 300 Häusern. Turgen wurde von Ongkor- Solonen und Schibä bewohnt, es gehörte zum rechten Heeresflügel und führte das mit Verbrä- mung versehene blaue Banner. 2) Samar (von den Kirgisen Dschar Kent, d. h. Uferstadt, genannt) bestand aus 250 Häusern und wurde ebenfalls von Ongkor-Solonen und Schibä bewohnt, — 379 — es führte das verbrämte rothe Banner. 3) Tschischkan (kirgi- sisch Tischkan) lag ungefuhr 10 Li östlicher und bestand aus etwa 300 Häusern; es wurde ebenfalls von Ongkor - Solonen und Schibä bewohnt und führte das einfarbige rothe Banner. 4) Tschedschi (von den Kirgisen Ak Kent [weisse Stadt] ge- nannt) bestand aus 200 Häusern und wurde von Ongkor-Solonen und Schibä bewohnt. Es führte das einfarbige gelbe Banner. Tschedschi lag etwa 15 Werst östlich von Tschischkan. Etwa 60 Li östlich von Tschedschi beginnen die vier An- siedelungen des linken Heeresflügels. 5) Chorgos, bewohnt von Dachor-Solonen, bestand aus etwa 300 Häusern, es führte das verbrämte gelbe Banner. 6) Fuseku, etwa 5 Li östlich von Chorgos gelegen, bestand aus 300 Häusern und wurde von Dachor-Solonen bewohnt, es führte das einfarbige blaue Banner. 7) Ke, etwa 10 Li östlich von Füseku, bestand aus 400 Häu- sern und wurde von Dachor-Solonen bewohnt, es führte das einfarbige weisse Banner. 8) Alimtu, etwa 7 Li von Ke, be- stand aus etwa 300 Häusern und wurde ebenfalls von Dachor- Solonen bewohnt; es führte das verbrämte weisse Banner. Die acht Ansiedelungen der Schibä südlich vom Di wurden gewöhnlich nur nach Zahl: udshun-niru (erste Escadron), dsfud- niru (zweite Escadron) und so weiter genannt und waren so vertheilt, dass 1, 3, 4 dicht beieinander südwestlich vom chi- nesischen Kuldsha lagen; 5, 6, 7, 8 lagen einige Werst weiter ab vom Ili, gerade gegenüber den beiden Kuldsha und 2 nicht weit vom Ili, südwestlich vom tatarischen Kuldsha. Die bedeu- tendste Stadt dieser Ansiedelungen war die fünfte, wo der Ugeri-da und der Ilchi-da ihren Sitz hatten, und wo ausserdem ein grosser Tempel war, in dem der Da Lama und viele Priester wohnten. Hier ist noch zu erwähnen, dass die Schibä der süd- lichen Colonieen viel zu wenig Land innehatten und daher be- deutende Ackerplätze von den südlich wohnenden Tarantschi mietheten. Sowohl die solonische wie die Schibä-Heeresabthei- lung stellten jährlich 1300 Mann Soldaten; von diesen wurden 300 Mann nsteh dem Sechsstädte-Gebiet geschickt, während 1000 Mann Dienste im Hi-Thale zu versehen hatten. Dieser Dienst war für die Militär-Colonisten sehr leicht, da sie für denselben im Ili-Thale meist nur arbeitsunföhige Kinder und Greise aus- schickten, die während des Dienstes viel bessere Bezalilung er- hielten, als sie zu Hause hätten erarbeiten können. Daher kann — 380 — es nicht Wunder nehmen, dass gerade die Militär-Colonieen sich durch ihre Wohlhahenheit auszeichneten. Ueher die Oherverwaltung theilte mir der Ugeri-da noch mit: Der Bezirk des Dsan-dsün des Ili-Thales erstreckt sich üher: 1) das Hi-Thal, 2) das Alty Schäkär, 3) den Tarhagatai, d. h. das Gehiet vom Tschugutschak, 4) das Gehiet von Urumtschi. üeherhaupt gäbe es im chinesischen Eeiche 13 Dsan-dsüne und 8 Sunda. Der Ugeri-da ist klein und schmächtig von Wuchs und hat sehr stark ergrautes Haar, sein Anzug ist ganz chinesisch, auf dem Kopfe trug er die Dienstmütze mit dem blauen Mützen- knopfe und den Pfauenfedern. Sein Wesen hat nichts Militäri- sches an sich; sonst ist sein Betragen sehr angenehm und sein Aeusseres recht intelligent. Der arme Mann hat vom Aufstande viel zu leiden gehabt, er hat sieben Kinder und seine Frau verloren; drei von diesen Kindern befinden sich noch in der Gefangenschaft bei den Dungenen. Den einzigen Sohn, der ihm übrig geblieben, hat er hier bei sich. Jetzt lebt er in der grössten Armuth, da er von seiner reichen Habe Nichts als das nackte Leben gerettet. Wie mir Bitä erzählt, ist der Ugeri-da De wegen seiner Gelehrsamkeit und seiner Kenntniss der chi- nesischen Sprache im Ili-Thale berühmt gewesen. Die Schriftkunde ist bei den Schibä im Allgemeinen sehr verbreitet, über die Hälfte der männlichen Bevölkerung und viele Weiber sollen die Mandschu-Schrift zu schreiben verstehen, aber nur sehr wenige verstehen chinesisch zu lesen, während fast alle mehr oder weniger gut chinesisch sprechen. Die Man- dschu-Litteratur ist ihnen im Allgemeinen nur wenig bekannt. Sie studiren in den Schulen gewöhnlich die vier King in der Mandschu-Uebersetzung, schreiben aber viel mehr als sie lesen. Die gelehrten Mandschu selbst sollen ihre Muttersprache so schlecht verstehen, dass bei den Schibä die Redensart ,,man- dshurame gisureme", d. h. ,,nach Art der Mandschu sprechen", gleichbedeutend ist mit ,, schlecht und gebrochen sprechen". Es giebt aber auch bei den Schibä aufgezeichnete Volkslieder z. B. das „Anja utschun^^j „Das Neujahrslied", oder ,yJilan gur nm", ,,Die drei Reiche". (Den 4. Juni.) Heute stattete ich dem Ugeri-da meinen Gegenbesuch ab. Er wohnt sehr ärmlich, erst jüngst hat er sich — 381 — wieder verheirathet. Man sah, dass er durch den Aufstand Alles ver- loren ; sein Haus hatte nur ein kleines Zimmer und elende Einrich- tung. An der Wand lag «iiuf einem Bücherbrette ein Haufen theils zerrissener, theils halb verbrannter Bücher, die man unter den Trünmiem der Stadt Turgen hervorgezogen. Da er sah, dass mich Mandschu- Bücher interessirten, so schenkte er mir eine ganze Anzahl Manuscripte, darunter Aufzeichnungen von Schibä- Gesängen. Der Ugeri-da war sehr ceremoniell, er hatte einige Bchibä kommen lassen, die uns beim Theetrinken \mi Rauchen bedienten, gerade wie zu der Zeit, als er noch Ugeri-da war. Dieses Ceremoniel mit unschmackhaftem Fu-Thee und in der elenden Umgebung machte einen traurigen Eindruck. „Sic tran- sit gloria mundi.** Der Ugeri-da ist auf die Mandschu schlecht zu sprechen, er meint, ihre Feigheit und Selbstsucht seien an dem ganzen Unglück schuld, sie hätten nur an sich gedacht, daher sei Alles von selber auseinander gefallen. Als die Völker gesehen, dass sie in der Noth waren und allein in den Kampf ziehen sollten, während die Mandschu sich in der Festung verbarrikadirten, wäre ihnen alle Lust zum Kämpfen vergangen. Der Ugeri-da versprach mir ein Memoire über seine officielle Correspondenz und den TheU des Aufstandes, den er mit angesehen, zusam- menzustellen. Ueber die russische Verwaltung sprach er sich sehr anerkennend aus .und meinte, die chinesische Regierung hätte hier viel zu lernen. Er selbst würde gern die russische CiviUsation kennen lernen, nur sei er zum Erlernen einer neuen Sprache zu alt. Als ich nach Hause zurückgekehrt war, brachte mir Bitä einen Ongkor-Solonen, mit dessen Sprache ich mich einige Tage zu beschäftigen gedenke. Der Ongkor-Solone spricht auch die Schibä-Sprache ; er meint, es hätten in den westlichen vier Städten nicht mehr als 30 Häuser Ongkor-Solonen gewohnt. Die Solonen 'sind vom Amur übergesiedelt und zerfallen dort in vier Geschlechter: Orotschon, Jakus, Dagor und Ongkor. Am Nachmittag machte ich einen Ausflug in die Umge- gend, um die Kurgane zu besichtigen. Vom 5. bis 8. Juni war ich ausschliessHch mit dem Oeffnen von Kurganen beschäftigt und unterhielt mich mit dem Ongkor- — 382 — Solonen; er ist sehr alt und spricht undeutlich, so dass die Ar- beit nur langsam vorwärts geht. (Du 9. Juni.) Heute wurde eine Streifpatrouille von 20 Kosaken in das friüdere Gebiet der Solonen geschickt, der ich mich mit Freuden anschloss. Bitä war ganz glücklich, seine Hei- math wiederzusehen. Wir brachen früh morgens, gleich nach Sonnenaufgang, auf. Der Fluss Turgen (Bwrochudsir) war ganz seicht, da er sich in mehrere Arme theilt. Etwa 8 Werst jen^ seits des Flusses erreichten wir die Stadt Turgen, si« liegt auf einer Anhöhe und ist schon vom russischen Grenzposten aus zu sehen. Wir ritten mit einigen Kosaken näher an die Festung heran. Die Festungsmauer, die Turgen einschliesst, bildet ein Rechteck und ist mit Schiessscharten und Zacken versehen; rings um die Mauer ist ein recht tiefer Graben, der aber ganz ausgetrocknet war. Sehr vortheilhaft unterscheiden sich die Lehmbauten der Chinesen von den lodderigen Lehm- bauten der Sarte. Obgleich die Stadt Turgen schon seit 1866 verlassen ist, so zeigt die Mauer doch nirgends schadhafte Stellen, selbst die Schiessscharten sind noch scharfkantig. Rings um die Festung liegen einzelne Gehöfte, Häusermauem und Gartenanlagen mit Fruchtbäumen. Die Häuser sind alle zer- stört, weniger durch die Aufständischen als durch russische Sol- daten und Schibä aus Borochudsir, die das Holz der Häuser zu ihren eigenen Bauten benutzten. Die Fruchtbäume wachsen ohne besonderen Schaden, trotzdem jetzt seit Jahren die künst- liche Bewässerung imterblieb. Wir hielten uns hier nicht auf, da alle Anlagen vollkommen vernichtet sind. Oestlich von Tur- gen wird das Land wellig. Der Weg nähert sich mehr dem Hi- üfer. Es beginnt hier eine dichte natürliche Bewaldung: Kara- gatsch- Bäume, rothe Dshigdä - Sträucher , Saksaul, Weidenge- strüpp und Pappeln. Der Weg ist ziemlich breit, schlängelt sich aber in Windungen zwischen den Bäumen dahin. An vielen Stellen sieht man Trümmer von Wagen, Knochen von Thieren liegen, ja mehrmals zeigten mir die Kosaken Menschenknochen und Schädel, die unter den Bäumen lagen. Tausende von Todten sollen in diesem Walde gelegen haben und verfault sein, da es Niemandem eingefallen ist, sie zu begraben. Die ziemlich dichte Bewaldung erstreckt sich bis zum Flusse Osök, den die Schibä Kuitun nennen. Der Osök ist auch hier sehr tief, ob- — 383 — gleich er von bedeutender Breite ist. Bitä und einige Scbibä, die uns begleiteten, erzählten mir, dass dieser Fluss in früherer Zeit hier nicht tief gewesen wäre, da sehr viel Wasser für die Aecker verbraucht worden sei. Jetzt war die Passage nicht ohne Gefahr. Etwa 10 Werst nach Süden soll sich der Ösök in viele Arme theilen und schliesslich in Sumpflachen endigen. Ob dies noch jetzt der Fall ist, bezweifle ich, er spheint mir zu wasserreich zu sein, so dass er jetzt gewiss bis zum Ili fliesst. Einige Werst östhch passirten wir einen zweiten Arm des Ösök, diesei: war aber sehr unbedeutend, es ist gewiss eine künst- liche Bifurcation, die jetzt nicht unterhalten wird und daher versandet ist. Das linke Ufer des zweiten Armes des Ösök ist sehr steil und in mannigfaltigen Figuren ausgespült. Gleich hinter dem zweiteA Arme des Ösök sieht man die zerstörten Gehöfte der zweiten Solonenstadt Samal (Jarkent) liegen. Vom steilen Ufer = Jar, kommt auch die tatarische Benennung, Samal besitzt keine Mauer, sondern zieht sich als eine lange Reihe regelmässig zerstreut liegender Gehöfte hin. Wie bei Tur- gen, sind auch hier ausgedehnte Anpflanzungen von Frucht- bäumen und künstliche Baumpflanzungen. Auch hier sind alle Häuser eingerissen und alles Holzwerk und die gebrannten Ziegel nach dem russischen Piquet abgeführt. So machte Sa- mal nicht den Eindruck einer zerstörten, sondern einer seit langer Zeit verlassenen Stadt. Jenseits Samal beginnt wiederum die dichte Bewaldung und nachdem wir in derselben mehrere Werst geritten, gelangten wir nach der dritten Solonenstadt Tschitsch- kan. Sie macht schon den Eindruck einer im Kriege ver- wüsteten Stadt. Die Mauern der Häuser stehen noch zum grössten Theile unversehrt, selbst die Dächer haben wenig ge- litten, dabei erblickt man zertrümmerte Thorwege und heraus- gebrochene Fenster. Viele Gebäude sind vom Feuer vernichtet worden. Zertrümmerte Ackergeräthe und Hausrath liegen auf den Höfen, ja selbst auf den Strassen umher, sogar Menschen- knochen und -Schädel fanden wir an vielen Orten. Die weniger verwüsteten Häuser zeigen eine sehr saubere Bauart. Am öst- Hchen Ende der Stadt befand sich ein kleiner Tempel. Dieser war von einem reichen Privatmanne erbaut worden, und sollen in ihm, nach der Aussage der Schibä, keine Lama angestellt gewesen sein; dies konnte man schon daraus ersehen, dass sich in der Nähe des Tempels kein Wohnhaus befunden hatte. Der — 384 — Tempel ist sehr sauber aus grossen Platten von gebranntem Lehm gebaut. Die Wände sind mit Freskobildem verziert, die schreckenerregende Fratzen darstellen. Hier konnte man so recht die Absicht der Verwüstung sehen: die Ziegelsteine, die irgend welche Bildnisse oder Verzierungen boten, waren mit Gewalt herausgerissen worden, die Löwen waren von dem Dache herabgestürzt und gewiss durch Steinwürfe absichtlich zerschmettert, das Dach war zertrümmert und herabgerissen worden. Der Tempel war mit einer viereckigen Mauer um- geben und am Eingange, dem Thore gegenüber, war eine mit der Vorderwand des Tempels parallele Mauer aufgeführt. Jenseits von Tschitschkan befinden sich die Euinen einer alten Ansiedelung, sie wurde mir von den Schibä als Fe Tur- gen (d. h. das alte Turgen) bezeichnet. Hier war die Stadt Turgen zuerst erbaut worden. Als vor etwa 70 Jahren, ich weiss nicht durch welche Ursache, hier ein grosser Mangel an Wasser eingetreten war, verhess die Bevölkerung ihre Wohnsitze und erbaute das neue Turgen am Borochudsir, wo sich ohne grosse Schwierigkeiten auch neue Ackeranlagen ausführen Hessen. Die Befestigung des neuen Turgen soll viel später stattgefunden haben als die erste Uebersiedelung der Einwohner von Fe Tur- gen. Jenseits Fe Turgen beginnt der Wald viel lichter zu wer- den. Wenn man sich der Stadt Tschedshui (Alt-Kemt) nähert, so sieht man links vom Wege einen schönen Tempel liegen, Dieser ist in seiner Anlage recht bedeutend. Er besteht aus allerlei Thürmen, Zellen, Tempelhöfen und vielen Gebäuden der Lama. Eine Beschreibung eines solchen Tempels ist fast un- möglich, da die chinesischen Architekten sich bei der Anlage solcher Gebäude in symmetrieloser Capriciosität gefallen. Die Thürme und Tempelräume waren überall von drei Wänden be- grenzt, nämlich der Hinterwand und den beiden Seitenwänden; vom sind sie offen. Die Dächer sind in kühnen Kurven nach oben strebende Spitzdächer und künstlich aus verzierten Dach- ziegeln zusammengesetzt. Eings um die Wände der Tempel- gallerieen liegen ganze Reihen von widerlichen Götzen, die die fanatischen Zerstörer des Tempels von ihren ehrwürdigen Sitzen herabgerissen und in blinder Wuth zertrümmert haben. Das hat ein gutes Stück Arbeit gekostet, denn die Chinesen ar- beiten Alles stark und dauerhaft. Mit welcher Wollust mag hier der mohammedanische Fanatismus gearbeitet haben! Die — 385 — - Decken der Logen sind zum Theil mit Gewalt herabgerissen und die Fussböden dicht mit Schutt und Götzentrümmem be- deckt, ja die mit Bildern verzierten Wände sind vielfach ab- gekratzt. Zwischen den Götzentrümmern lagen in kleine Stücke zerrissene Papiere, Schriftstücke, Bücher, ja man sah sogar an einigen Stellen, dass man Bücherhaufen durch Feuer zerstört hatte. Es gelang mir, ganze Haufen zerrissener, mit mongo- lischen, kalmückischen und tibetanischen Schriftzeichen bedeckte Blätter herauszuziehen, aber vergebens suchte ich nach irgend- wie unversehrten Büchern. Tschedshui oder Ak Kent, das wir gleich darauf erreichten, ist unbedingt die grösste der vier Solonen-Städte, die wir be- sucht haben. Die Strassen sind hier meist geebnet und mehr oder weniger gerade angelegt. Die Wohnhäuser und die Zäune und Mauern, die die einzelnen Gehöfte einschliessen , befinden sich noch in einem sehr guten Zustande. Eine Lehmmauer be- grenzt jedes Gehöft nach der Strasse zu und in der Mitte der- selben befindet sich ein mächtiger, meist sehr sauber gearbei- teter Thorweg, der durch ein Spitzdach geschützt wird. Neben jedem Thorwege befindet sich in der Mauer zur rechten Seite eine Nische, in welcher früher die Hausgötzen aufgestellt waren. In dem Hofe ist dem Thorwege gegenüber eine fünf Faden lange Mauer aufgeführt, die es unmöglich macht, von der Strasse aus das Treiben auf dem Hofe und das Wohnhaus zu sehen, selbst wenn das Thor weit geöffnet steht. Von dieser Mauer aus führt ein etwas erhöhter Gang in einer geraden Linie bis zum Wohnhause, dieser theilt also den ganzen Hof der Länge nach in zwei gleiche Theile. Dieser Weg ist aus Lehm und Steinen festgestampft und in besseren Häusern mit Ziegelsteinen gepflastert. Die Wohnhäuser sind alle einstöckig und liegen hinten im Hofe, mit der Hauptfront zur Strasse gewendet. Je- des Wohnhaus besteht gewöhnlich aus drei Zimmern, und an dieselben lehnen sich zu beiden Seiten zwei Flügel, rechts die Küche und links das Zimmer des Hausherrn, wo er die ihn besuchenden männlichen Gäste empfangt. An den vorderen Wänden sind viele hohe, breite Fenster mit Papier beklebt und mit vielem Holzschnitzwerk versehen, dieselben können aufge- hoben werden. Bei den Fenstern sind an den Wänden überall hohe Sitzflächen. An der Seite befinden sich die Mühle, Speicher und Ställe. Hinter dem Hause ist der Garten und Brunnen. Radioff, Aus Sibirien. II. 25 — 386 - Besonders schön ist das Haus des Mejen Amban, des Ober- kommandanten der Solonen, es ist wie die übrigen Häuser an- gelegt, nur grösser und mit schönerem Schnitzwerke versehen; ausserdem sind hier grosse Ställe und mächtige Vorrathskam- mern. Einen wahrhaft ergreifenden Eindruck machte der Be- such des Hauses meines Bitä. Er führte uns in sein Gehöft und zeigte uns die Einrichtung desselben. Als wir aber zum Wohnhause traten, da rief das Bild seiner Wohnung in ihm die Scenen der Vergangenheit mit allen ihren Schrecken vor seine Seele. Er blieb plötzlich vor dem Hause stehen, erhob die Hand und wollte den Mund öffnen, es fehlten ihm aber die Worte, ein Strom von Thränen stürzte ihm aus den Augen und er schluchzte wie ein Kind. „Ach, meine Kinder! ach, mein Weib!** rief er aus, ,,ich stehe hier 'allein als ein Bettler! wo sind meine Pferde, mein Habe? Alles, Alles ist verloren!" Dann ver- fiel er in ein stumpfes Brüten und die Kosaken mussten ihn aus dem Hause führen. Einen jammervollen Eindruck macht die wirklich schöne Stadt. Eine Todtenstille herrscht um uns. Wo ist das Leben, das hier herrschte, wo die Heerden, die hier in den Ställen untergebracht wurden, wenn sie von der Weide heimkehrten? Eine Bande von Tarantschi-Räubern, ge- führt von den Kirgisen, die ihr Leben von dem Reichthum der Solonen seit vielen Jahren gefristet hatte, warf sich auf die hier noch friedlich zurückgebliebenen Solonen und verwandelte eine wohlhabende Bevölkerung in wenigen Stunden in einen Haufen nackter Bettler. Die Streifpatrouille setzte ihre Recognoscirung noch einige Werst weiter als bis Tschedshui fort, dann wurde Halt gemacht und eine Stunde ausgeruht. Ohne Aufenthalt ritten wir darauf auf dem Wege, den wir gekommen, zum Borochudsir zurück. (Den 10. Juni.) Ich litt heute an heftigen Augenschmerzen und konnte daher nicht arbeiten. Das Leben auf dem Piquet hier ist für die Offiziere langweilig und beschwerlich. Die Häu- ser sind nicht so angelegt, wie es das Klima verlangt und wie wir es in Tschedshui gesehen. Hier ist die Winterkälte nicht so zu fürchten wie die Hitze des Sommers und daher sind im Sommer die einzige Rettung die hohen chinesischen Fenster und Gallerieen, die einen freien Luftzug gestatten. An Stelle dessen sind die russischen Häuser niedrig und mit kleinen Fenstern — 387 — versehen, die keine frische Luft in's Zimmer lassen. Dabei ist es in den Zimmern so schwül, dass man des Nachts nicht zu schlafen vermag. Ein noch schrecklicheres Leiden bereitet das Ungeziefer, die Flöhe, die uns hier fast zur Verzweiflung brachten. Wenn man überhaupt schlafen w;ill, so muss man vorher eine gehörige Jagd anstellen, denn hebt man die Bett- decke auf, so sieht man ohne Uebertreibung Tausende der un- gebetenen Gäste in die Höhe springen, wie wenn ein Tropfen- sprudel aus einer Fontaine hervorbricht. Es wird deshalb vor dem Schlafengehen das Bett vorsichtig in's Freie getragen und da alle Bewohner herausgejagt. Dann werden zwei bis drei Eimer Wasser auf den Fussboden gegossen und das Bett wird wieder auf die Bettstelle gelegt. Nun erst legt man sich schlafen und zwar in Unterbeinkleidern, die man sehr fest um die Knö- chel bindet. Es ist nur dann möglich einzuschlafen, wenn man so ermüdet zu Bett geht, dass man sich ausserhalb desselben nicht halten kann und sogleich einschläft. Wenn man am Morgen auf- steht und die Unterbeinkleider bei den Knöcheln losbindet, so ist unterhalb der gebundenen Stelle ein etwa 2 Zoll breiter roth- brauner Streifen, der von den Bissen des Ungeziefers herrührt. (Den 11. Juni.) Am heutigen Tage langte eine Gesandt- schaft des Sultans von Kuldsha an, die aus zwei Tarantschi und fünf Kirgisen bestand und einen russischen Deserteur ab- lieferte. Die Tarantschi machten wetler einen kriegerischen, ' noch irgendwie erheblichen Eindruck, obgleich dieselben zwei Offiziere, ein Jus Begi und ein Elli Beschi, waren. Unter den Kirgisen, die auch ziemlich abgerissen aussahen, that sich ein gewisser Bok Basar hervor. Er redete affectirt, die Sprache der Sart nachahmend, was ihm aber nur sehr unvollkommen gelang, Ueber die Verhältnisse Kuldshas befragt, erzählte er mit grossem Bombast von den riesigen Heerhaufen der Tarantschi. Adam Sart, der Sultan des Kirgisenstammes Suan, der zufällig zu- gegen war, bat die Tarantschi, ihm seinen gefangenen Neffen herauszugeben. Wie ich von Adam Sart höre, sind zwei Kir- gisengeschlechter zu den Tarantschi übergegangen, ein Ge- schlecht der Suan unter Bek Sultan und ein Geschlecht der Ab- dan unter Dsheten. Diese hätten früher in den nördlichen Ge- birgen ihre Wohnsitze gehabt und viele ihrer armen Leute bei 25* — 388 — » •den Solonen das Vieh gehütet. Als nun die Chinesen im IK- Thale fast vernichtet gewesen, hätten die Kirgisen alle Heer- den der Solonen geraubt, und da sie gefürchtet, dass die Russen sie zwingen würden, das Vieh zurückzugeben, so wären sie zu den Tarantschi und Dungenen übergetreten und hätten die Tarantschi dazu aufgereizt, die Solonen zu überfallen. Jetzt hätten sich die Kirgisen aus Furcht vor den Russen unter der Führung von Dsheten mit allen zusammengeraubten Heer- den nach Osten gezogen und wohnten am Kök Chan, östlich vom Kasch. Ausserdem hätten sich Geschlechter der Kysai aus der Tarbagatai in das Üi-Thal geflüchtet und wohnten in den •Gebirgen nördlich vom Tekes. Damit Russland nun nicht über den Abfall der Kirgisen den Tarantschi zürne, liefere man die- jenigen Kirgisen den Russen aus, die sich dem Tarantschi-Sul- tane widersetzen, so jetzt Bekei, einen berühmten Dieb, der Unruhen im Ili-Thale angestiftet. Am Abend liess ich Bok Basar zu mir kommen, während in meiner Wohnung recht viele Schibä anwesend waren. Diese erklärten, Bok Basar hätte bei ihnen gedient und ihre Heerden gestohlen. Er leugnete zuerst, die Schibä-Sprache zu verstehen, verrieth sich aber doch zuletzt. Er wurde unruhig und bat, ihn zu entlassen. Das die Schibä genau seinen früheren Wohnsitz und sein Geschlecht' bezeich- neten und Adam Sart die Angaben bestätigte, so verfügte der Kommandant des Detachements, Bok Basar einstweilen festzu- halten. (Den 12. Juni.) Die Tarantschi wurden abgefertigt, alle Kirgisen aber festgehalten. Bok Basar ändert jetzt sein Wesen vollkommen, er spricht wieder kirgisisch, erzählt, man zwinge ihn, in China zu bleiben, indem man seine Frau und Kinder als Geiseln festhalte. Er wolle jetzt die Kuldshaer Verhält- nisse der Wahrheit gemäss erzählen, wenn man ihn nicht weiter verfolge. Seine heutige Rede klingt ganz anders als die gestrige, und man sieht aus Allem, dass er in alle Verhältnisse einge- weiht ist. Der Sultan in Kuldsha gerire sich jetzt als imum- schränkter Herrscher und habe den ihm früher aus den An- führern der Aufständischen beigegebenen Rath beseitigt. Er habe jetzt ein neues CoUegium aus acht Tschong Bek (,, grosse Herren'*, Uebersetzung des chinesischen Daloja), alles seine eigenen Anhänger, ernannt. Die frühere Eintheilung der Ta- — 389 — rantschi in Tausende und Hunderte sei geblieben und die Be- amten seien unverändert beibehalten. Der kriegerische Geist der Tarantschi sei aber vollkommen gewichen und viele wollen nicht mehr Kriegsdienste leisten. Es seien diese Dienste eben für die, die nicht daran gewöhnt, sehr drückend. Der Sultan habe nämlich aus jedem Tausend ein Banner gebildet und bei ihnen ganz in der Art der Mandschu den Militärdienst einge- richtet. Die ackerbautreibende Bevölkerung bestehe jetzt in Kuldsha aus einigen Tausend Chambing, bei denen das Opium- rauchen ganz überhand genommen, femer ein paar Tausend Dungenen und einigen Chinesen bei Süding und den acht Bannern der Schibä; auch gäbe es noch einige nur Ackerbau treibende Tarantschi, die Zahl derselben sei ihm aber nicht bekannt. Das ein- zige Volk, das sich durch seinen Wohlstand bis jetzt auszeichne, seien die Schibä, diese hätten in den letzten Jahren vortreff- liche Ernten gehabt, und da jetzt so viele Aecker mehr zu ihrer Verfügung seien, so wäre ihr Reichthum von Jahr zu Jahr ge- wachsen. Da alle fremden Elemente, die Chambing, Chinesen, Dungenen und die wenigen Kalmücken sehr streng bewacht wer- den müssten, so sei der Militärdienst der Tarantschi sehr drückend und viele von ihnen behaupteten, es früher bei den Chinesen besser gehabt zu haben und entfliehen nach Süden. Panische Furcht herrschte vor den Russen, fast wöchentHch kämen Nach- richten, dass die Russen anrücken und dann mache sich Alles in Kuldsha zur Flucht bereit. Vor Allem fürchteten sich aber die Kirgisen. Der Sultan bemühe sich, mit den Russen ein gutes Verhältniss anzubahnen, darum habe er beschlossen, alle Üeberläufer auszuliefern, und die Kirgisen fürchten, er werde auch sie opfern. Im NothfaUe kann der Sultan nach Bok Basar 's Ansicht 15 — 20 000 Mann stellen, dabei müsse er aber Kalmücken, Chambing und Dungenen in die Armee einreihen, so dass ge- wiss die Hälfte seiner Armee aus ganz unzuverlässigen Soldaten bestehen werde. Man habe sich zuerst vorgenommen, ein voll- kommen mohammedanisches Reich zu gründen und alle Unter- thanen zum Islam zu bekehren, sei aber dabei auf so heftigen Widerstand bei den Schibä gestossen, dass man den Plan auf- gegeben habe. Dann habe die Regierung die echt mohamme- danischen Sitten wenigstens bei den Tarantschi und Dungenen wiederherstellen wollen, doch auch das sei nicht gelungen. Die Tarantschi selbst hätten schon zu lange mit den Chinesen zu- — 390 — sammen gelebt. Das Opiumrauchen sei jetzt selbst bei den Ta- rantschi sehr verbreitet, der Sultan habe dies zwar verboten, da,s habe aber Nichts genützt, denn die Beamten rauchten selbst und nähmen jetzt noch ebenso Geschenke wie früher, als sie von den Chinesen eingesetzt waren. Dann habe der Sultan das Branntweintrinken verboten, damit sei es aber noch sclilechter gegangen wie mit dem Verbote des Opiumrauchens. In Kuldsha selbst gäbe es Hunderte von chinesischen Buhlerinnen, von den Tarantschi-Beamten selbst unterhalten. Zwischen den Tarantschi und Kirgisen seien Zwistigkeiten ausgebrochen und Eifersucht herrsche aller Orten. Bok Basar meint, es wäre ihm ganz lieb, dass man ihn hier aufgehalten, denn bald würde das Kuldsha- reich zusammenbrechen. Da er sich jetzt freiwillig in Kussland stellen würde, so hoffe er, seine Strafe werde nicht gross sein. Heute ist Bitä's älterer Bruder Otschartai hier angelangt. Bitä stellt ihn mir vor. Er ist sehr gut gekleidet und scheint ein sehr verständiger Mann zu sein. Er wünscht über Alles, dass die Russen das Hi-Thal besetzen möchten. Dabei rühmt er den Eeichthum des Landes, Eussland würde viel mehr aus demselben ziehen als die Chinesen. Ich glaube das nicht und denke, dass Russland genug fruchtbaren Landes ausser dem Hi-Thale hat. Auch werden die chinesischen Ansiedler, wie So- Ionen, Schibä u. s. w., keine guten Unterthanen Russlands, sie sind zu sehr an chinesische Verhältnisse gewöhnt und werden, sobald sich ihre pecuniären Verhältnisse gebessert haben, wie- der nach China zurückwandern. Der Russe versteht ausserdem nicht, sich in südliche Verhältnisse zu fügen. Das kann man deutlich in Wernoje sehen, wo die Kosaken durchaus den Acker- l)au in derselben Weise betreiben, ihre Häuser in derselben Weise bauen, wie sie dies den nördlichen Verhältnissen gemäss in Sibirien gethan haben. Während der Chinese Wald anpflanzt, wo früher Steppe gewesen, vernichtet der Russe den vorhan- denen Wald. Beide haben eben eine verschiedene Vergangen- heit gehabt und ihre Cultur hat sich unter verschiedenen kli- matischen Verhältnissen entwickelt. (Den 13. Juni.) Heute morgen besuchte ich den Ugeri-da; er hat grosses Unglück gehabt, sein Sohn, der von Kopal hier- her zurückgekehrt, wurde bei den Quellen des Borochudsir von den Kirgisen beraubt. Er behauptet, es seien die Kirgisen des — 391 — Dsheten gewesen. Der Ugeri-da war sehr traufig; ich fand ihn beschäftigt, das mir versprochene Memoire zusammenzustellen. Darauf ass ich bei Otschartai zu Mittag und besuchte nach dem Essen den Ilchi-da, den Gehülfen des Ugeri-da, der bei mir ge- wesen war/ Er ist ein schlichter Mensch, der mich ohne jegliche Umstände empfing, er hatte nicht einmal seine Beamtenmütze aufgesetzt. Er erzählte mir, da^s der Ugeri-da abgesetzt sei ; sein Gegner sei der jetzige Mejen Amban der Schibä, Chukibu. Derselbe habe dem Ugeri-da befohlen, mit allen Solonen das Ili-Thal zu verlassen; der Ugeri-da aber habe geglaubt, man müsse noch ausharren, da habe Chukibu ihn abgesetzt. Der- selbe habe nämlich der Regierung vorgeschlagen, sogleich eine neue Stadt, Neu-Tschugutschak, zu gründen und dorthin alle Solonen überzusiedeln. Ein Theil der Solonen aber, die sich hier unter dem Schutze der Russen in der Nähe ihrer Besitzungen sicher fühlten, seien bei dem Ugeri-da verblieben. Jetzt beab- sichtigen die hiesigen Schibä, eine Bittschrift an den Kaiser von China zu senden. Beim Ilchi-da kaufte ich ein vollständiges Exem- plar des Buleka Bitche (vollständiges Mandschu -Wörterbuch); die übrige Zeit verbrachte ich bei den Kurganen. (Den 14. Juni) war ich mit der Oeffnung des grösseren Kurgans beschäftigt. (Den 15. Juni.) Am heutigen Tage war ich dul'ch eine Karte zum Ugeri-da eingeladen; als ich bei ihm eintraf, wurde mir ein sehr officieller Empfang der Ugeri-da kam mir in voller Amtstracht entgegen und begleitete mich von der Gartenthür bis zum Hause, wo uns eine ganze Anzahl der älteren und an- geseheneren Schibä erwartete. Der Dchi-da, der, wie es mir scheint, auf die Ugeri-da -Würde speculirt, war nicht erschienen. Alle begrüssten mich sehr ehrerbietig, sie waren in zwei Reihen bei der Thüre aufgestellt; darauf traten wir mit dem Ugeri-da allein in das Haus, die übrigen Leute nahmen vor der Thür im Garten Platz. Das Essen war ganz nach Art des Mahles bei Otschartai zugerichtet, nur etwas einfacher; dabei hatte erjdrei Mann Bedienung. Man sah, der Ugeri-da wollte mich heute durch einen officiellen Empfang ehren, er entschuldigte flie Einfachheit des Mahles durch die unglücklichen Umstände. — 392 — Nach dem» Essen überreichte mir der Ugeri-da das ver- sprochene Heft und bat, dasselbe zu seinem Andenken zu be- halten. Wir hatten ein sehr interessantes Gespräch über die Verhältnisse der Mandschu. Dieselben hätten gleich Anfangs den Kopf verloren, sich mit ihren Vorräthen in der Festung Kuldsha eingeschlossen und durch Boten die Soldaten mehrerer anderer Völker zum Kampfe gerufen. Er nannte die Mandschu spöttisch stets „aischin Mandshu" (goldene Mandschu), da die Mandschu -Dynastie sich die goldene nennt. Der frühere Man- dschu Dsan-dsün sei von russischer Herkunft gewesen (d. h. ein Nachkomme der im XVII. Jahrhundert in Peking zuzückgeblie- benen Kosaken). Am meisten habe das Opiumrauchen die Mandschu geschwächt, dieses Laster sei bei denselben noch mehr verbreitet als bei den Chinesen, da Letztere durch ihre Ge- schäfte doch meist gezwungen seien, eine lange Zeit ausser dem Hause zuzubringen, die Mandschu aber ihr ganzes Leben lang" faul auf der Bärenhaut lägen. Die Mandschu beständen aus drei- zehn Geschlechtern, von denen er mir acht : Najan, Kujata, Tol- tscha, Schibä, As'cha, Chada, Jigä, Sakjaljan, namhaft machte. Das Geschlecht Schibä sei zur Zeit der Uebersiedelung der Mandschu nach China bei Mugden verblieben und von dort seien die hiesigen Schibä hierher nach dem Ili übergeführt worden. Bei Mugden sollen noch ausser den Schibä fünf Mongolen-Ge- schlechter leben: Kurschin, Kartschin, Udschumtschin, Dürböt und Ongnijät. / lieber die Verbreitung des Buddhismus unter den Schibä wurde mir Folgendes mitgetheilt; in den acht Städten der Schibä sei nur ein einziger Buddhatempel gewesen, dies sei der Tem- pel, den ich bei Tschedshui gesehen hatte. Bei diesem Tempel seien fünf Priester angestellt gewesen und zwar ein Da Lama, ein Keskui, eine Demtschi, ein Arga Keskui und ein Arga Dem- tschi; diese Lama hätten von der Krone Gehalt erhalten und zwar am ersten, vierten, siebenten und zehnten Monate, der Da Lama jedesmal 22 Rubel, der Keskui und Demtschi 16 Ru- bel, der Arga Keskui und Arga Demtschi 7 Rubel. Bei diesen Lamas seien 8 — 15 Schüler, Kinder von 10 — 15 Jahren, der Schibä unterrichtet worden, auch diese hätten von der Krone vierteljährhch 5 Rubel erhalten. Die Lama seien vom Dsan- dsün nach Vorstellung des Da Lama eingesetzt worden, und der älteste von ihnen sei nach dem Ableben des Da Lama stet^ — 393 — in die Stelle des Da Lama eingerückt. Ausser dem Gehalte hätten die Lama sehr reiche Einnahmen gehabt, da man sie bei Beerdigungen, Krankheiten und frohen Begebenheiten habe rufen lassen, damit sie durch ihre Gebete den Segen sprächen und bei jeder solchen Gelegenheit seien sie gut bezahlt wor- den. So hätten die Lama viele Hunderte Jang (Unzen Silber) im Jahre eingenommen. Die Ceremonieen in den Tempeln seien vollkommen dieselben gewesen wie bei den Mongolen und sogar ausschliesslich in mongolischer und tibetanischer Sprache ab- gehalten. Der Ugeri-da meint, er verstände nicht viel vom Bud- dhismus, dessen Einführung und Ausübung auf Befehl der Re- gierung geschehen sei. Die Aussprüche der erhabenen alten Bücher (der vier King) seien wichtiger und segensreicher als all das leere Formelwesen. Es scheint, als ob bei den Schibä sich noch Spuren des alten Schamanismus erhalten hätten. Jeden- falls wollen die Schibä durchaus keine Lama werden; die für den Tempel nöthigen Kinder* sind trotz des Gehaltes schwer zusammenzubringen und es habe Mühe gemacht, aus den acht Städten fünf Lama zu gewinnen, so dass öfter schon ein mon- golischer Lama hätte eingesetzt werden müssen. Die Lama der Solonen und Schibä ständen in gar keiner Beziehung zu dem obersten Buddha -Priester des Ili- Thaies, dem Chamba-Lama, der auf sechs Jahre aus dem inneren China nach dem Ili-Thale gekommen sei und theils am Tekes, theils am Ili gewohnt habe. Im Range sei dieser Chamba Lama äusserlich dem Dsan- dsün gleich geachtet worden, obgleich er keinen politischen Ein- fluss gehabt habe. Am 28. Tage des Dschorgan Bja habe in jedem Jahre der Dsan-dsün im Tempel des Chamba Lama er- scheinen und ein öffentliches Gebet halten müssen. Bei den Schibä jenseits des Flusses seien auch fünf Lama gewesen, nur seien dort vier männliche Lama und ein Tschif- chandshi Mama (ein weiblicher Lama) gewesen. Soweit mein Tagebuch vom Jahre 1869. Bei meiner Rückkehr nach Wemoje hatte ich Gelegenheit, in die officiellen Acten, die den Aufstand im Ili-Thale betrafen, Einsicht zu er- halten. Die Auszüge, die ich mir damals fertigte, und das Me- moire des Ugeri-da Detschin gaben mir die Möglichkeit, ein klares Bild von dem Aufstande im Ili-Thale zu gewinnen. Möge — 394 — es mir gelingen, in Folgendem den Gang des furchtbaren Auf- standes zu schildern, wie Hass und Fanatismus hundertjährige Kulturbestrebungen vernichteten und ohne Zweck Tausende von Menschenleben hinwegrafften. Was ich im Jahre 1862 niederschrieb: ,,Wehe den Man- dschu, wenn der Hass gegen sie einmal stärker wird als der der Stämme untereinander; wenn sich nur zw«i dieser Stämme verbinden, so ist die Macht der Mandschu für immer vernichtet!" sollte viel eher in Erfüllung gehen, als ich geahnt hatte. Schon im Jahre 1862 brach der Aufstand der mohamme- danischen Chinesen in der Provinz Schansi aus und verbreitete sich bald über die Provinzen Kansu, Li-Tschuan und Jün-nan. Obgleich der Aufstand von der Regierung nicht vollständig unterdrückt werden konnte, so wurden die Insurgenten doch aus Kansu verdrängt, fanden aber in Urumtschi, das zum grössten Theile von Dungenen bewohnt 'war, eine bereitwillige Unter- stützung. Als es den Insurgenten gelungen war, die Stadt Urumtschi einzunehmen, bildete sich hier der Hauptsitz eines Dungenenreiches. Die Nachrichten von den Fortschritten der Insurgenten im Osten kamen schon 1862 nach Kuldsha. Solche Nachrichten stachelten natürlich den so lange unterdrückten Hass der Dun- genen an, und so sehen wir, dass in Sau-dan-cho-si am Neu- jahrstage 1863 eine grosse Menge Dungenen von verschiedenen Orten sich versammeln, um über eine Erhebung Beschlüsse zu fassen. Den fanatischen Reden zweier Priester, Lio Achun und Fai-dan-ma-1 , gelingt es jedoch nicht, die Massen zur That zu erregen, und die Versammlung geht friedlich auseinander. Erst nach einigen Tagen vermögen die Rädelsführer einige Hundert Menschen zusammenzubringen und mit diesen wagen sie einen Angriff auf die kleine Stadt Tardshi. Da aber die dort sta- tionirten Mandschu auf den Angriff vorbereitet waren, misslang der Angriff. Die Angreifer wurden verjagt, etwa fünfzig Mann und unter ihnen die Rädelsführer Fai-dan-ma-1 und Lio Achun gefangen genommen, die Letzteren in Kuldsha enthauptet und ihre Köpfe als Warnungszeichen auf Stangen bei Tardshi gesteckt. Diese energische Maassregel erwies sich insofern als wirk- sam, dass erst im dritten Monat des Jahres 1864 wieder offene Unruhen in der Stadt Korgos ausbrachen. Diese wurden zwar — 895 — wiederum unterdrückt, wiederholten sich aber sehr bald, als im fünften Monat die Nachricht von der Erhebung" in Kutscha und im sechsten Monat vom Falle von Urumtschi hier eintraf. Während dieser Unruhen wurden Hunderte von Dungenen ge- fangen und die meisten derselben hingerichtet und ihre Köpfe auf allen Wegen des Ili-Thales ausgesteckt. Da zu dieser Zeit die Insurgenten-Schaareri von Urumtschi aus weiter nach Westen bis nach Karkara-ussu vorgedrungen waren, so wurde vom Hi aus ein Heer gegen diese vorge- schoben, dem es gelang, den Feind zum Eückzuge zu zwingen. Trotz dieser Triumphe war die Lage der Regierung im Ili-Thale schon damals eine sehr ernste. Der Aufstand in Urumtschi hatte die nähere Verbindung mit Peking abgeschnitten und durch Abbruch der Brücken und Besetzung der Bergpässe des Thianschan verhinderten die aufständischen Sarte die Man- dschu, mit ihren Truppen dem Sechs-Städte-Gebiete zu Hülfe zu eilen. Die Aufregung unter den Dungenen im Ili-Thale wuchs von Tag zu Tag, und wenn auch bis zur Mitte des Jahres 1864 keine bedeutenderen Kämpfe vorkamen, so gab es doch aller Orten Unruhen und herrschte in allen Schichten der Be- völkerung eine solche Erregtheit, dass die commerciellen Ver- hältnisse des Landes schon 1863 so zerrüttet waren, dass der den Consul vertretende Secretär mit den Kosaken die Factorei bei Kuldsha verliess und der grösste Theil der russischen Kauf- leute ihm folgte. Während bis jetzt die Unruhen meistens in den kleineren Städten stattgefunden hatten, entstanden im achten Monat 1864 schon Zusammenläufe in der Hauptstadt der Provinz, dem chi- nesischen Kuldsha. Da die Consularbeamten die russische Fac- torei verlassen hatten, so hatte die chinesische Regierung zwei Offiziere und vier Soldaten in derselben zur Besatzung statio- nirt, bei denen sich ein aus Versehen in der Factorei zurück- gebliebener Kosak Bogdaschin befand. Als die Kämpfe im September sich bis in die Umgegend der Factorei zogen, flohen die chinesischen Wächter und Bogdaschin zu den Taschken- dern, die sich mit ihnen nach der Vertreibung der Dungenen in der Factorei niederliessen. Erst jetzt begann der Dsan-dsün ernstere Vorbereitungen zum Schutze Kuldshas zu veranlassen, indem er daselbst eine grössere TruppQnmacht ansammelte, das — 396 — Heer der daurischen Militär-Colonisten aufbot und allen Kauf- leuten eine ausserordentliche Steuer auferlegte. Bei dieser Ge- legenheit wurden auch von den in der russischen Factorei woh- nenden Taschkendern 300 Pferde gefordert. In Folge dieser Zwangssteuer verliessen die Taschkender Kaufleute die Factorei und flohen über die Grenze, mit ihnen der letzte russische Kosak Bogdaschin. Während des ganzen neunten Monats fanden täglich Schar- mützel mit kleinen Dungenenbanden statt, die sich in grosser Zahl in der Umgegend von Kuldsha herumtrieben. Da sich aber jetzt grössere Truppen bei Kuldsha zusammenzogen, so herrschte zu Anfang des zehnten Monats fast allgemeine Ruhe. Als am zwölften Tage des zehnten Monats die erste Heer- abtheilung der Solonen in einer Stärke von 600 Mann in Kul- dsha eintraf, war das Regierungsheer schon über 8000 Mann stark und hatte bei der Festung ein Lager aufgeschlagen. Die Mandschu waren im Hinblick auf diese Truppenmasse von ihrem Erfolge überzeugt und meinten, da in der letzten Zeit bei Kul- dsha Alles ruhig geblieben war, dass der Dungenen- Aufstand unterdrückt sei. Da traf am 13. October plötzlich die Schreckens- botschaft ein, dass die Dungenen sich nach dem tartarischen Kul- dsha gewendet, mit den Bewohnern der Tatarenstadt verbun- den und die von den Chinesen eingesetzten Beamten vertrieben hätten. Die Absendung des Mejen Amban Siratu, des Befehls- habers der Tschagor-Kalmücken, blieb ohne Erfolg. Von der Einnahme des tatarischen Kuldsha an ist eigent- lich der Beginn eines offenen Kampfes der Aufständischen und Regierungstruppen zu rechnen, durch die Besetzung der Stadt hatten die Mohammedaner einen Mittelpunkt für ihre Unterneh- mungen gewonnen, und ausserdem war durch diese Einnahme ein festes Bündniss zwischen den Tataren und den Dungenen angebahnt. Es wäre nun die Pflicht der Mandschu gewesen, dieses Bündniss zu stören, indem sie ohne Verzug mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Heereskräften gegen das tata- rische Kuldsha vorrückten. Ihr Heer war stark genug, die Dun- genen im offenen Felde zu schlagen, denn es standen ihnen über 8000 Mann Feldtruppen zu Gebote, die durch die Gar- nison von Bajandai noch bedeutend verstärkt werden konnte ; nach Besiegung der Dungenen wäre es ihnen ein Leichtes ge- wesen, das tatarische Kuldsha dem Boden gleich zu machen — 397 — und so der mohammedanischen Bewegung die Operationsbasis zu entziehen. Nichts dergleichen geschah, sondern der Dsan-dsün blieb in voller Unthätigkeit vor Kuldsha liegen. Die Dungenen handelten viel energischer, sie verstärkten ihr Heer durch die Tataren und zogen schon am 15. Tage in bedeutenden Haufen gegen die Festungen des chinesischen Gebietes vor. „Als wir am Morgen des 15. Tages erwachten", erzählte mir einer der solonischen Soldaten, „umschwärmten die Dun- genenhaufen unser Lager wie dichte Schwärme von Raben; etwa 600 solonische Reiter und 2300 Fusssoldaten der Tschämpän und Chambing rückten gegen sie aus. Der Kampf währte nicht lange und bald hatten wir die Feinde in die Flucht geschlagen, nachdem sie ca. 50 Todte verloren hatten. Der Dsan-dsün hatte dem Kampfe von der Festungsmauer aus zugeschaut und war über den Erfolg des Kampfes so erfreut, dass er uns alle in die Festung rufen liess, mit Silber belohnte und für alle Solo- nen ein Gastmahl herrichten liess. So lebten wir vier bis fünf Tage in Freuden, — besser wäre es gewesen, wir hätten den geflohenen Feind verfolgt. ^^ Am 22. und 23. Tage kamen die Dungenen in noch grösse- ren Haufen nach Kuldsha gezogen; an diesen beiden Tagen wurden hauptsächlich Tschämpän gegen sie ausgesendet, die, ob- gleich es ihnen gelang den Feind zurückzuschlagen, doch 29 Sol- daten und einen Mejen Amban an Gefangenen verloren. Die Aufrührer Hessen 300 Todte auf dem Kampfplatze zurück. Drei- zehn gefangene Dungenen wurden am selbigen Tage hinge- richtet. Am 24. October kamen die Dungenen in noch grösseren Massen herbeigezogen, der Kampf war an diesem Tage viel er- bitterter als früher, und die Feinde wurden erst zerstreut und in die Flucht geschlagen, als aus den grossen Kanonen und Wallbüchsen auf sie gefeuert wurde. Die Solonen und Scliibä begannen darauf eine ernstliche Verfolgung, bei welcher der solonische Ugeri-da und einige Mandschuren, die sich zu weit vorgewagt hatten, gefangen wurden, ia Folge dessen befahl der Dsan-dsün, der nur mit Zittern und Zagen sich die Truppen von der Festung entfernen sah, die Verfolgung abzubrechen und ins Lager zurückzukehren. Die Dungenen hatten an diesem Tage sehr viele Todte, so dass sie sich bis hinter Bajandai zu- rückzogen. Der Dsan-dsün, über diesen Erfolg erfreut, belobte — 398 — die Tmippen und Hess Silber und Esswaaren unter sie vertheilen. Zehn Tage dauerten die Festlichkeiten und während dieser Zeit kümmerte sich Niemand um den Feind. Da der letztere sich nicht wieder vor Kuldsha zeigte, so beschloss endlich der Dsan-dsün, einen Angriff auf die Dungenen zu wagen. Zu diesem Zwecke Hess er am 4. Tage des elften Monats allen Heeresabtheilungen den Befehl zukommen, sich für den nächsten Morgen zum Kampfe bereit zu halten. Wohl 10000 Mann von den Truppen aller Stämme ver- liessen das Lager; vor der Stadt besichtigte der Dsan-dsün die Tuppen, blieb aber selbst in Kuldsha zurück. Die Dungenen hatten sich im Orte Da-di-we-pu verschanzt und erwarteten hier den Angriff der Truppen. Der Ort war sehr günstig gewählt, da hier des coupirten Terrains halber die Reiterei nicht wirken konnte, so dass die Fusstruppen der Chambing allein vorgeschickt werden mussten. Diese wurden aber zurückgeschlagen und ver- loren bei dieser Affaire 300 Todte und Gefangene, und da ihr Führer, der Mejen Amban, selbst in die Hände der Insurgenten gefallen war, so geriethen die Truppen in Unordnung und flohen. Die regellose Flucht der Chambing brachte auch das übrige Heer in Unordnung, und die ganze Heeresmasse zog sich schleunigst nach Kuldsha zurück. Dieser Rückzug war nur durch die Kopf- losigkeit der Mandschuführer veranlasst, diese glaubten, dass die Dungenen eher in Kuldsha einrücken würden, als sie selbst dorthin kämen. Die Dungenen müssen aber auch bedeutende Verluste erlitten haben, denn sie wagten nicht, die Regierungs- truppen zu verfolgen, sondern verhielten sich während einiger Wochen ruhig. Am 26. Tage traf ein Befehl aus Peking ein, welcher den bisherigen Dsan-dsün Tschan absetzte und an sejner Stelle den Chebei Amban von Tarbagatai, Ming, zum Dsan-dsün er- nannte. In der That hatte sich der Dsan-dsün Tschan so feige und kopflos benommen, dass diese Maassregel der Regierung vollständig richtig war. Der neue Dsan-dsün war jedoch nicht besser als der frühere. Die Truppen waren in den vielen kleinen Festungen zerstreut, und der Feind kümmerte sich um all die kleinen Plätze gar nicht, sondern richtete seine Kräfte ausschliess- lich auf die Hauptstadt, zu deren Vertheidigung die Hauptmacht des Dsan-dsün kaum ausreichte. Unter solchen Umständen waren die Aufrührer stets die Angreifer und die Regierungstruppen — 399 — mussten in der sie aufreibenden Defensive verharren. Nach dem Urtheil Betheiligter hätte die Regierung noch jetzt leicht die Oberhand gewinnen können, wenn der Dsan-dsün die kleinen Festungen geschleift hätte und mit allen verfügbaren Truppen zur Offensive übergegangen wäre; mit der ganzen Macht wäre es ihm ein Leichtes gewesen, bis nach Kuldsha vorzudringen und den Feind zu erreichen. Von dem Allen that der neue Dsan-dsün nichts; er machte schon am folgenden Tage einen Vorstoss, aber wiederum mit viel zu schwachen Kräften. Nur 1500 Chambing und 1000 Solonen und Schibä wurden zu diesem Angriffe beordert, wäh- rend das Gros des Heeres und die ganze Mandschu- Macht in Kuldsha verblieb. Zuerst waren die Regierungstruppen im Vor- theil, sie nahmen den Insurgenten mehrere Wallbüchsen ab und bemächtigten sich eines Theiles der Vorräthe derselben und meh- rerer Hundert Kameele; später wendete sich das Glück, die Fusstruppen wurden umringt und zum grössten Theil vernichtet. Die Schibä und Solonen erlitten keinen grossen Verlust, sie ret- teten sich durch schleunige Flucht. Nach diesem Siege gingen die Aufständischen wiederum zum Angriffe über, sie theilten ihr Heer in zwei Abtheilungen und zogen jetzt gegen beide Mandschu-Festungen^ Kuldsha und Bajandai, die sie beide mit zahlreichen Heerhaufen umzingelten. Die Lage der Regierung hatte sich bedeutend verschlechtert. Die Dungenen und Tataren verkündeten prahlend ihre Siege und gewannen dadurch an Ansehen bei den Kirgisen und Kara- kirgisen, die sich nördlich und südlich vom Ili-Thale aufhielten. Einer der Hauptführer der Mohammedaner, Mulla Mahsamet Chan, forderte durch einen offenen Brief alle Kjrgisen auf, sich an dem heiligen Kampfe zu betheiligen, es gelte, die Ungläu- bigen zu vernichten. Selbst bei den Russland unterworfenen Kirgisen wurde der Brief verbreitet. Die Kirgispn, die jetzt von dem Fortschritte der Mohammedaner Kunde erhielten, hofften hier reiche Beute zu machen, und so strömten zahlreiche Schwärme der rundherum wohnenden Kirgisen vom Issikul und aus dem Gebiete von Kopal herbei und durchschwärmten raubend und stehlend in wilden Haufen das Gebiet der Cliinesen, so dass überall die Wege gefährlich zu passiren waren. Die schwarzen Kirgisen des Stammes Buga aber überfielen die am Tekes woh- nenden Kalmücken und raubten bei ihnen zahlreiche Heerden. — 400 — Wir sehen somit, wie der Kampf allmählich immer mehr zu einem religiösen wird, in welchem sich Heiden und Mohamme- daner gegenüberstehen. Bei Kuldsha (Kürä) fanden jetzt täglich grössere und klei- nere Scharmützel statt, die Dungenen drangen oft dicht bis Kuldsha vor; bei diesen Kämpfen wurde ein Theil der Vorraths- speicher der Chinesen niedergebrannt und die russische Factorei geplündert. Der Dsan-dsün wurde durch diese Vorgänge nicht wenig beunruhigt, dies sieht man daraus, dass er nun eine eifrige Correspondenz mit dem Gouverneur von Semipalatinsk begann und wiederholt die Bitte aussprach, man möge ihm doch russische Hülfstmppen senden. Drei volle Wochen dauerten die Kämpfe bei dem chinesi- schen Kuldsha, ohne dass die zahlreichen, dort versammelten ßegierungstruppen sich zu irgend einem grösseren Kampfe er- mannt hätten. Endlich am neunten Tage des zwölften Monats ward ein grosser Ausfall beschlossen und es gelang den Re- gierungstruppen, die MohammedancT in die Flucht zu schlagen und das ganze Weichbild von Kuldsha von den feindlichen Schaaren zu säubern. ,, Damals", sagte mir der solonische Ugeri-da Detschin, ,,war der günstigste Moment der Eegierung, alle früheren Fehler wieder gut zu machen. Die Insurgenten waren geschlagen und wären bei einer energischen Verfolgung vollständig vernichtet worden, denn ihre Verbündeten, die Kirgisen, waren unzuver- lässige Hülfstruppen , die sich nur so lange zu ihnen gehalten hätten, als die Dungenen und ihre Verbündeten im Vortheile gewesen wären. Sie würden ebenso gern die Dungenen geplün- dert haben wie die Chinesen. Wir baten den Dsan-dsün, er möge uns die Feinde weiter verfolgen lassen, unsere Vorstel- lungen halfen aber nichts, der Dsan-dsün befahl den Rückzug, da er für sich und Kuldsha fürchtete." Die Mandschu sollten nur zu bald die Früchte ihrer feigen Unthätigkeit ernten. Die Dungenen und Tataren wandten sich nun an die tatarischen Ackerbauer, die sich bis dahin neutral gehalten hatten, und baten sie um Hülfe für die heihge Sache des Islams und machten ihnen Versprechungen über Versprech- ungen, dass sie schliessUch einwilligten. Schon nach wenigen Tagen rückten die mit den Tarantschi verbündeten Aufständi- schen gegen Bajandai vor. Die Politik der Mohammedaner — 401 — wtirde jetzt geändert, man schickte gegen Ktddsha nur leichte Streifcorps, die die Aufgabe hatten, die dortigen Regierungs- truppen zu beunruhigen, während man alle Kräfte daran setzte, Bajandai in die Hände zu bekonmien; es gelang auch, diese Festung vom siebenten Tage des ersten Monats (1865) an voll- ständig zu umzingeln und am zwölften zu erstürmen. Die ganze Besatzung, etwa 8000 Mann, mit dem Mejen Aniban wurde niedergemetzelt, die Häuser wurden ausgeraubt, die friedlichen Einwohner mit Weibern und Kindern erdrosselt, nur die jungen Mädchen wurden am Leben gelassen und in die Knechtschaft geschleppt. Von der ganzen Garnison sollen nur zwei Mann ge- schont und mit abgeschnittenen Nasen an den Dsan-dsün als Boten der Niederlage abgeschickt worden sein. Erst nach der Einnahme von Bajandai fingen die Insurgenten an, feste Hoffnungen auf einen für sie glücklichen Ausgang des Kampfes zu fassen. Wie wenig sie vor diesem Ereigniss auf Erfolg rechneten, beweisen uns zwei Gesandtschaften, die wenige Wochen früher von Bajandai aus geschickt wurden, die erste nach Urumtschi, um den Narguntch Achun, den Oberbefehls- haber daselbst, um Hülfe zu bitten. Diese Gesandtschaft be- stand aus vierzig Mann, unter dem Oberbefehl des Chodsham Nijas, des Jüs-Begi, und konnte in Urumtschi nichts ausrichten; darauf begab sie sich nach Kutscha, das damals der Mittelpunkt des Aufstandes im Sechs-Städte-Gebiet war, vermochte aber auch hier keinen Erfolg zu erreichen. Die zweite Gesandtschaft unter Mulla Mohammed Kurban Achun, Chodsham Nijas Achun und Ssadyk Dshakkan begab sich direkt nach Kuldsha zum Rasched- din Chan; als diese dort den Fall Bajandai' s vernommen hatten, kehrten sie in Begleitung zweier Achune aus Kutscha, des Duba Achun und des Seid Achun, zurück. Es scheint, als ob damals zwischen dem, sich nun schon Sultan von Kuldsha nennenden Kasi Nasireddin Achun und dem Eascheddin Chan ein Schutz- und Trutzbündniss gegen die Chinesen geschlossen wurde. Das Heer, über welches der Dsan-dsün in Kuldsha jetzt noch verfügte, bestand aus folgenden Truppen: Solonen 600, Schibä 1200, Mandschu 2000, Chambing 800, Tschagor 1000, Tschäm- pän 6000 und chinesische Miliz 2000 Mann, also 4800 Reiter und 8800 Fusssoldaten. Während sich diese Truppen in der Festung befanden, hatten die Insurgenten sich dicht bei der Stadt Kuldsha festgesetzt und die letztere ganz ausgeplündert. Radioff, Aus Sibirien. II. 26 — 402 — So waren die Regierungstruppen von Norden aus fast ganz von Insurgenten umringt und lieferten mit diesen täglich Scharmützel, die für beide Theile vollkommen ohne Erfolg blieben. Von der Südseite war Kuldsha frei, und so suchte der Dsan-dsün sich von dort aus zu verproviantiren und befahl, starke Getreide- vorräthe von den Schibä und Solonen mit Gewalt zusammen- zubringen. Diese Gewaltmassregel musste natürlich beide Völ- kerschaften aufs Aeusserste erbittern. Die fortwährenden Erfolge der Insurgenten steigerten natür- lich ihr Ansehen bei den Kjrgisen, die an allen Orten durch um- herziehende Mullas zum Religionskampfe aufgefordert wurden. Nicht nur im Ili-Thale, sondern auch auf russischem Gebiete fingen die Kirgisen an, sich zu regen. Der ganze Stamm der Adbaner und ein Theil der Suan (von der grossen Horde) gingen auf chinesisches Gebiet über, ebenso bedeutende Geschlechter der schwarzen Kirgisen; letztere griffen die Kalmücken am Tekes an, die den russischen Posten am Issiköl um Hülfe baten. Zu Anfang des Jahres war auch noch der Aufstand im Tarbagatai ausgebrochen, so dass das Ili-Thal jetzt ganz von dem übrigen Reiche abgeschnitten war. Daher traf am 28. März ein Brief des Dsan-dsün Ming in Semipalatinsk ein, in welchem er, wie schon früher, um Hülfe flehte und ausserdem bat, ein Packet officieller Schriften an das Ministerium in Peking über russisches Gebiet nach Kobdo senden zu dürfen. Während der Monate April und Mai trug sich nichts Er- hebliches bei Kuldsha zu. Die Dungenen machten fast tägliche Angriffe, aber ohne jeglichen Erfolg, zu verschiedenen Malen mussten sie sich sogar mit grossen Verlusten zurückziehen. Da ihre Anstrengungen gegen Kuldsha ohne Erfolg blieben, so verbreiteten sie das Gerücht, dass zu ihrem Heere bald Hülfs- truppen aus Kaschgar stossen würden, und dass sie bis zu deren Ankunft keine ernstlichen Kämpfe unternehmen wollten. Mitte Mai begannen die Insurgenten endlich diejenige Tak- tik, die ihnen allein Erfolg bringen konnte, d. h. sie wendeten sich gegen die Militär-Kolonieen, um die in Kuldsha befindlichen Daurier zum Abfall vom Dsan-dsün zu zwingen. Ein Theil der Insurgenten löste sich daher in einzelne Streifcorps auf, zog Kirgisen an sich und machte die Wege zwischen Kuldsha und dem Solonen - Gebiete unsicher; dabei überfielen sie einzeln stehende Gehöfte, plünderten und mordeten. __ 403 - Auf den Aeckem wurden an verschiedenen Orten Frauen und Kinder mit aufgeschlitzten Leibern gefunden. Endlich zu Anfang des fünften Monats raffte der Dsan-dsün sich zu einem neuen Unternehmen auf und schickte eine bedeu- tende Heeresabtheilung zum Angriffe gegen das Dungenenlager bei Da-di-we-pu aus. Es entspann sich ein sehr heftiger Kampf, bei welchem die Fusstruppen der Regierung gegen 2000 Mann verloren. Die Dungenen verfolgten die fliehenden Feinde bis vor die Thore von Kuldsha, wurden aber mit Hülfe der Wall- büchsen zurückgeschlagen. Am folgenden und dritten Tage er- neuerte sich der Kampf vor Kuldsha, es gelang aber den Re- gierungstruppen, die Insurgenten vom Sary Bulak, wo sie sich schon festgesetzt hatten, zu verdrängen, worauf sich die Letz- teren in ihr früheres Lager zurückzogen. Seit dieser Zeit wurde die Festung Kuldsha weniger beläs- tigt, und nur zweimal im Laufe des Juni und Juli fanden unbe- deutende Angriffe statt, die jedesmal mit Erfolg zurückgeschlagen wurden. Während dieser Zeit schickten die Insurgenten eine Heeresabtheilung nach dem Gebiete der Solonen und griffen die Dörfer Ke und Alimtu an. Viele Solonen wurden daselbst niedergemetzelt, andere flohen nach Korgos. Die Häuser wur- den zum grössten Theil ein Raub der Flammen. Demselben Streifcorps gelang es, einen grossen Transport von Mundvor- räthen von mehreren Hundert Wagen aufzufangen. Ein anderes Streifcorps der Insurgenten zog gegen Süding lind verheerte die Umgegend dieser Stadt. Ein drfttes Streifcorps ging östlich von Kuldsha über den Ili und überfiel den grossen kalmückischen Buddha - Tempel ; es gelang ihm, die Lama zu überrumpeln, von denen mehrere Hundert im blinden Fanatismus unter den schrecklichsten Qualen hingeschlachtet wurden. Die Tempel wurdei/ gänzlich zerstört, die Pagoden zertrümmertmnd die werthvoUen Opfergefässe ge- raubt. Dem Chamba Lama gelang es, in die Schibä-Colonieen zu entkommen und von dort floh er zu den Kalmücken. Ein recht lebendiges Bild der Zustände von Kuldsha im Juli-Monat giebt uns der Bericht des Lieutenants Reinthal, der im Juli 1865 die Stadt Kuldsha im Auftrage der russischen Regierung besuchte. Ich werde daher hier einen Theil dieses Berichtes mittheilen. ,,In diesem Jahre haben die Einwohner nur die ihnen un- 26* — 404 — bedingt nothwendige Menge Getreide gesäet, ausserdem aber wurden noch viele Aecker im Auftrage der Regierung bear- beitet, was in früheren Jahren nie geschehen. Die Ernte ist eine ausgezeichnete, aber unter den jetzigen Verhältnissen ist das £inemten mit den grössten Schwierigkeiten verknüpft, da nach zahlreichen UeberfäUen der Dungenen die Arbeiter jetzt unter dem Schutze von Militärposten ihre Feldarbeit verrichten müssen. ,,An SteUe der Tarantschi beschäftigen sich heuer die Man- dschu-Soldaten mit Feldarbeiten, und es ist durchaus kein Mangel an Arbeitskräften. Militärpiquets auf den Feldern haben wir auf unserem Wege nicht angetroffen, sondern nur 'Arbeiter, die, sobald sie uns gewahr wurden, sich eiligst versteckten. Die Militärposten auf den Feldern stehen nur dicht bei Korgos und Kuldsha. Da sie aber auch dort keinerlei Bewegung unter- nehmen, so finden die Dungenen doch stets Gelegenheit, an vielen Stellen die Ackerbauer zu ermorden und das Getreide zu verbrennen. „Zu der Festung Kuldsha führte man uns durch die Stadt Kuldsha, um uns zu zeigen, wie sehr sie durch die Dungeneii verwüstet ist. Die Strassen, welche wir passirten, befanden sich dicht bei der Festung und waren nach Aussage der Chinesen die allerreichsten durch ihre Läden und Häuser. Jetzt waren es nur Eeihen von Schutthaufen und Ruinen. Der grösste Theil der Stadt ist niedergebrannt, und zwar hat derjenige Theil der Stadt am meisten gelitten, der an die Festung grenzt. ,,Die Festung ist in Form eines Quadrates gebaut, dessen Seiten etwa 700 Faden betragen. Die Mauern sind aus Lehm, gezähnt und mit Schiessscharten versehen. Die Dicke der Mauern beträgt etwa 4 Arschin, die Höhe 11 Arschin. An der Ostseite ist eine ^twa 2^/2 Arschin lange Kanone aufgestellt, deren Kaliber 2^/2 Werschok beträgt. Diese ist nach Nordosten gerichtet. Gefertigt ist diese Kanone aus einer gusseisemen Röhre von ^/^ Zoll Dicke und dann roh mit Kupfer umgössen. Das Innere derselben ist rauh. Aus ihr schiesst man mit schlecht gegossenen eisernen Kugeln. Befestigt ist die Kanone auf einem gewöhnlichen zweiräderigen, chinesischen Wagen. Die Enden der Scheeren des Wagens stossen an den Rand der Plattform, auf der dies Geschütz steht, und sind mit Steinen bedeckt, um dem Stoss beim Schusse zu widerstehen. Ausser dieser grossen I\ /^^. — 405 — Kanone sind noch zwei kleinere, der grossen ähnliche Geschütze von verschiedenem Kaliher vorhanden, und ferner gieht es noch dreissig eiserne Böller, die nicht länger als ^/^ Arschin sind und ein Kaliher von 1 — 2 Zoll hahen. „Ausserdem finden sich noch eine Menge Wallhüchsen, sehr grosse Gewehre, die auf Gaheln gestellt und mit Blei- kugeln geladen werden; an vielen Stellen sind hei den Schiess- scharten Steine aufgehäuft. „Die Chinesen gehen ihr Heer auf 4000 Mann und das der Dungenen auf 14 000 Mann an (die erste ZiflFer ist, wie wir schon wissen, viel zu niedrig gegriffen, es kam ja hier darauf an, das Mitleid des russischen Offiziers zu erregen). Die Reiterei der Chinesen ist mit Bogen und Piken bewaffnet (Gewehre haben sie sehr wenig). Die Fusstruppen aber haben Gewehre, Piken und Säbel ohne Scheiden. Ausserdem kommt auf 100 Mann Reiterei ein Böller, den ein Knabe (seines geringen Ge- wichtes wegen) auf einem Reitpferde mit sich führt. Das Ka- liber dieser Böller ist verschieden, von 1 — 2 ^/g Zoll und ihre Länge ungeföhr ^/g Arschin. Ueberhaupt sind die Schiessge- wehre der Chinesen in einem jämmerlichen Zustande. Ihr Pul- ver ist schwach und zeigt nach dem Verbrennen einen weissen Nachsatz. „Die Leibgarde des Dsan-dsün, die zu unserem Empfange in der Festung in einer Reihe aufgestellt war, hatte durchaus kein kriegerisches Ansehen. Die Soldaten sahen aus wie eine Reihe sorglos lächelnder Knaben, die in ihren Händen Säbel, Piken und Gewehre hielten. Ihre Kleidung war äusserst abge- tragen. Ueberhaupt sind unter den chinesischen Soldaten keine Leute von mittleren Jahren zu sehen, entweder sind es blut- junge Menschen oder ganz alte Leute. Letztere werden haupt- sächlich zum Wachtdienst auf der Mauer verwendet. Die Be- waffnung der Dungenen ist nach Angabe der Chinesen voll- ständig dieselbe, mit Ausnahme der grossen Kanone, mit der sich die Chinesen brüsten. Munition scheint in Kuldsha sehr viel vorhanden zu sein, denn die Chinesen schiessen Tag und Nacht in die Luft, um die Dungenen zu schrecken. ,,Die Preise der Essvorräthe sind jetzt folgende: ein Schwein kostet 10—20 Rubel, ein Ferkel 2—10 Rubel, ein mittelgrosses Schaf 3 — 4 Rubel. Gemüse sind, wie früher, sehr billig, aber das Pud Weizenmehl kostet 2 Rubel und noch mehr. — 406 — Die Preise aller Esswaaren sollen sich seit dem Frühjahre wenig geändert haben. Im Herbste werden die Preise wegen der Schwie- rigkeiten der Ernte gewiss sehr steigen. ,, Schon seit langer Zeit schmeicheln sich die Chinesen mit der HoflPnung auf russische Hülfe; in der letzteren Zeit hoffen sie noch ausserdem auf ein chinesisches Hülfsheer, das über Sibirien aus Peking eintreffen soll. Es ist schwer zu sagen, ob sie selbst wirklich an die Ankunft des Heeres glauben oder es uns nur glauben machen wollen. Sobald man mit ihnen von diesem Heere spricht, fügen sie gleich hinzu, dass ihnen ausser- dem russische Hülfe nöthig sei, wären es auch nur 2000 Mann oder gar noch weniger. Unsere Gegenwart (wir waren nur 15 Mann) verschaffte ihnen schon eine Zeitlang Ruhe, und dies sagten sie uns frei heraus. Während der fünf Tage unseres Aufenthaltes zeigten sich nicht einmal die Dungenen. Die Chi- nesen hatten dies gemerkt und baten uns, noch einige Zeit zu verweilen, da sie, wenn wir hier wären, freier athmeten. Kaum würden wir fort sein, so würden die Dimgenen sie sogleich be- drängen. Sie bitten dringend, ihnen den Consul zu schicken und den Handel von Neuem zu eröffnen; sie fügen aber alle- mal hinzu, dass die Kaufleute von Soldaten begleitet sein müssten. Daraus kann man deutlich ersehen, dass sie nicht so sehr den Consul und die Kaufleute wünschen, als die dieselben begleitenden Soldaten. Sie baten mich, die Gebäude zu be- sichtigen, die für den Consul und die Factorei bestimmt seien, und dabei zeigten sie mir ein grosses Gebäude , das als Ka- serne und Stallung für die Soldaten- Abtheilung dienen könne. ,,Es ist schwer zu entscheiden, auf welcher Seite der strei- tenden Parteien das moralische Uebergewicht hegt, da die Hand- lungsweise beider ins Ungewisse verschwimmt. Es scheint, als ob die Chinesen die Dungenen ebenso fürchten, als die Dun- genen die Chinesen. Wenn die Chinesen auch zugeben, dass die Pferde der Feinde in besserem Zustande seien als ihre eigenen, so sind sie doch überzeugt, dass die Dungenen ihre grosse Kanone fürchten, denn sobald der erste Schuss aus ihr ertönte, ergriffen die Dungenen jedesmal die Flucht. Im äusser- sten Falle wollen die Chinesen sich an drei Punkten, in Turgen, Korgos und Kuldsha festsetzen. „Die beiden Städte Bajandai und Tshindinse (gewiss Tshing- di-cho-si), die ungefähr 40 (?) Werst von Kuldsha entfernt sind, — 407 — bilden den Hauptaufenthalt der Dungenen und ihrer Familien; Führer derselben sind drei Personen: Tschansak, Malo und Mawalki(?). Der Erstere soll sich durch seinen Reichthum und seine Grausamkeit auszeichnen, von den Uebrigen wusste man nichts zu sagen. ,,Die Kampfweise der Dungenen lässt sich mit keiner Gat- tung von Kriegführung vergleichen; sie ist etwas ganz Originelles, eine Art von Baramta (Kriegszüge der Klirgisen), nur mit dem Unterschiede, dass die Dungenen regelmässig mit Sonnenunter- gang den Kampf abbrechen, sich zurückziehen und während der Nacht die Chinesen nicht belästigen. Die Ueberfalle und das Anzünden des Getreides auf dem Felde hatten die Chinesen so eingeschüchtert, dass sie sich fürchteten, nach Gras zu reiten. Während unseres Aufenthaltes wurde uns sehr wenig Gras für die Pferde geliefert, da die Chinesen sich fürchteten, ins Feld zu fahren, trotz des strengen Befehles des Galdai. „Der Handel in Kuldsha hat jetzt fast ganz aufgehört, alle Läden sind leer, mit Ausnahme der Apotheken und Kleiderbttden. Thee ist gar nicht zu sehen; ein 5 Pfund schweres Stück Zie- gelthee kostet 10 Rubel. Als ich mit dem Galdai über den Theemangel sprach, erzählte er mir, sie hätten grosse Vorräthe, die er mir zeigen wolle, aber trotz meiner wiederholten Erinne- rung führte er dieses Anerbieten nicht aus." Soweit der Bericht des Lieutenants Reinthal. Die Kal- mücken vom Tekes hatten bis zu dieser Zeit den Mandschu die geforderte Hülfe verweigert, da sie erzürnt waren, dass jene ihnen früher keine Hülfe gesendet, als sie von den schwarzen Kirgirsen, den Geschlechtern Bugu und Sary Bagysch, so heftig beunruhigt worden waren. Jetzt wurden sie, wie es scheint, diu'ch den geflohenen Chamba Lama und die Erzählungen von der Vernichtung des Tempels und der Pagoden aus ihrer Gleich- gültigkeit aufgestachelt. Zwei Monate nach der Zerstörung des grossen Tempels am Hi erschienen sie in riesigen Schaaren, es heisst ca. 20000 Mann stark, im Di-Thale. Am linken Ufer des Hi stiessen sie mit den Heerhaufen der Tarantschi und der Dungenen zusammen; es gab eine sehr blutige Schlacht und die Insurgenten wurden vöDig geschlagen. In wilder Flucht wandten sie sich nach dexn Hi und suchten sich mittelst der Fähren zu ret- ten; bei dem Flussübergange soll der grösste Theil der Fliehen- den ertrunken sein. Die Kalmücken setzten nun über den Ili und — 408 — vermehrten das Heer des Dsan-dsün so bedeutend, dass die In- surgenten sich nicht nach Kuldsha wagten. Der Dsan-dsün, der sich unter dem Schutze des grossen Heeres für sicher hielt, hielt es für das Nöthigste, die Festung schnell zu verprovian- tiren. Das Getreide stand auf den Feldern in voller Reife und war nur aus Furcht vor den Insurgenten nicht eingeerntet wor- den. Da jetzt so viele Wai-gu-shin (d. h. äussere Leute) hier waren, wie die Mandschu die Kalmücken verächtlich nennen, so hatten natürlich die Mandschu keine Lust mehr, dies ihnen ehrenrührig erscheinende Geschäft auszuführen und der Dsan- dsün beorderte die Kalmücken, das Getreide zu schneiden und einzuführen. Dazu zeigten die Kalmücken, die viel weniger Ackerbau treiben als die Kirgisen, gar keine Lust; sie wei- gerten sich, den Befehl zu erfüllen, und als der Dsan-dsün drohte, so setzten sie ohne Verzug über den Fluss und kehrten nach Hause zurück. Nach Abzug der Kalmücken zeigten sich auch die Insur- genten vor Kuldsha wieder und machten das Einbringen der Ernte zur Unmöglichkeit. Ein Theil der Insurgenten ging nun über den Ili und begann am zwanzigsten Tage des achten Monats einen AngriflP auf die südlichen Schibä- Ansiedelungen. Als die Nachricht von diesem Angriffe in Kuldsha eintraf, geriethen die Schibä in grosse Furcht und weigerten sich, länger in Kuldsha zu bleiben, so dass der Dsan-dsün sich gezwungen sah, das Schibä-Heer in seine Heimath zu entlassen. Trotz der Rückkehr derselben währte der Kampf in den Schibä -Städten noch fort. Zwei derselben, die zweite und achte, wurden von den Insurgenten erobert, während die übrigen in den Händen der Schibä blieben. ,,Die Lage von Kuldsha", schreibt Lieutenant Reinthal in einem zweiten Berichte, nachdem er abermals Kuldsha im Sep- tember besucht hatte, ,,und seiner Umgebungen hat sich be- deutend verschlechtert. Der Preis der Lebensmittel ist gestiegen und die Läden sind noch leerer geworden. Schwarzer Thee ist gar nicht mehr vorhanden, das Pud Heu kostet 40 Kopeken, das Pud Weizen 3 Rubel, ein Hammel 4 Rubel, Reis ist nicht mehr zu haben, Branntwein wird sehr wenig gebrannt, es kostet jetzt die Flasche 1 Rubel 20 Kopeken. Das Getreide ist nicht mehr auf den Feldern, es ist theils vernichtet, theils unter spe- cieller Aufsicht hoher Offiziere eingeerntet. — 409 — ,,Das Heer im Lager bei Kuldsha ist in einem schreck- lichen Zustande. Es besteht jetzt nur noch aus 1000 Mann Reitern und 2000 Fusssoldaten. Von letzteren haben nicht mehr als 300 Mann Gewehre. Alle Mannschaften sehen schrecklich heruntergekommen aus. Der Dsan-dsün scheint sehr besorgt, ebenso wie die höheren Offiziere, mit denen ich zusammentraf. Besonders schwer trifft es sie, von einem so niederen Volke wie die Dungenen besiegt zu werden. Wenn wir von den Russen besiegt würden, sagte mir einer, das wäre noch zu er- tragen. Der Dsan-dsün bittet um schleunige Hülfe und ersucht uns, wenigstens die "Russland unterworfenen Kirgisen von der Theilnahme am Aufstande abzuhalten." Je mehr sich die Lage der Regierungstruppen verschlech- terte, um so besser organisirte sich natürlich der Aufstand. In dem tatarischen Kuldsha hatte sich jetzt schon eine mehr geord- nete Regierungsgewalt organisirt. Die Heerhaufen der Dungenen, Tarantschi und Kirgisen ordneten sich allmählich zu Armeen, die nach einem vorher bestimmt entworfenen Plane vorgingen. Wäh- rend den Dungenen hauptsächlich die Aufgabe zufiel, Kuldsha und Korgos zu beunruhigen, wendeten sich die Tarantschi gegen die Schibä; die Kirgisen griffen, von Dungenen unterstützt, die Solonen- Ansiedelungen an, und es gelang den Letzteren, Mitte September die grossen solonischen Viehheerden fortzutreiben und die Wege zwischen den solonischen Städten unsicher zu machen. Infolgedessen verliess die etwa 500 Mann starke solonische Reiterei Kuldsha, um ihre eigenen Familien vor den Kirgisen zu schützen. Am 16. October fiel endlich die kleine Festung Tardshi und durch diesen Fall wurde Kuldsha von allen nördlichen Städten abgeschnitten. Jetzt beunruhigten die Kirgisen unter den Sul- tanen Nur- Ali, Bi-Säüräk und Dshetän den ganzen westlichen Theil des Landes, so dass der Dsan-dsün den bedrängten So- lonen sogar die Flucht nach Russland gestattete. Vergebens schickte der Dsan-dsün Boten über Boten zu den Kalmücken, um sie nach Kuldsha zu beordern; er wusste zuletzt keinen an- deren Rath mehr, als die russischen Grenzbeamten zu bitten, die Streitigkeiten zwischen der Regierung und den Insurgenten durch ein Schiedsgericht zu schlichten. Die russischen Beamten konnten natürlich diesem Verlangen ohne Erlaubniss ihrer Re- gierung nicht nachkommen. Die Noth stieg in Kuldsha nun — 410 ~ zu einer solchen Höhe, dass der Dsan-dsün sich gezwungen sah, endlich seine letzten Hülfstruppen, die Tschagor- Kal- mücken, in ihre Heimath zu entlassen. Die Solonen befanden sich in einer ehenso schrecklichen Lage wie die Stadt Kuldsha; von allen Seiten wurden sie von den Kirgisen umschwärmt und fanden weder Tag noch Nacht Euhe. Dicht an ihrer Grenze standen Heerhaufen der Dungenen und Tarantschi, die sie zu vernichten drohten, wenn sie nur Miene machten nach Russland auszuwandern. So blieh ihnen zuletzt Nichts tnehr übrig, als mit den Dungenen Frieden zu schliessen und sich ihnen unter der Bedingung zu ergeben, dass sie sie vor^en Kirgisen schützen möchten. Ebenso ergaben sich die Schibä und die Arban Sumul der Tschagor -Kalmücken, so dass nun nur noch die Städte Kuldsha, Korgos, Da-lo-si-gung und Süding sich in den Hän- den der Mandschu befanden. Jetzt erst wendeten die Insurgenten oder vielmehr der hohe Sultan von Kuldsha seine Hauptkräfte gegen das chinesische Kuldsha, das jetzt von allen Seiten eingeschlossen wurde, um es so durch Hunger zur Uebergabe zu zwingen. Die Lage der Fes- tung war nunmehr eine fürchterliche. Die Getreidevorräthe waren vollständig verzehrt, die einzige Nahrung bestand aus Pferden, Hunden und Katzen. Das Pud Salz kostete 6 Eubel. Der Hunger- typhus war in schrecklicher Weise ausgebrochen, so dass täglich 50 bis 100 Menschen starben. Die Todten lagen auf den Strassen umher und faulten, die hölzernen Möbel und die Dachbalken der Häuser wurden als Brenn- und Heizmaterial verwendet; ein russischer Kaufmann, der sich in die Nähe Kuldshas wagte, ver- kaufte seine Schafe zu 14 Rubel das Stück. Endlich Mitte Januar begannen die Mohammedaner ihren AngriflP auf die Festung. Sie unterminirten einen Theil der Mauer und sprengten ihn in die Luft, zerstörten ein Stadtthor tmd drangen in die Festung. Es entstand ein fürchterliches Ge- metzel; Weiber, Kinder, Männer, Alles, was dem Feinde in den Weg kam, wurde erbarmungslos hingesclilachtet, denn die Halb- verhungerten waren gar nicht im Stande, Widerstand zu leisten. Alle Häuser wurden geplündert; Mord und Vernichtung waren überall. Wie soll ich dies grausige Würgen schildern? herzzer- reissende Scenen wurden mir berichtet. Hier ernteten die Man- dschu, was sie durch ihre unerbittliche Strenge und Grausam- keit in die Gemüther der Mohammedaner ausgesäet, mit reichen — 411 — Zinsen ein. Vollkommene Vernichtung des Mandschu-Stammes war die Losung der durch die Mulla's fanatisirten Massen. Ein kleiner Ueberrest des Mandschuheeres mit dem Dsan-dsün und einigen höheren Beamten flüchteten in den Palast des Dsan-dsün und vertheidigten sich verzweifelt gegen die andringenden Insur- genten. Bei diesem Kampfe fiel der frühere Dsan-dsün Tschan in die Hände der Insurgenten. Als der befehlende Dsan-dsün keine Möglichkeit mehr sah, sich in dem Palaste länger zu halten, liess er das Gebäude unterminiren und sprengte sich selbst mit allen Beamten in die Luft. Die Mohammedaner er- beuteten bei der Eii^iahme des Palastes zwei Kasten mit 80000 Unzen Silber. Nach einigen Wochen Ruhe wendeten sich die Mohamme- daner gegen die nördHchen Festungen, von denen sie Süding und Da-lo-ssi-gung am Ende des dritten Monates einnahmen. Dann zogen sie nach Korgos, wohin sich ein grosser Theil der reichen Kaufleute zurückgezogen hatte; diese Stadt war gut verproviantirt und reichlich mit Munition versehen, so dass ein grosser Heerhaufe der verbündeten Dungenen und Tarantschi mehrere Wochen vergeblich die Stadt bedrängte. Da den Ein- wohnern von Korgos keinß Hofihung auf Sieg blieb, so such- ten sie mit den Belagerern in Unterhandlung zu treten und unterwarfen sich ihnen zuletzt ohne Kampf, indem sie eine Kon- tribution von 3000 Unzen Silber, 100000 Cho Weizenmehl und eine grosse Menge Seidenzeug zahlten, wogegen die Mohamme- daner die Stadt zu schonen versprachen. Die Bedingung wurde von Seiten der Tarantschi streng eingehalten; nach Empfang der Kontribution theilten sich die mohammedanischen Heerhaufen, die Tarantschi gingen nach dem tatarischen Kuldsha, während die Dungenen sich nach Norden wendeten. Doch nach fünf Tagen kehrten die Dungenen allein zurück, überfielen die offene Stadt, plünderten und sengten überall, und metzelten die Garnison und den grössten Theil der Einwohnerschaft nieder. Vor der Einnahme von Korgos hatten noch Kämpfe mit den Solonen stattgefunden; dieselben beklagten sich nach ihrer Unterwerfung über stete Angriffe der Kirgisen und baten die Dungenen, sie zu schützen; dies wurde versprochen und zu einer näheren Besprechung die höheren Beamten der Solonen von den Dungenen eingeladen. Als die Beamten sich einfanden, wurden sie plötzlich überfallen und niedergemetzelt. Da endlich be- ^ I — 412 ^ gannen die erschreckten Solonen nach dem russischen Gebiete zu fliehen, die Dungenen verfolgten in Gemeinschaft mit den Kirgisen die Fliehenden und überfielen jetzt die bis dahin noch unversehrten Solonenstädte Turgen, Samar, Tschitschkan und Tschedshui, plünderten sie aus und tödteten einen grossen Theil der Einwohner. Durch die naheliegenden Waldungen gelang es noch einem grossen Theil der Einwohner und der schon vor- her zu ihnen geflüchteten Chinesen und Mandschu, die Grenze zu erreichen, wo sie sich unter den Schutz der russischen Grenz- posten stellten. Nach dieser Zeit waren die Mohammedaner die unbestrittenen Herren des Li-Thales. Die Kämpfe hatten aber dadurch noch nicht ihr Ende erreicht. Es brachen bald Zwistigkeiten zwischen den Dungenen und Tarantschi aus; die Ersteren wurden dabei besiegt und die Tarantschi blieben jetzt die Oberherren des Landes. Nur noch einen Kampf hatten sie mit den früheren Regie- rungstruppen zu bestehen gehabt und zwar mit den Kiilmücken, die jetzt ihre frühere Unthätigkeit bereuten und Ende August zum Hi-Thal herabzogen. Sie zwangen mehrere Schibä, ihnen zu folgen, und drangen in das Gebiet Tokus Tara vor, wurden aber hier von den Tarantschi geschlagen und zogen sich nach dem Issiköl zurück, zum Theil ergaben sie sich den Tarantschi, zum Theil traten sie auf russisches Gebiet über. So endigte der blutige Aufstand im Li-Thal, das nun der unbestrittene Besitz der Tarantschi blieb, die ein neues Moham- medaner-Reich, das Sultanat von Kuldsha mit der Hauptstadt Kiddsha, errichteten. Zu vernichten hatten die Mohammedaner verstanden, aufzubauen gelang ihnen nicht. Die kleine Schaar der Tarantschi vermochte nur mit Hülfe der Kirgisen die wider- spenstigen Elemente der Dungenen, Schibä und Chinesen in ihrer Gewalt zu behalten, und da die Kirgisen nicht zum Ansiedeln zu bringen, waren, so liess man den ganzen westlichen Theil, den reichsten des Hi-Thales, bis zum chinesischen Kuldsha wüst und unbewohnt liegen und beschränkte sich auf die Ausnutzung der östlichen Hälfte des THales. Nähere Kunde über die spätere Geschichte des Ili-Thales zu geben, liegt zwar ausserhalb meiner Schilderungen, die nur von mir selbst Erfahrenes und Erlebtes wiedergeben sollen. Ich wiH hier jedoch kurz erwähnen, dass im Juni 1871 die russische Regierung sich gezwungen fand, das Sultanat von Kuldsha mit seinen Truppen zu besetzen, weil die — 413 — fanatische mohammedanische Begierung sich dem russischen Nach- bar feindlich gegenüberstellte xmd Einfluss auf die unter russi- schem Scepter lebenden Kirgisen ausüben wollte. Seit dieser Zfeit wurde das Ili-Thalr unter der Benennung Kuldsha-Bayon einer selbständigen russischen Verwaltung des Kriegsgouvemeurs des Sieben-Flüsse-Districtes (Semiretschinskaja Oblast) unterge- ordnet, dem eine eigene Kanzlei für Kuldshaer Angelegenhei- ten beigegeben wurde. lieber die Verhältnisse Kuldsha^s nach der Besetzung der Russen kann ich keinUrtheü fallen, da letztere erst nach meiner Eückkehr aus Sibirien stattgefunden. Es scheint aber, als ob man im Allgemeinen geglaubt, dass Kuldsha von jetzt an den Russen gehören werde und Letztere sich hier häuslich einzurichten be- gonnen haben. Da wurde ganz unerwarteter Weise im Jahre 1880 ein Tractat mit China geschlossen, wonach ihm der frühere chine- sische Theil der Di-Provinz, östhch von Korgos, zurückgegeben wurde. Nachdem im Jahre 1882 die Besetzung durch die Chi- nesen begonnen hatte, entstand von Neuem eine vollkommene Umwälzung aUer Verhältnisse. Obgleich im Tractate die Am- nestie aller beim Aufstande betheiligten Einwohner des zurück- gegebenen Districtes ausgesprochen war, so scheinen doch die Tarantschi und auch zum Theil die Dungenen wenig Vertrauen in die gütige Behandlxmg der Chinesen zu setzen und fast ohne Ausnahme von dem Paragraph des Tractates Gebrauch zu machen, der ihnen die Auswanderung nach dem russischen Gebiete frei- steDt, während die Chinesen sich alle Mühe geben, diese Aus- wanderxmg zu hintertreiben. Ich glaube, es wird dem Leser nicht wunderbar erscheinen, dass die Leute so handeln, ebenso wie es selbstverständlich ist, wenn überall beim Zusammentreffen von Tarantschi und Kirgisen, Dungenen und Solonen, Schibä und Kal- mücken Excesse vorkommen, denn die Unthaten der Moham- medaner sind noch zu frisch im Gedächtnisse. Soviel ich aus den letzten Nachrichten aus Kuldsha ersehe, sind fast alle Ta- rantschi, mit Ausnahme weniger Hundert Familien, nach Russ- land übergesiedelt. Eine der letzten Correspondenzen der ,,Oest- lichen Revue" schildert uns den Zustand von Kuldsha im August 1883 wie^folgt: „Nach Nachrichten aus Kuldsha sind die chine- sischen Unterthanen aller Völker des Ili eifrig mit dem Acker- bau, mit der Restaurirung der Städte und der Einrichtung der neuen Residenz des Dsan-dsün beschäftigt. Mit der Herstellung — 414 - der Mauer dieser Stadt sind ungefähr 6000 Arbeiter beschäftigt, sie wird noch in diesem Herbste fertig werden. Die Jamun (Eegierungsgebäude) und Kasernen können natürlich in diesem Jahre nicht fertig werden. Die Arbeiter erhalten Geld und Mehl.** ,,Man sieht aus Allem, dass die chinesische Regierung bemüht ist, sich in die Wünsche seiner Unterthanen so viel als nur irgend möglich zu schicken. Vor Allem wendet man seine Aufmerksam- keit den Aeckern und der Herstellung der Canäle zu ; noch in die- sem Jahre soll der grosse Canal auf Kronskosten wieder her- gestellt werden. Man will aber auf eigenen Füssen stehen, sein eigenes Getreide gewinnen, um nicht von uns abzuhängen, und dann alle Lebensmittel so biUig wie möglich herstellen. Die bei den Chinesen verbliebenen Tarantschi erhielten Jeder von der Regierung 6 Pud Korn und ebensoviel Weizen zur Aus- saat. Sie haben aber bis jetzt keine Aussaat gemacht, sondern das gelieferte Getreide verzehrt; jetzt arbeiten sie meist auf Tagelohn an den Bauten der neuen Stadt und erhalten 3 Rubel für 15 Arbeitstage. Manche haben von den, Kaufleuten Samen erhalten und säen denselben unter der Bedingung aus, den dritten Theil des Ertrages abzuliefern. Gerste ist gar nicht ge- säet worden. Zur Zeit sind die Preise in Kuldsha folgende: Weizenmehl das Pud 2—3 Rubel, das Cho 10—12 Rubel, Wei- zen das Cho 8 — 9 Rubel. Das Dampfschiff der Compagnie Wali-Achun-Paklewski hat den Chinesen grosse Dienste geleis- tet, indem es aus Jarkent, wo das Mehl 1 Rubel 60 Kopeken kostet, nach Süding Mehl schaffte. Es hat seine beschwerliche Reise glücklich vollendet imd ist schon zurückgekehrt. Der Dsan-dsün selbst will in diesen Tagen eine Rundreise durch' s Ili-Thal machen und dieselbe gewiss unter grossem Pompe ver- anstalten.** ,, Anfang Mai sind viele Tarantschi nach Süding gegangen, um dort die Beamten -Abzeichen, die Mützenknöpfe, und die Bestätigung ihrer Aemter zu erhalten. Baba Chodsha ist zum Gehülfen des Hekim (d. h. zum Schaga) ernannt; der Hekim ist bis jetzt nicht ernannt. Bek Sadibek ist als Räsnitschi ein- gesetzt.** ,,Die chinesischen Tarantschi sollen sich jetzt scharf von den Sarten und russischen Tarantschi trennen und sich weigern, sich mit ihnen zu verschwägern. Uebrigens soll ein Theil der Tarantschi beabsichtigen, nach der Ernte nach Russland über- — 415 — zusiedeln. Ebenso sollen sich die Schibä über schlechte Ord- nung bei den Chinesen beschweren und geneigt sein, trotz ihrer Verwandtschaft mit den Mandschu, die russische Unterthanen- schaft anzunehmen (dies ist gewiss die Partei der Schibä- So- Ionen, d. h. des Ugeri-da Detschin). Offene Sympathie haben die Schibä den Bussen bei der Ankunft des Dampfschiffes „Kol- pakowski" vor Süding gezeigt." „Nachdem die Bussen Kuldsha verlassen haben, sollen die .Chinesen und ihre Unterthanen den leer gebliebenen russi- schen Stadttheil genau untersucht und alles Entfembare, wie Thüren und Pfosten, genommen haben. Auch die griechisch- kathohsche Kirche soll ausgeplündert sein; da aber alle Kirchen- geräthe und Wetthgegenstände schon fortgeführt waren, so be- zieht sich diese Plünderung nur auf das zurückgebliebene Eisen- werk. Zur Verstärkung der Grenzwache . haben die Chinesen auf Befehl des Dsan-dsün von Korgos bis zum Flusse Di ausser den bestehenden vier Piquets noch sechs weitere errichtet." X. Das mittlere Serafschan-That. Seit Urzeiten sind die Gebiete der beiden mächtigen Sttöme des Ämu Darja und des Syr Darja, die die weiten Dbenen Tu- rans durcbfliessen, von einer dichten Bevölkerung bewobnt, und faat alle riesigen YölkermaeBen, die von Asien her nach Europa eindrangen, haben ihre wilden Horden durch diese Thäler hin- durchgewälzt. Mächtige Eroberer haben hier gethront, die bis nach Europa ihre Kriegszäge unternahmen, und durch sie sind die Namen jener jetzt vielfach unwirtfasamen Gegenden in weiter Feme berühmt geworden. Nach Europa hin sind jene Gegenden zum grössten Theil durch mächtige Sandwüsten getrennt und nach Norden, Osten und Süden sind es himmelhohe Bergzüge, die hier den Zu- gang erschweren. Die Bevölkerung jener Steppen lebte abge- schlossener von allen Umwohnern, als die Bewohner des Mittel- reiches, da die Natur hier stärkere Befestigungen gebaut als jene künstliche Mauer und kein Ocean hier eine freie Ver- bindungsstrasse mit den fernsten Nationen herstellte. Als der Welteroberer Timur-Lenk sein Reich weit über die natürlichen Grenzen Hochasiens ansbreitete, war schon längst von Süden her die Civilisation Persiens bis in das Herz Turans gedrungen, die Blüthezeit der persischen Literatur und Kunst hatte ihre Düfte verbreitet und persischer Gewerbefleiss Wurzeln gesehlagen. Aber als die Verbindung mit Persien später durch räuberische Nomadenvölker abgebrochen wurde, da verknöcherte Mittelasien immer mehr in sieh seihst, jede selbständige Regung hörte auf und es trat ein Stillstand oder vielmehr ein Rückschritt ein. — 417 — der sich hier viel stärker zeigt als im stahilen China. Die Litteratur-Erzeugnisse Persiens und Arabiens erschienen als un- erreichbare Meisterwerke, die man in Schulen und Medressen er- lernte, aber nicht einmal nachzubilden versuchte; die Religions- ansichten erstarrten, da nirgends ein Wettkampf mit den benach- barten Andersgläubigen stattfand, und verflachten sich zu grösst- möglichen Aeusserlichkeiten. Der Fanatismus erreichte eine so hohe Stufe , dass es schon als ein Verbrechen betrachtet wurde, wenn es ein Andersgläubiger wagte, den geheiligten Boden zu betreten, an Stelle der frommen Begeisterung trat Heuchelei und Selbsttäuschung. Jede sittliche Basis ging verloren, und Laster, wie Selbstsucht, Unsittlichkeit, Lug und Trug hüllten sich in den Deckmantel strenger Rechtgläubigkeit. Zwar wurden Ackerbau und Gewerbe fleissig betrieben, aber auch nur in einem Maasse, wie es die inneren Verhältnisse des Landes erforderten. Zwischen den einzelnen Chanaten Ko- kand, Buchara und Chiwa herrschte eine stete Fehde und die verschiedenen Stämme der Rechtgläubigen plünderten, raubten und schädigten sich unaufhörlich untereinander. Als Russland durch seine Stellung im Ili-Thale gewisser- massen gezwungen wurde, eine Verbindung mit Orenburg her- zustellen, da der Chan von Kokand sich stets Uebergriffe gegen die Bewohner der Kirgisen-Steppe erlaubte, kam es zum ersten ernsten Zusammenstosse zwischen Kokand und Russland. Die Bewohner Turans in ihrem Stolz und Eigendünkel hatten nicht die geringste Ahnung von den Machtverhältnissen ihres nörd- lichen Nachbars, den sie als Ungläubigen verabscheuten. Frie- den zu halten, wäre für die Religion Schmach und Schande gewesen, es galt nicht nur, den Kafir zu vertreiben, sondern ihn auch zu vernichten, denn es musste ja die Zeit kommen, wo von Süden der Sultan in das Land der Russen drang und von Osten das geheiligte Volk der Chanate, um den früheren Machtkreis wieder zu gewinnen. Man glaube nicht, dass ich hier übertreibe, denn solche Reden habe ich wirklich auch damals noch vernommen, wo wir nur wenige Werst von Buchara standen. So wurde der Streit immer heftiger Tind die Russen mussten in jedem Jahre weiter vordringen, um die unruhigen Nach- baren im Zaume zu halten. Dass dies geschehen musste, wenn man nicht die Elirgisen-Steppe aufgeben wollte, ist leider eine Radioff , Aus Sibirien. II. 27 — 418 — bittere Wahrheit. Aber besser wäre es gewesen (wenn dies über- haupt möglich war), man hätte sie aufgegeben, denn die neu eroberten Landstriche Mittelasiens werden Russland schwerlich Vortheil bringen. Man spricht, dass Eussland sich einen Weg nach Indien oder Persien bahnen wolle; das ist wohl nur ein Himgespinnst, denn eine Armee durch Mittelasien zu werfen, ist unmöghch, und wäre dies auch möglich, so könnte man es auch thun, ohne die Chanate, die jährlich mehrere Millionen kosten, vorher zu erobern, da ja die Etappenstrassen ebenso stark besetzt sein müssen, ob man das Land zehn Jahre früher erobert hat oder zehn Jahre später, und an einen Widerstand oder ernsthaften Krieg hier nie zu denken ist. Nein, die Er- oberung Mittelasiens ist eine bittere Nothwendigkeit der leidigen Verhältnisse. Doch ich will mich hier nicht weiter in die politischen Verhältnisse einlassen; hierüber habe ich vielleicht später Ge- legenheit) ausführlicher zu sprechen. Russland drang somit immer weiter nach Mittelasien vor, Turkistan, Tschemkend wurden erobert, der Fall Taschkends war davon unabänderliche Folge. Dann musste Ghodshend ge- nommen werden, um die verbündeten Chanate von Kokand und Buchara zu trennen, und zuletzt ging man bis nach Dshisak vor, um eine feste Grenze durch die Gebirge der Wasserscheide zwischen Syr Darja und Serafschan zu gewinnen. Durch neue Unruhen wurden die Russen im Jahre 1868 veranlasst, in das Gebiet des Serafschan vorzudringen, um jede Verbindung zwi- schen Buchara und dem Osten abzuschneiden und den Emir zu einem festen Frieden zu bringen. Man drang bis zur Hälfte des Serafschan, d. h. bis zur Stadt Katyrtschi vor und zwang endlich den Emir zum Frieden. Somit ist Russland jetzt mit einem Keil in Turan eingedrungen, der bis zum mittleren Seraf- schan sich vorstreckt. Da ich mich bei der Armee befand, so war es mir vergönnt, die südlichsten Gebiete der neuen russi- schen Besitzungen zu besuchen, und ich halte es für meine Pflicht, gerade eine Beschreibung des Serafschan - Thaies zu liefern, das als der Mittelpunkt des Reiches des Timur schon seit lange als das eigentliche Herz Mittelasiens betrachtet wird und allen Reisenden am wenigsten zugänglich war. Doch bei meiner Skizze muss ich den gütigen Leser lun Verzeihung bitten, wenn viele meiner Nachrichten sich auf Erzählungen Einge- — 410 — borener stützen, da es mir bei den Kriegsverhältnissen nicht mögHch war, mich auch nur auf wenige Werst von der Armee oder den Detachements zu entfernen. Gebirge und Flüsse. Der Fluss Serafschan entspringt, wie man mir mittheilte, aus dem See Iskender-Köl , welcher sich im westlichen Theile des Himmelsgebirges, dem Kaschgar-Dawan, befindet. Die Haupt- richtung seines Laufes ist von Osten nach Westen. In seinem oberen Laufe bis zur Stadt Pentschikend fiiesst der Fluss in einem engen Thale, das überall von hohen Ge- birgsmassen eingefasst sein soll. Ein wenig östlicher als Pen- tschikend beginnt das Thal sich zu erweitem. Das südlich liegende Gebirge Altaba wendet sich nach Südwesten und ßlUt allmählich in Terrassen zum Flusse herab; auch der nördliche Gebirgszug Tschunkar-Tag liegt hier schon etwa 5 Werst vom Flussbette des Serafschan entfernt. Ueber die Nebenflüsse, die sich östlich von Pentschikend in den Serafschan ergiessen, habe ich keine Nachrichten einziehen können. Bei Pentschikend aber hat der Fluss schon die ganze Wassermasse erhalten, die ihm ermöglicht, die Strecke bis Buchara mit Wasser zu versehen, denn alle westlichen Zuflüsse sind sehr gering und werden in der heissen Zeit ohne Ausnahme auf den Aeckem verbraucht. Die Gebirge, die sich in fast ununterbrochener Kette südlich am mittleren Serafschan hinziehen, werden mit dem aDgemeinen Namen Schähri-Sebs-Berge benannt, weil in ihnen die von Bu- chara unabhängige Begschaft Schähri-Sebs sich befindet. Dieses Gebirge besteht aus zwei Bergzügen, von denen der nördliche in seinem östlichen Theile Altaba -Tag, in seinem westlichen Kaman-Baran-Tag oder Samarkandisches Gebirge heisst. Der südliche Gebirgszug, an dessen südlichem Abhänge die Stadt Schähri-Sebs liegt, heisst SuJtan-Hasret-Tag. Diese Gebirge sind von bedeutender Höhe und übersteigen an vielen Punkten die ewige Schneegrenze. Nach Westen hin flachen sich die Gebirge etwas ab, sind aber immer noch bedeutende Höhenzüge. Hohe Berge habe ich vom Serafschan-Thale aus nicht bemerkt. Südwestlich von der Stadt Katty Kurgan beginnt ein neuer Gebirgszug, der sich schroff gegen das östliche Plateau abhebt und fast in einem spitzen Winkel gegen das Serafschan -Thal auf 6 bis 8 Werst vordringt. Dieser Gebirgszug heisst Tim-Tag. 27* — 420 — Südöstlich von diesem Gebirgszuge, sagte man, liegt eine weite Ebene, die sich bis Buchara erstrecken soü und den Namen Orta-Tschöl (mittlere Ebene) führt. Alle diese südlichen G-e- birge fallen in Terrassen bis dicht an das Serafschan-Thal herab, so dass sich der äussere Weg zwischen Katty Kurgan und Sa- markand meist auf den äussersten Ausläufern der Gebirge ent- lang zieht. Von den nördlichen Grenzgebirgen liegt das Gebirge Tsehun- kar-Tag (Falken-Gebirge) parallel mit dem Flusse Serafschan nördlich von Pentschikend; 'etwa 15 Werst westlich von Pen- tschikend wendet sich der Tschunkar-Tag nach Norden und vereinigt sich mit den südlichen Ausläufern des Sandsar -Tag, welcher sich nach Nordwesten wendet und sich bis. zur Stadt Dshisak erstreckt. An diesen Sandsar -Tag schliessen sich nach Osten die Bergketten • des Nuratanyng-Tagy an, die das Seraf- schan-Thal von den nördlichen Sandsteppen trennen und vor Versandung schützen. Von dem Sandsar-Tag zieht sich südlich eine ziemlich be- deutende Hügelkette hin, die in einer Breite von etwa 10 bis 15 Werst, in wellenförmigen Erhöhungen und Vertiefungen sieh mit den südlichen Bergzügen des Nuratanyng-Tagy vereinigt und die eigentliche Wasserscheide zwischen Syr Darja und Amu- Darja bildet. Aus dem Sandsar-Tag entspringt ein kleiner Fluss, der Jylan-Öttü (eine Schlange ist hindurchgegangen), der sich zwischen Sandsar-Tag und Nuratanyng-Tagy hindurchdrängt und Dshisak bewässert. Das Gebirge Nuratanyng-Tagy liegt in seiner Hauptrichtung von Osten nach Westen, es beginnt bei dem Flusse Jylan-Öttü und zieht sich wohl 150 Werst weit bis zur Stadt Nurata (heil. Vater) hin, von der auch das Gebirge seinen Namen hat. Der Hauptkamm liegt nördUch und heisst Kara-Tag (schwar- zes Gebirge); er ist sehr steil und zackig. Südhch vom östlichen Theile des Kara-Tag liegt ein fast vereinzelt stehender Gebirgs- zug, der den Namen Chodum-Tag führt, an diesen schliesst sich nach Westen der Karascha-Tag an, und an diesen fast parallel mit dem Kara-Tag das Gebirge Ak-Tag. Chodum-Tag und Kara- scha-Tag sind nicht von bedeutender Höhe und ziehen sich in leichten Wellen hin, der Ak-Tag ist steil und zackig, wenn auch weniger hoch als der Kara-Tag. Kara-Tag und Ak-Tag laufen in einer Spitze bei der Stadt Nuraata zusammen. Schneeberge habe ich in den nördlichen Grenzgebirgen des Serafschan nir- — 421 — gends bemerkt. Die meist 10 bis 20 Werst breite Entfernung zwischen den beiden Gebirgszügen des Nuratanyng-Tagy bildet nicht eine Thalebene, sondern wird von mehr oder minder be- deutenden Hügelketten, die in ihrer Hauptrichtung von Norden nach Süden streichen, durchschnitten. Alle erwähnten Gebirgszüge im Norden und Süden des Serafschan sind kahl xmd nur in ihren Höhen felsig. Baumwuchs habe ich nirgends bemerkt, ausser künstlichen Baumpflanzungen an den Ufern der Flüsse. Die Gebirge bieten den Anblick von bleigrauen Bergwänden, ohne jegUche malerische Abwechslimg. Alle Flüsse am nördlichen Abhänge der Wasserscheide zwi- schen Syr Darja und Amu Darja fliessen nach Norden. Es sind hier meist kleine Flüsschen, die im Sandsar-Tag oder Kara-Tag entspringen. Der östlichste von ihnen ist der vorerwähnte Jylan- Ottü, der sich in einer engen Schlucht zwischen dem Sandsar- Tag und dem Kara-Tag hindurchdrängt. Die kleinen Flüsse, die auf dem Kamme des Kara-Tag entspringen und nach Nor- den fliessen, sind von Osten nach Westen folgende: Kua-Kia, Aschandara, Ustachan, Nurek, Asman-Sai, Aschamatsch, Jangy Kyschlak Su, Kulma, Deristan, Uschma, Tutar Sai, Safar-ata, Sarymsakly, Farysch, üchum, Andagysch, Marsherum, Samtan, Sap, Katty Sai, Eitsch, Temir Kauk, Ukun. Alle diese Flüsse sind unbedeutend und erreichen kaum die Ebene. Früher, als die Gebirge stärker bewaldet waren, mögen sie bedeutender ge- wesen sein. Es ist ausser Zweifel, dass wohl alle diese Flüsse sich einst mit dem Jylan-Ottü vereinigt und einen bedeutenden Zufluss des Syr Darja gebildet haben; jetzt aber, selbst bei hohem Wasserstande, endigen alle diese Gewässer in der Steppe. Die Flüsse, die an dem Südabhange des Kara-Tag ent- springen, bilden Nebenflüsse des Serafschan. . Ursprünglich flössen vier ziemlich bedeutende Flüsse aus dem Nuratanyng-Tagy nach Süden, drei von ihnen aus dem Kara-Tag; der erste, der Kara- Abdal, entspringt auf dem Bergpasse Sary-Bel und fliesst zwi- schen Chodum-Tag und Karatscha-Tag hindurch. Der zweite, der Türsün, entspringt südlich von der Quelle des Uchum und bricht sich einen Weg mitten durch das Karatscha-Gebirge; der dritte, der Pschat, entspringt auf einer südlichen Abzweigung des Kara-Tag, in der Gegend des Dorfes Penkent, und fliegst zwischen dem Ak-Tag und Karatscha-Tag hindurch. Jetzt wird das Wasser der Nebenflüsse auf den Feldern, — 422 — die im Hochgebirge liegen, verbraucht; 'die drei Hauptflüsse fliessen als ganz unbedeutende Bäche in ihren breiten Betten nur noch wenige Werst südlich vom Gebirge, und ihr Wasser erreicht nur bei hohem Wasserstande den Serafschan. Der vierte Nebenfluss, den der Serafschan von Norden erhält, der Dshis- man, entspringt nördlich von Katyrtschy im Ak-Tag bei dem Bergpasse Tikänlik. Auch er erreicht im Sommer nicht den Serafschan, obgleich sein ziemlich tiefes Flussbett zeigt, dass er sich bei hohem Wasserstande bei Tasmatschi in den Seraf- schan ergiesst. Der Türsün wird aus den Flüssen Kara-Abdal, Nakrut und Sarai gebildet; frühere Nebenflüsse Tokmasar, Kas- galmar, Orta Bulak, Käräschä u. s. w. erreichen selbst bei hohem Wasserstande nicht mehr den Türsün, der Pschat nimmt von Westen den Fluss Koschrawat auf. Die westlichen Flüsse zwi- schen Kara-Tag und Ak-Tag: Aktschap, Karatschyjak, Dshusch, Bagatschat werden in den Gärten verbraucht. Zwischen Pschat und Dshisman fliessen drei kleine Flüsse aus dem Ak-Tag: Serbent, Andak und Bürgän; ob diese sich einst vereinigt haben, oder ob sie einzeln bis zum Serafschan flössen, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Von den vielen kleinen Flüsschen, die der Serafschan von Süden erhält, sind die bedeutendsten: 1) der Tscharwak, öst- lich von Pentschikend ; 2) der Tschurtscha, der sich aus drei Flüsschen bildet (bei Pentschikend) ; 3) Kumanyk, der beim Dorfe Daul nach Norden fliesst; 4) der Kara-Su, und 5) der Inam Jakschy (bei Katty Kurgan). lieber die ursprüngliche Grösse aller dieser Nebenflüsse sich jetzt eine klare Einsicht zu verschaff'en, ist ein Ding der Unmöglichkeit. An jeder nur irgendwie für Acker- und Gar- tenbau passenden Stelle wird ihnen Wasser zur Befeuchtung der Aecker entzogen, so dass sie nicht nur von keiner Seite den ihnen von der Natur bestimmten Wasserzufluss erhalten, son- dern auch ihr eigener Wasservorrath beständig vermindert wird. Was die Namen aller oben benannten Flüsse betrifft, so muss hier erwähnt werden, dass sie gerade beweisen, wie eng sich hier der Mensch mit dem Wasser, das die Grundbedingung seines Wohnsitzes bildet, verbunden fühlt. Der Fluss oder Bach führt bei jeder Ansiedlung den Namen der Ansiedlung, oder die Ansiedlung den Namen des Baches. So kommt es, dass ein und derselbe Fluss an verschiedenen Stellen verschiedene — 428 — Namen führt. So heisst z. B. der Kara Abdal zuerst Kara Abdal Bulak, dann Jar Bulak, dann Tschartschyn Bulak, zu- letzt Dschuman Bazar Bulak u. s. w. , stets nach den bei ihm sich befindenden Ansiedlungen. Dahingegen heissen die An- Siedlungen Katty Sai (grosse Thalrinne), Jas Ketschü (Früh- lingsfurt), Souk Bulak (kalter Bach) nach den sie befruchten- den Bächen. Künstliche Bewässerung. Die baumlosen Bergwellen und die Thäler nördlich und süd- lich vom Serafschan sind mit Ausnahme der höher belegenen Felspartieen gleichmässig mit einem sehr fetten Lehmboden be- deckt; dieser Lehmboden aber bedarf bei der grossen Hitze und Trockenheit des langen Sommers einer grossen Quantität Wassers, um im Stande zu sein, eine reichere Vegetation hervorzubringen. Ei* ist daher, wenn ihm nicht auf künstliche Weise Wasser zu- geführt wird, nur mit einem sehr spärlichen, dünnen Graswuchse bedeckt, der in den Thaliiächen schon im Anfang des Sommers gänzlich verschwindet, in den Bergen aber nur in engen Thal- einschnitten oder Schluchten, wo die Sonne weniger stark wirkt und die Feuchtigkeit des Bodens sich länger erhalten kann, bis über die Mitte des Sommers hinaus ausdauert. Diese Bodenbe- schaffenheit giebt der ganzen Gegend den Charakter einer Wüste oder Einöde. Aber dieser Charakter schwindet sogleich, sobald der Mensch auf künstlichem Wege dem Boden die ihm nöthige Wassermenge zuführt. Dann gehört dieser Boden zu dem fruchtbarsten, den es überhaupt auf unserer Erde giebt, dann entstehen mit üppigem Graswuchse bedeckte Wiesen, prachtvolle Felder, herrliche Gär- ten, die den paradiesischen Oasen in der Wüste gleichen. Die Bevölkerung und ihre Wohnsitze müssen daher in einem genauen Verhältnisse zu der Wassermenge stehen, mit der man den Bo- den befeuchtet, und ist hier das Maximum der Bevölkerung auf das Strengste begrenzt. Man kann dreist behaupten, dass das Serafschan-Thal und seine Grenzgegenden so stark bevölkert sind, wie überhaupt nur die vorhandene Wassermenge erlaubt. Bis auf den letzten Tropfen wird das Wasser verbraucht, und es ist nicht möglich, auch nur die kleinste neue Ansiedlung hier anzulegen, ohne die früheren Einwohner zu beeinträchtigen. Wenn die Bevölkerung früher hier bedeutender gewesen, — 424 — so kann dies nur unter der Voraussetzung gewesen sein, dass auch die Menge des vorhandenen Wassers eine grössere ge- wesen ist. In der That scheint hier eine Abnahme des Wassers ein- getreten zu sein, was gewiss mit der gänzlichen Entwaldung der Gebirge in engem Zusammenhange steht. Nur eine Jahrhunderte lange Praxis hat es mögüch ge- macht, ein so künsthches System der Bewässerung herzustellen, und durch sie ist das Problem glücklich gelöst, mit möglichst geringem Wasserverluste den grösstmöglichsten Flächeninhalt zu bewässern. Bei den kleineren Nebenflüssen, die ein mehr oder weniger starkes Geßllle haben, war dies leicht zu lösen, da das Wasser hier einen nur sehr kleinen Theil der zum Acker- und Gar- tenbau tauglichen Ländereien bewässern ^^ann. Die Schwierig- keit tritt erst bei dem breiten Serafschan-Thale hervor, wo eine etwa 150 — 200 Werst lange und meist 10 — 15 Werst breite Fläche ganz gleichmässig mit Wasser versehen werden musste. Hier mussten die Aecker xmter ein verschiedenes Niveau ge- bracht und ein sich in verschiedenen Windungen durchkreuzen- des Netz von Canälen gebildet werden, die bald das Wasser sporadisch vertheilen, bald wieder vereinigen. Sie ist ein Wun- derwerk, diese Bewässerung, welches in der That nicht so leicht von unsem noch so gelehrten Ingenieuren gelöst werden könnte, und unsere Bewunderung steigt noch, wenn wir bedenken, dass den einfachen Landleuten, die die grosse Riesenarbeit unter- nahmen, alle wissenschaftlichen Hülfsmittel abgingen, die uns so reich zu Gebote stehen. Ein richtiges Bild dieser Canaü- sirung zu geben, bin ich nicht im Stande, ich will in Folgen- dem nur versuchen, einen schwachen Abriss der Häupttheile zu liefern. Wenden wir uns zuerst zu der Bewässerung durch die Nebenflüsse des Serafschan. Bei den kleineren Flüssen ist eine Be- wässerung grosser Felder unmöglich, es werden daher hier meist nur die Gärten der einzelnen Ansiedlungen bewässert, und zwar damit der Verlust durch Verdunstung kleiner Bachrinnen nicht zu gross sei, geschieht dies durch möglichst kurze Canäle, daher werden die Gärten in ganz schmalen Streifen an den Ufern der Flüsse selbst angelegt. Die Ansiedlungen bestehen deshalb hier aus einer langen Reihe ganz vereinzelter Gehöfte. So zieht — 425 — sich z. B. das Dorf Dshisman über 10 Werst hin. Ebenso das Dorf Koschrawat zwischen dem Ak-Tag und Kara-Tag. Die Was- sereintheilung ist hier leicht herzustellen. Als Beispiel will ich den Bach Dshisman aufPühren. An ihm liegen drei Dörfer: 1) am obern Laufe Dshisman; 2) am mittlem Laufe Orta Bulak (das auch einige selbständige Quellen besitzt); 3) am unteren Laufe Nauandak. Von ihnen hat ersteres . in jeder Woche drei Tage die Erlaubniss, das Wasser auf die Aecker zu lassen. Orta Bulak erhält zu diesem Zweke das Wasser auf zwei Tage, Nauandak ebenfalls auf zwei Tage. An den Tagen, wo den verschiedenen Dörfern die Bewässerung der Aecker verboten ist, müssen sie die Zugänge ihrer Canäle verstopfen. Die Leute sind so vollständig in ihren Begriffen vom Rechte der Bewässe- rung aufgewachsen, dass über diesen Punkt, wie man mich mehr- fach versicherte,* niemals Streitigkeiten entstehen. Bei Aktschab, einem Flecken zwischen Ak-Tag und Kara-Tag, sah ich einen künstlich gebildeten Bach. Man hatte eine Reihe von Brunnen, wohl 8 — 10 an der Zahl, am Abhänge einer An- höhe in fortlaufender Linie gegraben und die Brujjnenlöcher unter der Erde miteinander verbunden. Aus dem tiefliegend- sten Brunnen entfloss nun ein künstlicher Bach, der, wenn er auch sehr gering ist,^ doch im Stande war, zehn bis fünfzehn Gehöfte mit Wasser zu versehen. Der Fluss Serafschan fliesst in seinem oberen Laufe bis zur Stadt Samarkand oder vielmehr bis zum Berge Tschoponaty in seinem Hauptbette. Die Stadt Pentschikend und ihre Um- gebungen erhalten das für die Aecker nothwendige Wasser aus kleinen Bergflüssen, die auf dem* Gebirge Altaba entspringen, ebenso wie alle Ansiedlungen am Fusse des Altaba -Gebirges (wie Kyrkasa, Mumynawat, Urgut, Kara Täpä u. s. w.). Etwa 1 5 Werst westlich von Pentschikend mündet auf dem linken Ufer des Serafschan ein grosser Canal, der die Aufgabe hat, die südliche Ebene zwischen dem Altaba-Tag und dem Seraf- schan zu bewässern. Dieser Canal zertheilt sich in drei kleinere Canäle; der bedeutendste ist der mittlere, Angar-aryk, der, nachdem er den Flecken Dshuma-Basar durchflössen, eine ganze Reihe von Dörfern bewässert, und bei hohem Wasserstande wei- ter nach Westen als Samarkand fliesst und sich dann in den Kumaryk ergiessen soll. Der Östlichste der drei Canäle, Lasan, bewässert die sehr — 426 — bewohnte Dörfergruppe um den Flecken Ming, während der westlichste den Flecken Peischembi Und seine Umgebungen be- wässert. Ein oder zwei Werst westlicher von diesem südlichen Canale wird durch einen grossen Canal aus dem rechten Ufer des Serafschan eine bedeutende Wassermenge in die nördliche am Fusse des Tschunkar-Tag sich ausbreitende Thalebene geführt. An ihm liegen eine grosse Menge Ansiedlungen (Kyschlak), die zwischen Tschunkar-Tag und dem Wege von Dshisak nach Bamarkand liegen. Nach Norden trennt sich aus ihm ein be- deutender Canal ab, der Tailan heisst und den grossen Markt- flecken Ak Täpä bewässert. Später verzweigt sich jener Haupt- canal in viele kleine Canäle und bewässert hier eine grosse Gruppe von Kyschlake, die unter dem Namen Bäsch-aryk (die fünf Canäle) zusammengefasst werden. Etwa 8 Werst nord- östlich von dem Flecken Ak Täpä, das, wie eben erwähnt, am Canale Tailan liegt, fliesst von Osten nach Westen ein ziem- lich bedeutendes Wasser in einer tiefen Thalrinne. Auf dem Wege von Dshisak nach Samarkand passirt man dieses Wasser auf der Brücke Chisch Köpür (Ziegelstein-Brücke); ich konnte nicht in Erfährung bringen, ob dieses Wasser künstlich aus dem Serafschan geführt wird, oder ob es ein selbständiger Fluss ist, der im Tschunkar-Tag entspringt. Es scheint mir aber ein künstliches Wasser zu sein, da die tiefe Thalrinne sich erst vor nicht all zu langer Zeit gebildet zu haben scheint. Dafür spricht, dass erstens an beiden Seiten dieses Gewässers, in der Nähe der Brücke, noch Spuren einer höchstens vor fünf- zig Jahren verlassenen Ansiedlung liegen, während bei der jetzigen Tiefe der Thalrinne eine Bewässerung durch jenes Wasser unmöglich ist, und in der Nähe kein anderes Wasser sich befindet; zweitens, dass ich etwas nördlicher von Chisch- Köpür mehrere Spuren früherer Canalisirung vorfand, die nicht mehr benutzt werden konnten, weil das Niveau des künstlichen Hauptcanales so tief gesunken war. Das Sinken des Niveaus der künstlichen Canäle durch Auswaschen des weichen Lehm- bodens ist aber eine hier sehr oft sich darbietende Thatsache. Alles, was ich über den Lauf dieses Gewässers erfahren konnte, ist, dass es in seinem obem Laufe den Namen Tüä-tartar (die Kameele ziehen) führt, in seinem mittlem Laufe, d. h. bei der Brücke, Tujakly (der Hufe habende) und in seinem unteren ^. — 427 — Ijaufe Bulangyr heisst. In der That fand ich auch einige Werst südlich von der Stadt Tschiläk eine Ansiedlung, die den Namen Bulangyr führt, also wahrscheinlich an demselben Wasser liegt. Südöstlich von dem vorgenannten Besch-aryk tritt aus dem rechten Ufer des Serafschan der Canal Jangy-aryk (neuer Canal), an dem das Dorf Janbai sich befindet, die letzte Ansiedlung, die man auf dem Wege nach Samarkand nördlich vom Seraf- schan passirt. Weiter westHch vom Jangy-aryk sind aus dem Serafschan nach Norden drei Canäle geführt: 1) der Myrsa- aryk (Herren -Canal), aus dem später ein zweiter Canal Isch- maksa geleitet ward; 2) der Tongus -aryk (Schweine -Canal), und 3) der Choschkola. Diese drei Canäle bewässern die ganze Ebene zwischen der Stadt Tschiläk und dem Serafschan und führen ihr Wasser westhch bis zum Flecken Mitan. Nördlich von Samarkand oder vielmehr vom Berge Tscho- panaty, der bei Samarkand liegt, wird durch einen künstlichen Damm die ganze Wassermasse des Serafschan in zwei Arme getheilt, die etwa 80 — 100 Werst weiter westlich sich wiederum vereinigen. Der nördliche Arm ist der Ak Darja (weisse Fluss), der südhche der Kara Darja (schwarze Fluss). Der Ak Darja ist der bedeutendere und das ursprüngliche Bett des Serafschan, doch muss diese künstUche Theilung des Flusses schon seit langer Zeit hergerichtet sein, da das Bett des Kara Darja sehr tief und der Boden desselben vollständig mit Kieseln angefüllt ist. Der Ak Darja hat die Bestimmung, den Theil des nie- deren Serafschan-Thales, d. h. westHch von der Stadt Katyrtschy, mit dem nöthigen Wasservorrathe zu versehen. Im mittleren Serafschan-Thale sind nur sehr wenige kleine Canäle aus ihm geleitet, um die wenigen Ortschaften am rechten Ufer des Ak Darja zwischen Mitan und Katyrtschy zu bewässern. Er bringt daher seine ganze Wassermasse unverkürzt bis zur Stadt Ka- tyrtschy. Dahingegen ist es die Aufgabe des 'Kara Darja, die ganze Thalebene bis zur Stadt Katyrtschy und die südlich von diesem belegene Siaddinsche Begschaft mit Wasser zu versehen. Der Damm, welcher die beiden Arme des Serafschan trennt, be- findet sich dicht am Fusse des Berges Tschopanaty, er muss all- jährlich zweimal, im Frühling und im Herbste, ausgebessert wer- den. Wie bedeutend diese Arbeiten sind, lässt sich daraus schliessen, dass zur Ausbesserung des Canals 5000 Arbeiter nöthig sind, von denen die Begschaften Katty Kurgan imd Feischämbi 2000 **i — 428 — und die Beg^schaft Siaddin 3000 Arbeiter stellen. Die ungleiche V^rtheilung kommt daher, weil bei etwaigem Wassermangel des Kara Darja die westlichste Begschaft am meisten zu leiden hat, sie muss daher auch die meisten Arbeiter zur Erhaltung des Dammes stellen. Um die Ebenen zwischen dem Ak Darja und Kara Darja mit Wasser zu versehen, dienen neben zahl- reichen kleinen Canälen hauptsächlich vier grosse Ganäle, die in nordwestlicher Richtxmg aus dem Kara Darja geführt sind. 1) Der Aferinkend, der etwa 15 — 20 Werst westlich von Sa- markand bei der Ansiedlung Naimantscha seinen Anfang nimmt; er dient hauptsächlich zur Bewässerung des Städtchens Jangy Kurgan (auf den Karten Kyptschak Jangy Kurgan genannt) und seiner Umgebungen. 2) Der Chodsha-aryk (Chodsha- Canal), der etwa 20 Werst abwärts von Aferinkend aus dem Kara Darja geführt ist, und die Kyschlake Terbis Tabak, Ischtichan u. s. w. bewässert. 3) Der Ming-aryk; er hat seinen Anfang bei dem Dorfe Aman Chodsha und bewässert alle An- siedlungen, welche um den Marktflecken Dshuma Basar liegen. 4) Der Canal Kylytsch Awat, der zur Bewässerung der östlich vom Katty Kurgan liegenden Ansiedlungen , d. h. der Stadt Peischämbi und ihrer Umgebung, dient. Diese vier Canäle und alle kleinen, die aus dem Kara Darja nach Norden geführt sind, verbrauchen aber nur die Hälfte des vorhandenen Wasservorraths des Kara Darja, der überhaupt das abgegebene Wasser nirgends wieder zurückerhält, da das verbrauchte Wasser stets dem Ak Darja zugeführt wird. Um den südlichen Theil des Thaies in der Umgegend von Katty Kurgan und die südwesthch sich an diese Gegend an- schliessende Begschaft Siaddin zu bewässern, ist aus dem linken Ufer des Kara Darja ein bedeutender Canal geleitet, dieser führt den Namen Nurpai. Der Canal Nurpai ist wenigstens 8 — 10 Faden breit und von bedeutender Tiefe, was schon dar- aus zu ersehen ist, dass über ihn bei jedem Dorfe Holzbrücken gebaut sind, und dies geschieht bei den theuren Preisen des Holzes hier nur bei der grössten Nothwendigkeit. Ich habe zwar den Nurpai nur sehr niedrig gesehen, so dass man ihn überall durchwaten konnte; das hatte aber darin seinen Grund, dass wegen der Kriegsverhältnisse im Frühling der Damm beim Tschoponaty nicht verbessert worden war und der Kara Darja fast nicht die Hälfte seiner ihm nothwendigen Wassermenge — 429 — erhielt. Der Canal Nurpai nimmt jetzt seinen Anfang bei dem Dorfe Aidshan; man erzählte mir, dies sei früher beim Dorfe Tschimbai gewesen. Bei der Stadt Katty Kurgan erhält der Nur- pai einen Zufluss von Wasser durch ein von Süden kommendes Flüsschen. Da ich nur den östlichen Theil des Nurpai ge- sehen, so kann ich über die Canalisirung des letzteren wenig Auskunft geben. Zwischen den Dörfern Arab Ghana und Koscha Kurgan, wo ich mich einige Tage aufhielt, wurden mir vier kleine Canäle genannt, die aus demselben geführt sind: nach Norden der Jabiskor und der Beschandak, und nach Süden der Kasak-aryk und der Dam-aryk. Indem ich hier eine kurze Uebersicht der Canalisirung des mittlem Serafschan gegeben habe, will ich einige Worte über eine Angelegenheit erwähnen, die im vorigen Sommer viel von sich reden machte. Ist es möglich, bei Samarkand den Seraf- schan zu versperren und Buchara des Wassers zu berauben? Ich glaube* dies als eine müssige Phantasie mit den Verhält- nissen des Landes unbekannter Leute bezeichnen zu müssen. Das Serafschan-Thal ist zu beiden Seiten von Erhebungen be- grenzt, so dass die grosse Wassermenge des Serafschan doch . unbedingt nach Westen sich den Weg bricht. Was für Arbeits- kräfte müssten aber angewendet werden, um den Ak Darja zu versperren, wenn nur eine Abdämmung 5000 Arbeiter schon auf einige Wochen beschäftigt. Gesetzt aber, eine solche Ab- dämmimg wäre möglich, so würden der zu hoch angeschwollene Kara Darja und Nurpai sich dennoch bald wieder einen Weg zum Ak Darja durchbrechen, da ja viele kleine Canäle beide Ströme jetzt schon verbinden, die bei grossem Wasserandrange und bei dem weichen Lehmboden leicht ausgewühlt würden. Jedenfalls ist es aber möglich, durch vielen Wasserverbrauch im mittleren Serafschan-Thale Unregelmässigkeiten und grossen Wassermangel im westlichen Theile des Thaies zu verursachen. Ansiedlungen. (Kyschlake, Marktflecken und Städte.) Das ganze Serafschan-Thal, soweit es, wie wir oben gezeigt haben, mit einem Netze von Canälen bedeckt ist, bildet eine untinterbrochene Keihe von Ansiedlungen. Wenn man auf der Höhe der Grenzgebirge entlang reitet, so sieht man in der •. — 430 — Niederung einen dunklen Wald sich hinziehen^ der sich scharf von der hell aussehenden Steppe abgrenzt. Dies ist das mit Ansiedlungen bedeckte Thal des Serafschan. Hier grenzt Acker an Acker, Garten an Garten, ohne die geringste Unterbrechung; jedes Fleckchen Land ist bearbeitet. Wenn man von der kahlen Höhe zu dem Thale himabreitet, glaubt man sich aus der Wüste in ein Paradies versetzt zu sehen. Herrliche Wiesen, mit dem grünen Bedä- Kraute besäet, prangen im schönsten Grün des Frühlings; zwischen ihnen sind üppige Felder mit Tabak, tür- kischem Weizen, Arbusen, Melonen. Die Felder sind alle in regelmässige Vierecke abgetheilt. Sprudelnde Bäche fliessen ratuschend zwischen ihnen dahin, und deren Ufer begleiten meist dichte Baumreihen. Zwischen diesen Feldern liegen die Gärten, über deren niedrige Lehmmauem ein dichter Wald von Bäumen emporragt. Hier recken hohe Pappeln mit silbergrauen, gezähnten Blättern ihre schlanken Stämme hoch in die Luft zwischen den mächtigen dunklen Karagatsch-Bäumen mit den ruriflen, ballon- förmigen Kronen. Dort erscheinen saftgrüne Fruchtbäume, die ihre von Aepfeln, Pfirsichen, Aprikosen u. s. w. beladenen Aeste herabhängen lassen. Hier sehen wir von Wasser bedeckte gelb- , grüne Reisfelder, dort Baumwollepflanzimgen. Das Auge kann, sich gar nicht satt sehen an all der Pracht, die in buntem Durcheinander uns umgiebt. Wir glauben zu träumen. Eben befanden wir uns noch in der öden Steppe, die Sonne brannte mit sengender Gluth auf uns herab, uns umgab die endlose graugelbe Steppe, Menschen und Thiere waren erschlafft in der todten, menschen- und thierlosen Umgebung; — jetzt ruhen wir im Schatten mächtiger Bäume, umgeben von herrlichen Bildern einer mannigfach gruppirten Landschaft. Ein munteres Treiben herrscht um uns her, überall sehen wir Arbeiter auf den Feldern, die ihrem Tagewerke nachgehen; die Hitze, wenn auch noch bedeutend, erscheint uns hier Kühlung gegen den Sonnenbrand der Steppe. Und all diese Pracht und Herrlichkeit dankt der Mensch allein dem Wasser, das in Silberadern die Steppe durchrinnt und sie zu einem Paradiese umschafft. Nirgends auf der Erde sieht man die wohlthuende Wirkung des Wassers so deutlich wie hier. So bildet das Serafschan-Thal einen fast ohne Unterbrechung fortlaufenden Garten, und es möchte dem diese Gegenden be- — 431 — tretenden Fremden schwer werden, die einzelnen Ansiedlangen von einander zu unterscheiden. Dörfer, wie bei uns, giebt es nicht, da ja die Canäle, die Lebensadern aller Ansiedelungen, hier nur kleine Häuser- und Gartengruppen gestatten. Mehrere dieser unregelmässig zerstreuten Häusergruppen, die ein und denselben Hauptcanal benutzen, bilden einen Kyschlak. Das Wort Kyschlak heisst ursprünglich Wintersitz, wie ja auch heute noch die Kirgisen ihre Wintersitze Kystau nennen. Das Wort mag daher kommen, weil die ersten türkischen Einwohner hier als Nomaden einzogen, und nur den Winter an den Flüssen und in den Gärten zubrachten. Da die Canäle sich in allerlei Windungen durchschlängeln, so kommt es häufig vor, dass Ge- höfte eines Kyschlak zwischen denjenigen eines anderen Ky- schlak eingezwängt liegen. Trotz dieses Zerstreutliegens der einzelnen Gehöfte stellt dennoch der Canal eine so enge Ver- bindung zwischen ihnen her, wie kaum das örthche Zusam- menliegen unserer Dörfer. Die gemeinsame Herstellung der Schäden am Canäle, die Eegelung im Gebrauche des Wassers zwingen die einzelnen Besitzer, sich nahe aneinander zu schliessen. Dies konnte ich bei der Grenzregulirung zwischen Buchara imd den russischen Besitzungen recht deutlich erkennen. Man war gezwungen, die Grenze in allerlei Windungen und Krüm- mungen durch das Serafschan-Thal zu führen, da es unmöglich war, auch nur ein Gehöft aus dem früheren Kyschlak -Verbände zu reissen, ohne die Leute mit ihren Lebensverhältnissen in die grösste Verlegenheit zu bringen. Zwischen dieser ununterbrochenen Reihe von Kyschlaken haben sich eine ganze Anzahl von Knotenpunkten gebildet, die mehr unseren Dörfern gleichen. Dies sind die Marktflecken (Basar). Die Basare sind gewöhnlich sehr grosse Kyschlake, in deren Mitte, um den eigentKchen Marktplatz, die Gehöfte sich schon dichter gruppiren. Hier haben sich schon einzelne Handwerker angesiedelt, während in den Kyschlaken nur Acker- imd Gartenbauer leben. Kaufleute giebt es nur selten. Der Marktplatz, der sich in der Mitte befindet, ist meist ein weit ausgedehnter leerer Eaum, auf dem nur einzelne Lehmbaracken stehen. Diese Lehmhütten, die einem Kasten gleichen, dem die vordere Wand fehlt, stehen alle leer und werden nur an den Markttagen bezogen. An freien Tagen sind diese Marktplätze die einzigen Einöden, die zwischen — 432 — den Ansiedelungen liegen. Aber kaum ist der Markttag heran- gerückt, so ändert sich das Aussehen des Platzes. Die Lehm- baracken füllen sich mit Händlern, die ihre Produkte oder Waaren feilbieten. Der ganze Platz wimmelt von einer unabsehbaren Menschenmenge. Alt und Jung strömt aus allen Kyschlaken herbei. An diesen Tagen sind die Ansiedelungen leer, denn Jeder, der nur irgend kann, zieht zu Markte; selbst wenn er Nichts zu kaufen oder zu verkaufen hat, versäimit er den Markt nicht, sondern schlendert in gemüthlicher Ruhe zwischen den Handelnden umher. Eine Beschreibung einer solchen Markt- scene zu geben, will ich nicht unternehmen. Tausende und aber Tausende von Männern, Kindern und Weibern wirbeln hier in dichtem Gewimmel durcheinander. Der graue, öde Marktplatz ist mit den buntesten Farben geschmückt: die weissen, braunen, rothen, grünen Turbane der Männer, die grellfarbig geflammten Röcke, die dunkel gekleideten Frauen; Pferde mit glänzenden Zäumen und Satteldecken; Maulthiere, Esel, hohe Arben (Wagen) bilden seine belebte Draperie. Der Handel auf diesen Basaren entspricht nur den Be- dürfhissen der Ackerbauer, die hier die Früchte ihrer Arbeit zu Markte bringen. Händler aus den Städten kommen nur wenige, nur zur Zeit der Seiden-, Tabaks- und Baumwollen- emte finden sie sich ein, um hier grössere Aufkäufe zu machen. Von Waaren aus den Städten werden wohl nur Eisenwerkzeuge und Stoffe hergebracht; am meisten werden dargeboten: Feld- früchte, Ackergeräthe , Töpfe, Arben, Räder, Reitzeuge etc., welche alle von den Ackerbauern selbst angefertigt werden. Die grössten Marktflecken, die ich gesehen habe, sind die An- siedelung Ak Täpä, zwischen dem Chisch Köpür und Samarkand, und die Ansiedelung Dagbit am Ak Darja, nördlich von Samar- kand. Hier waren schon wirkliche Strassen, einzelne Läden von Händlern und Handwerkern, die täglich geöffnet sind, und auch Karawanseraien mit grossen Höfen und Gallerieen, wo Einkeh- rende Speise und Trank, Pferdefutter und dergleichen mehr er- halten können. Sehr wunderte ich mich, in beiden Orten russi- sche Samoware vorzufinden. In der Gegend, wo ich das Serafschan-Thal durchkreuzte, bin ich im Stande, die Marktplätze und die Markttage aufzu- führen, diese sind: 1) Ming Basar am Kara Darja. Basartag am Montag. — 433 — ^) Peischämbi (Stadt) am Mittwoch und Donnerstag. 3) Dshuma Basar am Freitag. 4) Sirä Buiak, südlich von Nnrpai, am Freitag. 5) Jorgan Basar, nördlich von Dshuma Basar. Markt- tag am Sonntag. 6) Mitan Basar, nördlich vom Ak Darja. Basartag am Montag. 7) Ischtichan Basar, Markttag am Donnerstag. 8) Tschimbai Basar, nicht weit von der Ausmündung des Nurpai am Kara Darja. Markttag am Sonntag. 9) Katty Kurgan (Stadt). Basartage am Mittwoch und Sonnabend. Sonstige Basare, deren Markttage ich nicht anzugeben ver- mag, sind: 1) Jangy Kurgan; 2) Dagbit, zwischen Ak und Kara Darja; 3) Daul, südlich vom Kara Darja; 4) Peischämbi (Donnerstag), südöstlich von Samarkand; 5) Dshuma Basar, auf dem Wege nach Urgut; 6) die Stadt Tschiläk; 7) Dshuma Basar, zwischen dem Chodum-Tag und Karatscha-Tag. Die Marktplätze im Nuratanyng-Tagy werde ich später auffuhren. Als Vereinigung mehrerer dieser Marktflecken dienen wie- derum die Städte, die Hauptknotenpunkte der Ansiedelungen. Auch sie haben das Aussehen eines riesigen Kyschlak und be- stehen aus der eigentlichen Stadt mit der Festung und einem grossen, sich mehrere Werst im Kreise um die eigentliche Stadt ziehenden Gartenrayon. Ich beschreibe diese Städte hier im All- gemeinen, da der Charakter aller derselben in ganz Mittelasien vollständig derselbe ist und nur bei den verschiedenen Städten eine grössere oder kleinere Ausdehnung stattfindet. In der eigentlichen Stadt bildet den Mittelpunkt die Festung (Ark). Sie befindet sich meist auf einer künstlichen Erhöhung und ist mit einer mehr oder weniger hohen gezackten Lehm- mauer umgeben. Die Festung selbst ist in ihrem Inneren mit Häusern imd Strassen angefüllt, in der ausser dem Beg und einer Anzahl Soldaten noch andere Einwohner wohnen; rings um die Festung, gewöhnlich nur an drei Seiten derselben, dehnt sich die Stadt aus, die auch von einer Lehmmauer umgeben ist und nur durch die Thore (därwasä) betreten werden kann. Die Strassen sind eng und winkelig und bestehen meist nur aus Lehmmauern, da die Häuser durchgängig im Hofe liegen. Nur wenige Lehmmauem sind mit Verzierungen versehen, und Gärten Radioff, Aus Sibirien. II. 28 — 434 — giebt es, mit wenigen Ausnahmen, in den Städten gar nicht. .Nur in den grossen Städten, wo die Bauplätze sehr theuer sind, liegen die Häuser an den Strassen und zwar mit der Hinter- seite; die Fenster liegen stets nach dem Hofe zu. Die einzigen Gebäude, die diese Einförmigkeit unterbrechen, sind die Mo- scheen und Medressen; erstere gewöhnlich aus einer Gallerie, die von Holzsäulen getragen tnrd, und einem dahinterliegenden Gebäude bestehend. Die offene Moschee dient zur Verrichtung der Taggebete im Sommer, die verschlossene im Winter und zur Freitagsandacht. Etwas breiter als die übrigen Strassen sind die Marktstrassen, die theils verdeckt, theils offen sind. Die Läden und Werkstätten sind nach der Strasse zu offen, es sind hier stets Händler und Handwerker in voller Thätigkeit. Für Markttage ist gewöhnlich noch ein offener Marktplatz vorhan- den. Die Medressen sind meist dicht bei den Marktplätzen, sie sind die einzigen ganz aus gebrannten Ziegelsteinen aufgeführten Gebäude. Gewöhnlich sind sie in einem Viereck angelegt, das den inneren Hofraum umschliesst. Die Zellen der Mulla liegen nach dem Hofe zu und jede hat eine besondere Thür. Nach der Strasse ist die Front sauber gebaut und verziert und mit einem sehr gut gebauten Thorwege versehen. Die einzelnen Gehöfte bestehen, wie in den Dörfern, aus mehreren engen Höfen und winkelig zusammengebauten ein- stöckigen Hütten. In grösseren Höfen ist ein Teich und auch wohl einige Bäume. Die C anale sind so angelegt, dass jeder Hof von einem solchen durchschnitten wird. In diei^en Canälen wäscht man sich und die Hausgeräthe und achtet nicht darauf, dass der Nachbar allen Unrath in sein Trinkwasser erhält. Da- her kommt es, dass das Trinkwasser der Städte für einen euro- päischen Gaumen ein wahrer HöUentrank ist. Die Strassen sind meist öde, da jeder Einwohner den Tag über in seinem Hause zubringt, und nur vereinzelt sieht man Männer oder schwarz verhüllte Frauengestalten durch die Strassen schleichen. Nur an den Markttagen herrscht auch hier ein reges Treiben. Die so angelegte Stadt ist, wie schon gesagt, von einem Kranze von Gärten umgeben, die Strassen zwischen den Gär- ten sind breit er und geräumiger ; Häuser sieht man hier nirgends, sondern nur die die Gärten begrenzenden Lehmmauem, die aber meist viel höher und besser gebaut sind als im Inneren — 435 — der Stadt. Das frische Grün der dichten Baumwaldungen aber, das hoch über die Mauern ragt, macht uns den Ritt durch die Gartenanlagen angenehm und gewährt dem Auge viel Abwechs- lung. Dass die Atmosphäre, die in den Städten bei der drücken- den Hitze eine fürchterliche ist, hier bedeutend reiner ist, und die zahlreichen Bäume mit ihrem Schatten eine angenehme Kühlung gewähren, braucht wohl nicht erwähnt zu werden. So ist die Physiognomie aller Städte im Allgemeinen. In Folgendem werde ich einige .nähere Auskunft über einige der- selben geben und besonders das hervorheben, was sie von den übrigen Städten unterscheidet. 1. Pentschikend ist eine kleine Stadt mit einer ziemlich bedeutenden Festung. Sie liegt am linken Ufer des Serafschan. Die Gärten der Stadt erhalten ihren Wasserbedarf von einem ziemlich bedeutenden Bergflusse des Altaba-Gebirges. Die Umgegend von Pentschikend ist sehr bergig, und soll die Lage der Stadt eine überaus schöne sein. In Pentschi- kend wohnte früher ein Beg, der in vieler Beziehung sich unab- hängig vom Bucharischen Emir hielt und im Kriegsfalle häufig die Partei des ganz selbständigen Beg von Schähri-Sebs ergriff. Was die Bevölkerung von Pentschikend und Umgegend betrifft, so wird sie von allen Einwohnern des Serafschan-Tha- les als tüchtige Schützen und tapfere Krieger gerühmt. Man glaubte, dass sie den Kampf mit den Russen fortsetzen und sich mit dem Beg von Schähri-Sebs verbinden würden. Dies war aber nicht der Fall; die Einwohner von Pentschikend haben es vorgezogen, sich den Russen ohne jeglichen Kampf anzu- schliesgen. 2. Samarkand. Die Stadt Samarkand, die Hauptstadt Ta- merlans, das Mekka Mittelasiens, liegt am linken Ufer des Se- rafschan, etwa 5 Werst vom Flusse entfernt. Zum Theil er- hält Samarkand sein Wasser aus einem aus den südlichen Ber- gen entspringenden Flüsschen. Wer nach den hochklingenden Namen, welche die persischen Dichter dieser Stadt beilegen, und aus ihren poetischen Schilderungen sich ein ideales Bild dieser Stadt gebildet hat, wird sich sehr enttäuscht finden, wenn er Samarkand betritt. Samarkand unterscheidet sich in keiner Weise von den übrigen Städten Mittelasiens; derselbe Kranz von Gärten, dieselben aus Lehmhütten und halb zerfallenen Mauern gebildeten schmalen Gassen, dieselbe Stille auf den 28* — 436 — vom Markte entfernten Strassen. Das Einzige, was Samarkand von den übrigen Städten unterscheidet, sind die Baudenkmäler einer besseren Vergangenheit, die aber halb in Schutt und Trümmer zerfallen sind und vorwurfsvoll auf das Krämervolk herabblicken, das nicht einmal die heiligen Stätten der Vergangen- heit einigermassen in tauglichem Zustande erhalten konnte. Das eigentliche Samarkand habe ich zu einer sehr un- günstigen Zeit besucht, so dass ich mir nur nach Vergleich mit den übrigen Städten einen Begriff .von diesem Orte bilden kann. Als ich in Samarkand einzog, war der Markt zum grössten Theile ein Aschenhaufen, aus dem noch hohe Rauchsäulen auf- wirbelten; die Strassen waren durch die eingestürzten Häuser mit einer fusshohen dünnen Staubschicht bedeckt, die sich bei jedem Schritte des Pferdes wie eine dichte Rauchwolke erhob und Mund und Augen des Reiters mit einer Schmutzschicht über- zog, so dass man kaum zu sehen vermochte. Die Bevölkerung, besonders die Gelehrten, die bei ihrem Treuebruche den Zorn der Russen am meisten fürchteten, waren entflohen, und selbst der unversehrt gebliebene Theil des Marktes war an den Markt- tagen fast menschenleer. Ich konnte daher hier nur geringe Materialien sammeln und musste mich damit begnügen, die alten Baudenkmäler und die Judenstadt zu besuchen. Selbstverständlich sind die Bauwerke der Stadt Samarkand nur Medressen, Moscheen und Grabmäler, denn wie könnte der Muselman Mittelasiens seine Lügenwelt durch Baudenkmäler ver- herrlichen? Obgleich der grösste Theil der Denkmäler Samar- kands schon von Vambery beschrieben, so will ich sie dennoch hier noch einmal aufführen, da bei der Beschreibung Va5ib6ry*s sich viele Versehen eingeschlichen haben. Die ältesten Denkmäler stammen aus der Zeit Timurs. Das interessanteste und besterhaltene ist das Grabmal Timur-Lenks, des Welteroberers, das Türbeti Timur. Es ist aus Ziegelsteinen gebaut, die aussen mit einer Glasiu: überzogen sind, so dass die Aussenwände sehr geschmackvolle Mosaik-Arabesken zeigen. Gebaut ist die Grabmalskapelle in einem Achteck mit einer me- lonenförmigen, mit blauer Glasur überzogenen Kuppel; an den Seiten erheben sich zwei mächtige, hohe, aus Ziegelsteinen ge- baute Säulen, in denen früher eine Wendeltreppe emporführte; jetzt soll es lebensgefahrlich sein, dieselbe zu ersteigen. Auch die Säulenwand ist mit Mosaik-Arabesken aus glasirten Steinen — 437 geschmückt. Vor der Grabmalskapelle befindet sich ein Thor- weg, ähnlich wie das Mausoleum selbst verziert, an dessen Front- wand man über dem Thorwege die Worte lesen kann: (,,Dies hat der niedrige Knecht Mohammed, der Sohn Mahmuds aus Ispahan, ausgeführt.") Sehr richtig schliesst daraus Vam- bery, dass die Denkmäler Samarkands von persischen Baukünst- lem ausgeführt seien. Wenn man durch den zweiten Thorweg in die Grabkapelle getreten, so führt ein schmaler Bogengang an der linken Wand zu der eigentlichen Kapelle, die aus der Kuppel und vier Nischen besteht. Die Wände sind innen mit prächtigen Jaschmaplatten belegt, in denen Inschriften aller Art und feingeschnitzte Arabesken angebracht sind. Ebenso prächtig sind auch die Decken der Nischen verziert. In der Mitte des aus Steinplatten gefügten Fussbodens befinden sich sieben Grabmäler und auf der Seite nach Mekka zu ein Pfeiler, auf dem eine hohe Fahne angebracht ist. Aber schlimm sieht es in dem schönen Gebäude aus. Die Wandverzierungen sind zum Theil abgefallen. In der Mitte liegt ein grosser Kalkhaufen. Die schadhaften Stellen der Gräber und der Wände sind nur mangelhaft ausgebessert, und zwar erst in der letzten Zeit, als General Kaufmann zu diesem Zwecke den Wächtern eine an- sehnliche Summe geschenkt hatte. Die Grabsteine befinden sich in folgender Ordnung in der Mitte der Kapelle, und sind mit einem schlechten, fast ganz zerbrochenen Holzgitter umgeben. (Siehe beistehende Abbildung.) i. Grabstein, 3 Arschin lang, ^1^ Arschin breit, grauer Marmor. Jetzt ist die obere Decke ge- weisst. Nach Angabe meines Füh- rers hegt hier Mir Seid Bäräkä Scheich, der Lehrer Timur's, der zwei Jahre nach Timur's Tode gestorben sein soll. 2. Grabstein, nur 1 ^/^ Arschin lang und nur zwei Spannen breit. Mit Inschriften versehen, grauer Marmorblock. Grabstein des Mirsa Abdul Latif Mirsa, des Sohnes des Uluk Bek, gestorben im Jahre 854 (= 1450). — 438 — 3, Grabstein aus schwarzem Marmor, 3 Arschin lang und ^/^ Arschin breit. In der Mitte zerbrochen, auf dem Steine fol- gende Figur. Kund um den Stein ist eine sehr undeutliche Inschrift. Es ist der Grabstein Timur's, der 807 (=1403.) starb. 4, Grabstein, grauer Marmor mit Inschrift, 8 Arschin lang, ^/g Arschin breit. Grabstein des Mirsa Uluk Bek, des Enkels des Timur; derselbe starb im Jahre 853 (= 1449). Die Seiten- wände und ein Theil der Decke dieses Steines sind mit Kalk bedeckt. 5, Grabstein, zertrümmert, an seine SteUe ist ein dreieckiges Prisma aus Zie- geln gebaut und neuerdings mit Kalk geweisst. Dies war der Grabstein des Mirsa Ibrahim, des Sohnes des Mirsa Uluk Bek; er starb im Jahre 854. Die unter dem Prisma befindliche Steinplatte ist aus weisslichem Marmor. 5, Grabstein, ganz mit Kalk bedeckt. Es soll der Grab- stein des Mirsa Bedik, des Sohnes Mirsa Uluk Bek's sein, der im Jahre 853 starb. 7. Grabstein, aus grauem Marmor, gut erhalten, 3^2 Ar- schin lang, ganz mit Koransprüchen bedeckt. Es ist der Grab- stein des Mirsa Nain, des Sohnes Uluk Bek's. Das Todesjahr konnte mir nicht angegeben werden. Dicht bei der Eingangsthür zur Kapelle ist eine OeflEhung im Boden, und von hier aus gelangt man auf einer Treppe in ein unter der KapeUe befindliches geräumiges Gewölbe. Dasselbe ist aus rohen Ziegelsteinen gebaut, die sich yoUständig erhalten haben, aber ohne allen Schmuck oder Stuckatur sind. In diesem Gewölbe befinden sich gerade unter den Grabsteinen in der Ka- pelle ebenfalls sieben Grabsteine, die aus flachen Marmorplatten bestehen, und hier erst sind die obengenannten Personen be- graben. In der Mitte der Stadt, dicht bei dem Markte, befinden sich drei Medressen, welche mit ihren schön verzierten Haupt- fronten drei Seiten eines Quadrates begrenzen. Dies ist die einzige Stelle Samarkands, wo man das Bestreben erkennt, ein für das Auge erfreuliches Zusammenwirken durch symmetrische Aufstellung von Bauwerken angestrebt zu haben. Wären die Bauwerke in gutem Stande und der Platz einigermassen sauber — 439 — gehalten, so bildete er in der That einen seltenen Schmuck einer asiatischen Stadt. So aber haben die Einwohner auch nicht im Entferntesten die Idee der Baumeister begriffen, sondern den ganzen Platz mit Buden und Baracken gefüllt, die bis dicht an die Mauern der Medressen reichen, und nur die Höhe jener Gebäude hob sie noch einigermassen aus den geschmacklosen Budenreihen hervor. Bei dem grossen Marktbrande hat dieser Theil am meisten gelitten und sind alle Buden niedergebrannt, so dass sich die Medressen in ihrer ganzen Pracht dem Beschauer dar- bieten. Die Brandstätten zeigen aber noch deutlich, dass früher die Marktstrasse kaum 3 — 5 Faden breit war. Ich begreife da- her nicht, wie Vamböry, der doch die Budenhaufen noch unver- sehrt vorfand, ein solches Bild seiner Reisebeschreibung beifügen konnte. Wie mir der Höchstkommandirende mittheilte, hat er den Befehl erlassen, den schönen Platz zu reinigen, und Nie- mandem zu erlauben, hier neue Buden aufzuführen. So wird denn jetzt erst, nachdem die Ungläubigen hier eingezogen, die schönste Stelle Samarkands würdig geehrt und bewundert. Leider fand ich die Medressen leer, da alle Mulla' s geflohen waren, und ich muss mich bei meinen Nachrichten auf die dürf- tigen Notizen meines Cicerone verlassen. Die drei Medressen heissen : Medresse-i-Schirudar, Medresse- i-Tille-Kari und Medresse-i-Uluk-Beg. Die dem Platze zugekehr- ten Hauptfronten der Medressen sind mit Mosaikverzierungen aus mattgrünen, dunkelblau, weiss und roth gefärbten glasirten Ziegeln verziert, ganz in der Art des Türbeti-Timur. Bei der Medresse-i-Uluk-Beg sind ausserdem über dem Hauptportale zwei mächtige Tiger in Mosaikzeichnungen angebracht. Die bei- den gegenüber liegenden Medressen haben rechts und links vor der Hauptfront eine alleinstehende, aus Ziegeln gebaute Säule, die auch mit Mosaikarabesken bedeckt ist. Jede der Medressen ist in einem Quadrate gebaut, das den inneren Hofraum um- schliesst. Nur nach der Vorderseite sind Fensternischen, die übrigen Seiten haben nur Fensternischen nach dem Hof zu. Die Vorderseiten schmücken hohe, gewölbte Portale mit Spitzbogen, die übrigen drei Seiten sind mit Kuppeln von der Form einer Melone geziert. 1. Die Medresse-i-Schirudar ist von Jalang Tusch Bagadur im Jahre 1010 gebaut. Wenn man durch das Hauptportal in — 440 — den Hofraum tritt, so sieht man im Innern der Mitte jedes Flügels ein hohes Portal; zwischen den Portalen ziehen sieh die Thümischen in zwei Etagen hin. Jede Thür führt zu einer Zelle, von denen jede von zwei Mulla' s bewohnt wird. In der Medresse sind 64 Zimmer, die mithin von 128 Mulla' s bewohnt wurden; der Hof der Medresse ist gepflastert. 2. Medresse-i-Tille-Kari, später als die Medresse-i-Schiru- dar, im Jahre 1020 gebaut, in der innem Einrichtung ganz wie die Medresse-i-Schirudar. Sie ist kleiner als letztere, enthält 56 Zimmer, in denen 112 Mulla's wohnten. An dem linken Flügel steht die Moschee mit hohen Spitzbogen. Die Treppe für den Imam ist aus Marmor. In den Nischen der Moschee befinden sich Verzierungen, die augenscheinlich denen des Grabmals Ti- mur's nachgebildet sind. 3. Medresse-i-Mirsa-Uluk-Beg, des Enkels des Timiir. Sie ist bedeutend kleiner als die beiden vorhergehenden und nur einstöckig. In ihr sind nur 24 Zimmer, die von 48 Mulla's be- wohnt wurden. In dem hinteren Flügel ist die Moschee, die schon zerfallen war und wieder ausgebessert worden ist. Sie hat jetzt eine Holzdecke aus Schnitzwerk, die auf hölzernen Säulen ruht. Die prächtigste aller Medressen, ein wahres Riesenwerk, ist die zu Timurs Zeiten gebaute Medresse-i-Chanym. Gebaut ist sie im Jahre 791 von der Frau Timur's. , Gewiss hat sie für den Bau der drei vorerwähnten Medressen zum Muster ge- dient, denn sie entspricht in ihrer Anlage ganz und gar den- selben, nur übertriflPt sie dieselben weit an Umfang. Die Säulen in der Hauptfront haben einen Umfang gehabt wie die Kuppeln der vorbenannten Medressen. Jetzt ist sie zum grössten Theil zerfallen, und aus den herabgestürzten Ziegeln sind ganze Häuserreihen der sie umgebenden Strassen aufgeführt. Von der Hauptfront sind nur noch die Bogen des Portals erhalten, die Seitenflügel sind gänzlich eingestürzt, und vom linken Flügel wird jetzt ein Theil als Speicher benutzt. Am besten erhalten ist die Moschee, die sich in dem Hinterflügei befand. Das Gewölbe der Kuppel ist von riesiger Höhe. Die inneren Wand- verzierungen sind abgefallen, und die Kuppel ist mitten aus- einandergeborsten und ein mehrere Arschin breiter Riss ent- standen; trotzdem steht sie noch fest und unerschütterlich. In der Moschee ist ein riesiges ßale aus weissem Marmor. Es (Vordetannicht. Dip MedresBe-i-Cha-nym in — 441 — macht einen wahrhaft schmerzlichen Eindruck, wenn man das herrliche Bauwerk, dessen Mosaikverzierungen von anziehender Schönheit sind, so zerfallen sieht durch die Lässigkeit und den Geiz der Bewohner, die Nichts zur Erhaltung des Prachtwerkes beigetragen haben. Wenn man die Grösse der Medresse-i-Chanym mit den übrigen vergleicht, so kann man wohl mit Gewiss- heit annehmen, dass sie mehreren Hundert Mulla' s Obdach ge- währte. Ausserhalb der Stadt, nach Nordosten hin, befindet sich das Grabmal Hasret Schah Sinde (Kasim ben Abbas). Das Gebäude, in dem sich das Grabmal befindet, liegt auf einer ziemlich bedeutenden Anhöhe und ist rings von einem riesig grossen Kirchhofe umgeben, der sich jetzt bis zu den Stadtmauern aus- dehnt. Die ganze Terrasse von d«r Strasse bis zu dem eigent- lichen Grabmale ist von den verschiedensten Gebäuden erfüllt, die in ihrer Unregelmässigkeit beweisen, dass sie ihre Ent- stehung verschiedenen Zeiten verdanken. Zu dem Grabtempel des Kasim ben Abbas führt zwischen den Gebäuden eine ziem- lic}i enge Gasse empor, die mit Steinen gepflastert ist. Marmor- stufen habe ich nirgends gesehen. Wir schritten, von mehreren Mulla' s begleitet, dem Gebäude zu; es herrschte rings um uns eine lautlose Stille. An mehreren Stellen der Gasse lagen betende Pilger an der Erde, in an- dächtigem Gebete versunken. Als wir den Grabtempel erreicht hatten, wurden wir durch ein Portal und einen engen, aus Spitzbogen gebildeten Gang zu einer Moschee geführt, deren Wände prachtvoll verziert waren. Hier hielten meine Begleiter eine kurze Aiidacht, und dann traten wir durch eine kleine Thür in ein kleines Zimmer, wo die Fahne des Heiligen aufgestellt war. An der Westseite des Zimmers war ein eisernes Gitter angebracht, und hinter diesem befand sich das Grabmal des Heiligen. Meine Begleiter drückten andachtsvoll die Gesichter gegen das Gitter und be- strichen es mit den Händen, dann wurde eine Fatiha gelesen. Ich trat an das Gitter und sah hinter demselben ein kleines Gemach von rohem Mauerwerk, in dem das Grabmal aus Ziegel- steinen errichtet war. Auf dem Grabe selbst lag ein Haufe Lumpen aus grünem und blauem Zeuge. Meine Begleiter for- derten mich nun auf, dem Wächter des Grabes, der ein Nach- komme des Heiligen sei, ein kleines Geschenk zu verabreichen. — 442 — ' Ich übergab dem Mulla, der uns beim Eintritt in die heilige Stelle empfangen hatte, einen Kübel russisches Papiergeld. Bis dahin hatte in dem Zimmer eine andachtsvolle Stille geherrscht, doch jetzt forderte ein anderer gegenwärtiger Mulla von ihm das Geld, da er der Wächter und Nachkomme des Heiligen sei. Es entspann sich ein heftiger Wortwechsel, der trotz der heiligen Stätte mit höchst beleidigenden Schimpfwörtern ge- schmückt war, und alle Anwesenden mischten sich in den Streit. Auf mich machte diese Scene einen so peinlichen Eindruck, dass ich mich beeilte, die heilige Stätte zu verlassen. Die Moschee und die Kapelle müssen einst prachtvoll geschmückt gewesen sein, aber schon längst war auch hier die frühere Pracht geschwunden. Der reiche Farbenschmuck der Glasur der Wände und Decke war zum grössten Theil abgefallen und nur sehr mangelhaft und geschmacklos restaurirt. Als ich mich dar- nach erkundigte, ob hier früher der Sommersitz Timur^s gewesen, konnte mir Niemand der Anwesenden Antwort darüber ertheilen. Ich erfuhr nur, dass das Gebäude hier im Jahre 795 aufgeführt sei, und dass Kasim ben Abbas sich an dieser Stelle lebendig in seinem Grabe habe bestatten lassen. An der südlichen Seite der Stadt befindet sich die Cita- delle Samarkands; sie ist im Verhältniss zur Stadt sehr gross und hat wohl einen Umfang von mehreren Werst. Der WaD, der sie hier umgiebt, ist nicht sehr hoch, aber die Mauer ist von bedeutender Höhe und Stärke. Da hier vor wenigen. Tagen ein erbitterter Kampf gewüthet und die Festung jetzt in besseren Vertheidigungszustand gebracht wurde, so fand ich natürlich Alles in grösster Unordnung und gewiss in ganz anderem Zu- stande, als es frühei* gewesen. Soviel Hess sich nur ersehen, dass der ganze Eaum der Citadelle mit engen Strassen und Gassen verbaut war. In der Mitte dieses Knäuels von sich durch- kreuzenden Gassen befand sich das Schloss des Emirs, in dem derselbe einige Monate im Jahre zuzubringen pflegte, und wo jeder neue Emir den Thron bestieg. Von aussen unterscheidet sich das Schloss wenig von den übrigen Gebäuden, nur sind die Mauern ein wenig höher und regelmässiger aufgeführt. Das Schloss besteht aus einer grossen Menge von Höfen, Flügeln, Gebäuden und Gallerieen, welche sich aneinander reihen. Die Häuser sind aber alle aus Lehm, und nur einige von ihnen mit Stuck beworfen. Von Pracht oder fürstlichem Glänze habe — 443 — ich nirgends auch nur die geringste Spur entdeckt. Es mag auch früher hier anders ausgesehen hahen als jetzt, wo hier das Feldhospital errichtet war. Das einzige Bemerkenswerthe, das ich im Schlosse des Emirs vorgefunden, ist der weit be- rühmte Kök Tasch, auf dem die Emire den Thron bestiegen. Er befindet sich in einem grossen Hofe, in der Mitte einer recht sauber ausgeführten Gallerie. Hinter dem Steine ist eine Nische in der Wand, die in ihren Verzierungen den Nischen des Turbeti Timur nachgebildet ist; der Kök Tasch (blauer Stein) ist ein Block aus weissem Marmor, mit kaum bemerk- baren blauen Adern; er ist ganz glatt behauen' und nur an dem oberen Kande sind recht geschmackvolle Arabesken ge- arbeitet. Die Höhe des Kök Tasch beträgt 1^/2 Arschin, seine Länge 15 Spannen tmd seine Dicke 7 Spannen. An der Wand hängen noch jetzt die beiden Fermane, welche Vamb^ry erwähnt, jedoch sind sie nicht mit goldenen Lettern, sondern mit ge- wöhnlicher Tinte geschrieben. In der Wand ist ein längKcher schwarzer Stein eingemauert, auf dem ein Segensspruch ein- gegraben ist. Das Schloss des Emirs zeigt in jeder Beziehung, dass es ein Neubau ist. Ebenso zeigen sich auch auf der ganzen Fes- tung nirgends Spuren von alterthümlichen Bauten, mit Aus- nahme des an der einen Seite der Festung liegenden Kirch- hofes, auf dem sich ein Grabmal des Kudfi Tchärdaun befindet, lieber diesem ist eine Kuppel mit Mosaik- Verzierungen erbaut. Unterhalb derselben begiebt man sich durch allerlei Gallerieen und unterirdische Gänge tief unter das Niveau der Festung, bis man endlich zu dem Grabe des Heiligen gelangt, das, ebenso wie das Grab des Hasret Schah Sinde, aus Ziegelsteinen er- baut ist, und auf dem sich auch ein Haufe Lumpen befindet. Das Gitter, welches auch hier vor dem Grabmale errichtet ist, durfte früher von Niemandem durchschritten werden, damit nicht unreine Hände die heilige Stätte berührten. Jetzt war das Gitter geöffnet, und da sich Niemand bei dem Grabe befand, konnte ich es genauer in Augenschein nehmen. Auf dem Grabe fand ich einen schwarzen länglichen Stein mit einer Inschrift, ganz ähnlich, wie die in der Mauer beim Köktasch, nur war sie an vielen Stellen fast ganz unleserlich; diese Inschrift war in den- selben Charakteren geschrieben wie die oben erwähnte. Dieses Grabmal soll zu Timur' s Zeiten erbaut sein. — 444 — Zu Timur's Zeiten, als Samarkand einen weit grösseren Umfang hatte, stand die Citadelle nicht hier, sondern etwa 3 — 5 Werst von der Stadt. Ich habe diese Gegend besucht und fand hier eine bedeutende Anhöhe, die von allen Seiten sehr schwer zugänghch war. Auf dieser Anhöhe befand sich noch eine künstliche Erhöhung, die einzelne Spuren der frühe- ren Befestigung zeigte. Die Lage dieser Citadelle war zur Ver- theidigung prachtvoll, denn die Natur schützte sie vor jedem Angriffe, und sie beherrschte durch ihre Nähe dennoch voll- ständig die Stadt. Hier waren in der Erde viele Höhlen ge- graben, die, wie man mich versicherte, zum Verstecken von Eigenthum in Kriegszeiten benutzt worden seien. Südöstlich von der Stadt, etwa l^/g Werst von dem bu- charischen Thore entfernt, befindet sich inmitten der Gärten die Medresse-i-Chodscha-Aechrar. Sie ist ganz im Style der Medresse-i-Schirudar gebaut und ähnlich mit Mosaik -Verzie- rungen versehen. Sie soll vor etwa 320 Jahren erbaut sein. Die Kuppel über der Moschee ist schon eingestürzt. In dieser Medresse sind dreissig Zellen, djese bewohnen 60 Mullas. Neben der Medresse ist ein prächtiger Garten mit riesigen Bäumen. In dem Garten ist eine neue Moschee erbaut, die aber auch schon bedeutenden Schaden gelitten hat und vor 14 Jahren mit der Medresse zusammen ausgebessert worden ist. In dem Gar- ten befindet sich auf einem aus Ziegelsteinen gebauten vier- eckigen Walle das Grabmal des Chodsha Aechrar. Auf dem Grabe steht eine hohe Tafel aus schwarzem Marmor, die ganz mit Inschriften bedeckt ist. Vor dem Grabe erhebt sich ein Pfeiler, auf dem Lichter angezündet werden, sowie eine hohe Fahne mit Rossschweifen. Man erzählte mir, dass Chodsha Aechrar vor 396 Jahren gestorben sein soll. Von den neuen Medressen verdient nur noch die Medresse-i- AH der Erwähnung. Sie ist von Emir Mussafar erbaut und be- steht aus einem grossen, einstöckigen Viereck von rohen Ziegel- steinen, das 48 Zellen für die Mulla's enthält; in dem Hofe dieser Medresse befindet sich ein grosser, mit hohen Bäumen um- gebener Teich. Ausser diesen Medressen und Grabmälern von Heihgen giebt es innerhalb der Stadt und auch in der Umgegend eine grosse Menge von Moscheen und Begräbnissplätzen, die mehr oder weniger berühmt sind und von Pilgern besucht werden. — 445 — Ich will die bedeutendsten derselben, die ich selbst besucht habe, hier aufzählen. 1. Mechtüm-i-Chorasm; grosser Begräbnissplatz mit vielen Gräbern der aus Chorasm etwa vor 120 Jahren hier einge- wanderten Familie. Viele Gräber zieren sehr schöne Marmor- platten. Bei dem Kirchhofe zwei Moscheen und ein präch- tiger Obstgarten mit Teichen, der von den Einwohnern gern besucht wird. Bei der Moschee ist auch eine kleine Medresse von 6 Zimmern. Hier wohnen noch jetzt die Nachkommen der Heiligen. Die Einwohner der Medresse waren alle nach der zweiten Einnahme Samarkands entflohen. 2. Grabmal des Chodsha Nispetdar, der etwa vor 800 Jahren gestorben ist. Das Grabmal ist aus Ziegelsteinen gebaut und mit einem hölzernen Gitter umgeben. Neben dem Grab- male ist eine Moschee, die von dem reichen Kaufmanne Chad- shi Bai erbaut ist. 3. Grabmal des heiligen Chodsha Jakub. Das Grabmal ist mit einer Kuppel verziert, die zu Zeiten Timur's gebaut sein soll. Neben dem Grabe ist eine Moschee im Geschmack des Turbeti Timur gebaut, und neben dieser eine neue Moschee, die der Kaufmann Chadshi Bai hat errichten lassen. In der alten Moschee ist eine Oeffnung, die zum Grabe des Chodsha Jakub führt. Bei dem Grabe Jakub' s fand ich einen schwar- zen länglichen Stein mit einer unleserlichen Inschrift, der den früher beschriebenen glich. Mesdschet-i-Kalender, Grabmal des heiligen Kalender Chad- shi Sefa, der aus Mekka nach Samarkand gekommen. Es ist aus Ziegelsteinen gebaut und mit einem Holzgitter und Holz- dache versehen. Nicht weit von dem Grabmale liegt eine ge- wöhnliche Moschee. Es gehört aber zu derselben ein riesiger, prachtvoller Obst- und Weingarten. In diesem Garten sind viele kleine Hütten, in denen Arme und Pilger Obdach finden. Der Ertrag des Gartens gehört diesen Armen. Von gewöhnlichen Moscheen mit offenen Gallerieen zur An- dacht im Sommer giebt es in Samarkand eine Unzahl. Die Mo- scheen sind hier überhaupt der Sammelplatz der Bevölkerung. Es sind hier die einzigen schattigen Plätze, denn bei jeder auch noch so kleinen Moschee liegen ein Wasserbehälter und ein kleiner Garten. Daher herrscht bei den Moscheen ein buntes Treiben; hier liegen Gläubige im inbrünstigen Gebete, dicht da- — 446 — neben sitzen Handelsleute, die eben ein wichtiges Geschäft be- sprechen, dort sieht man einen Kreis von Männern, die einem Erzähler religiöser Sagen aufmerksam zuhören; hier wiederum kauern Leute, die ein frugales Mahl aus Früchten und Brod verzehren. Hin und her wogt die Menge. Man glaubt in der That in einem öffentlichen Vernügungs-Garten zu sein, und nur die zwischen -den verschiedenen Gruppen liegenden andächtig Betenden erinnern an das Gotteshaus. Es ist ein unbegreif- liches Ding der Fanatismus dieser Mohammedaner! Dieselben Leute, die noch kurz vorher jeden Ungläubigen niedergemetzelt hätten, luden mich ein, in der Moschee zu frühstücken, und nirgends konnte ich bemerken, dass sich Jemand vor dem Kafir entsetzt hätte, nein, sie mischten sich mit in unser Gespräch, das oft im muntersten Tone geführt wurde. Im Allgemeinen lässt sich nicht leugnen, dass wir Christen hier wenige freundliche Gesichter zu sehen bekämen ; die schwar- zen Augen blitzten unter den buschigen schwarzen Augenbrauen oft im wilden Feuer, und man fasste wohl unwillkürlich ver- stohlen nach der Waffe, wenn uns einer dieser stechenden Blicke zugeworfen wurde. Nur ein Theil der Einwohner, wenn auch ein sehr geringer, hat die Christen hier mit wahrem Enthusias- mus empfangen, dies sind die Juden. Welche wunderbare Schickung! Der Jude, welcher iu Europa seit Jahrhunderten in Feindschaft mit dem Christen gelebt, er begrüsst hier denselben Christen mit leuchtenden Blicken, drängt sich freudig an ihn heran und ist hocherfreut, ihm einen Gruss zuwinken zu kön- nen. Stolz betrachtet er den Christen als seinen Freund, seinen Beschützer, in seiner Nähe sieht er verachtungsvoll auf den Mohammedaner herab. Mehrere Juden luden uns ein, die Judenstadt zu besuchen. Als wir kaum die ersten Häuser der Judenstadt, die sich äusser- lich von den übrigen Stadttheilen durchaus nicht unterscheidet, betraten, sahen wir uns von einer Menge umringt, die uns jauch- zend im Triumphe durch die Strasse begleitete. Wir wurden «ingeladen, in mehrere Häuser einzutreten, und fanden überall eine freudige Aufnahme. Brot, Früchte, Thee und aus Wein- trauben destillirter Branntwein wurden uns vorgesetzt, und wir genossen das Dargereichte auf der Gallerie, umgeben von einer dichten Menge, die uns neugierig betrachtete. Die Häuser der Juden sind ganz wie die der Mohammedaner eingerichtet und — 447 - meist von mohammedanischen Handwerkern ausgeführt Einige Juden, besonders der Ak-Sakal (Aeltester), bei dem wir ein- kehrten, schienen sehr wohlhabend zu sein. Das Gastzimmer bei Letzterem war schön verziert, und ein grosser Garten grenzte an sein Wohnhaus. Der Wirth war weit herumgereist und erzählte uns von Deutschland, wo er vor einigen Jahren gewesen. Die freudige Aufnahme der Christen hatte ihren Grund darin, dass die Juden von den Mohammeda- nern furchtbar bedrückt wurden. Sie mussten sich schon in der Kleidung von Jenen unterscheiden, durften nur an Stelle des Gürtels einen hänfenen Strick um den Leib gürten und mussten auf dem Kopfe einen hohen, «pitzen Filzhut tragen, damit ja kein Gläubiger aus Versehen dem Ungläubigen einen Gruss dar- brächte. Es war ihnen verboten, ein Pferd oder einen Esel zu be- steigen, und sie mussten jedem Gläubigen ehrfurchtsvoll aus dem Wege gehen und sich still vor ihm verneigen. Dabei waren sie den Aeusserungen der Verachtung stets öffentHch aus- gesetzt und durften nie darüber Klage erheben, noch sich wehren. Jetzt natürhch tragen sie Gürtel und, gleich den übrigen Ein- wohnern, für gewöhnlich pelz verbrämte Mützen wie die Kirgi- sen. Sie scheeren den Kopf wie die Mohammedaner, lassen aber über der Schläfe zwei Haarbüschel wachsen, die meist in Locken bis auf die Brust herabhängen. Dies ist das Einzige, woran man den Juden erkennen kann. Ausser den gewöhnhchen Abgaben mussten sie noch eine Judensteuer entrichten, die von 2 bis 12 Rubel im Jahre betrug. Judenhetzen waren an der Tagesordnung, und oft, wenn der Emir oder einer der Begs in Geldnoth war, drohten sie, die Juden niederzumetzeln, wenn sie ihnen nicht sogleich Geld schafften. Wenn sie auch jetzt noch nicht wagen, Turbane zu tragen, so thun sie es nur wegen ihrer Glaubensgenossen > in Buchara , die der Emir niederzumetzeln droht, wenn die hiesigen Juden es wagen sollten, die heilige Kopfbekleidung der Rechtgläubigen zu tragen. Die Hauptbe- schäftigung der hiesigen Juden ist Handel, und zwar der Han- del mit Seide, die sie meist selbst färben, sowie das Brennen von Branntwein, den auch schon zur Zeit der früheren Regierung die Rechtgläubigen von ihnen kauften. Jetzt haben sie sich sogleich des Handels mit den Russen bemächtigt, und sind hauptsächlich die Gommissionäre, die in grosser Zahl das Lager — 448 — besuchen. Der Typus der hiesigen Juden hat sich vollständig rein erhalten, das bezeugen die langen, gekrümmten Nasen, die schma- len, bleichen Gesichter mit hervorstehenden Lippen, vielfach von edlem, feinem Schnitte. Frauen habe ich wenige gesehen, die Mädchen aber sind meist von bewunderungswürdiger Schön- heit. Dass ihr ganzes Wesen noch mehr den Stempel der Unter- würfigkeit trägt als bei uns, ist bei den Verhältnissen, in denen sie bis jetzt zur Bevölkerung gestanden, nicht zu verwundem. Auch die Sucht nach Gewinn und die Liebe zum Feilschen scheinen, soviel ich beobachten konnte, bei ihnen nicht weniger ausgeprägt zu sein, als bei ihren europäischen Glaubensgenossen ; doch geben ihnen darin ihre mohammedanischen Mitbewohner nichts nach. Die Sprache, deren sich die Juden bedienen, ist ohne Ausnahme die persische, sobald sie untereinander sprechen ; doch verstehen Alle, selbst die kleinsten Kinder, das Türkische, und manche von ihnen haben in den wenigen Wochen, seit die Russen sich hier befinden, schon viele russische Wörter gelernt, so dass sie sich bereits über gewöhnliche Dinge russisch ver- ständigen können. Bei meinem Aufenthalte in der Judenstadt besuchte ich auch die Synagoge. Vor einem kleinen Häuschen machten wir Halt, gingen dann durch drei oder vier Höfe und gelangten endlich zu einem grossen Hofe, auf dem unter einem Vordache etwa 40 kleine Knaben sassen. In ihrer Mitte befand sich ein junger Mensch von etwa 20 Jahren mit einer Bibel und las mit lauter Stimme und singendem Tone die hebräische Urschrift, indem er taktmässig den Oberkörper vorwärts und rückwärts beugte. Von den Knaben sassen je drei mit untergeschlagenen Beinen um eine Bibel und sprachen im Chore die Worte de» Lehrers nach, auch sie bewegten unaufhörlich den Oberkörper nach vorne. Man erklärte mir, dass hier nur gelesen würde, der Lehrer aber in keiner Weise den Sinn ^es Gelesenen er- kläre. Nach einer Weile gingen wir weiter, passirten noch einen Hof und traten dann durch eine schmale Gasse zu einem kleinen, ganz zwischen hohen Gebäuden versteckten Häuschen, vor dem sich eine weite Gallerie befand. Auf der letzteren sassen auch etwa 40 bereits ältere Knaben von 10 — 16 Jahren, welche von einem alten Manne unterrichtet wurden, der sie der Reihe nach lesen liess und ihnen das Gelesene erklärte. Die Lesenden beugten gleichfalls stets den Oberkörper nach vorne. Ich liess — 449 — mir mehrere Bibeln zeigen und fand zu meinem grössten Er- staunen lauter Wiener und Londoner Bibelausgaben. Bei dem Lehrer erkundigte ich mich nach alten Büchern. Er erklärte mir, dass hier dergleichen nicht zu/ finden seien ; diese Bibeln kämen zum grössten Theil aus Indien und aus Kussland. Ueber die Abkunft der hiesigen Juden erzählte er mir, dass sie aus Persien vor etwa 100 — 150 Jahren nach Buchara übergesiedelt und von dort nach Samarkand gekonunen seien. Er habe einige alte Leute gekannt, die noch in Persien geboren seien. Erst in spätester Zeit wären Juden von hier nach Tasch- kend übergesiedelt; die Zahl der jüdischen Einwohner betrage liier über tausend Köpfe; die meisten von ihnen verständen zu lesen. Dann führte er mich in das obenerwähnte kleine Häus- chen ohne Fenster, die Synagoge. Dieselbe war ganz schmuck- los, und in der einen Wand waren Thüren, hinter welchen sich die GrebetroUen in rothsammetnen Behältern befanden. Diese Thora's waren alle auf feines Papier geschrieben imd hatten nichts Alterthümliches an sich. Als ich meine Verwunderung darüber aussprach, dass die S3magoge so klein sei, erwiderte er mir: sie hätten bis jetzt nur im Verborgenen Gottesdienst halten können, und es hätte ihre Köpfe gekostet, weim die Mo- hammedaner von dem Vorhandensein einer Synagoge gewusst hätten. Jetzt -hätten sie aber die Absicht, eine neue grosse Synagoge zu bauen. Bei den Juden fand ich auch viele Indier aus dem Pendschab. Sie hatten sich während der Belagerung der in der Citadelle befindlichen Küssen zu den Juden geflüchtet. Ein grosser Theil der Indier soll während der Kämpfe nieder- gemetzelt worden sein. Ebenso geschah es auch mit vielen Ju- den. Der Indier sind in Samarkand sehr wenige, sie leben hier ebenso wie in den übrigen Städten Centralasiens vom Wu- cher und sind den Mohammedanern noch verhasster als die Ju- den. — Statistische Nachrichten über Samarkand zu geben, bin ich nicht im Stande. Es mag wohl gegen 20,000 Einwohner haben. In seinem Umfang ist Samarkand viel geringer als Tascfi- kend, das unbedingt die grösste Stadt der Chanate ist. Als Han- delsplatz ist Samarkand ebenfalls viel unbedeutender als Tasch- kent, da es nur den Handel zwischen Kokand und Buchara vermittelt. Kussische und indische Waaren werden hierher über Buchara gebracht, und zwar nur in dem Maasse, wie ihrer Samarkand selbst Radioff, Aus Sibirien. II. 29 — 450 — bedarf, da Kokand alle russischen Waaren über Taschkend be- zieht. Auch die Industrie wird in Samarkand wenig betrieben, es sind hier nur sehr wenige Fabriken von Baumwollen- und Sei- denzeugen. Die Hauptbeschäftigung der Einwohner ist: Garten- und Seidenbau. Was Samarkand hauptsächlich vor den übrigen Städten auszeichnet, ist seine Vergangenheit, die vielen Stätten der Heiligen, zu denen die Umwohner in grosser Zahl pilgern. 3. Katty Kurgan. In Katty Kurgan, der etwa 60 — 70 Werst westliclj von Samarkand^ am Canale Nurpai gelegenen Stadt, musste ich mich wider meinen Willen über eine Woche aufhalten, da die Bucharischen Grenzcommissäre auf sich war- ten Hessen. Wir waren hier sehr gut einquartirt; in dem präch- tigen Garten des Emirs hatten wir rund um den grossen Teich in einer von mächtigen Karagatsch- Bäumen dicht beschatteten Allee unsere Zelte aufgeschlagen. Der Garten des Emirs ist ziemlich gross, er entspricht zwar nicht unseren Begriffen vom Parke eines Lustschlosses, zeichnet sich aber dennoch durch seine regelmässige Anlage, die sonst hier bei Gärten ganz fehlt, durch seine riesig hohen Bäume, durch die schönen breiten Wege, die von hohen weinumrankten Spalieren überdeckt sind, recht vortheilhaft aus. An der Seite des Gartens liegt das Haus des Emirs, das aus mehreren Flügeln und Höfen besteht. Es ist eine recht angenehme Sommerwohnung, die sich aber nirgends durch besonderen Schmuck auszeichnet. Im Hauptflügel ist ein grosser Saal mit zwei Fenstern nach dem Garten, die zur Tages- zeit geöffnet wurden, und eine Gallerie nach dem an der andern Seite befindlichen Hofe. Auf dem letztem liegt eine kleine Mo- schee und neben dieser die Wohn;simmer der Beamten. Rechts von dem Hauptgebäude sind die Frauenwohnungen, in deren Mitte ein verdeckter Hof, der von der Decke aus durch Thurmfen- ster sein Licht erhält. Die Wände sind überall schlicht geweisst. An diesen Hof schliesen sich noch mehrere andere Höfe für die Stallungen und Bedienungen an. Hier hielt sich gewöhnUch der Emir jeden Sommer ein bis zwei Monate auf, und ich habe hier wahre Schreckensgeschichten von seiner Unsittlichkeit erfahren. Er war stets von einem Trpss von Weibern und Knaben be- gleitet und ergänzte denselben unablässig durch frische Waare von seinen lieben Unterthanen. Ich ziehe vor, über die Unzucht dieses Sommerlebens zu schweigen, das bei Weitem die ausge- feimtesten Ausschweifungen unserer civilisirten Welt übertrift't. — 451 — Der Garten des Emirs liegt etwa eine halbe Werst südlich von der eigentlichen Stadt entfernt. Von hier aus führt zur Stadt eine schnurgerade Strasse, wie ich keine andere irgendwo in Mittelasien angetroffen. Die Stadt Katty Kurgan selbst ist fast in einem Quadrat gebaut und hat in der Mitte der vier Seiten Thore. An der Südseite liegt die Samarkand Därwasy (das Samarkandsche Thor), an der Ostseite die Aidar-Tschaman Därwasy, an der Nordseite die Basar Därwasy und an der West- seite die Buchara Därwasy. In der Mitte der Stadt liegt auf einer kleinen Anhöhe die ziemlich unbedeutende Citadelle. Die Strassen sind eng und winklig und . die Häuser und Mauern meist halb zerfallen. In der Stadt habe ich nur einen Garten bemerkt, sonst stehen noch einige Baumgruppen bei den Mo- scheen; auch ist in derselben nur ein Haus aus Ziegelsteinen gebaut, dies ist die dicht bei der Citadelle am Markte gelegene Moschee. Sie heisst Medresse-i-Nakyp und ist etwa vor 70 Jahren gebaut; auch sie ist in einem den Hofraum umschliessenden Viereck gebaut. Im Sommer steht die Medresse ganz leer; es befanden sich nur in derselben zwei Müderrüs (Lehrer), ein Chatib, ein Lnam und ein Muazzin und ausserdem 15 Blinde. Zur Winterzeit sollen sich in ihr bis 100 Personen aufhalten. Der Markt ist eine in vielen Krümmungen sich hinziehende Strasse; er beginnt südlich von der Festung und zieht sich bis zur Basar Därwasy hin. In den beiden Häuserreihen, die den- selben begrenzen, sind offene Buden, von denen die meisten an den Tagen, an welchen kein Markt ist, geschlossen sind; nur die Buden, in denen die Handwerker sitzen, sind täglich ge- öffnet. Auf dem Markte habe ich nur zwei Karawansereien ge- sehen. Der grösste Theil der Häuser ist, wie gesagt, sehr klein und meist zerfallen; viele derselben stehen jetzt leer, da in ihnen Beamte und Soldaten wohnten. Die Einwohner der eigent- lichen Stadt sind zum grössten Theil sehr arm, es sind meist Handwerker, Arbeiter und Kleinhändler; auch hier wohnen 30 bis 40 jüdische Familien. Reiche Kaufleute sind nur zwei oder drei hier. An den Tagen, an denen kein Markt gehalten wird, ist die Stadt sehr öde, und man sieht kaum einige Menschen- gruppen auf dem Markte, die übrigen Strassen erscheinen wie ausgestorben. Ich machte hier die Bekanntschaft eines sehr reichen Kaufmanns, eines Afghanen von Geburt, der vor etwa 15 Jahren von Kabul hierher übergesiedelt war. Er lud mich 29* — 452 — zu sich ein, und ich folgte dieser Einladung gem. Sein Grund- stück bestand aus mehreren Höfen, in denen sich Waarenspei- eher und Seidenspinnereien befanden. In der Mitte lag das zweistöckige Wohnhaus, in dessen oberem Stockwerke sich die sehr schön eingerichteten Zimmer für die Gäste befanden. Die Wände bestanden aus Gyps mit herrlichen durchbrochenen Ver- zierungen und Arabesken; die Wandflächen waren mit Blumen- bouquets in grellen Farben bemalt, und die Decke prangte in wahrhaft zauberischem Farbenschmucke. Der ganze Fussbo- den war mit turkmenischen Teppichen belegt. Die Bewirthung war die gewöhnliche: Pilaw mit Mohrrübenschnitten, Thee und Früchte. Sehr interessant war mir, dass ich von meinem Wirthe einige Notizen über den Seidenhandel erhalten konnte. Die besten Cocons im Serafschan-Thal sind die Bucharischen, sie kosten in Buchara der Tschäräk (5 Pfund) 4 bis 5 Kokan (20 Kopeken == 1 Kokan); die besten Cocons aus Katty Kurgan steigen im Preise aber nicht über 7 Kokan. Besser noch als die Bucharischen Cocons sind die Kokandschen, nur verstehen die Kokander die Seide nicht zu bearbeiten, deshalb sind Bucha- rische Seidengewebe in viel höherem Werthe als die Kokandi- schen. Nach hiesiger Verarbeitung geben 32 Tschäräk Cocons 2 Tschäräk Seide bester Qualität; schlechtere Seide erhält man aus ebensoviel Cocons 4 bis 5 Tschäräk. Rings um Katty Kur- _ gan wird ein bedeutender Seidenbau getrieben, und mein Wirth glaubt, dass Katty Kurgan und Peischämbi bis 500 Batman (5000 Pud) Rohseide liefern. Die hier abgehaspelte Seide geht ohne Ausnahme nach Bu- chara und selbst die Seide von Samarkand geht grösstentheils dorthin, da nur wenige Seidenstofle in und bei Samarkand von Iranischen Ansiedlem gewebt werden. In Katty Kurgan sind keine Seidenwebereien. Von Buchara geht viel Rohseide über Afghanistan nach Indien; der Preis der guten Rohseide beträgt liier 100 Kokan (20 Rubel Silber) pro Tschäräk, während schlechte Seide nur 3 Dilla 5 Kokan (13 Rubel) kostet. Ich betrachtete darauf die Seidenspinnerei; es ist kein Wun- der, wenn man bfei so unvollkommener Spinnmethode nur ^/j^ reiner Seide erhält. Die letztere wird hier nämlich auf wohl 7 Arschin im Durchmesser habende Haspeln gewickelt; dieselben sind deshalb so gross, damit eine grössere Geschwindigkeit der Umdrehung erreicht wird, da das Rad nur einfach um sich selbst — 453 — gedreht und die Geschwindigkeit nicht mittelst Kammräder vermehrt wird. An jedem Haspelrade sind zwei Arbeiter notli- wendig, von denen der eine dreht und der andere den Faden auf das Rad legt. Es ist ein Wunder, dass bei einer so mangel- haften Einrichtung überhaupt noch eine erträgliche Seide ge- wonnen wird. Auch der Baumwollebau bei Katty Kurgan ist bedeutend, und hier wird nur der kleinste Theil der gewonnenen Baum- wolle verarbeitet. Der grösste Theil der besten Qualität geht ungereinigt nach Buchara. Ich besuchte später auch hiesige Webereien und fand alle Angaben meines Wirthes bestätigt. Hier in Katty Kurgan werden folgende Baumwollenzeuge ge- arbeitet und zu den beigesetzten Preisen verkauft: Bös das Stück zu 8 Arschin — 60 Kopeken Silber. Alascha ,, ,, ,, 8 „ — 70 >) >) Kaiami ,, „ „ 8 ,, — 50 „ „ Astar (Futter) „ „8 „ — 30 fi j> Die Baumwollen-Zeuge sind nur sehr schmal; die hier ge- fertigten werden gar nicht exportirt. Das Weben ist kein glänzendes Geschäft. Ein Weber, der Alascha fertigte und den ich besuchte, hatte drei Stühle; ein Mensch kann an einem Stuhle nur ein Stück zu 3 Arschin au einem Tage verfertigen, und der Weber kann nicht mehr als 20 Kopeken per Stuhl am Tage verdienen. Die Einrichtung der Webstühle ist ebenso schlecht wie die der Seidenhaspel. Auf der Strasse werden die Fäden zwischen Querhölzern aus- gespannt und stets zu 5 Fäden geordnet. Diese zu 5 Fäden geordneten Fädenbündel werden dann in etwa ^j^ Arschin lange Knäuel gewickelt; die Webstühle sind an der einen Wand an- gebracht und unter denselben befinden sich Vertiefungen in der Erde, so dass der Weber fast mit dem Niveau des Bodens gleich- sitzt. Die Langföden sind von dem Webstuhle an der einen Wand bis zur Decke der gegenüberliegenden Wand ausgespannt und auf achtkantige Walzen aufgerollt. Zwei Tritte heben die Fäden, welche durch Schilfstücke von einander getrennt sind. Die Weberschiffchen sind aus Hörn und sehr fein gearbeitet. Die Langföden sind zuerst zu fünf und dann zu hundert Fä- den geordnet und werden durch hölzerne Kämme von einander getrennt. — 454 - Sind die Zeuge fertig gewebt, so werden sie mit Leim- wasser getränkt und dann mit grossen hölzernen Hämmern ge- klopft, bis sie ganz glatt sind. Dieses Schlagen der Zeuge wird von den Zeugschlägern ausgeführt, deren Werkstätte ich auch besichtigte; es ist eine schrecklich anstrengende Arbeit, bei welcher auch kein grosser Verdienst ist. Ein Schläger kann in einem Tage bei angestrengter Arbeit 14 Stück Zeug schla- gen; für je 3 Stück erhält er 20 Kopeken Silber; dabei hält ein Hammer, der 2^/2 Kokan (50 Kopeken) kostet, niemals länger als einen Monat aus. Die Halbseide (Dur ja) wird nicht mit Leimwasser, sondern mit Eiweiss getränkt. Ausser diesen Weberwerkstätten besuchte ich eine der zahl- reicben Wassermühlen, die dicht bei der Stadt liegen. Die Mühle liegt bedeutend tiefer als das Niveau des sie treibenden Canals. Das Wasser dieses Canals wird in eine hölzerne Rinne geleitet, die etwa in einem Winkel von 40 Grad zur Mühle herabführt. Durch die Rinne wird das Wasser auf ein horizontal liegendes Fächerrad geleitet, in dessen Welle auch das Mittelstück des Steines befestigt ist, so dass der Stein nur gerade so viele Um- drehungen macht, als das Wasserrad. Es ist selbstverständlich, dass bei solcher Einrichtung das Wasser ein sehr starkes Ge- fälle haben muss, damit das Rad sich schnell bewegen kann. Das Korn wird in grossen Sieben gereinigt, und man muss die Geschicklichkeit der Arbeiter bewundern, die den Inhalt des fast bis auf ein Viertheil gefüllten Siebes über einen Klafter hoch gleich einer Säule in die Luft schnellen und dann das ge- worfene Getreide wieder im Siebe auffangen; die Siebe halten fast 1 Arschin im Durchmesser. In der Mühle waren zwei Steine, und jeder Stein mahlt in 24 Stunden 10 Batman (100 Pud) Mehl. Für einen Batman müssen 5 Tschäräk (25 Pfund) Ge- treide Mahlgebüren gezahlt werden. In der Umgegend Katty Kurgans sollen sich bis 300 solcher Mühlen befinden. An gewöhnlichen Tagen ist, wie gesagt, der Basar in Katty Kurgan sehr öde. Das ändert sich aber an den Markttagen, Mittwochs und Sonnabends, von denen der Mittwoch der be- deutendere ist. Dann ist nicht ilur der ganze Markt innerhalb der Stadt, von der Festung bis zum Basar Därwasy, dicht ge- füllt, sondern die Strasse ausserhalb der Stadt bis zum Canale Nurpai und die fast ^/g Werst sich hinziehende Strasse am Nur- pai selbst sind in einen Bazar umgewandelt. Tausende und — 455 — aber Tausende von Käufern und Verkäufern wogen auf dem Markte umher. In der Stadt finden wir die Handwerker und städtischen Händler, ausserhalb der Stadt die Kaufleute aus Peischämbi, Jangy Kurgan und die Einwohner der Dörfer, die ihre Waaren feilbieten. Auf den verschiedenen Theilen des Marktes gruppiren sich die Händler nach den Waaren. Da ist der Getreidemarkt, der Viehmarkt, der Fruchtmarkt u. s. w. Ich wanderte an den Markttagen fleissig umher und sam- melte Notizen, wenn das auch bei dem dichten Gedränge, dem unerträglichen Staube und bei der glühenden Hitze ein sehr schwieriges Geschäft war. Der Markt beginnt in der Frühe und ist etwa um 11 Uhr Morgens schon beendigt. Ich hoffe, es wird nicht uninteressant sein, wenn ich anbei eine Liste der Marktpreise gebe: Schaf fleisch, das Pfund 6 Kopeken; die Schafe werden nach Katty Kurgan aus Schähri-Sebs und Karschi gebracht. Sie kosten jetzt: ein grosses ausgewachsenes Schaf 40 Kokan (8 Ru- bel Silber), früher kosteten sie nur 20^30 Kokan (4 — 6 Rubel); dieser hohe Preis der Schafe ist durch die Kriegsverhältnisse veranlasst. Es wurde nämlich aus jener Gegend kein Vieh her- beigetrieben. Die jetzt hier zu Markte gebrachten Schafe sind aus dem Sandsar -Tag südhch von der Stadt Ura Täpä gebracht. Das Rindfleisch 3 und 4 Kopeken das Pfund. Rindfleisch ist in der heissen Zeit sehr billig, da das Fleisch schnell ver- kauft werden luuss, im Winter steigt der Preis des Rindfleisches bis auf 8 und 9 Kopeken. Rindfleisch wird im Ganzen wenig zu Markte gebracht, da die Tataren dasselbe nicht lieben. Ungereinigte Baumwolle (Gosa) war in drei Sorten vorhanden. Die beste der Batman zu 40 Kokan (8 Rubel Silber), die mittlere Sorte zu 32 Kokan (6 Rubel 40 Kopeken), die schlechte Sorte 21 Kokan (4 Rubel 20 Kopeken). Gereinigte gute Baumwolle soll das Pud etwa 5 Rubel Silber kosten. In Taschkend kostete die aus Kokand herbeigeführte gereinigte Baumwolle 16 Pud 24 Dilla, etwa 96 Rubel. Salz, 5 Pfund 8 Kopeken. Der Preis des Salzes ist eben- falls um das Dreifache gestiegen, da sonst hier 5 Pfund nur 2 bis 3 Kopeken kosteten. Das Salz ist durchweg Steinsalz von röthlicher Färbung; es kommt aus den Bergen von Karschi. Auch an dieser Vertheuerung ist schuld, dass durch die Kriegs- verhältnisse jede Zufuhr von dort unterblieben war. — 456 — Seife wird in runden Stücken zu 2 Pfund verkauft; sie ist ziemlich weiss und fest und wird in der Stadt und in der Umgegend gesotten. Ein Stück zu 2 Pfund kostet 15 Kopeken. Die Waare kommt nur im Kleinverkauf vor. Grössere Seifen- fabriken sind nicht vorhanden. Tabak, nur klein zerbröckelt zu Markte gebracht, und zwar nur in sehr geringer Quantität. Das Pfund wurde zu 4 Ko- peken verkauft. Da das Rauchen hier nirgends im Gebrauch ist, wird der Tabak nur zu Schnupftabak verarbeitet. Fertiger Schnupftabak kostet das Pfund 8 — 10 Kopeken Silber. Farbstoffe: Busgantsch, rothe Farbe aus Karschi; V2 Pftind 28 Kokan (5 Rubel 60 Kop.), Rojan (gelbe Farbe), eine Wurzel, die aus Buchara gebracht wird, 1 Pfund 12 Ko- peken. Naipus, gelbe Farbe, hierselbst geemtet, das Pfund 10 Kopeken. Tachmak aus Ura Täpä, ^/^ Pud zu 2 Rubel 40 Kopeken. Kleesamen. Samen der Pflanze Bedä, die von den Russen meist chinesischer Klee genannt wird (chin. : mu-schi), mit wel- cher man in ganz Mittelasien die künsthchen Wiesen besäet. Das Pfund dieses Samens kostet 2 Kopeken. Zur Herstellung einer Wiese von einem Tanap Landes ist von diesem Samen ^/g Pud noth wendig. Die Bedä -Wiesen müssen alle vier Jahre von Neuem besäet werden. Jede Wiese wird im Laufe des Sommers drei- bis viermal abgemähet. Früchte: Aepfel, gute Sorte, 1 Pfund zu 2 Kopeken. Aepfel, schlechte Sorte, 1 Pfund zu 1^/2 Kopeken. Aprikosen (grosse) 1 Pfund zu 3 Kopeken. Aprikosen (kleine) 1 Pfund zu 2 Kopeken. Rosinen, schlechte Sorte, 1 Pfund zu 2 Kopeken. Rosinen, bessere Sorte, 1 Pfund zu 4 Kopeken. Weizenmehl, 1 Batman 22 Kokan (4 Rubel 40 Kopeken); das Mehl ist jetzt theuer, zu bilhgeren Zeiten soll es nur 17 bis 18 Kokan (3 Rubel 40 Kopeken bis 3 Rubel 60 Kopeken) kosten. Ungemahlener Weizen, der Batman 18 Kokan (3 Ru- bel 60 Kopeken). Gerste (die hier nur als Pferdefutter gebraucht wird), der Batman 12 ^okan (2 Rubel 40 Kopeken). Ungereinigter Reis (Schal), der Batman 24 Kokan (4 Ru- bel 80 Kopeken). Gereinigter schöner Reis, der Batman 64 Kokan (12 Rubel 80 Kopeken). Halb zerriebener und zerbröckelter Reis, der Batman 22 Kokan (4 Rubel 40 Kop.). — 457 — Töpferwaaren: 1) Glasirte Teller und Schüsseln zu 15 bis 20 Kopeken, grössere Schalen 30 Kopeken, kleinere Schalen 10 Kopeken. 2) Unglasirte Krüge 5 bis 6 Kopeken, grössere Krüge 10 Ko- peken, sehr grosse Krüge von l^/g Arschin Grösse 20 Kopeken. Es giebt in Katty Kurgan sechs Töpfer, von denen der eine mitten auf dem Basar seine Werkstatt hat. In derselben arbeiten zwei Arbeiter, die an einem Tage bis 70 Kxüge ver- fertigen. Die Arbeiter werden monatlich bezahlt und jeder er- hält bei eigener Beköstigung 20 Kokan (4 Rubel) Monatslohn. In den Läden, in welchen Zeuge verkauft wurden, gab es ausser den in Katty Kurgan gefertigten Baumwollenzeugen, Baum- wollen- und Seidenzeuge aus Kokand, Buchara und Kabul. 1) Kokandische Waaren: Mata (grobes Baumwollenzeug), acht Pack zu 12 Ar- schin 1 Dilla 5 Kokan (5 Rubel). Dur ja (Halb-Seide), in 2 Enden zu 8^/4 Arschin zu 1 Dilla (4 Rubel). Schajy (Ganz-Seide), 8 Arschin 5 Rubel. Steppdecken, mit grobem, buntbedrucktem Baum- wollenüberzug, dick wattirt 1 — 2 Rubel. Röcke aus gestreiftem Baumwollenzeuge mit sehr grobem Futter l^/g Rubel. 2) Bucharische Waaren: Schajy (Ganz-Seide), in Stücken zu 18 Arschin ver- kauft zu 15 — 18 Rubel. Die Schajy wird in folgenden Farben verkauft: geflammt, zweifarbigschiUemd, lila- röthlich, grau-blau, grün-röthlich, breitgestreift, feinge- streift, grau und schwarz, weiss mit schwarz oder gelb; einfarbig: roth, weiss, gelb. Patschaja (Halb-Seide), 18 Arschin von 7 — 8 Rubel. Basma Schit (bedruckter Kattun), 100 Stück zu 22 Arschin 110—122 Rubel. Sargudscha, schlechte (sog. kirgisische, welche von den Kirgisen gekauft wird), 18 Arschin 1 Rubel, bessere Sorte 18 Arschin 2 Rubel. 3) Kabulische Waaren: Nil, blaue Farbe, das Pud 14— 15DiUa(56— 60Rub.). Dakä (feiner weisser Mull), besonders zu. Turbanen angewendet, 24 Arschin 5 — 6 Rubel. — 458 — K i m c h a t , Seidenzeug mit Gold durchwirkt, 7 Arschin bis 50 Dilla (200 Rubel). Aus Kabul werden auch ver- schiedene enghsche Zeuge hierher gebracht, hauptsäch- lich Mulle, aber auch andere dichte, weisse Baumwollen- zeuge. 4) Aus Mäschät: Sär, feines Baumwollenzeug, 50 Arschin 10 Rubel. Fertige lange Röcke mit Futter kommen hierher aus Bu- chara und Kokand. Sie sind von sehr verschiedenen Preisen. Hier die hauptsächlichsten: Röcke aus Baumwollenzeug 2 — 5 Rubel Durja 7 — 9 Schajy ' . 10—14 Tuch ohne Stickerei .... 20 ,, mit Stickerei 25 — 30 Plüsch mit Gold- u. Silberstickerei 40 buntem Kaschmir 50 — 60 Goldbrokat 40 Rubel, 60 Rubel, 80 Rubel. )> 7> M n )> fK Der Handel mit Kaschgar ist jetzt ganz unterbrochen, er bestand früher hauptsächlich aus der Einfuhr von Thee und Silber, das in Jamben zu 32 Dilla hierher gebracht wurde. Der Thee, der jetzt hier wie in Samarkand verkauft wird, ist sehr schlecht, er wird über Buchara hierher eingeführt und kommt wohl aus Indien. Chinesischer Thee scheint nur der grüne Thee zu sein. Letzterer ist das Lieblingsgetränk der Reichen. Von sonstigen Handelsartikeln sind noch zu erwähnen: 1) Teppiche, die in grosser Zahl aus Buchara und Nordpersien hier eingeführt werden. Diese sind sehr fest gearbeitet. Wie man mir erzählte, werden sie von den Turkmenen gefertigt. Im Preise sind sie je nach der Grösse und Farbe sehr verschie- den, von 10 — 100 Rubel. 2) Sättel, die hauptsächlich in Samar- kand gefertigt werden. Was den Handel mit rohen Fellen betrifft, so werden diese mit Ausnahme der Schaffelle nach Buchara versendet. Die Schaffelle gehen ohne Ausnahme nach Taschkend. Dies sind ungefähr die Nachrichten, die ich auf dem Basar zu Katty Kurgan einziehen konnte. Ich glaube, dass sich die Handelsverhältnisse Katty Kurgans nach der Besitznahme durch die Russen wenig geändert haben, da überhaupt das Serafschan- — 459 — Thal durch den Krieg durchaus nicht berührt worden ist. Dies hatte ich später bei meinen Streifzügen durch das Serafschan- Thal Gelegenheit zu beobachten. Aus diesem Grunde hielt ich gerade Katty Kurgan für dön passendsten Ort, um Nachrichten über den Handel des Serafschan-Thales einzuziehen. Die Ansiedlnngen in den das Serafschan-Thal begrenzenden Gebirgen. Während das Serafschan-Thal von einer ununterbroche- nen Reihe von Ansiedlungen erfüllt ist, sind die Ansiedlnngen in den Grenzgebirgen sehr zerstreut zwischen den einzelnen Anhöhen. Dies ist natürhch nur durch den Wassermangel ver- anlasst, denn wo nur irgend ein unbedeutender Wasserquell aus der Erde hervorsprudelt, da sehen wir gleich mehrere Gehöfte entstehen. Die Ansiedlungen in den südlichen Grenzgebirgen sind un- bedeutende Dörfchen, die aus wenigen auf den kahlen Steppen sich erhebenden Häusern bestehen. Die hauptsächlichsten sind Kara Su, Daul, Schor Kuduk und Sira Bulak. Diese Dörfer machen einen gar traurigen Eindruck; ihre Häuser sind von der- selben aschgrauen Farbe wie die ausgedörrte Steppe selbst und es fehlt ihnen jeghcher Baumschmuck, welcher die Ansiedlungen in der Niederung wie Oasen in der Wüste erscheinen lässt. Die geringe Wassermenge, die kaum zum Trinken für die Menschen und das Vieh hinreicht, und die theils durch gegrabene Brun- nen künstlich hervorgebracht werden muss, erlaubt einen solchen Luxus nicht. Dafür sind aber die langen Bergwellen zwischen diesen Ansiedlungen mit unabsehbaren Getreidefeldern bedeckt, die hier merkwürdiger Weise nicht der künstlichen Bewässerung bedürfen. Es ist fast unbegreiflich, wie bei der grossen Trocken- heit hier Getreide gedeihen kann. Doch diese Felder machen einen ebenso traurigen Eindruck wie die ganze Steppe; es sind nicht unsere üppigen Kornfelder, auf denen ein lichtes Meer von Aehren sich in anmuthigen Wellen im Winde schaukelt; die Felder sind vielmehr mit kurzen, starren Halmen dünn be- säet, durch welche überall der graue Lehmboden sichtbar ist, so dass sich das besäete Feld von der Steppe durchaus nicht abhebt. Das Getreide soll hier nur einen sehr geringen Ertrag geben, in guten Jahren nicht mehr als das vierte und fünfte — 460 — Korn. 'Da gerade in diesen Gegenden der Krieg am heftigsten gewüthet hatte und in Folge dessen die Bewohner sich zum grössten Theil nach dem Süden geflüchtet hatten, so waren alle Feldfrüchte zwischen Daul, Sirä Bulak und dem Tim-Tag (von denen die von Sirä Bulak westlich liegenden Felder zum Wa- kuf der Medresse des Jalangtusch in Samarkand gehören) un- abgemäht stehen geblieben und daher vollständig verdorrt. Nördlich vom Serafschan sind bedeutende Wasserrinnen, da- her finden wir auch daselbst grössere, mit Baumpflanzungen ge- zierte Ansiedlupgen und bedeutende Felder und Wiesen. Im Ganzen unterscheiden sich die Ansiedlungen zwischen Ak-Tag und Serafschan durchaus nicht von den Ansiedlungen des Seraf- schan-Thales, nur dass sie in weitläufig gebauten, von einander getrennten Häuser- und Gärtengruppen an den schmalen Fluss- ufem sich entlang ziehen. Auch hier sind viele Bergwellen mit Weizen besäet. Auf dem Berglande des Nuratanyng-Tagy, d. h. zwischen dem nördlichen Kamme Kara-Tag und dem südlichen Ak-Tag, Karascha-Tag und Chodum-Tag, befinden sich aus Wassermangel verhältnissmässig wenige Ansiedlungen. Der westliche Theil bis zum Flecken Sarai gehört zur Nurata'Bchen Begschaft. Die Stadt liegt am westlichen Fusse des Nuratanyng-Tagy und soll kleiner sein als die Stadt Katty Kurgan. Sie ist aber dennoch die be- deutendste oder fast die einzige Stadt der ganzen Begschaft. Ausser ihr giebt es noch eine Anzahl Marktflecken wie Tschüä, Bagadschat, Aktschap, Dschusch, Koschrawat, Pschat, die wohl aus 50 — 150 zerstreut liegenden Gehöften bestehen, und von denen einige, z. B. Aktschap, Dschusch, Pschat recht viele und bedeutende Gärten besitzen. Die übrigen Ansiedlungen bestehen nur aus einigen wenigen Gehöften und liegen meist an den Bergabhängen zerstreut. Die Leute leben auch nur vom Acker- bau auf den unbewässerten Bergwellen. Der Obstgewinn ist gering, und Reis und Baumwolle werden gar nicht gebaut, denn das Klima in den Berggegenden ist viel kälter als im Serafschan- Thale. Der Viehstand der Bergbewohner des Nuratanyng-Tagy ist äusserst unbedeutend, da Gras und Heu hier einen enormen Preis haben. Der östlich von Sarai liegende Theil des Berglandes des Nuratanyng-Tagy gehörte früher zur Dshisakschen Begschaft. Er ist noch spärlicher bewohnt als der westliche, und mit Aus- — 461 — nähme Türsüns, das ein recht ansehnhches Dorf ist, bestehen die Ortschaften meist ans ganz vereinzelten Gehöften. Zum grössten Theile. wohnen die Leute in Filzjurten am Rande der meist unbedeutenden Bäche. Gärten gehören blos zu den Aus- nalnnen, meist sieht man nur in der Nähe der Jurten vereinzelte künsthche Wiesenplätze, Dichter ist die Bevölkerung bei Kara Abdal und Nakrut. Erst wenn man die Ostgrenze des Karascha-Tag erreicht, beginnt beim Dorfe Kongrat eine bedeutend stärkere Bevölkerung und beim Flecken Dshuma Basar hat diese so zugenommen, dass man glaubt, man habe das Serafschan-Thal wieder erreicht. Von hier aus zieht sich eine ununterbrochene Reihe von An- siedlungen südwestlich bis zur Stadt Tschiläk, einem kleinen Städtchen, unbedeutender als Kiitty Kurgan, das aber früher der Sitz eines Begs war. lieber die Umgegend Tschiläks bin ich nicht im Stande, nähere Angaben zu machen, da ich erkrankte und nur mit der grössten Anstrengung den Weg zwischen Dshuma Basar und Samarkand zurücklegen konnte. Die Gegend nördhch vom Kara -Tag, die auch früher zur Dshisak'schen Begschaft gehörte, habe ich nicht besucht. Sie soll sich sehr wenig von den Bergländem zwischen Kara -Tag und Ak-Tag unterscheiden. Der einzige bedeutendere Punkt dort ist die Befestigung Uchum. Wegverbindimgen. Die Hauptstrassen, die das Serafschan-Thal von Osten nach Westen durchziehen, sind die Verbindungswege zwischeif Buchara und Taschkend (Kokand); die kürzeste Strasse von Taschkend nach Buchara geht über die Befestigung Tschinas durch die wasserlose Steppe nach Dshisak. Bei Tschinas, wo der Syr Darja überschritten werden muss, ist jetzt eine treffliche eiserne Fähre. Früher war dieser Weg der am meisten besuchte, das beweist die prächtige, aus Ziegeln gebaute Karawanserei Myrsa Rawat, die ungeföhr auf der Hälfte des Weges zwischen Dshisak und Tschinas liegt. Diese Myrsa Rawat ist jetzt zum grössten Theil zerfallen, auch einige künstliche Wasserbehälter sind in einem üblen Zustande. Seit den letzten Jahren wird dieser Weg viel seltener besucht, weil der östlich hausende Kirgisen- häuptling Sydyk Törö auf Befehl des Bucharischen Emirs diese — 462 — Gegend unsicher gemacht hat. Die Reisenden konnten hier nur unter Bedeckung einer bedeutenden Eskorte nach Dshisak ge- langen; eine solche wurde ihnen auch monatlich einmal von der Regierung zur Verfügung gestellt. Der weitere Weg zwischen Taschkend und Dshisak geht über die Stadt Chodschend (dort ist jetzt ebenfalls eine bequeme Fähre über den Syr Darja), Nau, Ura Täpä und Samin. Ersterer Weg ist nur 189 — 200 Werst lang, während letzterer wohl über 350 Werst beträgt. Der Weg nach Kokand schliesst sich an letzteren Weg südlich von Chodschend an. Von Dshisak führen nach Buchara drei verschiedene Wege : 1) der nördliche Weg: nördlich von Kara-Tag nach der Stadt Nurata und von hier direkt nach Buchara. 2) Der mittlere Weg: über den Bergpass Birlschäk nachDshuma Basar, Tschiläk, Mitan, Ischtichan, Katyrtschy etc. 3) Der südliche Weg: durch das sogenannte Tamerlansche Thor, am Jylan-ötü etwas nördlich von Jangy Kurgan nach Samarkand. Von Samarkand aus theilt sich dieser Weg in einen äusseren, d. h. südlich vom Serafschan- Thale über Daul, Tschimbai, Schor Kuduk, dann über das Ge- birge Tim-Tag und die Steppe Orta Tschöl und einen inneren im eigentlichen Serafschan-Thale über Jangy Kurgan, Katty Kurgan führenden. Da die westliche Hälfte des äusseren Weges sehr wasserarm ist und der östliche Theil des inneren Weges wegen der vielen Ansiedlungen und Bewässerungsgräben manche Schwierigkeiten darbietet, so folgen die Reisenden bis Schor Kuduk dem äusseren Wege, und von hier wenden sie sich nach Katty Kur- gan und gehen auf dem inneren Wege über Kermine nach Buchara. Von den Wegen zwischen den Städten des Serafschan-Thales und der Grenzgebirge will ich nur die hauptsächlichsten erwähnen. Zwischen den nördlichen Gebirgen geht ein grosser Weg südlich vom Kara-Tag von Osten nach Westen, welcher Jangy Kurgan mit Aktschap und Nurata verbindet. Er berührt hauptsächlich die Ansiedlungen Kara Abdal, Nakrut, Sarai, Koschrawat, Dschusch, Aktschap. Von diesem Wege gehen folgende Wege nach Süden: 1) von Kara Abdal zwischen Karascha-Tag und Chodum-Tag nach Tschiläk, 2) von Nakrut über Türsun nach Tschiläk, 3) von Koschrawat über Pschat, Ak Täpä nach Mitan, 4) von Koschrawat über Tatty nach Serbent, 5) von Koschra- wat über Kerägän nach Serbent, 6) von Kara Taach über Koun- schy nach Andak, 7) von Kara Tasch über Kara Tut nach — 463 — Bürgän, 8) von Bagadschat über Tikänlik nach Dsbisman. Die Wege 1, 2, 3, 8 sind die Hauptverbindungsstrassen mit dem 8üden, da hier die Bergübergänge keine Schwierigkeiten bieten. Tikänlik (8) ist nur für Packpferde passirbar, im Ganzen aber .ohne Gefahr. Die Wege 4, 5, 6, 7 sollen theilweise sehr schlecht sein und werden deshalb sehr wenig benutzt. Nach Norden zweigen sich folgende Wege ab: 1) von Ak- tschap nach Temir Kauk; 2) von Sarai nach Dshusch über Säü- rük, Uestük nach Uchum; 3) von Kara Abdal über Sor Bei nach Kulma. Alle diese Wege sollen sehr beschwerlich sein, besonders der Bergübergang nach Uchum. Nach Dshisak kann man von Westen auf drei Bergpässen ge- langen: 1) über den Jylan-öttü (der gewöhnliche Weg nach Jangy Kurgan; 2) über den Bergpass Bir Ischäls;^ 3) über den Berg- pass Sary Sai, östlich vom Flüsschen Kuakia. Der Wege vom Serafschan-Thale selbst sind natürlich sehr viele; die bedeutenderen von ihnen sind natürlich die Strassen, welche die grösseren Ansiedelungen verbinden, d. h. die Wege zwischen Tschiläk, Samarkand, Jangy Kurgan, Peischämbi, Katty Kurgan, Katyrtschy und Siaddin. Von Samarkand aus führt ein bedeutender Weg nach Osten zur Stadt Pentschikend und von da nach Urmitan ; von diesem Wege zweigen sich ab : 1) ein Weg über Kara Täpä nach Schähri - Sebs ; 2) ein Weg über Dshuma Basar nach Urgut und Dsham; 3) ein Weg von Pen- tschikend über Churma zur Festung Magian. Von Katty Kurgan wendet sich südlich ein Weg über Sarai Kurgan und Ülus nach Dsham und Schähri-Sebs. Von diesem zweigt sich ein Weg über Sipkä nach Karschi ab. Ein anderer Weg verbindet Katyrtschy mit Karschi, dieser führt über Schirin Chotun nach Sipkä. Alle diese Wege befinden sich in einem jämmerlichen Zu- stande. Die mächtigen Eäder der Arba haben tiefe Furchen in den weichen Lehmboden gegraben, die, häufig durch übertretende oder die Ufer durchbrechende Canäle ausgespült, sich in tiefe Grä- ben umwandeln. Die stete Wassergefahr zwingt die Einwohner, die Wege im Innern Serafschan-Thale einigermassen auszubessern. Die Wege auf den höher gelegenen Grenzgebirgen des Thaies werden, da hier die Furcht vorUeberschwemmung nicht vorhanden, nie ausgebessert; sie sind daher sehr tief ausgefahren und bilden oft bis über einen Faden tiefe Hohlwege. — 464 — Brücken gehören zu den grössten Seltenheiten und werden nur hei unbedingter Nothwendigkeit angelegt. Dies ist beson- ders hei tiefen, künstlichen Canälen der Fall, wo hei den stei- len Ufern und dem tiefen Schlamme des Bodens ein Uehergang sonst unmöglich wäre. So sind viele Brücken üher den Nur- pai und üher die grösseren südöstlichen Canäle gehaut. Die- selben sind sehr roh aus unbehauenen Baumstämmen gezim- mert, und die Passage ist oft lebensgeföhrHch. Nur eine Brücke, die sich nördlich von Ak Täpä auf dem Wege zwischen Dshi- sak und Samarkand befindet, ist im mittleren Serafschanthale aus Ziegelsteinen gebaut, daher ist sie auch weit und breit unter dem Namen Chisch-Köpür bekannt. Für Asiaten gilt sie als ein Meisterwerk der Baukunst, für einen Europäer aber nur als ein erbärmliches Bauwerk, gegen das unsere schlech- testen Brücken wahre Kunstwerke sind. Diese Brücke ist vom Vater des jetzigen Emirs vor 30 Jahren gebaut worden. Alle natürlichen Gewässer (Flüsse und Bäche) sind ohne Brücken. Bei grösseren Strömen befinden sich an denjenigen Punkten, wo sie Hauptwege durchschneiden, unbeholfene Böte zum üeber- setzen der Menschen und Waaren, besonders am tiefen Ak Darja. An seichten Stellen werden die Flüsse durchritten, so z. B. der Serafschan beim Berge Tschopanaty. Auch die kleineren Ca- näle entbehren der Brücken, und der Eeisende in Mittelasien denkt mit Schrecken an jene schlammbedeckten Ueberfahrten, wo die festgefahrenen Wagen ihn oft zwingen, sich stundenlang in der glühenden Sonnenhitze aufzuhalten. Die einzige Brücke, die als architektonisches Kunstwerk Bewunderung verdient, ist die dicht, bei dem Berge Tschopa- naty über den Serafschan führende, gerade an der Stelle, wo man jetzt mit Lebensgefahr das reissende Wasser durchreitet. Sie war ganz aus Ziegelsteinen gebaut und überspannte, wie man aus den wenigen Ruinen, die sich noch hoch in die Luft erheben, sieht, in weiten Spitzbogen den mächtigen Fluss. Jetzt ist der grösste Theil des Baues zerfallen, und es ragen nur noch zwei mächtige Bogen, unberührt von dem zerstörenden Einflüsse der Zeit, in den Fluss hinein. Ob die Brücke nur begonnen und liegen geblieben, lässt sich jetzt nicht be- haupten, weil ausser den beiden Bogen, die sich wohl bis 5 Fa- den über dem Wasser erheben, nirgends eine Spur von der Anlage zu entdecken ist. Da die Dämme, welche den Kara — 465 — Darja und Ak Darja trennen, gerade an dieser Stelle angelegt wurden, so könnte man denken, dass die mächtige Brücke nicht nur den Zweck der Erleichterung des Flussüherganges hatte, sondern auch mit ihren mächtigen Ziegelstein-Pfeilern zur Schei- dung der Arme des Serafschan als Damm diente. Wer die Brücke gehaut, konnte ich nirgends erfahren. Jedenfalls ist sie aher interessant als einziges Denkmal der Profan-Baukunst. Bevölkerung. Die Bevölkerung des Serafschan - Thaies kann nach der Sprache in zwei Gruppen getheilt werden: 1) in türkischen Dialekt redende Stämme und 2) in persisch redende Stämme. Erstere bilden den grössten Theil der Bevölkerung, während letztere nur zerstreut an einzelnen Orten leben. Diejenigen Einwohner, die sich der persischen Sprache bedienen, werden im Allgemeinen mit dem Namen Tadschik bezeichnet; die per- sische Sprache wird hier sogar von den ungebildeten Land- bewohnern und Nomadenvölkem Tadschik-til (Tadschik-Sprache) genannt. Die Tadschik wohnen meist nur in den Städten und be- schäftigen sich dort ausschliesslich mit Handel und Gewerben. Sie bestehen zum Theil aus uralt persischen Einwohnern, zum Theil aus eingewanderten Persern oder aus freigelassenen persi- schen Sclaven, die alljährlich in grosser Menge von den Turk- menen in den Chanaten verkauft wurden. Die neuangekom- menen persischen Einwohner werden meist Iran genannt und sind zum Theil, wenn auch ganz im Geheimen, Schiiten. Der Hauptsitz der Tadschik (ich will hier unter diesem gemeinsamen Namen alle Perser nennen) sind die Städte Chodschend am Syr Darja (wo die Tadschik-Stadt von der Osbek-Stadt getrennt ist), üra Täpä, Dshisak (fast nur von Tadschiken bewohnt) und Samarkand. In Samarkand ist die innere Stadt fast nur von Tadschik bewohnt, und man hört auf den Strassen fast keine andere Sprache als die persische. In den westlichen Gärten Samarkands und der Umgegend leben ebenfalls fast ausschliess- lich Tadschik; einige Iran-Dörfer haben sich auch hier gebildet, die sich hauptsächlich mit Seidenbau beschäftigen. Nach Stamm- namen habe ich mich bei den Tadschik vergeblich erkundigt, ebenso wissen sie auch nichts über ihre frühere Geschichte zu berichten. Radi off, Aas Sibirien. II. 30 — 466 — Ueberbleibsel der früheren Bevölkerung sind auch die so- genannten Berg-Tadschik oder Galdscha, die an verschiedenen Punkten mehr oder weniger ausgedehnte Kreise bewohnen. Es ist, als ob diese Ureinwohner sich auf einzelnen hochliegenden Punkten vor dem andrängenden Strome gerettet hätten. Diese grossen Tadschik- Ansiedlungen sind, so viel ich erfahren konnte, folgende: 1) einen Tag Weges von Kokand auf dem Wege nach Dauan, wo mir die Dörfer Schaidan, Babadurchan und Jan- gas genannt wurden ; 2) in den südwestlichen Gebirgen von Tasch- kend; 3) auf dem Nordrande des Kara-Tag zwischen Dshisak und Temir Kouk ; 4) am oberen Laufe des Serafschan, östlich von Pentschikend, wo man mir die Bevölkerung Galdscha und Kara Tegin nannte. Ich habe leider keine dieser persischen Ansiedlungen besuchen können, kann also über sie auch keine näheren Aufschlüsse ertheilen. Die Bewohner sollen sich aber, so viel ich gehört, wenig von den übrigen Einwohnern in Sitten und Lebensweise unterscheiden. Die türkischen Einwohner des Serafschan-Thales sind zum grössten Theile Ösbeken, mit Ausnahme einzelner Punkte am Nurpai in der Katty Kurganschen und Siaddinschen Begschaft, wo sich bedeutende arabische Ansiedlungen finden, die aber schon längst den Einflüssen der Türken erlegen sind und jetzt die türkische Sprache reden. Die ösbek- Hauptstämme wohnen keineswegs scharf von einander abgegrenzt, sondern vielfach unter einander vermischt, jedoch immer in der Hauptmasse bei einander. Dass hier viel- fach Vermischungen stattgefunden, beweist schon eine grosse Anzahl von Namen der Kyschlake, die häufig, wie man deut- lich sieht, nach kleinen Stammabtheilungen genannt worden sind. So findet man Dörfer „Ming" unter den Kyptschak; ebenso „Dschalair", „Kongrat*' u. s. w. Ueber die nähere Verwandt- schaft einzelner Stämme unter einander giebt es viele Erzäh- lungen, wie z. B., dass Mangyt und Känägäs von zwei Brüdern abstammen; ich halte es aber für überflüssige hier näher auf diese fingirte Genealogie einzugehen; nur Eines will ich noch erwähnen. Der Chan von Buchara, der aus den Mangyt stammt, soll jedesmal bei seiner Thronbesteigung auf eine Filzdecke ge- setzt werden, deren vier Ecken von Abgeordneten der vier Stämme gehalten werden. Das sind die Stämme Ming, Allat, Bährin und Batasch. — 467 — Wie, man schon ans oben Gesagtem ersehen kann, werden im Serafschan-Thal, wie überhaupt in Turan, zwei Sprachen ge- sprochen, die persische nnd die türkische, lieber das Persische erlaube ich mir kein eingehendes ürtheil zu ßlllen. Es scheint aber, als ob die hier gesprochene persische Sprache wenig von dem Schriftpersischen abweicht. Was das türkische Idiom be- triflPt, so giebt es hier vier Dialekte: das Kirgisische, die Sprache der Kara Kaipak und der Turkmenen, und das Dschagataische oder das ösbekische. Von diesen Dialekten stehen die ersten drei sich sehr nahe,, während sich das Ösbekische von ihnen scharf scheidet; eine Schriftsprache hat nur das ösbekische. Natürlich kommen auf dem weiten Terrain, das die ösbeken bewohnen, einzelne Dia- lektunterschiede vor; im Allgemeinen kann aber diese Sprache als ein Ganzes betrachtet werden, es verständigen sich wenigstens die Bewohner Bucharas mit den Sart von Turkistan ohne jeg- liche Mühe, was bei dem starken Verkehr, der zwischen den einzelnen Städten Mittelasiens stets geherrscht hat, durchaus nicht zu verwundem ist. Was die Reinheit des türkischen Idioms betriflPt, so wird dasselbe am meisten in der Steppe gesprochen, wohin die sprach- zersetzende und volksgeisttödtende CiviHsation des Islam noch nicht gedrungen. Am wenigsten vermischt mit arabischen und persischen Wörtern sprechen die Kirgisen^ und was sie an frem- den Elementen aufgenommen, haben sie vollständig zu ihrem Eigenthum gemacht. Doch auch bei ihnen hat an einzelnen Punkten ein stärkeres Andringen der Fremdlinge begonnen, das kann man am Deutlichsten bei allen den Sart nahe wohnenden Kirgisen erkennen. Sehr nahe in Bezug auf die Reinheit steht der Sprache der Kirgisen die der Kara Kalpaken und der Turkmenen im Nurata- Gebirge, obgleich beide Stämme schon bedeutend in ihren socialen Verhältnissen den ösbeken unterlegen sind und daher schon viele Fremdwörter aufgenommen haben. Die Sprache der ösbekischen Landbewohner des Serafschan- Thales steht hinsichtlich ihrer Reinheit weit hinter den zuerst aufgeführten Dialekten zurück. Arabische und persische Satz- wendungen werden auch von nicht Schriftkundigen in Fülle gebraucht. Am meisten entstellt ist die Sprache der Städte, wo es schon zum guten Tone gehört, sich mit fremden Federn zu 30* — 468 — schmücken. In den Städten wiederum nimmt diese Verunstal- tung der Sprache zu, je mehr man sich dem gelehrten Kreise der Bevölkerung nähert, der eine ihm ganz eigenthümliche Sprache hat. Hier wird nicht nur ein unermesslicher Schwärm von frem- den Ausdrücken gebraucht, sondern auch der ganze Satzbau des vaterländischen Idioms verändert imd imtürkisch gemacht. Die Vocalgesetze der Sprache werden über den Haufen gewor- fen und den Fremdlingen zu Liebe verändert. Es ist, als ob die Gelehrsamkeit solche Unnatur fordere, denn der Mulla zwingt die lesenden Schüler, untürkisch auszusprechen und rügt aufs Strengste die volksthümliche richtige Intonirung. So kommt es auch, dass die weniger gelehrten Leute beim Lesen nach Art der Mulla aussprechen. Die Gelehrsamkeit hat es gleichsam darauf abgesehen, die Volkssprache auszurotten. Der gewöhnliche Mann, der ohne ein Gelehrter zu sein, nur zu lesen und zu schreiben versteht, schreibt und liest türkisch. Sobald er aber ein wenig mehr gelernt hat, wendet er sich mit Abscheu von jenen Zeugnissen der Unwissenheit, von der geistigen Nahrung des gemeinen Mannes, und vertieft sich in das Studium des Persischen. Beim Schreiben bedient sich der Halbgelehrte noch der türkischen Sprache, da er der persischen noch nicht mächtig genug ist. Arabisch liest er nur den Koran, lernt Gebete und arbeitet einzelne arabische Bücher mit Interlinearübersetzung durch. Ist der Gelehrte aber bis zur arabischen Grammatik vorgedrungen und hat er einige Kenntniss des Arabischen erlangt, so ver- nachlässigt er auch die persische Sprache und beschäftigt sich nur mit dem Arabischen, dem Ziele eines jeden Gelehrten. Im Schreiben bedienen sich diese grösseren Gelehrten meist nur der persischen Sprache, unbekümmert darum, ob der Empfänger des Briefes persisch versteht oder nicht. Dieser Arme muss sich oft erst einen MuUa suchen, der ihm die Schrift seines Landsmannes übersetzt. Die Sprache des officiellen Schrift- wechsels in Dokumenten, Erlassen etc. der Regierung ist stets die persische, selbst in Kokand. Der Grund davon ist, dass jeder Beamte stets einen Mulla bei sich hat, der natürlich per- sisch schreibt. Ich habe oftmals Gelegenheit gehabt, die Aus- fertigung officieller Schriften zu beobachten. Der Beamte theilt dem Mulla (Mirsa) den Inhalt der Schrift mit, dieser führt sie aus, und jener legt einfach sein Siegel bei. — 469 — Bei so bewandten Umständen lässt sich das unaufhaltsame Vordringen der Fremdlinge leicht erklären. Was aber beson- ders zersetzend wirkt, ist, dass die Fremdlinge in der Sprache selbständig fortleben, wie solches auch bei den deutschen Aristo- kraten im vorigen Jahrhundert mit eingemischten französischen Brocken geschah. Hier aber nimmt das Sprachgemenge stets zu, da keine sprachreinigende Reaction möglich ist. Während doch im Allgemeinen Niemand den Satz angrei- fen wird, dass geistige Beschäftigung (Forschen und Lernen) den Geist bildet und die ürtheilskraft stärkt, sehen wir hier leider das Gegentheil. Ein gesundes ürtheil und eine gewisse Geistesschärfe sind nur bei den ganz Ungebildeten zu finden. Die Sprache der Kirgisen ist fliesßend und beredt; diese sind witzig und beissend in Frage und Antwort, ja oft bewun- derungswürdig gewandt, imd jeder auch noch so ungebildete Kirgise beherrscht seine Sprache, wie wir nur etwas Aehnliches in Europa bei den Franzosen und Russen wahrnehmen können. Kirgisischen Erzählern ist eine frische und anmuthige Diction eigen. Der Kara-Kalpake, Turkmene und der ösbekische Land- bewohner des Serafschanthales ist schon unbehülflicher als der ungebildete Nomade, aber die gebildeten Klassen der Städte- bewohner sind schwerßlllig in der Rede, unbeholfen im Aus- druck und über alle BegriflPe langweilig in der Unterhaltung. Wie sollte es aber auch anders sein? Man beschäftigt sich meist mit dem, was man aus sprachlichen Gründen nicht ver- stehen kann. Der Kirgise hört seine Märchen, Sagen und Lieder in seiner eigenen Sprache, er empfilngt dadurch Eindrücke, die in ihm zurückbleiben und zur Nachahmung reizen. Der Ös- beke hört schon die einfachsten Erzählungen in einer Sprache, die er zum grössten Theile nicht versteht, und je tiefer er in die Wissenschaft eindringt, um so mehr hüllt sich die gelehrte Rede in ein unverständliches Gewand. Man gewöhnt sich daran, aus dem Gelesenen (Gehörten) den Sinn herauszurathen und unverdautes Wortgeklingel nachzubeten und auswendig zu ler- nen. Dadurch wird natürlich nur eine Funktion des Geistes, das Gedächtniss, geübt, während die übrigen Geisteskräfte er- lahmen. 15 — 20 Jahre hat der Schüler stets mit den sprach- lichen Schwierigkeiten zu kämpfen, deren Ueberwindung das höchste Streben des Gelehrten ist. Wie wenige der Glücklichen giebt es abe^, denen die& gelungen ist. — 470 — Die Sitze der Gelehrsamkeit sind die Medressen; hier wer- den nur religiöse Studien getrieben, und es wird für eine Sünde gehalten, sich dem Studium der Poesie oder anderer Litteratur- zweige zu widmen. Diese Ansicht ist die allgemein verbreitete, die es auch mit sich bringt, dass man höchst selten Werke über Poesie oder Geschichte in türkischer oder persischer Sprache antrifft. Seihet unter dem Volke sind meist nur heilige Legen- den oder Hikmete zu finden. Die eigenthche Volkshtteratur ist daher nur sehr gering und ich übergehe sie, da Vamböry das Hauptsächlichste derselben in seinen Dschagataischen Studien mitgetheilt hat. Viel Neues liesse sich natürlich aus dem Munde des Volkes sammeln. Dieses Vorherrschen der Gottesgelehrsamkeit erklärt natür- lich, weshalb in den Chanaten Gelehrsamkeit und Fanatismus zusammenfallen. Je mehr man sich der Wissenschaft hingiebt, um so mehr ist man fanatischer Mohammedaner, und die höch- sten Gelehrten sind die wahren Schürer der Unduldsamkeit. Sie sind die steten Urheber der Unruhen in Mittelasien, haben de» Emir zum diesjährigen Kriege gezwungen, tragen die Schuld, dass Samarkand in Asche und Trümmern liegt, und sie werden jeden Chan zwingen, die Verträge mit Ungläubigen, welche von Anfang an ein Treubruch sind, zu zerreissen. Der Emir von Buchara und seine Beamten müssen mit den Gelehrten eng zu- sammenhalten, denn sie wissen, dass ihre Macht bei diesen wur- zelt. Daher sind sie äusserlich streng rechtgläubig und unter- stützen ihrerseits diese Stützen der Religion. Die grosse Mehrzahl der Gebildeten gehört dem Handels- stande an; diese Handelsleute sind weniger fanatisch als die Gelehrten und Beamten, sie sind daher auch den Russen we- niger feindlich gesinnt; doch auch sie sind zu gute Mohamme- daner, um nicht, wenn die Religion bedrängt wird, sich auf die Seite der Schützer derselben zu stellen, wenn sie sich auch, tsobald die Verhältnisse es erheischen, dem neuen Herren willig unterordnen. Das Volk endlich ist apathisch und chai*akterlos, es erfüllt die religiösen Vorschriften streng. Es hasst zwar seine Peiniger, die Beamten und Gelehrten, wird aber leicht durch Vorspiege- lungen der Gelehrten zum Fanatismus verleitet. Die Kirgisen und Kara-Kalpaken endlich kennen den mo- hammedanischen Fanatismus nicht; sie sind zwar äusserlich — 471 — strenge Anhänger des Islams, oder glauben dies wenigstens zu sein; unberührt sind sie aber geblieben von dem versengenden Hauche des Fanatismus; ausserdem hassen sie die herrschenden Sart, besonders die Mulla' s, die ihrerseits wegen Vernachlässigung einiger Religionssatzungen die Kirgisen stets Ungläubige nen- nen. Daher kommt es auch, dass die Kirgisen stets bereit sind, gegen die Städtebewohner zu kämpfen, und sich von Anfang an auf Seite der Russen gestellt haben. Dazu drängt sie theils der Hass, zum grossen Theile aber auch die Raubgier, da es bei den Kampfzügen stets möglich ist, eine gute Beute zu er- ringen. So liegen die geistigen Verhältnisse des Volkes. Wir sehen zwei Elemente mit einander kämpfen, das türkisch- volksthüm- liche und das persisch-arabisch-mohammedanische. Letzteres hat leider schon hier die Oberhand gewonnen und hält jede Ent- wickelung des Volkes zurück. Ein Fortschritt wäre hier nur dann möglich, wenn das volksthümlich-türkische Element durch europäische Civilisation eine Hülfe gewinnen könnte, welche die Uebermacht der Mohammedaner paralysirt. Jetzt, wo der Volks- geist in der Steppe sich noch kräftig erhält, ist dies nicht schwer, daher muss eilige Hülfe geschafft werden. Ebenso wie in der Türkei der schlaue, gewandte und thätige Grieche dem faulen, indolenten, aber ehrlichen Türken ge'gen- übersteht, ebenso bildet in Mittelasien der schlaue, strebsame Perser einen Gegensatz zu dem unbeholfenen, trägeren Tataren. Wie auch schon Vambery bemerkt, bilden die Tadschik Bucharas ein bedeutendes und gewichtiges Moment der Beamtenwelt des Emirs. Durch die Vermischung mit dem persischen Elemente hat sich die türkische Bevölkerung der Städte schon in vieler Beziehung dem Charakter der Tadschik genähert. Hier sehen wir eine Bevölkerung, die gleich dieser das Wort „Vortheil und Erwerb" auf ihr Panier geschrieben hat, eine Bevölkerung, deren höchstes Ideal materieller Gewinn ist. Trotz der moham- medanischen Verachtung des irdischen Tandes ist das Geld doch ihr einziger Abgott, und keine Bande des Blutes werden sie berücksichtigen, wenn es gilt, einen materiellen Vortheil zu er- ringen. Daher ist die Hauptbeschäftigung des Städtebewohners auch der Handel, weil er durch ihn, ohne körperliche Anstrengung, die er ebenso hasst wie der Perser, einen reichen Gewinn er- halten kann. Nirgends sieht man wohl ein Feilschen, wie es — 472 — auf den Märkten Mittelasiens stattfindet. Dabei sucht der Händler, wo er nur irgend kann, den Käufer zu übervorth^ilen und zu betrügen. Die Selbstsucht der Städtebewohner kennt keine Grenzen. Mir ist es selbst passirt, dass ein reicher Mann, der mich in Samarkand herumgeführt hatte, mir durch einen Kirgisen bemerklich machte, dass ihm ein Geschenk erwünscht sei, und dass er, als ich ihm des Versuches halber ein 20 -Kopekenstück gab, diese Gabe mit der grössten Freude einsteckte. Das Wort Geschenk (silau) ist überall zu hören und wird bei den kleinsten Diensten, z. B. bei Nachfrage nach einer Strasse, einem Bause, stets mit sehr verständlicher Bewegung der Hand ausgesprochen. Selbst der Händler bittet, nachdem er eine Waare verhandelt, noch um eine Silau. Neben dieser Sucht nach Erwerb ist der Hauptcharaktei'zug der Städtebewohner der Geiz. Wenn es Etwas zu erwerben giebt, spricht derselbe nie das Wort Fani Dünja (die zerbrechliche Welt) aus, aber desto öfter, wenn es gilt, seinen Geiz zu decken. Daher leben die Reichen fast ebenso armselig wie die Aermsten und geniessen nur dieselben Speisen, höchstens, dass sie bessere Wohnungen haben und die Fremden- zimmer etwas stattlicher ausschmücken. Ausser der Geldgier und dem Geize sind Feigheit, Grausamkeit, Hmmtüoke und Heuchelei die hervorragendsten Züge ihres Charakters. Man betrachte nur die Kämpfe mit den Russen, die schreckliche Behandlung von zufallig in ihre Hände gefallenen Gefangenen, gleichviel ob Russen oder Kirgisen, welche man die schrecklich- sten Qualen erleiden Hess. So wurden einem der Gefangenen die Gelenke ausgerenkt und ihm dann die Knochen der Arme und Füsse zerbrochen; einem Kirgisen wurde täglich ein Zahn aus- gezogen, weil seine Zähne, die das Brot der Ungläubigen ge- gessen, nicht werth seien, noch fürder Gottes Speise zu zer- kauen. Dafür sprechen auch die Vorfölle im vorigen Frühjahr in Dshisak, wo man, als der Emir auf jeden Russenkopf ^ine Belohnung aussetzte j in der Nacht Wachtposten erstabh oder Leichen auf dem Kirchhof ausgrub und ihnen die Köpfe ab- schnitt, die man dem Emir als Trophäen überbrachte. Man sehe nur den Derwisch auf dem Markte, der um sich die gläubige Menge versammelt und ihnen lügenhafte Träume erzählt, durch die er sich Geld erschwindelt. Der Landbewohner des Serafschan-Thales macht schon einen viel besseren Eindruck, denn es wohnt ihm eine gewisse Treu- — 473 — herzigkeit iime, die dem Städtebewohner ganz abgeht. Auch er ist geldgierig, aber nicht in dem Maasse wie jener. Dabei f^hlt ihm die Bührigkeit des Handelsmannes, er ist phlegma- tischer und fauler, scheut aber körperliche Arbeit nicht, wie es ja auch sein Beruf mit sich bringt. . Er liebt den Tadschik nicht, dessen feine Gewandtheit er furchtet. Dabei ist er furcht- sam und schüchtern. Die Kiira-Kalpaken, Turkmenen und Kirgisen sind die reinen Naturkinder; die, wenn auch schlau und listig, doch im Grunde Treuherzigkeit, Gutmüthigkeit und Anhänglichkeit zeigen. Sie sind geschworene Feinde jeder Arbeit und lieben, dass die gütige Natur sie mit allem Nothwendigen versehe. Kriegerischen Geist habe ich auch hier nirgends gefunden, vielmehr grosse Proben von Feigheit. Neugierig drängen sie sich um den netlen Ankömmling und werden oft so zudringlich, dass man sie sich kaum vom Leibe halten kann. Vortheilhaft unterscheiden sie sich in sittlicher Beziehung von den ösbeken, bei denen die schrecklichste ünsittlichkeit herrscht. Was das Aeussere betrifft, so scheidet sich auch hier das ursprüngliche türkische Element scharf von dem persischen, oder dem vom persischen beeinflussten. Die Kirgisen, Kara-Kalpaken und die Turkmenen, die noch unvermischte Vertreter des Türjken- thums sind, sind meist von mittlerer Gestalt, von untersetztem, kräftigem Körperbau, sie haben breite Gesichter mit hervor- stehenden Backenknochen, eine breite Nase, zurückstehende Stirn. Ihre Haare sind schwarz, mit einem schwachen Anflug von Braun. Die Augenbrauen sind schmal und der Bartwuchs gering. Die Tadschik, die nördlichen Sart und ein grosser Theil der Usbeken sind meist gross und schlank, von schwächlichem Körperbau. Ihre Gesichter sind schmal und scharf markirt, die Nase gross und fein gebogen; die Augenbrauen sind buschig, und ein prachtvoller Bart rahmt die regelmässig und edel ge- schnittenen Gesichter ein. Die stechend schwarze Farbe des Bartes und die schwarzen Augen, die meist ein unheimliches Feuer sprühen, geben ihnen den Ausdruck der schönsten Männ- lichkeit, so dass sie beim ersten Anblick sogar den Eindruck von Kraft und Entschlossenheit machen. Dazu trägt auch nicht wenig der tiefe Ernst bei, der fast stets auf ihren Gesichtern lagert. Aber sobald sich dieses Gesicht zu dem süssen heimtückischen Lächeln verzieht, schwindet alle vorhergefasste Illusion. — 474 — Die Lebensweise der Bewohner Mittelasiens ist so eintönig wie ihre Städte, so eintönig wie die ganze Natur, die sie um- giebt. Das öffentliche Leben gehört, wie bei allen Mohamme- danern, nur dem Manne. Ihn sieht man in seinem bunten, meist geflammtfarbigen langen Rocke, den mit hellgrünen Ga- loschen bekleideten langschäftigen Stiefeln und . dem phantas- tisch um den Kopf gewundenen weissen, grünen oder rothen Turban langsam und gravitätisch durch die Strassen schreiten. Er sitzt auf den Märkten und bei der Moschee' traulich plaudernd. Nur selten schleicht zwischen den bunten Gruppen der Männer eine kleine, schmächtige Gestalt in einem langen, blauen, den Kopf verhüllenden Rocke einher, dessen lange Aermel bis zur Erde reichen und am unteren Ende zusammengenäht sind. Der Rock ist vom auf der Brust fest zusammengehalten, und an dem stehenden Kragen ein Stück schwarzes Pferdehaargeflecht festgenäht, das den geöffneten Theil des Rockes vor dem Ge- sichte vollständig verhüllt. Dies sind die Frauen. Sie schleichen wie Verbrecher, die das Licht scheuen, durch die Gruppen der Männer, ehrerbietig jedem Manne ausweichend, der ilmen in den Weg tritt. Verlassen wir die Strasse und treten durch das schmale Eingangsthor in den Hof, so sehen wir meist zur Seite des Thores, unter einem von Holzpfosten gestützten Lehmdache, die Raufen für die Pferde. In den grossen Städten, in der Nähe der Märkte, wo die Bevölkerung sehr gedrängt wohnt, befinden sie sich auf einem breiten Corridore, der zu dem sehr kleinen Hofe führt. Der Hof ist meist in Quadratform gebaut und rings von Mauern umschlossen, deren eine die Wand des Wohnhauses bildet; in dasselbe tritt man durch mehrere kleine, roh mit Schnitzwerk versehene Thüren, vor denen eine aus Lehm festgeschlagene, etwa ein Fuss hohe Terrasse sich er- hebt; auf derselben sind mehrere Teppiche ausgebreitet. Die Thüren führen zu den Empfangszimmern des Hausherrn, die ihr Licht durch die Thür und kleine, mit Papier beklebte Fen- ster erhalten. Die Wände der Empfangszimmer sind meist roh, mit Lehm beworfen, und nur bei Reichen sind sie geweisst oder mit Arabesken bemalt. Die Decke ist weiss, nur bei Reichen mit bunten Farben und Gold verziert. In den Wänden befin- den sich Nischen und in diesen steht gewöhnlich das Theege- schirr, sowie die Bibliothek des Hausherrn, meist aus halb zer- ~ 475 — lesenen Büchern bestehend; ein Koran oder ein Häftijak fehlt nie in dieser Bibliothek. Der Boden der Empfangszimmer ist mit turkmenischen Teppichen bedeckt, und an verschiedenen Stellen liegen Kissen mit bunten seidenen Bezügen; für die besseren Gäste findet sich in jedem Zimmer eine dickwattirte, mit Seidenzeug überzogene Decke. In der andern Wand des Hofes befindet sich eine grössere Thür, und an dieser erschei- nen von Zeit zu Zeit Kinderköpfe, die verstohlen nach dem Neuangekommenen ausspähen. Diese Thür fuhrt zu einem zwei- ten Hofe, der im Ganzen ebenso eingerichtet ist wie der erste, und den Aufenthaltsort für die Familie bildet. Die meisten Gehöfte bestehen in dieser Weise aus zwei Höfen; nur bei ganz armen Leuten ist ein einziger Hof, der dann durch eine Schilfmatte in zwei Abtheilungen getrennt ist. Der vordere Hof gehört dem männlichen Geschlechte, der hin- tere dem weiblichen und den Kindern; den hinteren Hof be- tritt der Mann nur selten, besonders der wohlhabende. Letzteren bewohnt die arme Sclavin des Mannes, welche scheu ihrem ein- förmigen, freudlosen Tagewerke nachgeht. Sie sitzt dort einsam, die Kinder spielen um sie herum; sie näht, spinnt, bereitet die Speisen und legt sich dann an einem schattigen Plätzchen nie- der, um zu schlafen. Ich hatte Gelegenheit, den Frauenhof eines Nachbarhauses zu beobachten, und konnte mich so recht von dem Leben der Frauen überzeugen. Sie verrichten langsam ihre eintönige Arbeit, man sieht ihnen so recht den Ueberdruss am Leben an. Keine Zerstreuung ist für sie vorhanden, denn nur höchst selten kommt eine Nachbarin herangeschlichen, mit der sie sich unterhält. Gut, dass die Hitze schläfrig macht, sonst möchten sie das Leben schwerlich so ertragen können. Der Männerhof steht den grössten Theil des Tages über leer, denn der Mann darf den Markt und die Moschee nicht versäumen. Am Nachmittag aber sanmieln sich häufig Gästö im Hause, dann herrscht hier einiges Leben. Da werden Thee, Früchte und Speisen aufgetragen, und mit munterem Gespräch sucht man sich die Zeit zu verkürzen. Besonders belebt wird aber die Versammlung, wenn ein befreundeter Mulla mit hohem, sauber gefaltetem Turban aus feinem weissen, englischen Musse- lin, auf seinen langen, mit Silber verzierten Stock sich stützend, gravitätisch herantritt und die Versammlung beehrt. Er greift gleich nach den auf dem Simse liegenden Büchern und liest — 476 — etwas sehr Erbauliches aus einem arabischen Buche vor. Ob die Gäste von dem Vortrage sehr erbaut gewesen, ist fraglich, denn bald nach seinem Fortgehen wird, nachdem noch mehrere Nach- baren eingetreten, ein Knabe in Frauenkleidem herbeigebracht. Die Anwesenden setzen sich im Halbkreise auf dem Hofe nieder, und nun beginnt der Knabe seinen Tanz, der in schrecklich un- graziösen Verrenkungen des Körpers und aus höchst widrigen, unanständigen Geh erden besteht. Ein höchst unharmonisches Saiteninstrument spielt die Musik zum Tanze, und die Zuschauer klatschen mit den Händen den Takt. Gierige, geile Blicke wer- den nach dem tanzenden Betschä geworfen, der den graubär- tigen, halbtollen und verliebten Alten kokette Blicke, den Bevor- zugten wohl auch manchmal Zuckerstückchen oder Brodstück- chen zuwirft, welche sie im Taumel zu erhaschen suchen und mit Gier verschlucken. Diese Tänze dauern meist bis tief in die Nacht hinein, und ich will das Ende des Festes mit dem Schleier des Schweigens verdecken. Die Lasterhaftigkeit dieser Menschen zerreisst noch die letzten Bande der Familie und er- reicht darin ihren Gipfelpunkt, dass man hier jährlich Tausende von Kjiaben von 8 bis 10 Jahren zu xmsittlichen Buhlereien ah- richtet und moralisch tödtet. Die Nahrung der Bewohner des Serafschanthales ist sehr einfach und in allen Schichten der Gesellschaft dieselbe. Der Arme und der Arbeiter leben meist von Brod und Früchten. Das Brod wird aus Weizenmehl, Wasser und Salz geknetet und, ohne es dem Gährungsprocesse zu unterwerfen, in dünnen, run- den Scheiben gebacken. Frisch ist es ganz wohlschmeckend. Ausserdem giebt es noch kleine runde Brödchen, die mit Schaf- fett vermischt werden, diese schmecken sehr schlecht. Die Früchte sind natürlich nach der Jahreszeit verschieden. Im Spätsommer sind Melonen, die sehr wohlschmeckend sind, die beliebteste Speise. Von gekochten Speisen ist die allgeniein verbreitetste das Pilaw, hier kurzweg „Asch" (Speise) genannt. Es ist mit Schaffleisch gekochter dicker Reis, der ausserdem mit dünnen, feingeschnittenen Mohrrübenscheiben vermischt ist. Dieses Pilaw ist diejenige Speise, die man stets den Gästen vorsetzt, und ich habe sie daher auch zur Genüge gegessen. Sie wird sowohl auf dem Tische der Reichen wie der Armen aufgetragen. Eine andere sehr beliebte Speise sind die Nudeln, die sowohl in Milch wie auch in Fleischbrühe gekocht werden. f — 477 — Seltener erhält man in Hammelfett gebratenes, kleingeschnitte- nes Fleisch. Milchgerichte, wie auch sauere, gekochte Milch, (Airan) sind hier ziemlich selten anzutre£Pen. Auf den Märkten werden noch in Teig gefüllte und in Dampf gekochte Fleisch- klösse verkauft. Diese sind sehr schmackhaft, aber etwas zu fett. Einen Haupttheil der Nahrung bildet noch der Thee, bei Reichen grüner Thee, der gewöhnlich mit Mandeln, Bosinen und getrockneten Früchten aufgetragen wird, doch wird der- selbe überaus unschmackhaft in langen, schmalen metallenen Kannen am Feuer gekocht. In einigen Karawansereien, selbst in Dörfern, sah ich russische Theemaschinen, jedoch sind die- selben beim Volke noch wenig im Gebrauch. Von Getränken will ich noch den Scherbät erwähnen, der aus Honig bereitet wird. Per letztere wird in irdene Einige gethan, die luftdicht verschlossen und dann in die Erde vergraben werden. Er wird dickflüssig wie#>rauner Syrup. Man geniesst ihn mit Wasser vermischt. Branntwein habe ich nur bei den Juden in Samar- kand gesehen. Dies sind die Speisen, die hier Reich und Arm gemessen, und ich glaube, dass auch die Tafel des Emirs keine weitere Abwechslung aufzuweisen hat. Von Fleischsorten habe ich hier nur Schaf- und Rindfleisck;^"^^ angetroffen. Pferdefleisch, das die Kirgisen und russischen Ta^^^^s^ taren so lieben, scheint hier nicht gegessen zu werden. Die } Mahlzeiten werden meist auf sehr unsauberen Tischtüchern, die man auf den Teppichen am Boden ausbreitet, aufgetragen. Beim Essen bedient man sich nur der Finger, die natürlich nach der Vorschrift des Korans vor und nach der Mahlzeit gewaschen werden. Löffel und Gabeln sind nirgends im Gebrauch. Die Verwaltung. Das Serafschanthal gehörte in seiner ganzen Ausdehnung zum Chanat von Buchara. Der Emir,* als der oberste Leiter des Chanats, wohnte früher den Winter über in Buchara, den Sommer aber in Karschi, Katty Kurgan und Samarkand. Im letzten Jahre hat er die Stadt Samarkand nicht besucht. Seinen Sommeraufenthalt in Katty Kurgan habe ich bei Gelegenheit dieser Stadt geschildert. Die Verwaltung des Ghanats Buchara ist ein Gemisch aus militärisch-klerikalem Despotismus. Der Form nach ist sie rein militärisch. Das ganze Chanat ist in Begschaften getheilt, die — 478 — von den vom Emir eingesetzten Begen verwaltet werden. Die Begßchaften des mittleren Serafschanthales waren bis zur Ein- nahme durch die Russen folgende: 1) Dshisak, 2) Samarkand, 3) Pentschikend, 4) Tschiläk, 5) Nurata, 6) Peischämbi, 7) Katty Kurgan, 8) Katyrtschy und 9) Siaddin. Die Bege sind Be- fehlshaber der ihnen anvertrauten Heeresmacht, die in dem Haupt- orte der Begschaft in Garnison liegt, dann aber sind sie die Vertreter des Emirs selbst, die fast unumschränkt den ihnen anvertrauten Distrikt verwalten. Ihre Hauptverpflichtung dem Emir gegenüber besteht darin, ihm ein bestinuntes Steuermass jährlich zufliessen zu lassen ' und den Distrikt unter der Ober- macht des Emirs zu erhalten, also jeden Aufstand zu verhindern oder zu unterdrücken. Sie scheinen sich oft als selbständige Herren gerirt zu haben und auch untereinander in Fehde ge- rathen zu sein. Aufstände gegen den Emir selbst scheinen eben- falls nicht zu den grössten Seltenheiten gehört z# haben. Deshalb lässt auch der Emir die Bege nicht gerne allzulange Zeit auf einem Posten, und in der Wahl der Biege ist er sehr vorsichtig. Er wählt dieselben aus seiner nächsten Umgebung und ruft sie dann nach einiger Zeit wieder an seinen Hof zurück. Die Zahl der Krieger, die dem Beg zu Gebote stehi, ist nach der Grösse der Begschaft sehr verschieden, besteht aber nur aus einigen Hundert Reitern, die je 20 Tengi (4 Rubel) monatlich Löhnung erhalten. Die Offiziere^ die zur Verfügung des Beg stehen, sind: Jus Baschi (Befehlshaber über 100 Mann), Mira- chor, Pendschabaschi (Befehlhaber über 50 Mann) und Onbaschi (über je 10 Soldaten). Doch sobald sich eine Kriegsgefahr zeigt, muss der Beg durch Ueberredung, Gewalt und Bezahlung dieses sein stehendes Heer wenigstens verdreifachen und mit seiner ganzen Truppenmauht zu dem Oberherm, dem Emir, stossen. Die früheren Reisenden, selbst Vamb^ry, geben die Truppen- macht des Emirs, welche aus diesen Begschaftstruppen und einer stehenden Leibtruppe des Emirs besteht, viel zu hoch an. Ich bin überzeugt, dass sie gewöhnlich nicht 8000 Mann übersteigt, also im Kriegsfalle auf über 20 000 Mann gebracht werden kann. Um nun das Heer ansehnlicher zu machen, wird kurz vor dem Zusammentreffen mit dem Feinde aus den nächsten Dorfschaften eine möglichst grosse Anzahl friedlicher Einwohner mit Gewalt zur Armee getrieben, so dass die Gesammtheit der- selben wohl bis auf 40 000 Mann steigt. Dass aber diese meist — 479 — ganz unbewaffnete Menge die Armee nur dem Scheine nach ver- grössert, ihr aber sonst in jeder Beziehung Schaden bringt, ist selbstverständlich. Und so sehen wir auch, wie bei jedem Zu- sammenstosse mit den Russen der grösste Theil der Armee beim ersten Kanonenschusse die Flucht ergreift. Bei Einnahme von Städten bilden die Einwohner derselben einen grossen Theil der Vertheidiger, und sie sind es, die besser kämpfen als die sie schützenden Soldaten. So habe ich allgemein von Augenzeugen vernommen. Der Hauptbefehlshaber der Armee ist der Asker Baschi, der sich bei dem Emir in Buchara befindet. In dem diesjährigen Kriege war Oberkommandirender der Armee Osman Beg, ein vor einigen Jahrzehnten von der sibirischen I^inie entflohener Kosak. Auch sonst sollen noch desertirte und gefangene russi- sche Soldaten, die zum Theil ursprünglich Mohammedaner ge- wesen sind, hervorragende Stellen in der Armee einnehmen. Ein bedeutender Theil der Truppen des Emirs sind die angeworbenen Afghanen, von denen in diesem Jahre etwa 200 — 300 Mann unter Oberbefehl des Iskender Chan zu den Küssen übertraten. Es ist, wie ich selbst gesehen, ein schreckliches Gesindel, das nur der Beute wegen sich dem Kriegsdienste widmet. Sie sollen auch ohne jegliche Gewissensbisse in diesem Jahre gegen ihre Glaubensgenossen und ihren früheren Herrn tapfer gekämpft haben. Die Armee besteht zum grössten Theil aus Reiterei (die Truppen der Begschaft und die neu angeworbenen Hülfs- truppen), die eine sehr ungleiche Bewaffnung hat und ohne jegliche Ordnung auf den Feind eindringt. Bedeutend weniger an Zahl sind die Fusstruppen, die hauptsächlich die Leibgarden des Emirs ausmachen. Sie sind besser bewaffnet und sollen schon zum Theil eine Art Uniform haben. Auch sollen sie zum Theil schon eingeübt sein und zwar theil s durch russische Deserteure, theils durch Afghanen, die in Indien bei den Spahis gedient haben. Die Artillerie war bis jetzt fast nur Festungsartillerie. In dem letzten Jahre wurde sie aber schon im Felde benutzt und die Kanonen transportabel gemacht. Der Emir scheint über 40 — 50 Kanonen zu verfügen. Im Schiessen ist diese Artillerie höchst ungeschickt und fügt dem Feinde fast gar keinen Schaden zu. Die Kanonen selbst sind sehr schlecht, die Kanonenrohre schlecht gegossen und die Kugeln nicht glatt. Als im vorigen Jahre ein russischer Artillerie-Offizier gefangen wurde, verlangte — 480 — der Emir, er solle die Artillerie exerciren. Da er nach vielem Weigern sich endlich zum Exercirplatz begab und ihre üebungen mit ansah, konnte er sich kaum des Lachens über die aber- witzigen Manipulationen enthalten. Doch der Artillerie -Kom- mandeur machte ihn im Geheimen darauf aufmerksam, dass er hier Alles loben müsse, sonst koste es ihm den Kopf, und zwar wurde ihm dies in russischer Sprache gesagt. Dies that er denn auch und wurde vom Emir beschenkt und nicht weiter behelligt. Wie weit die Kriegskunst bei den Bucharen vor- geschritten und was sie von den Siegen der Russen denken, beweist das eifrige Suchen und Fragen des Bucharischen Ab- gesandten Mussa Bai nach Büchern, aus denen man die Kunst zu siegen erlernen könne; er soll sich sehr bestimmt geäussert haben, dass ein Du'a (ein Zauberspruch) hierbei im Spiele sei. Von höheren Bucharischen Beamten lernte ich zwei Ab- gesandte, die den unterzeichneten Friedensakt des Emirs nach Samarkand in das Hauptquartier überbrachten, und drei Bege während meines zufälligen Aufenthaltes bei der Grenzregulining kennen . Was die Gesandtschaft des Emirs betraf, so bestand sie aus drei Personen, dem Mussa Bai, dem Mirachor des Emirs, einem Geistlichen (Ischan) und einem Finanzbeamten. Mussa Bai war ein gewandter alter Mann, ein schlauer Schmeichler, der stets in süsser Bede die schönsten Versprechungen machte. Wir wurden die besten Freunde, so dass er mir schon bei dem zweiten Zu- sammentreffen ein persisches Geschichtswerl^ verehrte, es aber noch auf einige Tage bei sich behalten wollte, wogegen ich ihm einen schönen Koran schenkte. Aber er reiste ab, ohne mir das unter so schönen Redensarten geschenkte Buch einzu- händigen. Er plauderte viel, aber meist leeres Zeug. Der zweite Abgesandte, ein hoher GeistHcher von turkmenischer Ab- stammung, machte einen viel besseren Eindruck; er war ernst, streng imd offen in seinem Benehmen und sein Auftreten sehr würdevoll. Bei unseren Zusammenkünften erzählte er mir viel von den Turkmenen. Unsere Hauptunterhaltung drehte sich aber um den Islam. Er suchte mich von der Trefflichkeit dieser Religion zu überzeugen und wollte mich durchaus zum Ueber- tritt bewegen; unser Streit wurde manchmal recht heftig, und ich muss gestehen, er führte ihn mit vieler Gewandtheit. Von dem dritten Gesandten habe ich nie ein Wort vernommen, er i — 481 — spielte eine stumme Figur. Die Abgesandten waren in schöne seidene Röcke gekleidet, die sich im Schnitt durchaus nicht von dem der übrigen Leute auszeichneten. Die Schabracken ihrer Pferde waren mit Gold gestickt und die beiden weltlichen Ab- gesandten waren mit Säbeln umgürtet. Der Geistliche trug nur den seinem Stande eigenthümlichen Stock. Stieg dieser Würden- träger zu Pferde, so gab er den Stock einem Diener, der ihn hinter ihm hertrug. Die drei Bege, die ich bei der Grenzregulirung kennen lernte, waren Rachmet Bi, der Beg von Siaddin, Bahadur Bi, der Beg von Katyrtschy und Abdulgafar, der Beg von Nurata. Rachmet Bi, derselbe, dessen Vambery als Befehlshaber von Buchara erwähnt, war von Abkunft ein Tadschik. Er kam zuerst nach Katty Kurgan, um von dort nach Samarkand zu gehen und die Dämmung des Serafschan, die hauptsächlich für die siaddinische Begschaft nöthig ist, zu leiten. Hier erhielt er aber ein Schreiben des Emirs, der ihm befahl, der Grenz- regulirung beizuwohnen. Er trug sich einfach, wenn auch ge- wählt,* und eignete sich in kurzer Zeit die. Formen des Um- ganges mit Europäern in einem hohen Maasse an. Durch Lie- benswürdigkeit suchte er überall seinen Vortheil geltend zu machen. Ich wurde mit ihm schnell bekannt, aber schlau wich er allen Fra;gen über Buchara aus. Als Geschäftsmann zeigte er sich sehr gewandt und hatte die augenblickliche Stellung Buchara' s vollständig begriffen; die Geschäfte gingen daher mit ihm ohne Schwierigkeit von Statten. Von den Eingeborenen wurde er mit Ehrfurcht behandelt und dem Volke gegenüber wusste er sich stets als Beg zu geriren, was ihn aber durchaus nicht verhinderte, zwei Betschä mit sich zu führen. Er soll beim Emir in hohen Ehren stehen. Gerade das Gegentheil von dem gewandten, einschmeicheln- den Rachmet Bi bildete der Beg von Katyrtschy, Bahadur Bi. Er war verschlossen und tölpelhaft und schien nur äusserst ge- gringe Fähigkeiten zu besitzen. Seine Umgebung zeigte sich gegen ihn sehr insolent und brutal, und mehrmals, wenn er sich mit mir und dem Dolmetscher unterhielt, sagte ihm einer seiner Gefilhrten, er möge doch nicht so viel sprechen, das passe nicht für seine Würde und Stellung. Als wir bei Katyrtschy anlangten und er durch einen Brief eingeladen wurde, in unser Lager zu kommen, schützte er vor, Radioff, Aus Sibirien. II. 31 — 482 — vom Emir keine Instructionen zu haben, und sagte, er würde seinem Verwandten sein Siegel überleben und ihm einige Ak- sakale zuordnen, die mit uns die Grenze feststellen könnten. Das wurde natürlich abgeschlagen und die Fordening nach sei- ner Gegenwart wiederholt. Da gab er endlich nach und be- zeichnete Tasmatschy als Punkt der Zusammenkunft. Selbst nach Kimedys zu kommen, weigerte er sich, da er seine Beg- schaft nicht verlassen dürfe, sondern schickte Geschenke, die unter so bewandten Umständen nicht angenommen wurden. Bei Tasmatschy trafen wir zusammen; er empfing uns hier an der Veranda eines sehr ansehnlichen Hauses, umgeben von einer Suite von etwa hundert Menschen, die im Kreise um ihn sassen. Zu seiner Seite sass sein Jassaul Baschi und einige Mulla' s; er sprach sehr wenig, und für ihn führten meist der Jassaul Baschi und ein Mulla das Wort. Diese setzten uns für's Erste ausein- ander, dass dieser Beg ein ganz anderer Mann sei, als Eachmet Bi. Er sei Osbek und aus einem fürstlichen, dem Emir ver- wandten Geschlechte, während Rachmet Bi ein Tadschik und Emporkömmling sei. Darauf besuchte er uns an demselben Tage, am nächsten begann die Grenzregulirung, und wir waren höchst überrascht, als wir uns am andern Morgen mit unserm kleinen Häuflein von 800 bis 1000 Reitern umringt sahen, die das Gefolge des Begs bildeten; von diesen waren etwa 200 mit Flinten bewaffnet. Der Beg war von zehn mit Stöcken be- waffneten Jassaulen umgeben; er mied es, mit uns zu reiten. Bei jedem Dorfe machte er Halt und schützte zweimal Krankheit vor, um sich entfernen zu können. Später erfuhren wir, er sei nur mit Zittern und Zagen der Einladung gefolgt und habe seine Begleitung schnell aus den umliegenden Dörfern zusam- mengebracht. Er habe ihnen streng befohlen, ihn stets zu um- geben und vor etwaigem Ueberfall zu schützen. Als ich bei Beendigung der Arbeiten ihm das Protokoll zum Unterschreiben übergab, nahm er dasselbe in die Hand, drückte, ohne auch nur einen Blick darauf geworfen zu haben, sein Siegel darunter und reichte mir es wieder hin. Ich ersuchte ihn, doch wenig- stens das Schriftstück durchzulesen, imd da erst übergab er es seinem Mulla, der es mit lauter Stimme vorlas. Der dritte Grenzcommissar, Abdulgafar, wollte auch zuerst seinen Sohn absenden, kam jedoch später selbst nach Aktschab. Er machte auf mich den besten Eindruck; er war weder krie- — 483 — chend freundlich wie Rachmet Bi, noch tölpelhaft unbeholfen wie Bahadur Bi. Er entwickelte viel Sachkenntniss und Energie. Er war von keinem Gefolge hegleitet und auch kein Jassaul ritt mit dem Stocke bewaffnet vor ihm her. Die Bevölkerung behandelte ihn, soviel ich bemerken konnte, mit der grössten Ehrerbietung. Viel Gewandtheit gehört dazu, mit den asiatischen Abge- sandten zu unterhandeln. Sie sind stets zu Ausflüchten und Winkelzügen bereit und bemühen sich, die gegnerischen Unter- händler in den Augen des sie umgebenden Volkes herabzusetzen. So verfuhr Rachmet Bi mit einem Offizier, der ihm in Katty Kur- gan zur Begrüssung entgegengeschickt wurde. Als er denselben sah, that er, als ob er vom Pferde steige, blieb aber mit dem einen Fusse im Steigbügel. Als der Offizier, der das nicht be- merkt hatte, vom Pferde gestiegen war und dasselbe einem Kosaken übergeben hatte, schwang sich Rachmet Bi schnell wieder in den Sattel, reichte dem zu Fuss stehenden Offizier die Hand vom Pferde herab und ritt stolz weiter, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern. Wenden wir uns jetzt zu der inneren Verwaltung. Der vom Emir eingesetzte Beg ist zu gleicher Zeit in allen Ange- legenheiten der Vertreter des Emirs selbst, seine Hauptaufgabe ist es aber, die geforderten Steuern einzutreiben und diese dem Emir zu übersenden. Gehalt bezieht er so wenig wie seine Unterbeamten, er muss sich und seine Untergebenen, selbst seine Soldaten, aus örtlichen Mitteln unterhalten, und es stehen ihm zu diesem Zwecke gewisse Steuern zu Gebote. Die nächsten Gehülfen des Beg sind seine Verwandten, die er mit Vollmachten in seinem Namen in die verschiedenen Theile seines Gebietes sendet. Er wählt deshalb seine Verwandten, weil er durch sie nicht hintergangen zu werden denkt. Ihnen werden dieselben Ehrenbezeugungen zu Theil wie dem Beg selbst. Ausserdem umgiebt dieser sich mit einem Kreise von Jassaulen, deren Zahl ganz von seinem Belieben abhängt. Der Befehlshaber derselben ist der Jassaul Baschi. Diese Jassaule sind zum grössten Theil in seiner Umgebung; sie sind seine Spione in jeder Beziehung. Es werden ihnen aber auch oft kleine Geschäfte im Districte übertragen. Jede Begschaft ist wiederum in kleinere Districte getheilt, an deren Spitze sich Aksakale befinden. Der einflussreichste 31* — 484 — ist der Aksakal der Kesidenz des Begs, der zugleich den Titel Amin führt. Die Aksakale müssen die Befehle des Begs in ihrem Districte ausführen; es besteht aber auch ihre Aufgabe haupt- sächlich darin, die Steuern dem Beg einzuliefern. Zu diesem Zwecke stehen ihnen Steuereintreiber zur Seite. Jede einzelne Ansiedelung hat ebenfalls einen Aksakal. Ebenso giebt es für die Märkte und für Beaufsichtigung der Wasserleitungen gewisse Aksakale. Alle diese Beamten müssen sich aus örtlichen Mitteln erhalten. Auch sie haben ihren Vorgesetzten gegenüber vor- züglich für die Ruhe in ihren Bezirken einzustehen. Eigenthüm- liche Verwaltungsreglements scheinen hier nirgends zu existiren, und jeder der Beamten hat nach Gutdünken zu verfahren, um die von ihm geforderten Leistungen verrichten zu können. Neben dieser weltlichen Verwaltung besteht noch eine geist- liche Verwaltung. In dieser scheint noch grössere Verwirrung zu herrschen als in der weltlichen. Die geistliche Verwaltung ist die Kaste der Gelehrten , die in der Residenzstadt den Beg umgiebt und sich in äusserlich lockerem Zusammenhange über das ganze Terrain verbreitet, dasselbe aber dennoch wie eine feste Kette mnschliesst. Die einzigen Beamten dieser Geistlich- keit sind die an den verschiedenen Punkten eingesetzten Kasy oder Richter. Von wem dieselben eingesetzt werden, habe ich nicht erfahren können, es scheint in Vereinbarung der Mulla' s und des Begs zu geschehen. Der Richter hat sowohl Privat- streitigkeiten zu schUchten wie auch in Criminalsachen zu richten. Da das Gesetz (Scheriät) arabisch geschrieben und in vieler Beziehung für die hiesigen Verhältnisse nicht passt, ausserdem die hiesigen Juristen die einzelnen Punkte desselben nicht durch feste Bestimmungen erweitert haben, so steht dem Kasy bei seinen Richtersprüchen, da er zugleich Uebersetzer und Ausleger des Gesetzes ist, ein weites Feld offen. Er richtet sich in seinen Entscheidungen meist nach den geistigen Fähigkeiten der strei- tenden Parteien und nach ihrem Einflüsse bei der Bevölkerung. Wie in Criminalsachen gerichtet wird, weiss ich nicht zu sagen; es scheint, als ob hier der Kasy den Aksakal und andere an- gesehene Leute zu Hülfe zieht. Wie weit die Competenz eines Kasy geht, weiss ich auch nicht anzugeben. Es ist möglich, dass in wichtigen Fällen der Kasy sich mit dem Beg zu verein- baren hat. Der Beg selbst hat das Recht, Todesurtheile zu bestätigen, soll aber auch dazu der Zustimmung seiner geist- — 485 — liehen Umgebung bedürfen. Ich habe aber auch andererseits gehört, dass auch ohne den Beg die Todesstrafe in kleineren Districten verhängt worden ist. Bei Aufständen verföhrt der Beg nach Gutdünken und henkt, so viel es ihm beliebt. Früher sollen in dieser Beziehung oft grauenhafte Scenen stattgefunden haben, da das Ansehen des Begs nach der Zahl der Gehenkten ermessen wurde. Die Einwohner des Serafschan- Thaies sind an das Henken so gewöhnt, dass es auf sie- nicht den gering- sten Eindruck macht, und von ihnen ebenfalls ein Tamascha (Schauspiel) genannt wird. Die Kaste der Geistlichen wacht auch über die Rechtgläu- bigkeit der Einwohner in der strengsten Weise und zieht die- jenigen, welche sich gegen die Gesetzesvorschriften der Religion auflehnen, vor das geistliche Gericht, das sie selber bilden. In solchen Fällen steht dem Beg gar keine Competenz zu und er überlässt die Opfer dem Fanatismus, dessen er zu anderen Zwecken sehr bedarf. In einzelnen Fällen scheinen aber auch der Emir und selbst die Begs den Mulla's sich entgegenzustellen und ihnen gehörig zu Leibe zu gehen; so liess Mussafar-eddin im vorigen Jahre viele Gelehrte in Samarkand henken, da sie das Volk gegen ihn aufgeregt hatten. Im gegenwärtigen Augenblicke, wenigstens als ich mich in Mittelasien aufhielt, herrschen im ganzen Chanate entsetzliche Wirmisse. Der Emir hatte Frieden geschlossen, aber gegen den Willen der Fanatiker. Er hatte sich ihnen endlich feind- licb gegenübergestellt, was er lieber vor Anfang des diesjäh- rigen Feldzuges hätte thun sollen, da ihm damals die annehm- barsten Bedingungen gemacht wurden. Daher lockten die Ge- lehrten seinen Sohn auf ihre Seite und verbanden sich mit dem Kirgisen-Häuptling Sydyk und einem Theile der auf Seite der Fanatiker stehenden Bege. Ihnen eilte der alte Feind des Emirs, der Beg von Schähri-Sebs, zu- Hülfe, so dass man annehmen konnte, die Streitmacht des Emirs sei der der Insurgenten nicht gewachsen. Wie aber die neuesten Zeitungsnachrichten zeigen, haben die Russen das Ansehen des Emirs aufrecht erhalten, sie haben den Beg von Schähri-Sebs durch eine Flankenschwenkung gezwungen, sich von den Aufruhrern zu trennen und die Auf- ständischen selbst aus Karschi vertrieben und letztere Stadt dem Emir zurückgegeben. Wie lange der Emir es wagen wird, durch die Ungläubigen gestützt, den Gelehrten gegenüberzutreten, wird — 486 — die Zukunft zeigen, jedenfalls ist aber sein Loos kein beneidens- wCTthes, ebenso wie das Loos des Chans von Kokand, der in jedem Augenblicke den grössten Gefahren ausgesetzt ist. Chu- dajar Chan ist aber ein ganz anderer Mann als Mussafar-eddin. Chudajar kennt die Eussen schon lange, hat selbst unter ihnen gelebt und weiss recht gut, was er gegen sie ausrichten würde und wie die gegenseitigen Machtverhältnisse liegen. Zwar will ich nicht sagen, dass den Russen in Mittelasien irgend welche Gefahr drohe, daran ist nicht im Entferntesten zu denken. Aber freundschaftliche Verhältnisse mit den benachbarten nichtunter- worfenen Chanaten sind nur ein Traumbild. Dankbar müsste die civilisirte Welt der russischen Krone sein, dass sie jene Ursitze des Fanatismus und Despotismus in Schranken hält. Es könnte für England nur von Nutzen sein, wenn Russland einst sein Nachbar in Afghanistan würde. Schliesslich will ich noch einige Worte über die Abgaben sagen, welche die Bevölkerung des Serafschan -Thaies der Regierung zu zahlen hatte. Die Abgaben waren dreierlei Art: 1) Charadsch, 2) Tanap, 3) Seket. Der Charadsch ist die Abgabe vom Getreide, die der Ackerbauer nach Mass seines Ertrages leisten musste. Angaben über die Höhe der Abgaben wurden mir verschiedene gemacht, von ^/g bis ^j^ des Ertrages. Charadsch wurde von Weizen, Gerste und Reis erhoben. Der Tanap ist die Abgabe vom Gartenbau, von Obst, Gemüsen, Wiesenland, Baumwolle. Er wird in Geld gezahlt nach dem Flächeninhalte der Pflanzungen. Von den Maulbeerbäumen wurde eine eigene Steuer erhoben. Der Seket endlich ist die Abgabe, die von den Handelsgütern der Karawanen und allen auf dem Markt verkauften Waaren, Früchten, Vieh u. s. w., und endlich von den Handwerkerstätten und Speisebuden erhoben wurde. Ueber letzteren genauere An- gaben zu machen, bin ich nicht im Stande, da die Erzählungen der Eingeborenen aus begreiflichen Gründen sich sehr wider- sprechen. Die Steuern sind sehr drückend und ungerecht ver- theilt, da sie nicht den Besitz, sondern die Arbeitskraft belasten. Hoffentlich werden die Beobachtungen der in den neubesetzten Landestheilen angestellten Beamten uns bald über die volks- wirthschaftlichen Verhältnisse der neuen Besitzungen nähere Aus- kunft ertheilen. b=^^»=j — - - e 1 S Inhalts-Verzeiclmiss des anderen Bandes. Seite VI. Das Schamanenthum und sein Kultus 1 VII. Sibirische AlterthDmer 68 Bronze- und Kupferperiode , . . 78 Die ältere Eisenperiode im südlichen Altai 102 Gräber der neueren Epoche des Eisen-Zeitalters im Abakan . 116 VIII. StreIfzDge zur chinesischen Grenze und in die westliche üongolei und die dortigen Handelsbeziehungen zwischen Mongolen und Russen 144 Tagebuch während meines Aufenthaltes an der chinesischen Grenze, Östlich von der Tschujasteppe (1860) .... 144 Tagebuch meiner Reise zu den Sojonen im Jahre 1861 . . 163 Aus dem Tagebuch der Reise nach Kobdo im Jahre 1870 . 190 IX. Das lii-Thal 286' Auszug aus meinem Reisetagebuche des Sommers 1862 . . 286 Besiedelung des Üi-Thales 3^ Bodenbeschaffenheit und Klima ' . 322 Die Flüsse und Canäle 323 Die Bevölkerung des Ili-Tliales 327 X. Das mittlere Serafscban-Thal 416 Gebirge und Flüsse 419 Künstiiche Bewässerung 423 Ansiedlungen 429 Die Ansiedlungen in den das Serafschan-Thal begrenzenden Gebirgen 459 Wegverbindungen 461 Bevölkerung 465 Die Verwaltung 477 Ericlärung der in diesem Werice erwähnten russischen üaasse. Gewichte etc 487 ^^^ Verzeichniss der Tafeln des anderen Bandes. Seite Tafel 1 : Altajer beim Beschwören der Geister durch den Scha- manen. Die Schamanentrommel. Opferstelle der Altajer 18 2: Steingräber am Abakan 69—71 3: Waffen und Werkzeuge aus dem Bronzezeitalter . . 85 — 87 4: Bronzestatuette (Vorder- imd Eückseite). Bronzeplatte. Kupferner Kessel 88—89 5 : Schnitzereien und Schmucksachen des älteren Eisenzeit- alters 89—97 6: Aelteres Eisenzeitalter. Gräber an der Katanda . 104 — 107 7 : Holzschnitzereien aus dem grossen Grabe an der Katanda 108 8: Grabfelder und Gräber des jüngeren Eieenzeitalters . 116 9: Todtenumen etc. aus Kirgisengräbern am Abakan . . 118 10: Werkzeuge, Waffen etc. verschiedener Perioden ... 122 11: Kupferner Schmuck auf Eiemzeug und Kleidern . . 126 12: Knochenschnitzereien des älteren Eisenzeitalters im Altai 128 13: Aussicht auf das Sojonische Gebirge 182 14: Typen von Cliinesen, Dungenen, Tarantschi .... 351 15: Die Citadelle von Samarkand. Das Grabmal Timur's in Samarkand 436 16: Die Medresse-i-Cha-nym in Samarkand (Seiten- und Vorderansicht) 444 75 )» 7J » j; '^^m^ Erklärung der in diesem Werke erwähnten russischen Maasse, Gewichte etc. LAjigenmaasse. 1 Pubs = 12 ZoU, =120 Linien, = 0,305 Meter. 1 Faden = 7 Fuss, = 3 Arschin, = 2,133 Meter. 1 Arschin = 16 Werschok, =0,711 Meter. 1 Werst = 500 Faden, = 1,07 Küometer. Flächenmaasse. 1 Desjätine = 2400 Quadratfaden, = 1,092 Hektar. Getreidemaasse. 1 Tschetwert =8Tschetwerik, = 64Ganietz, = 2,679 Hekto- liter. Flüssigkeitsmaasse. ' 1 Botschka (Fass) = 40 Wedro (Eimer), -= 400 Stof, = 0,123 Hektoliter. Gewichte. 1 Pud = 40 Pfund, = 16,380 Kilogranun. 1 Pfund = 32 Loth, = 96 Solotnik, = 409,5 Gramm. Geldsorten« 1 Eubel = 100 Kopeken. Verlag von T> 0. Weigel in Leipzig. ^6 ^^JK<^<» b-^ Ein Spaziergang um die Welt. Von Alexander Freiherrn von Hfibner. Ausgabe in zwei Bänden, gr. S^. 12 M., geb. 14 M. 50 Pf. Wohlfeile Ausgabe in einem Bande, kl. S^. geh. 6 M., geb. 7 M. KABUL. Schilderung einer Reise nach dieser Stadt und des Aufenthaltes daselbst in den Jahren 1836—1838. Von Sir Alex. Burnes* Aus dem Englischen von Theodor Oelckers. Mit 12 Kupfern. 1883. Ermässigter Preis geheftet 3 Mark. _ -* I t Tagebuch der Unfälle in Afghanistan 1841 - 1842. Von Aus dem Englischen übersetzt yon Theodor Oelckers. Mit zwei lithogr. Tafeln. 1843. Ermässigter Preis geheftet 3 Mark. Julius Maser, Leipsig-Reudnitz. -Nr A .